DIE GEWALT DER HUNDE/THE POWER OF THE DOG

Die Vorlage zu Jane Campions Erfolgsfilm ist ein grandioser Roman über die USA

Zäumen wir das Pferd – um im Bilde zu bleiben – einmal von hinten auf: Es erstaunt nicht, daß E. Annie Proulx – Autorin u.a. der Kurzgeschichte BROKEBACK MOUNTAIN (erstmals erschienen 1997), die in der gleichnamigen Verfilmung von Ang Lee (2005) ein großer Erfolg an den Kinokassen und bei den Kritikern wurde – das Nachwort zu einer Neuauflage von Tom Savages Roman THE POWER OF THE DOG (DIE GEWALT DER HUNDE, original erschienen 1967; Dt. hier 2021) verfasst hat. Denn in ihrer Geschichte ging es um die Homosexualität zwischen Cowboys – ein Thema, das, wer will, gut und gern auch in Savages Buch hineinlesen kann.

Savage wäre heute wahrscheinlich vergessen, hätte die neuseeländische Regisseurin Jane Campion seinen Roman nicht als Vorlage für ihren gleichnamigen Film mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle gewählt. Dieser gehörte zu den meist nominierten Werken der Oscarverleihung 2022, wo er dann allerdings nur die Trophäe für die Beste Regie einheimsen konnte. So aber wurde der Roman neu aufgelegt und ist dadurch dankenswerter Weise wieder zu entdecken.

Savage bietet ein breites Panorama der Geschichte des Westens der Vereinigten Staaten. Angesiedelt ist die Geschichte in den frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts im südlichen Montana, wo die Brüder Phil und George Burbank eine große Ranch führen. Die Eltern sind schon lange gen Salt Lake City in Utah verzogen, wo sie ihren Ruhestand in Wohlstand und Ruhe genießen. Die Brüder hingegen betreiben die Vieh- und Landwirtschaft wie einen Betrieb des 19. Jahrhunderts. Vor allem Phil, ein ausgesprochen geschickter und vor allem intelligenter Mann, der über einen recht hohen Grad an Bildung verfügt und vor allem über die Gabe, Dinge wahrzunehmen, die den meisten entgehen, kleine Details des Alltags, verachtet die neue Zeit, obwohl die Ranch die Einzige im Tal ist, die über Elektrizität verfügt. Auch das von George angeschaffte Auto betrachtet Phil als Zeichen allgemeiner Dekadenz und Verweichlichung. Er liebt und bevorzugt das wilde Leben zwischen den Männern, die für die Burbanks arbeiten, den Cowboys, und legt immer Hand an, wo er gebraucht wird. Er ist kein Snob, sieht sich als Gleicher unter Gleichen, verachtet allerdings die meisten Menschen insgeheim, da er sich ihnen aufgrund seiner Fähigkeiten überlegen glaubt.

Als George eines Tages mit der Witwe Rose Gordon anbändelt und diese schließlich – entgegen der allgemeinen Ansicht, dies schicke sich nicht, da die Dame ein Wirtshaus betreibt, nachdem ihr Mann, ein Arzt, Selbstmord begangen hat – heiratet, ist dies für Phil ein Affront. Nicht zuletzt, weil der Selbstmord des Mannes auch auf sein Konto geht, da er ihn und seinen Sohn Peter, ein Sonderling, der aber ebenfalls über eine Reihe außergewöhnlicher Fähigkeiten verfügt, die Phils gar nicht so unähnlich sind, öffentlich verspottet und als Weichlinge bezeichnet hatte. Nun beginnt auf der Farm eine Zeit des gegenseitigen Belauerns. Phil führt eine Art inoffiziellen Krieg gegen seine Schwägerin und deren Sohn, wodurch auch ein Keil zwischen die Brüder getrieben wird.

Der Film wurde gern als Western bezeichnet, aber einmal mehr – und dies gilt erst recht für den Roman – muß man konstatieren, daß nicht alles, was westlich des Mississippi spielt und in dem geritten wird, ein Western sein muß. Dies ist eine Tragödie, ein Gesellschaftspanorama, das Drama einiger Menschen, die sich und einander gegenseitig nicht eingestehen können, was sie empfinden und weshalb. Savage macht es sich (und damit dem Leser) keinesfalls leicht, hier die Guten und die Bösen zu identifizieren. George ist ein scheinbar etwas einfältiger Großgrundbesitzer, der um die Hand einer Frau anhält, die ihm gefällt und um deren Hintergrund er sich kaum schert. Was hier zum Vorteil gereicht – seine scheinbare Unnahbarkeit hinsichtlich der gesellschaftlichen Konventionen – wird an anderer Stelle jedoch zum Nachteil. Denn George merkt kaum, wie sehr die Situation auf der Ranch seine Gattin belastet, bis diese das Trinken beginnt und zusehends zur Alkoholikerin verkommt. Peter wiederum wird von Savage als genau der Fremdling und Außenseiter geschildert, als den ihn die Männer hier im Westen, in der Prärie, wahrnehmen. Ein überkorrekter Sonderling, stets adrett gekleidet und gescheitelt, mit allerlei Interessen, die die meisten Kinder in Montana wahrscheinlich nicht entwickeln würden – bspw. für höchst ansteckende und ebenso tödliche Krankheiten; ganz im Fahrwasser des verstorbenen Vaters.

Und dann ist da eben Phil. Ein Monster will man meinen. Ein mieser Kerl, der seine Macht ausspielt, die er über andere erlangt, der sich seines Charismas allzu bewusst ist, der sich auf seine denkerischen, seine intellektuellen, aber auch seine intuitiven Fähigkeiten verlassen kann, um in seiner Umgebung immer hervorzustechen, zu glänzen. Doch Savage baut früh schon Hinweise auf die Schattenseiten dieser Existenz in seinen Text ein. Phil ist eben auch einsam. Er hatte einmal einen Freund, einen der Cowboys auf der Ranch, mit dem ihn offenbar eine innige Zuneigung verband. Mehrfach streut Savage auch Hinweise darauf, daß dieser Mann gestorben ist – wie er gestorben ist, erfährt der Leser erst spät. Allerdings überrascht es uns nicht mehr, was ihm zugestoßen ist, denn zu diesem Zeitpunkt haben wir Phil gut genug kennengelernt, um zu verstehen, wie groß der Schmerz ist, den er aufgrund des Verlusts empfindet – und daß dieser Schmerz eben nicht nur der des Verlusts ist, sondern auch einer der Schuld.

Phil kann durchaus als homosexuell betrachtet werden, wenn man denn dieser Spur des Textes folgen will. Savage gibt aber auch Hinweise auf ein viel tieferliegendes „Problem“, als es Homosexualität im frühen 20. Jahrhundert im wilden Westen schon gewesen wäre. An einer äußerst gelungenen Stelle des Romans betrachtet Phil das eigene Spiegelbild in einem Bach – und wir verstehen diese narzisstische Persönlichkeit, die möglicherweise so oder so gar nicht fähig zur Liebe ist. Ein Mann wie Phil, der trotz seiner feingliedrigen Hände, die Savage nicht zu beschreiben müde wird, die geeignet scheinen für das Spielen eines Pianos, die komplizierte Knoten und Seile flechten können, die die jungen Kälber derart gekonnt kastrieren, daß kaum Blut fließt bei diesen Vorgängen, dennoch ein Cowboy ist, ein Arbeiter auf einer Ranch, der sich nicht scheut anzupacken, im Gegenteil, der es liebt in Gesellschaft der anderen Männer diese Arbeiten zu verrichten, ein Mann wie Phil also wäre wahrscheinlich niemals in der Lage, sich einzugestehen, homosexuell zu sein. So zeichnet Savage also das Bild eines Mannes, der an den eigenen inneren Begrenzungen, die eher moralischer, vielleicht ideologischer Natur sind, scheitert, als an seiner Boshaftigkeit. Phil ist kein Monster, er ist ein zutiefst verängstigter Mann. Sein „Krieg“ gegen Rose und Peter – der u.a. dazu führt, daß er Peter zu verführen sucht, in dem er aber auch einen Seelenverwandten zu erkennen glaubt – ist eine für den Leser auch nachvollziehbare Notwehr. Rose und Peter stellen für Phil und seine Welt eine grundlegende Bedrohung dar. Und schließlich erwächst eben aus der Mischung von Phils Angst und seiner Überheblichkeit die reale Bedrohung.

Savage erzählt ein psychologisch genaues Drama, weiß um die Fallstricke des Begehrens ebenso, wie er um die engen Korsette der Konvention in einem zutiefst christlich geprägten Land weiß. Seine Figuren sind präzise und niemals klischeehaft, sie sind gut beobachtet und dadurch lebensecht. Savage lässt ihnen Gerechtigkeit widerfahren – gerade in ihren Schwächen und Fehlbarkeiten. Sie alle sind Opfer der Umstände, einer enorm ausgeprägten Vision davon, was männlich zu sein bedeutet und was ein Mann sein soll. Sie sind aber ebenso Opfer ihrer eigenen Unzulänglich- wie Unzugänglichkeit. Sie sind oft sprachlos und in dieser Sprachlosigkeit gefangen. Und die, denen die Sprache zur Verfügung stünde – ganz sicher Phil, begrenzt in seiner Jugendlichkeit auch Peter – verweigern das Gespräch oder nutzen ihre Befähigung zur Rede als Waffe. Und so wird aus dem Drama langsam eine Tragödie, da all diese Figuren gefangen zu sein scheinen und scheinbar unaufhaltsam auf den Abgrund zusteuern.

Der Roman ist allerdings deshalb so gelungen, weil Savage nicht nur diese Figuren und deren Beziehungen zueinander in manchmal schmerzhaft intensiven Szenen so genau und tiefschürfend beschreibt und durchleuchtet. Vielmehr kontrastiert er dies mit seinen Landschaftsbeschreibungen einerseits, andererseits mit sehr genauen Beschreibungen des Lokalkolorit und durch eine Atmosphäre, die den Aufbruch eines, immer noch eher archaischen Lebensgewohnheiten verbundenen, Landstrichs in die Moderne markieren. Die Eisenbahn, die Verdrängung der Indianer, moderne Errungenschaften wie das Auto oder das Telefon sind da nur einige dieser Markierungen. Darüber hinaus beweist Savage ein hervorragendes Gespür für ethnische und kulturelle Voraussetzungen in den Weiten des Westens. So entstammen Phil und George keineswegs einer schon lange im rauen Westen verwurzelten Familie. Vielmehr sind ihre Eltern einst von der Westküste hierhergezogen, da sie sich hier Wohlstand versprachen. Den sie schließlich auch gewonnen haben – allerdings auf Kosten all der Vorzüge, die das Kultur- und Gesellschaftsleben der Ostküste bieten. So sind beide Brüder umso bemühter, als Männer anerkannt zu werden, die der Arbeit nicht aus dem Weg gehen, die ihre Aufgaben kennen und sie verantwortlich erledigen. Ähnlich ist es mit Rose, die aus Chicago stammt, mit ihrem Gemahl gen Westen zog und sich, nachdem der, als Trinker, Trottel und Feigling verschrien, den Freitod gewählt hat, mit einem Ruf konfrontiert sieht, der ihrer Persönlichkeit keineswegs entspricht.

Es sind viele kleine Details und scheinbare Nebenschauplätze, die diese Fülle ausmachen und dafür sorgen, daß man das eigentliche Drama umso atemloser verfolgt. Ein großartiger Roman ist das und er hat viel Leser verdient! Auf daß deutsche Verlage weitere Werke dieses Autors an die Übersetzer geben. Denn hier gibt es möglicherweise noch einiges zu entdecken für die, die die USA als Land des Traums noch nicht gänzlich haben aufgeben wollen oder können. Bei all seinen Fehlern und all seinen Unmöglichkeiten. Hier, in THE POWER OF THE DOG, kann man einiges darüber lernen, mit was für einem Land und was für Menschen darin man es eigentlich zu tun hat.

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