FÜR DIESEN SOMMER

Gisa Klönne entführt den Leser mehrstimmig in die alte BRD

Gisa Klönne erschrieb sich vor allem mit den Kriminalromanen um die Kölner Kommissarin Judith Krieger eine treue Fangemeinde. Daneben hat sie jedoch auch einige Romane abseits des Krimi-Genres vorgelegt. Ihr neuestes Werk FÜR DIESEN SOMMER (2022) ist ein Familienroman, dem es nicht immer gelingt, die ursprüngliche Profession der Autorin zu verheimlichen.

Franziska Roth kehrt nach einigen Jahren in ihr Elternhaus in der hessischen Provinz zurück. Ihre Schwester Monika, seit dem Tod der Mutter eher bitter gegenüber Franziska, will einmal Urlaub machen und den mittlerweile etwas hinfälligen Vater, Heinrich Roth, in die Hände der Schwester übergeben. Die ist in den vergangenen nahezu vierzig Jahren in der Welt herumgezogen, hat in verschiedenen Umwelt- und Tierschutzprogrammen gearbeitet, hat, wie es der Vater Heinrich benennen würde, versucht „die Welt zu retten“ und sich wenig um die Eltern und den Rest der Familie gekümmert. Nun wird sie nach und nach mit all den Problemen konfrontiert, die in den vergangenen Jahrzehnten ungelöst geblieben sind, angefangen mit den ideologischen Auseinandersetzungen mit dem Vater, der als Ingenieur maßgeblich am Bau neuer Umgehungsstraßen beteiligt war, während Franziska – vor allem nach der Katastrophe von Tschernobyl – immer weiter in der Anti-Atom- und Umweltschutzbewegung heimisch wurde.

Liest man diese zugegeben eher schmale Inhaltsangabe, geht natürlich der Kitschalarm los. Man erwartet einen despotischen Vater, eine aufmüpfige Tochter, eine verbiesterte Schwester und einen schwachnervigen Schwager. Zudem eine zwar durch Tod abwesende, jedoch in der Erinnerung der Beteiligten gütige aber schwache Mutter. Doch nichts davon. Klönne portraitiert eine sehr typische bundesdeutsche Familie, ohne zu urteilen. Sie erzählt ihre Geschichte aus zwei Perspektiven – Franziskas und der des Vaters – und lässt damit beiden Gerechtigkeit widerfahren. Sie flicht vor allem in die Erzählung/Erinnerung des Vaters dessen Erlebnisse als Kind im Krieg ein und auch jene der Mutter, soweit er sie kennt und beurteilen kann. Der Leser denkt zwischendurch, dass die Autorin sich da vielleicht sogar etwas übernommen hat, doch merkt man gerade zum Ende des Romans hin, wie wichtig diese Kindheitserinnerungen sind, um diese Figuren verstehen und einordnen zu können. Hier haben zwei verlorene Seelen, die die Wucht des Krieges sehr deutlich zu spüren bekommen haben, sich aufs Äußerste bemüht, eine sichere Familie, ein sicheres Heim zu bauen, in dem sie ihren Kindern – und indirekt auch sich, den Kindern in sich – Sicherheit, Wärme, Geborgenheit garantieren konnten. Es ist eine sehr typische Geschichte in der Bundesrepublik nach dem Krieg, durch das Wirtschaftswunder, die bewegten 60er Jahre (die hier keine sonderlich hervorgehobene Rolle spielen) und bis in die 80er hinein, als eine jüngere Generation wirklich Angst hatte, nicht nur vor einem Atomkrieg, sondern mehr noch vor radioaktiver Verseuchung. Klönne ruft in der Figur Franziska noch einmal jene Ängste wach, die in den 80ern wirklich eine Menge junge Menschen umtrieben. Und in der Figur des Vaters jene durchaus rechtschaffenden Männer, die einen sozialen Aufsteigertraum träumten und schließlich lebten, die sich massiv anstrengen und auf einiges verzichten mussten, um ihren Kindern etwas zu bieten, dass es diesen einmal „besser ginge“.

So entsteht ein recht differenziertes Bild dieser Familie, bei dem keiner wirklich gut wegkommt, nicht einmal die tote Mutter. Jeder hier hat Fehler begangen, hat verletzt, wurde verletzt, konnte nicht aus der eigenen Haut, konnte nicht verzeihen. Und zugleich versteht der Leser jede dieser Figuren, versteht die Ängste, die Verletzungen, die Demütigungen, auch die Unterlassungen in entscheidenden Momenten, die da teils seit Jahrzehnten wirken und nicht mit ein paar Tränen und Umarmungen wieder aus der Welt zu schaffen sind. Langsam nähern sich Franziska und ihr Vater einander wieder an, langsam, sehr langsam, sieht zumindest die Tochter die eigenen Fehler ein, sieht die eigenen Unterlassungen und Unzulänglichkeiten. Auch die eigene Selbstgerechtigkeit. Sie versteht, weshalb die Familie, allen voran eben ihr Vater, ihr immer wieder vorgeworfen hatten, wegzulaufen, sich nicht zu stellen – dem Leben nicht, nicht ihren Fehlern, nicht den Schwierigkeiten, die sich vor jedem von uns aufbauen.

In Heinrichs Fall ist die Einsicht eher labyrinthisch. Kaum kann er verstehen, was die damals pubertierende und im Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen verlorene Tochter aus dem Haus getrieben hat; es fällt ihm schwer, von seinem Verdikt, sie werde in und mit ihrem Leben scheitern, abzurücken. Eher ist es an ihm zu begreifen, dass sie nun wieder da ist und offenbar bereit, zu bleiben. Er anerkennt ihre Leistung jetzt – und vor allem, dass sie, anders als Monika – die seltsame abwesende Monika, deren angeblicher Urlaub sich dann als Aufenthalt in einer Nervenklinik herausstellt nach einem Burn-Out – tatsächlich bereit ist, des Vaters Bedürfnisse mit zu bedenken bei den anstehenden Umbaumaßnahmen. Die wiederum sind notwendig, um Heinrich ein Altern in seinem eigenen Haus zu ermöglichen.

Was man Klönne hoch anrechnen muss, ist die Tatsache, dass sie zwar auf typische Merkmale einer solchen Geschichte zurückgreift – der Vater, der nicht akzeptieren will, dass er schwerhörig wird und aus Sturheit neue Geräte ablehnt; die unterschiedlichen Schwestern, eine als Alternative gebrandmarkt, die andere als erfolgreich aber bitter; den Burn-Out als dramaturgisches Mittel etc. – , diese aber nie ausreizt und somit auch nicht zu Klischees gerinnen lässt. Bei aller anfänglichen Verbohrtheit reden diese Menschen miteinander. Und auch gibt Klönne ihnen keine furchtbare Vergangenheit, vor deren Schrecknissen der Leser geradezu erstarren muss, sondern sie zeigt die Geschichte einer Familie, in der sich alle Mühe gegeben haben, auf ihre Art, und wo es dann eben dennoch manchmal nicht gereicht hat. Auch, weil man einander wesentliche Dinge verschwiegen hat und gerade die nachgeborene Generation so kaum verstehen konnte, aus welchen Ängsten heraus die Haltung der Eltern entstanden ist. Und da allerdings setzt auch die einzige wirkliche Kritik an Klönnes Geschichte an: Dass sie Franziska schließlich ein großes Geheimnis entdecken lässt, welches Vieles erklärt, entspricht eben der Logik des Kriminalromans, in dem die Lösung schließlich ein rundes Bild abgibt. Da wäre es vielleicht Mehr gewesen, einfach auf die Macht der Erinnerung zu setzen, die Macht dieser starken Gefühle, der Angst bspw., es den eigenen Kindern ebenfalls nicht auf eine Art gerecht machen zu können, wie einst einem selbst es nicht recht gemacht wurde. Weil die Geschichte, der Krieg, dazwischenkam. Manchmal, gerade in Geschichten dieser Art, müssen es VerfasserIn und LeserIn auch aushalten, wenn Enden offen bleiben, nicht jede Geschichte auserzählt wird, manches im Vagen verbleibt.

Gisa Klönne ist trotz dieser Kritik ein gut lesbarerer, nachvollziehbarer und vor allem kitschfreier Familienroman gelungen. Wir lesen in den letzten Dekaden sehr viele Romane über das Leben in der DDR und den Nachwendejahren. Es sind Romane wie dieser, die noch einmal das Leben in der alten BRD nah heranholen. Ein Leben, das ebenfalls vorbei ist, an das zu erinnern sich aber auch lohnt. Denn die heutige Wirklichkeit, die wir alle teilen, speist sich eben auch aus diesen Jahren und Jahrzehnten, in denen Männer wie Heinrich Roth geglaubt haben, es auf ihre Art richtig zu machen und bei allem Fleiß und aller Selbstgewissheit manchmal verpassten, den eigenen Kindern zuzuhören. Und in denen diese Kinder – wie vielleicht alle Kinder zu allen Zeiten – geglaubt haben, es besser zu wissen als die Alten, und es besser zu können. Und in denen manche Missverständnisse entstanden sind, die auszuräumen dann eben auch seine Zeit braucht.

Und ganz nebenbei gelingt es Gisa Klönne, davon zu erzählen, wie die eigenen Gewissheiten mit den Jahren abhandenkommen können und man, gerade so um die 50 herum, schwer ins Grübeln kommen kann, ob das alles nix wor in de´ letzte paar Johr – ums mal mit den Worten einer damals, in den 80ern, sehr beliebten Kölschrockband zu sagen…

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