DER TOD IN IHREN HÄNDEN/THE DEATH IN HER HANDS

Ottessa Moshfegh oszilliert zwischen Genre-Roman und Meta-Text

DER TOD IN IHREN HÄNDEN (THE DEATH IN HER HANDS; original erschienen 2020; Dt. 2021/23), Titel des vierten Romans von Ottessa Moshfegh, bedeutet im Falle von Vesta Guhl ein Blatt Papier, das sie im Wald gefunden hat. Darauf der Hinweis, dass Magda tot und hier ihre Leiche sei, niemand aber je erfahren würde, wer ihr Mörder ist. Die ältere Dame, die die Notiz im Wald auf ihrer täglichen Runde mit ihrem Hund Charlie findet, ist alarmiert. Und findet sich bald in einem Labyrinth aus Querverweisen, Annahmen und Spekulationen wieder, wer die Notiz verfasst und im Wald deponiert haben könnte, wer und wie diese Magda wohl war und was das alles mit ihr, Vesta, selbst zu tun hat.

Moshfegh, die mittlerweile den Ruf einer neuen Patricia Highsmith genießt und viel dafür tut, dem gerecht zu werden, führt, ja ver-führt den Leser in die ganz eigene Logik dieser einsamen alten Lady, die nach dem Tod ihres Mannes Walter aus dem Mittelwesten an die Ostküste der USA gezogen ist und nun sehr zurückgezogen, um nicht zu sagen: gar vollkommen vereinsamt, in der Hütte eines ehemaligen Pfadfinderinnenlagers an einem See im Wald lebt. Die Autorin, zu Beginn der 80er Jahre in Boston geboren, dürfte hinreichend mit der amerikanischen Popkultur verbunden sein, um sehr genau zu wissen, welche Assoziationen ein solches Szenario hervorruft. Und folgt man den Phantasien, in die Vesta Guhl sich zunehmend hineinsteigert, sind auch diese nicht allzu weit von all den Horrorfilmen entfernt, in denen psychopathische Killer an einsam gelegenen Seen und in ehemaligen Jugend-Camps umgehen. Es erstaunt, mit welcher Lust an der expliziten Präzision diese Dame sich – und zusehends auch den Leser – ängstigt. Was lauert da im Kiefernwäldchen? Was führt Gohd – der lokale Streifenpolizist, den Vesta mit diesem Namen ausstattet, wie sie nahezu jeden der wenigen Menschen, die ihr begegnen, in ihre Spekulationen um den vermeintlichen Mord an Magda verflechtet – gegen sie im Schilde, ist er gar der Mörder? Gleiches gilt für den entstellten Tankstellenwärter, den Vesta Blake identifiziert, jenem Menschen, der in ihrer Vorstellung den Brief geschrieben hat. Und wer sind die seltsamen Leute, die sie in ihrem Haus aufnehmen, als sie sich eines Nachts im Wald verläuft, nachdem Charlie ausgebüxt ist?

All diese Fragen bleiben offen. Mehr noch: Je weiter wir im Text voranschreiten, desto unsicherer müssen wir dessen sein, was da beschrieben wird. Denn Moshfegh gibt dem Leser keinen einzigen objektiven Hinweis, was an dieser Geschichte eigentlich wahr ist. Das gilt nicht nur für den angeblichen Mord, sondern ebenso für Vestas Geschichte hinsichtlich ihres toten Gatten Walter und auch des Hundes, den sie sich nach Walters Dahinscheiden zugelegt hat. Was wir allerdings merken – und darin liegt die besondere Begabung dieser Autorin, uns genau dies spüren zu lassen – ist der zunehmende Wahn, in den Vesta verfällt. Denn je weiter sie sich mit Magdas Leben und Sterben beschäftigt, je mehr sie jeden, mit dem sie irgendeinen Umgang hat, in die Erzählung mit einbaut, desto stärker entblößt sie auch ihre Gefühle hinsichtlich ihrer Vergangenheit. Und in der entpuppt sich nicht nur ihr Gatte als ziemlich grober Klotz, der seine Frau offenbar – zumindest, wenn wir ihr hier in ihren Beschreibungen folgen wollen – während der gesamten Ehe unterdrückt und kleingehalten hat, sondern Vesta selbst zeigt sich von Hass gegen den Toten nahezu zerfressen. Ihre Ausfälle auch gegen ihn werden zunehmend expliziter, sind immer stärker von Gewaltphantasien geprägt und werden von einer Gehässigkeit hinsichtlich seines Sterbens gekrönt, die es in sich hat. In diesem Verhältnis, das zu Lebzeiten Walters wohl nie geklärt werden konnte, liegt auch die einzige Motivation für Vestas Umzug in eine ihr völlig unbekannte Gegend begründet. Doch bleibt diese Figur in ihrem Handeln und ihren Entscheidungen größtenteils erratisch.

Mit nicht einmal 260 Seiten ist Moshfeghs Roman vergleichsweise kurz. Und in der Kürze liegt die Würze, denn tatsächlich geht es ihr wie vielen jener Autoren, die – vielleicht etwas weniger ambitioniert – eben jene Horrorgeschichten über Jugend-Camps schreiben, aus denen mittelmäßige Horrorstreifen werden (Camp halt, um es mit Susan Sontag zu sagen). Irgendwann fällt denen nichts mehr ein. Auch Moshfegh weiß nicht, wie sie diese Story zu einem vernünftigen Ende bringen soll. Wobei „vernünftig“ im Sinne des Lesers gemeint ist, nicht im Sinne der Story. Man kann eine Story ausfransen lassen oder mit offenem Ende ausstatten, kein Problem. Nur muss es irgendwie Sinn ergeben. Eine alte Frau einfach im Wald verschwinden zu lassen, nachdem man einige Elemente in die Geschichte eingeführt hat, die man zwar hervorragend interpretieren kann, die aber nicht zwingend sind (Wieso ist Charlie nach seinem nächtlichen Ausflug so aggressiv? Tollwut? Und wieso ist er eigentlich aus dem Haus entkommen, das doch abgeschlossen war? Und war wirklich jemand im und am Haus, wie Vesta es annimmt, da im Garten die Samen fehlen? Hat sie sie überhaupt ausgesät), ist wirklich ein Hilfskonstrukt und als solches schrecklich durchschaubar. Und außerdem ist es schon etliche Male in der einen oder anderen Form genutzt worden. Es sind Hinweise und Kniffe, die ins Nichts führen, fallengelassen werden, keinen Sinn ergeben. Letztlich falsche Fährten.

Dann allerdings stehen da diese letzten drei Sätze:

Es ist friedlich hier auf meinem Weg durch den Gedankenraum. Jetzt bin ich Teil der Dunkelheit. Ich gehe in ihr auf.

Und rekapituliert man von hier aus noch einmal die gesamte Geschichte, dann hat man es vielleicht mit etwas komplett anderem zu tun, als dem, wofür man diesen ganzen Text ursprünglich gehalten hat. Ist das wirklich eine Geschichte über eine alte Frau mit einem seltsamen Namen, die aus Städten kommt, die ebenfalls seltsame, biblisch anmutende Namen tragen und die in ebensolche Städte zieht und dort Menschen trifft, denen sie wiederum seltsame Namen wie Blake und Gohd gibt? Oder ist dies vielmehr eine Art Werkstattbericht aus dem Innenleben einer Schriftstellerin, die davon berichtet, wie sie ihren Stoff entwickelt?

Wie findet man ein Narrativ? Wie kommt man zu seinen Figuren, wie entwickeln die sich, ab welchem Zeitpunkt machen sie sich womöglich selbstständig? All diese Fragen wirft Moshfeghs Text spielerisch auf. Und was anfangs wie der etwas sinnlose Zeitvertreib einer einsamen Dame wirkt, wird mehr und mehr zu einem echten Ringen um Motive, Tiefe und Verständnis für diese Charaktere, die vielschichtig und mehrdeutig sind. Allen voran die von Vesta imaginierte Magda. Und mehr noch natürlich die von Ottessa Moshfegh imaginierte Vesta. Und so geht das immer weiter…bis hin zu jenen Verweisen auf Gedichte von Yeats und William Blake, wobei eine Zeile des ersteren (Things fall apart/The center cannot hold) auf Vestas psychischen Zustand verweisen mag, die Erwähnung letzteren allerdings nur als Pointe gedacht zu sein scheint, da Vesta ihrem Hauptprotagonisten ja den Namen Blake gegeben hat. Als sie auf einen Gedichtband des gleichnamigen Poeten stößt, scheint dies also eine Bestätigung ihrer Annahmen. Wäre dann nicht ein Ende, wie es weiter oben kritisiert wurde einfach nur ein Eingeständnis, mit einer Story, einem Plot nicht zu Rande zu kommen? Findet die Autorin Moshfegh möglicherweise keine Mitte, die die Einzelteile in einer Balance zu halten vermag?

Im Kontext des Romans sind das alles natürlich Spitzfindigkeiten. Gleich, ob man es hier mit einem selbstreflexiven postmodernen Spiel, letztlich einem Meta-Text, zu tun hat, oder aber mit einer als Kriminalgeschichte (oder gar Horrorgeschichte) getarnten Auseinandersetzung mit dem Wesen des Bösen (worauf die im Text offen heraufbeschworene Doppeldeutigkeit des Namens Magda verweist: Da wird sowohl auf Maria Magdalena verwiesen, als auch auf Magda Goebbels), Ottessa Moshfegh führt einmal mehr ihre außergewöhnlichen literarischen Qualitäten vor und weiß doch letztlich nicht wirklich, was sie dann mit der Ausgangslage anfangen soll. So führt sie den Leser in ein immer metaphysischeres Universum, ohne dabei wirklich Neues oder gar Mitreißendes mitzuteilen. So kommt dem Text letztlich zugute, dass er nicht allzu lang ist. Denn jede Seite mehr wäre eine zu viel gewesen.

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