DIE KUNST DES VERSCHIEBENS: DEKONSTRUKTION FÜR EINSTEIGER
Robert Feustel bietet einen wirkich gelungenen EINSTIEG in das Thema
Neulich hat der Berater des amerikanischen Präsidenten, Steve Bannon, davon gesprochen, das Hauptanliegen dieser Administration sei es, den Staat zurück zu bauen, ihn regelrecht zurück zu drängen, ja, es solle der Staat „dekonstruiert“ werden – in Anlehnung an den in der poststrukturalistischen Philosophie gebräuchlichen Begriff der „Dekonstruktion“. Gern würde man Mr. Bannon fragen, was genau er damit denn eigentlich gemeint habe? Denn hier hat man es mit einer der typischen (Ab)Nutzungserscheinungen eines komplizierten und komplexen Begriffs zu tun, der als chic gilt, würzt er doch oft allzu Einfaches mit Intellektualität. Es ist davon auszugehen, daß wir es hier mit einer Nutzung zu tun haben, der definitiv keine Lektüre der einschlägigen Werke voraus ging. Wie so häufig, denn die „Dekosntruktion“ wird seit gut und gern 25 Jahren von Vielen im Munde gefürht, meist ohne genauere Kenntnis dessen, was der Begriff eigentlich meint, woher er kommt und wie gefährlich er ist – schlicht, weil er sehr, sehr subversiv ist.
Was bedeutet „Dekonstruktion“ denn nun eigentlich? Und kann man bei einem Begriff, der von einer permanenten Verschiebung im Spiel der Signifikanten, der von Bedeutungsüberschuß und Uneindeutigkeit kündet, vom „Eigentlichen“ sprechen? Den Begriff eingeführt hat der französische Philosoph und Theoretiker, der Sprachästhet und Meisterdenker Jacques Derrida. Auf ihn geht eine ganze Reihe von Begriffen zurück, die im Umfeld der Dekonstruktion unbedingt wesentlich sind. Es sind Begriffe wie „différance“ in Absetzung zur herkömmlichen „différence“, wobei hier die Lautmalerei und absichtlich falsche Orthographie schon Teil des philosophischen Spiels, des von Derrida postulierten Tanzes der Signifikanten ist; aber auch Begriffe wie „dissemination“, wie der „Phallogozentrismus“, Adjektive wie arbiträr, performativ, schon Bekanntes und doch vollkommen neu Definiertes wie Signifikant und Signifikat -sie alle kommen im Derrida´schen Denken zum Tragen. Was war ursprünglich also gemeint mit dem Terminus „Dekonstruktion“? Woher stammt er, wie setzt er sich zusammen, was bedeutet, was repräsentiert er? Robert Feustel unternimmt den – wie er selber sagt dezidiert essayistischen – Versuch, den Begriff einzukreisen, ihm nachzuspüren und dem Leser zumindest rudimentär einen Eindruck davon zu vermitteln, was es mit dem dekonstruktiven Denken Jacques Derridas auf sich hat. Einst eingeschlagen in der akademischen Welt wie eine allzu liebliche, nie gehörte Melodie, drang der Poststrukturalismus, dessen Vertreter man Derrida trotz seiner Sträubungen wohl nennen darf, in Deutschland nie sonderlich weit in die Geisteswissenschaften ein, zu früh wurde er mit nahezu geifernder Inbrunst nicht zuletzt von Jürgen Habermas, etwas weniger aggressiv, dafür umso süffisanter von Niklas Luhmann bekriegt, Philosophen wie Manfred Frank oder Lothar Baier waren zumindest bereit, sich diese neue Denke aus dem westlichen Nachbarland erstmal in Ruhe anzuschauen, bevor sie sich daran machten, sie anzugreifen. Wobei Baier immer eine ambivalente Haltung einbehielt. Konnten Roland Barthes und Michel Foucault mit ihren literaturwissenschaftlichen und geistesarchäologischen Arbeiten noch überzeugen, auch weil dieses Denken neu und aufregend war, wurde der Strukturalismus Saussure´scher Prägung und später der soziologisch-anthropologische Strukturalismus eines Claude Lévi-Strauss zumindest interessiert, wenn auch argwöhnisch beäugt, hörte der Spaß beim Derrida´schen Post-Strukturalismus und seinen grundlegenden Angriffen auf die Konzepte der Hermeneutik, der Präsenz und der Metaphysik endgültig auf. Am Beginn des Derrida´schen Denkens, niedergelegt in seinen drei Basistexten DIE SCHRIFT UND DIE DIFFERENZ, GRAMMATOLOGIE und DIE STIMME UND DAS PHÄNOMEN, spürt Derrida angenommenen und gesetzten Sicherheiten im Sprachgebrauch nach, u.a. dem abendländischen Vorrang der gesprochenen Sprache vor der Schrift. Es ist dies ein Urgedanke, den er unterläuft, dekonstruiert und der ihn schließlich zu einer ganzen Theorie der „Schrift“ als Zeichensystem führt, die ihn „Text“ neu denken lässt und schließlich dazu führen wird, nichts Außersprachlichem mehr Relevanz zuzuordnen. Derrida wird uns das Spiel der Zeichen, den Tanz der Symbole und Zeichen lehren. Es ist nicht möglich, kurz zu umreißen, womit man es im Kern zu tun hat. Angerissen, geht es darum, herkömmliche, in der Sprache liegende, in sogenannten „binären Oppositionen“ – ein Begriff der bei Roland Barthes genau durchdekliniert wurde – oder in herkömmlichen Sprachgebrauch festgezurrte Bedeutungen zu hinterfragen, sie möglicherweise aufzuweichen und zumindest in neue Kontexte zu stellen, in neue Rahmungen einzufassen und auf jeden Fall in unsichere Fahrwasser zu geleiten. Diesem Konzept ist nichts grundlegend und nichts gesetzt. Das einzelne Zeichen – dies geht auf Saussure zurück – ist immer frei, weil es an sein Objekt scheinbar willkürlich angehängt wurde. Derrida kommt zu dem Schluß, daß es das zugrudneliegende Objekt, das Signifikat, schlichtweg incht gibt – es gibt nur Signifikanten, die sich aufeinander beziehen, ununterbrochen. In ihrem Austausch entsteht Bedeutung, entstehen aber auch permanente Bedeutungsüberschüsse, die der Rezipient nicht einfangen kann. Sinn gebiert sich also ununterbrochen und immer kontextualisiert. Wenn aber der Zugriff auf ein Signifikat, also das Bedeutete, das Repräsentierte, nie wirklich gelingt, weil alle mir zur Verfügung stehenden Mittel eben Signifikanten, die ihrerseits immer schon Metapher sind, Interpretation in sich tragen, dann kann ich nicht mehr auf das Außersprachliche zurückgreifen, es ist immer schon in der Schrift, in der Sprache. Nichts ist außerhalb des Textes, des Zeichensystems, nichts ist „eigentlich“. Oder, besser: Was auch immer da sein mag, es ist mir nicht zugänglich, nie, als durch Sprache. Wobei „Sprache“ und „Text“, „Symbol“ und „Zeichen“ niemals gleichzusetzen sind mit rein phonetischen oder anderen Alphabeten – diese wären nur ein klitzekleiner Ausschnitt eines endlosen Zeichenmeeres. Die Wirklichkeit selber ist eine Zeichentextur, eine Matrix, die uns nichts anders zur Verfügung stellt, als ihre Signifikantenketten. Ein jedes Zeichen definiert sich darin immer nur durch die Differenz zu allen anderen Zeichen, wechsle ich ein einziges Zeichen aus einer Kette aus, entsteht ein vollkommen neuer Sinn – allerdings enthält so eine jede Aussage immer auch die Spur all der Aussagen, die sie nicht ist, denn sie kann sich ja auch nur in dieser Abgrenzung definieren. Eben dies ist das Spiel, der Tanz der Zeichen, der ununterbrochen Sinn generiert und diesen zugleich unterläuft. Diesem Denken nachzuspüren und dabei verständlich zu bleiben, ohne der Verlockung allzu großer Vereinfachung zu erliegen, ist das eigentliche Verdienst Feustels. Es gelingt ihm unter zuvor angekündigten Auslassungen, dieses Denken zu erklären und greifbar zu machen, dabei Beispiele hinzuzuziehen, die passen und ohne allzu weite Abweichungen des Denkers Denkbewegungen nachvollziehbar machen. Man darf von einem Text, der etwas mehr als Einhundert Seiten umfasst, nicht erwarten, daß er in all die Verästelungen dieses doch hochkomplexen und gerade weil so uneindeutig auch wirklich schwierigen Philosophierens vordringt, doch Feustel legt eine Basis, die es ermöglicht, von hier aus Streifzüge durch Derridas ebenso theoretische wie ästhetische Texte zu unternehmen. Daß die Lektüre der Primärtexte immer einer Zusammenfassung vorzuziehen ist – es ist wesentlich für Derridas Denken und Robert Feustel sicher nur allzu bewusst. Umso höher ist es ihm anzurechnen, daß er sein Augenmerk schließlich auf eben jene Bruchstelle richtet, an der der Begriff der Dekonstruktion seinen Weg in den Mainstream angetreten hat: Da, wo er politisch wurde und damit (leider) auch polemisch und populistisch. Nein, „Dekonstruktion“ bedeutet eben NICHT, daß einfach alles mit allem zusammenhängt, daß „anything goes“ und damit die Zeichen ihrer historischen Bedeutung entzogen seien, es bedeutet nicht, daß wir „posthistoire“ in einer ironischen Beliebigkeit vor uns hindämmern, sozusagen „nach“ der Geschichte – eben dies wären komplette Fehlinterpretationen des Begriffs, Falschiinterpretationen gar. Wahr ist, daß der Begriff der Dekonstruktion wesentlich politisch ist, grundlegend deshalb, weil er in seiner Funktion (so man denn davon sprechen mag – Derrida wehrte sich zeitlebens sowohl dagegen, die „Dekonstruktion“ als Methode, wie auch, sie als reine Theorie zu betrachten, sondern, wenn sie denn unbedingt klassifiziert gehöre, als Bewegung, Sprachbewegung, Zeichenbewegung, Bedeutungsbewegung verstanden haben wollte, etwas, daß ununterbrochen geschieht und lediglich bei der Arbeit beobachtet werden könne, eine Kraft eigenen Rechts, sozusagen) immer Herrschendes in Frage stellt: Herrschende Bedeutungen, herrschende Ansichten, herrschende Haltungen. „Herrschend“ ist ein Begriff der Macht, „Dekonstruktion“ unterläuft Macht grundlegend, immer. Immerzu. Dekonstruktives Denken ist immer grundlegend verunsichernd. Die Verunsicherung ist sozusagen der natürliche Zustand der Dekonstruktion. Und Steve Bannon? Der Mann, der als rechter Intellektueller gilt, steht nicht im Verdacht, an Differenz und Unsicherheit (zumindest nicht der eigenen) interessiert zu sein, sondern daran, Fakten zu schaffen – schnell, hart und unumkehrbar. So gesehen ist seine Einlassung durchaus interessant, da sie geradezu herausfordert – sie zu dekonstruieren. Es stellt sich nämlich durchaus die Frage, warum ein reiner Destruierer, ein Zerstörer, sein politisches Tun mit einem Begriff zu kaschieren sucht, dessen akademische Karriere vor allem dort Früchte trug, wo Mr. Bannon, Mr. Trump und viele, viele zornige weiße Männer eher weniger anzutreffen sind: In den als „Geschwätzwissenschaften“ denunzierten Fächern wie der Soziologie, unter Historikern, bei den Literaturwissenschaftlern und schließlich den ‚Gender-‘ und ‚Post-Colonial-Studies‘, also eben jenen Feldern, die sich dezidiert damit auseinandersetzen, wohin die Herrschaft weißer Männer so geführt hat, im Laufe von Jahrhunderten – ach was, Jahrtausenden. |
Vielen Dank für die Informationen