EYE IN THE SKY

Kühle Beschreibung einer Mission zur "Verteidigung unserer Freiheit"...

Unter operativer Federführung von Colonel Katherine Powell (Helen Mirren) soll in Nairobi ein Sonderkommando drei führende Köpfe einer islamistischen Gruppierung ergreifen und inhaftieren. In Nevada sitzen die Piloten in einem mit Hightech vollgestopften Container in der Wüste. Von hier aus wird die Drohne gesteuert, die die generelle Übersicht über das operative Gebiet – ein Viertel Nairobis, das von der islamistischen al-Shabaab-Miliz kontrolliert wird – bietet.

Hier leben unter anderem auch Alia Mo´Allim (Aisha Takow) und ihre Eltern. Ihr Vater, ein handwerklich begabter Mann, betreibt hier eine Fahrradwerkstatt, muß aber aufpassen, denn auch seine Kunden haben wachsame Augen und Alia neigt dazu, allzu leichtfertig mit des Vaters Geschenken – bspw. einem Hoolahop-Reifen – zu spielen, wenn sie sich im ummauerten Hof des väterlichen Grundstücks in Sicherheit vor den Augen der Miliz wähnt. Die Mutter backt Brot, das Alia zwei Blocks entfernt an einem Holztisch an der Hauptstraße verkauft. Dieser Holztisch steht exakt an der Mauer des Anwesens, das durch die Drohne beobachtet wird.

Dank eines Agenten vor Ort gelingt es, eine Kamera im Innern des Hauses zu platzieren, deren Bilder Aufschluß darüber geben, mit wem genau man es zu tun hat. So können die genauen Zielpersonen von Hawaii aus identifiziert werden. Einige Blocks entfernt wartet das Sonderkommando auf den Befehl, loszuschlagen. Auf Hawaii sitzt eine Einheit, die die Identifizierung der Zielpersonen anhand der durch die Drohne und die Spezialkamera übermittelten Bilder, die zugleich in London, Nevada, vor Ort in Nairobi und eben in Pearl Harbor zu sehen sind, durchführen kann. In Westminster sitzt derweil Lieutnenat General Frank Benson (Alan Rickman) als Hauptverantwortlicher für die Gesamtleitung der Operation mit dem Außenminister, dem obersten Staatswanwalt, einer Vertreterin der Opposition und diversen Beratern zusammen. Da es sich bei den zu Ergeifenden um zwei Briten und einen Amerikaner handelt, wünscht man sich einen Zugriff ohne Todesfolgen.

Doch dann überliefern die Bilder plötzlich Beweise, daß hier gerade ein Selbstmordattentat gigantischen Ausmaßes vorbereitet wird. Im Haus werden Gewehre geladen und Sprengstoffgürtel präperiert, während die Auserkorenen sich vor Videokameras ihrer Nachwelt und ihren Familien erklären. Der ganze operative Plan ändert sich grundlegend: Nun hat man es nicht mehr mit einem Zugriff zu tun, sondern mit einer Tötungsmission. Was andere rechtliche Absicherungen und eine neue politische Einschätzung erfordert.

Hektische Verhandlungen zwischen dem Minister vor Ort, dem Außenminsiter, der in Australien weilt, den Rechtsberatern, der Opposition und den Militärs entwickeln sich, bei denen nur Colonel Powell eindeutig Haltung zeigt: Sie will einen Schlag gegen das Haus, koste es was es wolle. Sie ist bereit, dafür Kollateralschäden in Kauf zu nehmen, da sie die im Haus befindlichen Terroristen bereits lange im Visier hat und für äußerst gefährlich hält, was die im Haus gefilmten Bilder schließlich auch belegen. Doch die Politiker zögern.

Schließlich ringt man sich zu einem Luftschlag durch, den Colonel Powell umgehend anfordert. Doch der verantwortliche Pilot Steve Watts (Aaron Paul) sieht im letzten Moment ein Mädchen an der Ecke des Grundstücks, wo gleich die Raketen einschlagen sollen. Er ist sich sicher, daß er sie töten wird, wenn er das anvisierte Ziel trifft. Da er rechtlich dazu befähigt ist, bittet Watts um eine Neuberechnung der Kollateralwahrscheinlichkeit. Die, so erechnet der zuständige Offizier, liegt bei über 65%, was Watts und seine Kollegin, sowie die Politiker für unverantwortlich halten. Es beginnt ein Feilschen zwischen Powell, ihrem Rechtsberater, dem Oberstaatsanwalt und dem Verteidigungs-, bzw. dem Außenminister um Prozentzahlen, die als Todeswahrscheinlichkeit des Kindes als vertretbar hingenommen werden können. Währenddessen bemüht sich der Agent vor Ort, Alia das Brot weg zu kaufen, damit sie nach hause geht, wird dabei aber von Milizionären erkannt und verfolgt, was die ganze Operation zu gefährden droht.

Powell hat ihren Berechnungsoffizier mittlerweile soweit, daß er ihr eine Ecke des Hauses angeben kann, wo die Todeswahrscheinlichkeit des Kindes „wahrscheinlich“ bei 45% liege. Der Angriff wird freigegeben, die Wirkung ist verheerend, Alia wird schwer verletzt. Von Hawaii aus sollen die Leichen der im Haus Befindlichen soweit möglich identifiziert werden, wobei man feststellt, daß eine der Zielpersonen noch lebt. Alias Eltern kommen herbei gestützt, während Powell einen sofortigen Zweitschlag gegen die noch lebende Terroristin anordnet, den Watts auch ausführt. Die erneute Detonation erschüttert das Viertel, Alia wird von weiteren herumfliegenden Schutt- und Betonteilen getroffen. Hawaii identifiziert die nun Tote, die Operation wird als erfolgreich abgeschlossen betrachtet. Die Beteiligten machen sich daran, ihre Berichte zu schreiben, bzw. andere Termine wahrzunehmen. Colonel Powell wird beglückwünscht, in Hawaii ist Schichtwechsel, in Nevada bleiben zwei zutiefst verstörte Drohnenpiloten zurück. In Nairobi bemühen sich die Ärzte um Alias Leben, doch es kommt jede Hilfe zu spät. Das Mädchen ist tot.

In einer Welt, in der sogar das Töten zu einer globalisierten Angelegenheit geworden ist einen politischen Film zu drehen, der diesen Vorgängen gegenüber ein kritisches Anliegen hat, ist in den allermeisten Fällen schlichtweg naiv, weil man etliche zu bedenkende Aspekte eigener Verstrickung beiseite legen muß, damit man moralisch überhaupt die Höhe erreicht, von der man glaubt, urteilen zu können. Antikriegsfilme? In Zeiten, in denen selbst der letzte Pazifist insgeheim aufatmet, wenn das dreckige Geschäft, „unsere Freiheit am Hindukusch“ zu verteidigen, von anderen übernommen, dazu führt, unseren Weihnachtsbummel ein wenig sicherer zu machen? Wenn ein Künstler – ob bildender Künstler, Filmemacher oder Schriftsteller – dieser Tage ein Zeichen setzen will, wird er nicht umhin kommen, ganz nach innen zu gehen, in unsere eigene Kultur hinein und dort nach den Gründen zu suchen, die notwendig erscheinen lassen, was dann so kühl und technokratisch exekutiert wird.

Gavin Hood, international bekannt durch TSOTSI (2005), hat mit RENDITION (2007) bereits einen Film vorgelegt, der genau diese Schwierigkeiten selbst thematisiert. Er ist also ein Filmemacher, der durchaus bereit ist, Ambivalenzen zu ertragen und, mehr noch, sie auszustellen, ihnen geradezu nachzuforschen, sie zum Gegenstand seiner Arbeiten zu machen. In EYE IN THE SKY (2015) treibt er dieses Spiel um die Erkenntnis eigenen Beteiligtseins in schmerzhafte Bereiche – für den Zuschauer. Das beginnt schon mit den ersten Szenen, die dem Betrachter Menschen am Beginn ihres Tages zeigen. Ein Tagesanfang, bzw. Ende mit Schichtwechsel in England, Nairobi, in Nevada und auf Hawaii. Überall treten Menschen ihren Berufsalltag an, der darin besteht, andere Menschen zu beobachten, erkennungsdienstlich zu behandeln, zu ergreifen und festzusetzen – und im Zweifelsfall zu töten. Es setzt sich fort in jenen Szenen, die den hilflosen Lieutenant General Frank Benson, Herr über Leben und Tod, in den Niederungen eeins Spielwarengeschäfts zeigen, wo er seiner Tocchter eine ganz bestimmte Puppe kaufen soll. Es schellen Wecker, es dampfen  Kaffemaschinen, es werden Banalitäten am Srbeitsplatz ausgetauscht. Alles Dinge, die ein jeder von uns kennt. Wir sind sehr früh in diesem Film beteiligt, denn nur über uns funktioniert die Identifikation, die der Film zu stiften in der Lage ist. Da werden Menschen gezeigt, die genau die Handlungen vollziehen, die wir aus unserem Alltag nur allzu genau kennen.

Es gelingt Buch und Regie hervorragend und erstaunlich organisch, ohne größere Brüche, die gesamte Befehlskette abzubilden, die notwendig ist, einen Menschen vom Leben zum Tode zu befördern. Ausgehend von einem herrlichen Saal irgendwo in Westminster, wo der Verteidigungsminister, ein Staatssekretär und eine Vertreterin der Opposition nebst einem General für die politischen Entscheidungen verantwortlich zeichnen, über die militärische Einsatzzentrale irgendwo in Englands Süden, hin zu den in Nevada stationierten Piloten der Drohne, die das titelgebende „Eye in the Sky“ darstellen, das schließlich zu viel mehr als einem „Eye“, einem Auge, wird, bis nach Hawaii, wo eine NSA-Einheit für die Identifizierung der zu Ergreifenden, bzw. zu Tötenden zuständig ist, mit gelegentlichen Abstechern nach Nairobi, wo vor Ort eine Einsatzkommando der Dinge harrt, wird uns ein nahezu selbstverständliches Nebeneinander all dieser Schauplätze über Tag/Nacht-Gleichen und Zeitzonen hinweg geboten, ein wahres Symbol globalisierten Handelns. Nairobi ist der Ort, wo sich das eigentliche Drama – weit, weit weg von aller Weltpolitik und dennoch unmittelbar von ihr betroffen – langsam entspinnt.

Diesem Drama allerdings widmet Hood durchaus mehr Aufmerksamkeit als gelegentliche Abstecher. Wir lernen etwas über den Alltag in den Straßen einer Stadt, die sich in der Gewalt einer islamistischen Miliz befindet, über die alltägliche Angst vor Denunziation, Gewalt und Willkür und darüber, wie plötzlich Kräfte in das Leben eintreten können, die einem weiter weg erscheinen als der Himmel. Aus welchem der Tod dann kommt. Ohne in die Kitschfalle zu tappen, gelingt es der Inszenierung, die kühle Routine und Abgeklärtheit einer militärischen Operation, die zunächst wie eine alltägliche aussieht und sich dann doch für alle Beteiligten aus militärtaktischen wie politischen Gründen als ausgesprochen wichtig entpuppt, mit einer an Schlichtheit kaum zu überbietenden und deshalb umso glaubwürdigeren Geschichte um ein Kind, das die elterlichen Produkte auf einem Holztisch an einer Straßenecke verkauft, zu koppeln. Selten wurde in einem Spannungsfilm, der als nomineller Thriller naturgemäß unterhalten will, derart schlüssig die unmittelbare Auswirkung mittlerweile abstrakt gewordener militärischer Destruktionswucht auf das konkrete Leben ganz gewöhnlicher Menschen dargestellt, ja, zum eigentlichen Inhalt der Narration erhoben. Hood und seinen Mitstreitern gelingt aber genau dies. zu hinterfragen wäre ihre Darstellung der Familie des Kindes, dessen Vater offensichtlich die herrschenden religiösen Anordnungen unterläuft, wenn er seiner Tochter einen Hoolahop-Reifen bastelt, deutliches Symbol wwestlicher Spaßkultur. Ganz kann sich der Film dann doch einer westlich geprägten Sicht nicht entziehen: Es ist westliche Kultur, die hier einmal mehr als erstrebenswert dargestellt wird.

Doch zeigt der Film ebenfalls die banalsten Erkenntnisse der ‚post colonial studies‘ – daß nämlich gewisse Rollenmodelle und Zuordnungsschemata bis heute greifen. Vor Ort, da, wo es gefährlich wird, sitzen Schwarze und schwitzen vor Angst; es sind Schwarze – sicher: Einheimische – , die, als „Kollateralschäden“ berechnet, nötigenfalls getötet werden und es ist ein Schwarzer, den Colonel Powell nötigt, die gewünschten Prozentzahlen in den Kollateralberechnungen zu liefern. Der Südafrikaner Gavin Hood wird ein sehr sensibles Sensorium für genau diese Fragen haben. In der Befehlskette, in der, je höher der Rang-, je höher die politische Ebene ist, eigentlich nur weiße Gesichter anzutreffen sind, spiegelt sich genau die historische Entwicklung wider, die die heutige Globalpolitik bestimmt. Wenn wir uns weismachen wollen, es sei nicht Europa oder, genauer, es seien nicht die Machtzentren der westlichen Hemisphäre, gleich ob militärischer, politischer, ökonomischer oder kultureller Natur, von denen die Instruktionen, Befehle und Weisungen, manchmal nicht als direkte Order sondern über die weichen Wege der internationalen Pop- und Filmcharts geschickt vertrieben, ausgingen, machen wir uns nicht nur etwas vor, wir lügen uns schlichtweg in die Tasche.

Helen Mirren, die zu den begnadeten Darstellern gehört, denen es gegeben ist, mit nuancierten Ausdruckwechseln im mimischen Nanobereich vollkommen unterschiedliche, manchmal geradezu gegensätzliche Eindrücke ihres Charakters zu vermitteln, gibt dieser Colonel Katherine Powell eine zunehmend beunruhigender wirkende Mischung aus jovialer Freundlichkeit und nur oberflächlich kaschierter Kälte, die wahrscheinlich allzu genau den Typus Mensch charakterisiert, den es braucht, einen Job wie den hier gezeigten auszuüben. Man nimmt dieser Frau sofort ab, daß es ihr gelingen wird, sich schon Minuten, nachdem alles „vorbei“ ist, von allem zu distanzieren, abends ein warmes Bad zu nehmen und sich sicher zu sein, im Sinne des „Richtigen“ gehandelt zu haben. Das Perfide ist, daß der Film uns genau das Glauben macht, sie genau so inszeniert und dadurch keinesfalls aber als Zynikerin hinstellt. Powell ist eine ausgesprochen professionell handelnde Kriegerin, die nicht zuletzt deshalb einen hohen Rang beim Militär bekleidet, weil sie Situationen wie der geschilderten gewachsen ist. Sie verliert nicht die Nerven, sie ist sich des moralischen Dilemmas  vollkommen bewusst und dennoch hat sie eine klare Haltung, die sie nicht in Frage stellen lässt. Nicht von außen, nicht von sich selbst, von innen. Es ist ihr Recht, ist sie doch lediglich für den operativen Teil der Aktion verantwortlich, nicht für den politischen. Ihre Profession schützt sie auch vor den moralischen Implikationen, inklusive ihrer eigenen. Es ist geschickt von Hood, diese Rolle mit der äußerst beliebten Helen Mirren zu besetzen. Es ist ein gelungener Twist im Spiel mit dem Publikum, denn damit wird uns, den Zuschauern, Colonel Powell auch als Identifikationsfigur angeboten. Der gleiche Schutz, der ihr zuteil wird, so unsere Annahme, wird auch uns zuteil. Erst mit zunehmender Dauer des Handlung distanzieren wir uns von ihr und werden damit aber auch mit jenem Teil in uns konfrontiert, der sich in ihr wiederfindet. Will man sich dem Gezeigten nicht schlicht durch Ablehnung entziehen, wird man nicht um die Frage herumkommen, inwiefern man sich in den Händen solcher Menschen eben auch geborgen fühlt, fühlen kann oder gar will. Vielleicht sollte man sogar dem eigenen Streben und Sehnen gegenüber mißtrauisch bleiben?

EYE IN THE SKY wertet nicht, er analysiert nicht einmal, er beschreibt. Scheinbar enthält er sich jeglicher Wertung, natürlich aber wertet er. Er zeigt uns den verzweifelten Kampf um das Leben des Mädchens in einem rudimentär ausgestatteten Krankenhaus in Nairobi. Er erspart uns nicht die Kenntnis, daß dieser Kampf schließlich verloren wird. In London, wo – dramaturgisch etwas überflüssig, weil zu dick aufgetragen – Lieutenant General Frank Benson dankbar ist, daß sein Adjutant das Problem mit der richtigen Puppe für seine Tochter zufriedenstellend gelöst hat, auch in der englischen Einsatzzentrale, ist man zwar angemessen entsetzt über die Kollateralschäden, aber letztlich hocherfreut, lang gesuchte Terroristen gefunden und außer Gefecht gesetzt und einen massiven Anschlag verhindert zu haben, in Nevada hingegen müssen sich zwei Armeeangehörige vielleicht noch einmal grundlegend überlegen, ob die den richtigen Beruf gewählt haben und in Hawaii geht ein Routineeinsatz zuende. In Nairobi trauern zwei Eltern um ihr Kind. Dort geht die Welt zuende. Auf fast schon schmerzhaft unprätentiöse Art und Weise gelingt dem Film die Verbindung zwischen beidem. Er bietet keine Lösung an. Eher stellt er ein System aus, daß zu weit fortgeschritten ist, um es mit einfachen Lösungen wieder zu reparieren. Wenn Menschen irgendwo sitzen und – letztlich ja unser aller – Überlebenschancen berechnen dürfen bei von ihnen selbst angeordneten Militärschlägen, dabei alles akzeptabel finden, was kleiner denn 50% ist, dann hat die Welt vielleicht einen Zustand erreicht, in dem man gar nicht mehr unbedingt weiter machen will.

Man verlässt diesen Film und spürt eine Grundspannung, in der man gefangen war. Natürlich sind die Abläufe auf der Leinwand dramaturgisch überaus spannend inszeniert und natürlich ist die mittlerweile ja auch im deutschen Hauptabendprogramm per Teletwitter-Abstimmung beantwortete Frage, ob man Einen oder Einige zur Rettung Tausender opfern darf, immer eine, die das Drama zur Tragödie erhebt – oder überhöht – , aber die Grundspannung, die man empfindet, rührt woanders her. Es ist eher eine Beunruhigung darüber, daß das eben Erlebte möglicherweise näher an der Realität liegt, als wir das wahr haben wollen. Und würden wir es wahr haben wollen, müssten wir uns anderen, weit reichenderen Fragen stellen, Fragen, die an den Grundwerten unserer Gesellschaften rütteln könnten. Ein Film wie EYE IN THE SKY kann man nicht einfach als einen Anti-Film bezeichnen: Antikriegsfilm, kritischer Politthriller etc. Diese Kategorien, die es auch immer einfach für den Zuschauer machen, tragen nicht mehr. Was hier in der Kritik steht, ist der Zuschauer selbst, der dies in seinem Namen geschehen, sich womöglich anhand der kulturellen Aufarbeitung dieses Geschehens, die der Film selber zweifelsohne darstellt, auch noch unterhalten lässt. Es ist jeder einzelne, der sich dies fragen muß, es ist aber auch die Funktion des Zuschauens an sich und die Frage, wann der an sich passive Akt des Blickens zu einem aktiven, vielleicht einem performativen Seh-Akt wird?

Diese Erfahrung müssen die beiden Piloten machen, als sie begreifen, daß es ihre Augen sind, die nun das Leben eines Menschen beenden oder auch nicht, weil sie es sind, die darauf hinwiesen, die es sehen, ihr Job ist das Schauen selbst, sie SIND das ‚Auge im Himmel‘. Hood inszeniert teils atemberaubende Bilder aus der Luft, die einerseits räumliche und damit auch soziale Zusammenhänge verständlich werden lassen (von den handlungsnarrativen ganz zu schweigen) und zugleich den Videospielcharakter dieser Art des Überwachens, des Angriffs und des Tötens unterstreichen. Hochauflösende Bilder des Viertels, in dem sich der Zugriff auf die Terroristen abspielen soll, entfachen aus sich heraus schon eine Dynamik, weil wir, mit den Augen der Piloten in der Baracke in Nevada, den Weg durch das Viertel verfolgen, später durch die weniger hoch auflösende Kamera, die mit allerlei technischem Spielzeug im Haus postiert wird, die Geschehnisse dort verfolgen können. Wir sind Voyeure des Todes. Im Haus wird der Tod vorbereitet, in Westminster wird per Standleitung nach Australien mit dem Außenminister konferiert, ob man medial besser den Tod eines Kindes vermitteln könne, dafür möglicherweise Hunderte gerettet hätte, oder ob ein Anschlag, von dem man tendenziell wusste, mit der Begründung zugelassen werden könne, man hätte zu hohe Kollateralschäden bei der Verhinderung befürchtet. Der Zuschauer findet sich irgednwann nicht nur in den Spannungsfäden der Handlung, sondern auch denen gefangen, die die Realität dieser Fragen spinnt.

Es ist einer erlesenen Schauspielerriege – darunter der grandiose Alan Rickman in seiner vorletzten Rolle – zu verdanken, daß wir es bei keinem der gezeigten Charaktere mit reinen Klischeefiguren zu tun haben, sondern einem jeden die spezifischen Ängste, die Sorgen und auch das ehrlich gemeinte Entsetzen abnehmen. Womit es für den Zuschauer noch schwieriger wird, hier Verantwortliche zu finden, filmische “Bösewichter“, auf die man seine Wut richten kann. Es gelingt dem Film vorzüglich, diese Wut immer wieder auf den Zuschauer selbst zurück zu projizieren. Selten, daß UNterhaltungsfilme diese Kraft noch entwickeln, umso schöner, daß es Gavin Hood zum wiederholten male gelungen ist, seine Zuschauer zumindest mit einer kritischen Realitätsbefragung zu konfrontieren – und so mit ihnen selbst. Eigentlich das Beste, was man heute über einen sogenannten „kritischen“ Film sagen kann.

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