DER GEHETZTE DER SIERRA MADRE/LA RESA DEI CONTI

Sergio Sollima lässt Lee Van Cleef Tomás Milián in einem der besten Italowestern durch die Wüste hetzen

Jonathan Corbett (Lee Van Cleef) ist ein Kopfgeldjäger, der wenig Skrupel bei der Ausübung seines Berufs kennt. Als er nach seinem jüngsten Beutezug in die Zivilisation zurückkehrt, wird er auf die Hochzeitsfeier der Tochter des Großgrundbesitzers Brokston (Walter Barnes) eingeladen. Man schmückt sich gern mit dem Revolverhelden, der aber sichtbar zurückhaltend bleibt, als Brokston ihm anträgt, als Senator des Staates zu kandidieren. Brokston will eine Eisenbahn quer durch Texas bis nach Mexiko bauen und braucht dafür einen Mann in Washington, der sein Sprachrohr ist.

Noch während der Feier tauchen zwei staubige Männer auf und berichten von der Vergewaltigung und Ermordung eines 12jährigen Mädchens. Man wolle eine Posse zusammenstellen, um den Mörder – dies sei Cuchillo Sanchez (Tomás Milián), ein mexikanischer Tunichtgut – zu fangen. Brokston bittet Corbett, noch einmal in den Sattel zu steigen und den Verbrecher zu suchen. Corbett ist einverstanden.

Er folgt Cuchillo und findet ihn schnell. Doch versteht der es immer wieder, sich aus seiner mißlichen Lage zu befreien. Mal fingiert er einen Schlangenbiss an Corbett, wodurch er dessen Waffen in seinen Besitz bringt, mal wiegelt er die Cowboys einer Ranch gegen seinen Häscher auf, um während des Feuergefechts, das sich zwischen Corbett und den Männern entwickelt, zu entkommen. Allerdings ist Cuchillo immer daran interessiert, daß Corbett – der ihm auf der Ranch sogar das Leben gerettet hatte, als die Cowboys Cuchillo auspeitschten – selbst nichts zu Leide getan wird.

Corbett folgt Cuchillo schließlich nach Mexiko. Dort trifft er auf Capitan Segura (Fernando Sancho), der Verbrecher nicht mag, erst recht keine Aufständischen, wie Cuchillo einer war, aber vor allem keine Amerikaner. Er klärt Corbett darüber auf, daß dessen Menschenjagd in Mexiko gesetzlich nicht mehr gedeckt sei.

Nachdem Corbett in einem Bordell Cuchillos Frau aufgesucht und sich nach ihrem Mann erkundigt hat, kommt es zu einer Schlägerei mit anderen Besuchern des Etablissements. So landet Corbett im Gefängnis. In der Zelle neben ihm landet schließlich Cuchillo, der damit aber schon gerechnet hatte und ein Messer in der Zelle versteckt hat. So kann der Mexikaner entkommen. Corbett wird schließlich frei gelassen.

Brokston und seine Entourage, zu der unter anderem der Baron von Schulenberg (Gerard Helter), ein preußischer Offizier und Waffennarr, gehört, tauchen in Mexiko auf. Sie wollen die Jagd nach Cuchillo nun selber in die Hand nehmen, da Corbett ja offensichtlich versagt habe. Doch reitet der Kopfgeldjäger mit den Männern.

Zuvor hatte Cuchillo bei verschiedenen Gelegenheiten beteuert, das Mädchen weder vergewaltigt, noch ermordet zu haben. Vielmehr habe er die Tat und die Täter gesehen. Corbett, der erkannt hat, daß Cuchillo zwar ein Kleinkrimineller, aber eben auch ein liebender Ehemann und ansonsten ein eher charmanter Zeitgenosse ist, hat mittlerweile seine Zweifel an dessen Schuld.

Brokston seinerseits weiß längst, daß sein Schwiegersohn der gesuchte Mörder ist, Doch kann sich Brokston keine schlechte Presse leisten, weshalb er ihn nicht nur deckt, sondern mit Cuchillo auch einen anderen als Täter präsentieren will.

Nun wird Cuchillo gnadenlos von der Horde Männer gehetzt. Er flieht erst durch das hohe Gras der Prärie, schließlich in ein karstiges Gebirge. Mehrfach gelingt es ihm, seine Verfolger zu verwirren und auszutricksen, doch schließlich sind es Corbett und Brokstons Schwiegersohn, die ihn stellen. Corbett konfrontiert den Mann mit dessen Schuld und gibt Cuchillo, der ein begnadeter Messerwerfer ist, die Chance, sich in einem Duell gegen die Anwürfe zur Wehr zu setzen. Das Duell Messer gegen Colt überlebt der Schwiegersohn von Brokston nicht.

Nun will Brokston sich rächen und schickt von Schulenberg gegen Corbett, der in dem folgenden Duell aber die Oberhand behält. Brokstons mexikanische Verbündete – ebenfalls reiche Großgrundbesitzer – verweigern dem Amerikaner die weitere Gefolgschaft. So reitet Brokston zunächst fort, schießt dann aber von einem Hang auf Corbett. Cuchillo wirft Corbett eine Flinte zu, mit der dieser Brokston erschießt.

Corbett und Cuchillo reiten gemeinsam in die Wüste, doch trennen sich dann ihre Wege – Corbett reitet gen Norden, Cuchillo zurück in sein Dorf. Beim Abschied verkündet Cuchillo, daß Corbett ihn nie gekriegt hätte.

Sergio Leone schuf mit PER UN PUGNO DI DOLLARI (FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR/1964) und PER QUALCHE DOLLARO IN PIU (FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR/1965) die Prototypen des Italowestern: Zynisch, brutal, amoralisch und bevölkert mit Männern, die alles andere als Helden sind. Stattdessen präsentiert er Anti-Helden, Egoisten, die grundlegend jeden gegen jeden ausspielen, um sich ihren eigenen Vorteil zu verschaffen. Clint Eastwood war seinerseits der Prototyp dieser Anti-Helden. Ein Fremder ohne Namen, der auftaucht, sein Ding dreht und – einen Haufen Leichen hinterlassend – wieder in den Weiten der Wüste verschwindet. Auch das Setting hatte Leone definiert: Weil er billig in Südspanien drehen konnte, spielten diese Filme in der Grenzregion zu Mexiko, unter sengender Sonne und weit entfernt von den grünen Weiten und Prärien der amerikanischen Verwandtschaft.

Doch schon 1966 ließ Sergio Sollima mit LA RESA DEI CONTI (DER GEHETZTE DER SIERRA MADRE/1966) den Prototypen für einen anderen Zweig des Subgenres folgen. Dies war einer der ersten Italowestern, die einen sozialkritischen und damit politischen Unterton hatten, bzw. das Genre bewußt nutzten, um eine sozialkritische Botschaft auszusenden. Sollima erzählte von der brutalen und gnadenlosen Hatz auf einen mexikanischen Filou, dem die Vergewaltigung und der Mord an einem Mädchen angehängt werden soll. Tomás Milián spielte diesen Cuchillo hier das erste Mal für Sollima, zwei weitere Filme mit Milián sollten folgen. Cuchillo ist ein rechter Tunichtgut, ein Schelm, ein Narr. Er bereichert sich durchaus am Hab und Gut anderer, er spielt den Leuten gern Streiche und scheint das Leben lange als eine Art Spiel zu begreifen. Immer wieder kann er seinem Häscher – Jonathan Corbett, gespielt von Lee Van Cleef in seiner ersten Italo-Rolle nach dem Erfolg, den auch er mit PER QUALCHE DOLLARO IN PIU gehabt und die ihn in Europa zum Star gemacht hatte – mit kleinen Tricks entkommen, ist aber zugleich immer darauf bedacht, daß er niemandem ernsthaft schadet. Umso härter trifft ihn der Vorwurf der Vergewaltigung und des Mordes. Wie wir recht bald erahnen können, war es natürlich nicht dieser Kerl, der die Kleine mißbraucht hat, sondern vielmehr der Schwiegersohn jenes Mannes, der mit Corbetts Hilfe zu  noch mehr Reichtum und politischem Einfluß gelangen will – der Texaner Brokston, der von einer Eisenbahnlinie quer durch Texas bis nach Mexiko träumt. Um seinen Ruf und den seiner Familie zu schützen, setzt er die Hatz auf Cuchillo in Gang und nutzt auch hierfür Corbett, der allerdings im Laufe des Films so seine Zweifel bekommt, ob er wirklich auf der richtigen Seite steht.

Sollimas Western ist noch kein Revolutionswestern, wie es spätere Werke wie Sergio Corbuccis IL MERCENARIO (DIE GEFÜRCHTETEN ZWEI/1968) oder Leones GIÙ LA TESTA (TODESMELODIE/1971) waren, aber er stellt eine wütende Anklage wider die Ausbeutung der Dritten Welt, wider die Schere von Arm und Reich dar. Schon der amerikanische Western war, trotz aller reaktionären Ansätze einer klitternden Geschichtsschreibung, immer milde antikapitalistisch gewesen. Der Großgrundbesitzer, der die Siedler und Kleinfarmer unterdrückt oder gar bekämpft, ist einer seiner Topoi. Sollima greift diesen Topos auf und hebt ihn auf eine andere Stufe. Hier steht nicht der arme Siedler gegen den mächtigen Großkopferten, sondern die Amerikaner werden generell als reich, mächtig, korrupt und brutal dargestellt. Sie kommen nach Mexiko, sie töten, stellen sich über die Gesetze und verfügen über Land und Leute, als seien diese ihr Eigentum. In mehreren Szenen werden diese Themen auch explizit angesprochen. Corbett kommt an die Grenze, immer noch auf der Jagd nach Cuchillo, wird hier aufgehalten und darüber informiert, daß, wenn er nun weiterreite und einen Mexikaner in Mexiko jage, dies nur noch ein persönliches Anliegen sei, keine Sache des Gesetzes. In einer anderen Szene erklärt der Polizeichef eines mexikanischen Städtchens Corbett, daß er Verbrecher hasse – noch mehr aber hasse er die Amerikaner.

Die Revolution findet ebenfalls Erwähnung, spielt hier aber nur eine untergeordnete Rolle. Es handelt sich auch eher um einen Aufstand. Cuchillo ist auch deshalb nicht wohlgelitten bei seinen Landsleuten, weil er selber einst zu den Aufständischen gehörte. So findet Brokston auch Hilfe bei seinem mexikanischen Pendant – ebenfalls ein Großgrundbesitzer, der sich zunächst gern an der Menschenjagd beteiligt. Sollima konnte durchsetzen, daß das Drehbuch, das ihm angeboten worden war, geändert wurde und damit eben jene kritischen Elemente enthielt, die ihm wichtig waren. Amerikaner in diesem Film sind also durchweg korrupt, brutal, zynisch und menschenverachtend. Cuchillo wird so zum eigentlichen Helden der Geschichte. Und Corbett, den Lee Van Cleef als einen zwar harten und im entscheidenden Moment auch eiskalten Killer darstellt, den aber auch etwas Melancholisches umweht. Vielleicht ist eine Trauer über das Geschäft – er ist Kopfgeldjäger – , mit dem er sein Geld verdient. Dieser Corbett macht im Laufe der Handlung eine Wandlung durch. Er begreift nach und nach, wer seine Auftraggeber sind und wen er da hetzt und daß er wohl auf der falschen Seite steht. So läßt Sollima seine beiden Helden am Ende des Films schließlich gemeinsam in die Wüste hinausreiten, vielleicht sind sie keine Freunde, aber immerhin Waffenbrüder und Verbündete geworden.

LA RESA DEI CONTI ist für einen frühen Italowestern erstaunlich brutal und Sollima frönt momentweise einem regelrechten Sadismus. Cuchillo wird ausgepeitscht, Corbett tötet immer wieder in Großaufnahme, wobei Sollima und sein Kameramann Carlo Carlini Einschußlöcher und das sprudelnde Blut in Szene setzen, es werden lustvoll Frauen verprügelt und eben Menschen gehetzt – da erinnert der Film gelegentlich an den Klassiker des Horrorfilms THE MOST DANGEROUS GAME (1932) und wurde seinerseits in dem englischen Western THE HUNTING PARTY (1971) zitiert. In einer ausufernden Szene wird diese Hetze am Ende des Films in Szene gesetzt und hier hat es sich dann auch mit aller Schalkhaftigkeit, die der Figur Cuchillo bis dahin ausgezeichnet haben mag. Nun ist er ein gehetztes Tier, das verzweifelt um sein Leben rennt, kämpft. Brokston und seine Leute sind auf Pferden hinter ihm her, sie jagen die Hunde auf ihn, sie durchkämmen das Gras der Prärie und schließlich das steinige Gelände des Hochplateaus, auf dem es zum abschließenden Showdown kommen wird. Es ist eine endlose und endlos brutale Szene, die Sollima inszeniert. Und in der auch dialogisch verdeutlicht wird, daß dies für die Jagenden ein Spiel ist, zwar eins, das man so noch nicht ausprobiert habe, aber eben ein Spiel: Menschenjagd.

Konterkariert wird die Gewalt und der offenbar auch genüsslich ausgestellte Sadismus mit teils wunderbaren Bildern einer bewaldeten Berglandschaft, aber auch von Einöde und Wüste. Wie viele Italowestern in Südspanien gedreht, suchten Sollima und Carlini nach ungewöhnlichen Locations, anderen Bildern als den immer gleichen steinigen Einöden. Gerade die Eingangsszene, in der wir Corbett bei seinem blutigen Handwerk beobachten, zeugt genau davon. Die Berglandschaft und wie Carlini sie einfängt, würde einem Anthony Mann zur Ehre gereichen. Und offenbar orientiert sich Carlini in diesen Szenen an Manns Western und auch dessen Kameramann William H. Daniels. Der war sowohl bei WINCHESTER `73 (1950) als auch bei THE FAR COUNTRY (1954) für die Aufnahmen verantwortlich und fing gerade bei letzterem stimmungsvolle Bilder der Wälder Alaskas ein. Dennoch erinnert diese Sequenz am Beginn von Sollimas Film inhaltlich vor allem an Manns THE NAKED SPUR (1953), in dem James Stewart ebenfalls einen brutalen und sich zynisch gebenden Kopfgeldjäger spielte. Eine Rolle, die oft als Vorläufer jener harten Hunde der Italowestern gesehen wurde. Gerade in dieser Szene gelingt es Van Cleef, Corbett mit der oben erwähnten Melancholie, gar einem gewissen Mitleid für seine Opfer auszustatten. Er wartet auf drei Banditen, die hier einen Kumpan treffen wollen. Den hat Corbett – ein wiederum sehr gewalttätiges Bild – bereits an einem Baum aufgeknüpft. Den nun Eintreffenden bietet er die Möglichkeit sich zu ergeben, was sie sicherlich an den Galgen bringen wird, oder aber gegen ihn mit jeweils einer Patrone im Colt anzutreten. Als die Männer den Colt wählen, kann man in Corbetts Augen das Wissen darum erkennen, daß sie alle sterben werden – was ihn nicht freudig stimmt. Momente, die zeigen, daß Lee Van Cleef ein durchaus guter Schauspieler war.

Zugleich ist dies eine geradezu arche-typische Szene aus einem Italowestern, wie es in LA RESA DEI CONTI einige gibt; Szenen, die stilbildend für das Subgenre werden sollten. Wie Van Cleef die drei Patronen aufstellt, die dann im Bildvordergrund auf einem Baumstamm aufragen, das Bild nahezu ausfüllen, wie die drei Männer sich aus der Bildtiefe nähern, je eine davon an sich nehmen und ihre Colts laden, wie Regie und Kamera das Duell, das nun Fahrt aufnimmt, geradezu zelebrieren – es ist genau diese Art der Hyper-Stilisierung, die den Italowestern zu etwas Eigenem machen sollte. Ebenso wie es die ausgreifenden Duellszenen am Ende des Films werden sollten, wie es die Musik von Ennio Morricone wurde, die Sollima nutzt. Morricone schrieb einen hervorragenden Score, der sich maximal von jenen absetzt, die er für Leones erste Dollar-Filme geschrieben hatte. Sollima bat um einzelne Szenemotive und Morricone scheute sich nicht, klassische Musik – u.a. Beethovens Für Elise – in die Musik einzubauen. Wenn Baron von Schulenberg und Corbett gegeneinander antreten, erklingt dieses Motiv, das der Baron in einer früheren Szene im Hause Brokstons am Klavier angestimmt hatte. So erhält es nun einen zynischen Unterton, der zu einer Art Todesmelodie für den Europäer wird.

Wie viele nachfolgende Italowestern wartet auch LA RESA DEI CONTI mit Seltsamen bis Skurrilem auf. Dazu zählt eben jener Baron von Schulenberg, offenbar ein preußisch geprägter Offizier, wie es sie später, während der mexikanischen Revolution, wirklich einige auf Seiten der Regierung gegeben hat. Der Mann ist ein Waffennarr, der es schließlich mit Corbett aufnehmen darf, was ihm selbstredend nicht gut bekommt. Ebenfalls skurril mutet eine Episode zur Mitte des Films an: Während des amerikanischen Teils seiner Jagd nach dem vermeintlichen Mädchenmörder, landet Corbett auf der Ranch einer verwitweten Großgrundbesitzerin, die hier allein mit einigen Cowboys lebt, die sie fest in der Kandare hat. Sie müssen „Bitte“ und „Danke“ sagen, Tee servieren und die Dame durchweg mit „Senora“ anreden. Daß die Männer teilweise als subtil homosexuell gezeichnet werden, kann man in einem Film aus den 60er Jahren durchaus als homophob betrachten, zugleich wirft diese Charakterisierung aber auch ein interessantes, im amerikanischen Mainstreamkino erst viel später als Motiv aufgegriffenes Licht auf den Beruf des Cowboys. Sollima dienen diese Figuren allerdings vor allem dazu, erneut Sadismus zu inszenieren – sie fesseln Cuchillo und peitschen ihn aus, später schmeißen sie ihn im Schweinestall in den Mist. Natürlich dienen sie auch als Kanonenfutter für Corbett, nachdem Cuchillo die Männer gegen den Kopfgeldjäger aufhetzt.

Auch wenn Sollima es geschickt versteht, unser Mißtrauen gegenüber Cuchillo eine Weile aufrecht zu erhalten, kann er seine Sympathie für den Kerl nie verstecken. Cuchillo steht metaphorisch für die geschundene und ausgebeutete Dritte Welt. In ihm wird dieser Teil der Welt in der Rolle eines Unterlegenen symbolisiert, zugleich statten Drehbuch und Regie ihn mit so viel Witz und Schläue aus, daß er den an Waffen, Munition und Männern weit überlegenen Amerikanern immer wieder zu entkommen versteht. Im Gefängnis, wo er und Corbett in Mexiko landen, hat er ein Messer versteckt, da er weiß, wie einfach die aus Lehm gefertigten Mauern zu zerstören sind. Corbett haut er mit einem fingierten Schlangenbiss übers Ohr; auch seine Art, die Cowboys auf der Ranch der Senora gegen Corbett aufzuwiegeln, zeugt von seinem Charme und der sich dahinter verbergenden Schlauheit. Zumal er, bevor er die Schießerei nutzt, um sich abzusetzen, Corbett zu verstehen gibt, wie viele der Männer es auf ihn abgesehen haben und wo sie sich verstecken.

Doch auch Corbett gehören Sollimas Sympathien. Der Mann ist ein Killer, keine Frage, aber es ist eben ein trauriger, ein melancholischer Killer. Und er ist wach. Er sieht und kann urteilen, es gelingt ihm schnell, Brokston und dessen Machenschaften zu durchschauen. Brokston will den in der Bevölkerung beliebten Corbett zum Senator machen. Als solcher soll er das Sprachrohr des Großgrundbesitzers in Washington werden und helfen, dessen Pläne durchzusetzen. Corbett, der sich scheinbar geschmeichelt fühlt, bleibt jedoch skeptisch und ist sofort bereit, seinen geschniegelten Anzug wieder gegen seine Ausrüstung zu tauschen und sich erneut aufs Pferd zu schwingen, als die Kunde von der Ermordung des Mädchens eintrifft. Brokston und seine Entourage hingegen sind die – im Italowestern später fast immer üblichen – Vertreter einer bürgerlichen Gesellschaft, die Dreck am Stecken hat, korrupt ist, ausbeuterisch handelt und immer über Leichen zu gehen bereit ist. Der Italowestern in seiner kritischen Form war in einem vielleicht eher vulgär zu nennenden Sinne links, fast immer kapitalismuskritisch und damit auf der Seite der Armen, bzw. der Dritten Welt, die meist durch Mexiko und die Mexikaner symbolisiert wurde. Selbst jene Produkte, die auf einer kommerziell erfolgreichen Welle mitschwimmen wollten, gaben sich eher links, da schon der Zeitgeist dies verlangte. Sollima gelingt hier allerdings eine wirkliche Kritik der herrschenden Verhältnisse.

LA RESA DEI CONTI gehörte nicht nur für die zeitgenössischen Kritiker zu den besten Italowestern, sondern er hat die Zeit auch gut überdauert. Es ist ein spannender Film, der überzeugt, weil er dem Zuschauer keine Unglaubwürdigkeiten präsentiert, sich um ein Mindestmaß an psychologischer Genauigkeit bemüht, auch wenn dies sicher nicht Sollimas erstes Anliegen war, und zudem durchweg gut gespielt ist. Er bleibt spannend bis zum Schluß und treibt seine Handlung mit hohem Tempo und Morricones Score voran. Anders als bspw. I GIORNI DELL`IRA (1967) der ebenfalls Lee Van Cleef in einer Hauptrolle präsentierte und wie eine Mischung aus klassisch amerikanischem und italienischem Western wirkt, ist LA RESA DEI CONTI aber durch und durch dem Italowestern zuzurechnen. Er vereint das Beste, was das Subgenre zu bieten hat – er ist voller Action, brutal, manchmal mit einem grotesken Humor ausgestattet, er weist einen hervorragenden Soundtrack auf. Sergio Sollima hat einen der wirklich herausragenden Beiträge im Metier abgeliefert. Er drehte zwei weitere Italowestern, in denen jeweils Tomás Milián eine Hauptrolle spielte. In CORRI UOMO CORRI (LAUF UM DEIN LEBEN/1968) tauchte er als Cuchillo wieder auf. Allerdings hat dieser Film – trotz einiger Qualitäten – nicht mehr die überragende Klasse von LA RESA DEI CONTI.

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