GLADIATOR
Ridley Scotts Antikegemälde Schakespeare´schen Ausmaßes
180 n. Chr. in Germanien, nah der Donau: Der römische Feldherr Maximus Decimus Meridius (Russell Crowe) ist ein erfolgreicher Feldherr in den Diensten des ebenfalls auf dem Feldzug anwesenden Kaisers Marc Aurel (Richard Harris). Dieser führt seine Tochter Lucilla (Connie Nielsen) mit sich und lässt seinen Sohn Commodus (Joaquin Phoenix) anreisen, weil er spürt, daß seine Kräfte nachlassen und er seine Nachfolge regeln muß.
Marc Aurel ist sich darüber bewusst, daß Commodus nicht über die Fähigkeiten verfügt, die es braucht, um das Imperium verantwortungsvoll zu führen. Da er selber der letzte der sogenannten Adoptivkaiser ist, die ihre Nachfolger in Ermangelung eigenen Nachwuchses ernennen konnten, weiß er um die Schwierigkeit, seinem Sohn einen anderen, besseren Mann vorzuziehen. Dies soll Maximus sein, den eine alte Jugendliebe mit Lucilla und eine oberflächliche Freundschaft mit Commodus verbindet. Der Kaiser erklärt Maximus, daß die Republik wieder einzusetzen sei, der Senat wieder gestärkt werden solle und die seit nunmehr über 150 Jahre währende Herrschaft der Caesaren beendet werden müsse, damit Rom nicht nur zu alter Stärke zurückfinden könne, sondern auch dem Volk Gerechtigkeit widerfahre. Maximus hatte allerdings davon geträumt, zu seiner Familie nach Spanien zurück zu kehren, die er lange nicht gesehen hat.
Commodus, keineswegs erfreut über des Vaters Nachricht, konfrontiert diesen mit seiner Wut, nie die Anerkennung erfahren zu haben, die ihm als Sohn zustünde. Vielleicht, so seine Klage, verfüge er nicht über die Tugenden, die Marc Aurel als notwendig erachte, doch er habe ebensolche Tugenden, die ihn ebenfalls auszeichneten. Der Kaiser bittet den Sohn um Verzeihung und erklärt, dessen Fehler seien seine, des Vaters, Versäumnisse. Commodus tötet Marc Aurel, um dessen Befehlen die Wirkkraft zu nehmen.
Maximus ahnt, daß des Kaisers Tod kein natürlicher war und wird, da er sich weigert, Commodus die Treue zu schwören, zum Tode verurteilt. Seine Familie, so teilt ihm der neue Kaiser mit, treffe er im Jenseits wieder.
Maximus gelingt es, der Hinrichtung zu entkommen und er flieht heimwärts. Wie angekündigt, hat Commodus seine Frau und den kleinen Sohn töten lassen. Maximus begräbt sie und bricht dann, schwer verletzt und bar allen Lebensmutes, zusammen. Sklavenhändler finden ihn und nehmen ihn mit, heilen ihn und verkaufen ihn schließlich in Afrika an den Gladiatorenausbilder Antonius Proximo (Oliver Reed).
Proximo, der einst selbst ein Gladiator war und von Marc Aurel höchst selbst die Freiheit zugesprochen bekam, bildet Maximus zu einem Kämpfer für die lokalen Arenen aus. In Rom finden schon seit geraumer Zeit keine Wettkämpfe mehr statt. „Der Spanier“, wie Maximus von seinen Verehrern und Freunden genannt wird, wird zunehmend berühmt und wartet auf die Chance, entweder seine Freiheit wieder zu erlangen oder fliehen zu können. Er will Rache an Commodus nehmen.
Derweil beginnt der neue Kaiser in Rom, seine Herrschaft auszubauen. Er richtet die Prätorianergarde ein und verpflichtet sie auf sich, so daß sie seinem direkten Befehl unterstehen. Er bekämpft den Senat, allen voran Gracchus (Derek Jacobi), der für ein Wiedererstarken des Senats wie zu Zeiten der Republik eintritt. Lucilla macht ihren EInfluß auf Commodus geltend, der im Grunde ein schwacher Charakter ist und ihr folgt, als Kaiser jedoch zusehends der Macht und ihren Versuchungen erliegt. Zugleich versucht Lucilla, ihren Sohn Lucius zu einem aufrechten Römer zu erziehen. Commodus will unbedingt beliebt beim Volk sein und führt das Prinzip von „Brot und Spielen“ (panem et circenses) wieder ein. So kommt es erneut zu Gladiatorenkämpfen im Kolosseum, zu denen auch Proxomo und seine Kämpfer eingeladen werden.
Diese sind bei einer Nachstellung der Eroberung Karthagos als Opfer vorgesehen, doch gelingt es Maximus dank seiner militärischen Fähigkeiten, seine Leute in der Arena so zu organisieren, daß sie nicht nur eine Chance zu überleben haben, sondern ihre Angreifer sogar in einem äußerst brutalen Kampf besiegen. Commodus lässt es sich nicht nehmen, die erfolgreichen Kämpfer in der Arena aufzusuchen. Bei dieser Gelegenheit zwingt er Maximus, der mit einem Helm bewehrt ist, seine Identität preiszugeben. Nun stehen sich die Feinde Aug´ in Aug´ gegenüber. Maximus schwört Commodus, Rache an ihm zu üben und ihn zu töten.
Commodus will Maximus beseitigen lassen, doch da dieser im Kolosseum immer erfolgreicher wird, die Massen ihn lieben und ihm wieder und wieder das Leben schenken, warnen seine Berater den Kaiser davor, Maximus zum Märtyrer zu machen.
Lucilla besucht Maximus und fragt ihn, ob er bereit wäre, ihr und Gracchus bei einem möglichen Staatsstreich zu helfen. Maximus verlacht sie und erinnert sie daran, daß sie immer ihre eigenen Pläne verfolgt und dabei selten auf andere Menschen und deren Bedürfnisse geachtet habe. Er will persönliche Rache, die hehren Ziele, die Lucilla und die ihren zu verfolgen vorgeben, seien nicht mehr die seinen.
Doch die Entwicklungen unter Commodus und die Erfahrungen mit dessen Unberechenbarkeit und Brutalität lassen Maximus umdenken. Er trifft, vermittelt durch Lucilla, Gracchus und die drei hecken den Plan für einen Staatsstreich aus, bei dem Maximus, dessen alter Adjutant in Rom aufgetaucht ist und ihm mitteilt, daß seine Truppen nur darauf warten, daß er erneut das Kommando übernähme, für eine Übergangszeit die Staatsgeschäfte übernehmen und damit die Wiedereinsetzung der Republik unter Gracchus und dem Senat möglich machen solle.
Doch Lucius, der Maximus verehrt und von seinem Onkel protegiert wird, verrät zufällig die Pläne. Gracchus wird verhaftet, Maximus in Ketten gelegt, Proxomo, der in die Pläne eingeweiht war und helfen wollte, getötet. Lucilla soll, so Commodus´ grausamer Plan, von ihm schwanger werden und damit soll ein neues Herrschergeschlecht gezeugt werden, das nur einem Blut entstammt. Lucius soll ab nun unter Commodus´ Einfluß als dessen Geisel fungieren.
Um sich Maximus´ endgültig zu entledigen, kündigt der Kaiser einen Kampf an, in dem er selber gegen den Gladiator antreten will. Um den an sich ungleichen Kampf – ist Commodus doch alles andere als ein Kämpfer – auszugleichen, verletzt er den wehrlosen Maximus vor dem Kampf schwer. Es kommt zum Duell und schließlich gelingt es Maximus, Commodus zu töten. Dann befiehlt er den Prätorianern, die sich zurückhalten, die Senatoren frei zu lassen. Er teilt dem Publikum im Kolosseum mit, welches Marc Aurels Wünsche hinsichtlich der Staatsform waren. Schließlich bricht er entkräftet zusammen und stirbt in Lucillas Armen. Gracchus und einige Senatoren sowie ehemalige Mitstreiter des Gladiators tragen den Leichnam aus der Arena.
Obwohl die künstlerische Vita des britischen Regisseurs Ridley Scott auf ewig mit zwei Beiträgen zum Genre der Science-Fiction – dem Original ALIEN (1979) und dem bahnbrechenden BLADE RUNNER (1982) – verbunden und von diesen geprägt bleiben wird, vergisst man schnell, daß er immer ein dem Zukunftsfilm gleichwertiges Faible für das Militärische wie auch für die Geschichte, die Historie in all ihren Facetten, hatte. Die meisten seiner Filme, so sie denn nicht der Science-Fiction oder dem Thrillergenre zuzurechnen sind, sind Historien- oder Kriegsfilme und schon sein Langfilmdebüt THE DUELLISTS (1977), die Verfilmung einer literarischen Vorlage von Joseph Conrad, gehörte beiden Fächern an. Oftmals decken sich bei Scott das Interesse am Historischen und jenes für das Militär und kommen auch in Filmen wie ROBIN HOOD (2010), KINGDOM OF HEAVEN (2005) oder eben GLADIATOR (2000) zusammen.
Unter Scotts Historienfilmen war letzterer mit Abstand der erfolgreichste und trat – fünf Jahre nachdem Mel Gibson mit BRAVEHEART (1995) bewiesen hatte, daß der Monumentalfilm mit historischem Hintergrund durchaus eine erfolgversprechende Zukunft haben kann – eine ganze Welle ähnlicher und ähnlich gelagerter Filme los[1]. Die Zeit der großen Monumentalfilme waren die 1950er und 60er Jahre, als Hollywood mit Staraufgebot und Massenszenen, mit Überlänge und 70mm-Cinemascope-Verfahren den Versuch unternahm, den Siegeszug des Fernsehens zurückzudrängen und sich schließlich in megalomanen Produktionen wie Joseph L. Mankiewicz´ CLEOPATRA (1963) verlor. Doch war das Interesse im Laufe der 70er und 80er Jahre abgeflaut, als eher zeitgenössische Sujets oder aber Fantasy-Motive interessanter wurden. Generell wurden historische Stoffe, die das Mittelalter oder die Antike behandelten, eher im Bereich der Fantasy abgehandelt, Scott selber trug mit seinem Film LEGEND (1985) maßgeblich dazu bei. Nachdem er 1992 passend zur 500-Jahrfeier der „Entdeckung“ Amerikas durch Christoph Columbus den sehr erfolgreichen 1492: CONQUEST OF PARADISE (1992) und damit seinen zweiten Historienfilm nach seinem Debüt vorgelegt hatte, wandte er sich mit dem Antikenspektakel GLADIATOR erneut einem historischen Stoff zu und schuf ein Epos nahezu Shakespeare´schen Ausmaßes.
Betrachtet man den Film mit der nötigen Distanz – gerade nach all den Jahren seit seinem Erscheinen – sticht immer noch, neben der nahezu perfekten Machart, die Fülle der Anspielungen und Verweise hervor, die man entdecken kann. Und erneut bemerkt man Scotts Vorliebe für das Militärische, beschäftigt sich die ganze, sehr lange und ausgeprägte Ouvertüre des Films doch explizit mit militärischen Manövern und militärischem Denken in einer römischen Legion. Scott selber hat mehrfach darauf verwiesen, daß ihn Steven Spielbergs SAVING PRIVATE RYAN (1998) und dessen Ouvertüre – die Landung der Alliierten in der Normandie 1944 – in seiner technischen Darstellung immens beeindruckt habe. Wie Spielberg in seinem Weltkriegsdrama und Scott selbst in seinem Kriegsfilm BLACK HAWK DOWN, der 2001 erschien, zur Zeit des Drehs von GLADIATOR in der Planung jedoch schon weit vorangeschritten war, führen Kamera und Regie den Zuschauer auch in den Szenen in Germanien, wo der spätere Gladiator Maximus einen großen Sieg erringt, extrem nah an und in das Kampfgeschehen heran und hinein. Fast entsteht der Eindruck, man sei mitten im Getümmel. Gern wurde in der Kritik auf die Ähnlichkeit der Anordnung der Schlachtreihen zu jenen Stellungen des Ersten Weltkrieges verwiesen, aus denen Briten, Deutsche und Franzosen einander in ebenso todesmutigen wie wahnsinnigen Vorstößen über offenes Gelände angriffen und zu vernichten suchten. Ridley Scott weiß also durchaus auch Querverbindungen in die Neuzeit herzustellen und das Kriegerische als überzeitliche Erfahrung zu erfassen und darzustellen.
Man sollte allerdings nicht den Fehler begehen und Scott unterstellen, daß er den Krieg explizit als etwas Verwerfliches ansieht oder darstellen will. In seinen Filmen, die sich direkt oder indirekt mit Krieg oder militärischer Ausbildung (man denke nur an seinen „feministischen“ Militärfilm G.I. JANE/1997, dem direkten Vorgänger von GLADIATOR) beschäftigen, werden diese Institutionen als gegeben hingenommen. Selten kommt Kritik auf, eher stellt Scott kriegerisches/militärisches Geschehen als menschgemacht und – mehr noch – menschgewollt, sozusagen als kulturelle Bedingung menschlichen Seins, dar. Scotts Blick ist eher ein distanzierter (man möchte fast sagen: ein britischer), verhalten scheint er den Kopf zu schütteln, leise lächelnd über die menschlichen Irrungen und Wirrungen und die Unfähigkeit, aus der Geschichte zu lernen. Gerade darauf verweist hier die Verbindung zum Ersten Weltkrieg als Graben- und Stellungskrieg. Scotts Kamerablick stellt kriegerische Maßnahmen also nie grundlegend in Frage. Vielleicht ist er als Künstler zu ehrlich, weiß zu genau um die Fallstricke und Fallen, die Kriegs- und Anti-Kriegsfilme für ihre Macher bereithalten. Bedenkt man die Diskussionen darüber, ob es „Anti-Kriegsfilme“ überhaupt geben könne, stellen doch meist auch sie das Geschehen nach und verlängern es damit in die Gegenwart des Zuschauers, erliegen also ebenfalls einer gewissen Faszination am kriegerischen Spektakel[2], muß man diese Ehrlichkeit vielleicht besonders hoch einschätzen. Und vielleicht ist es auch die Reflexion auf das eigene Handwerk, das allzu häufig einem militärisch anmutenden Plan zu folgen scheint in all seiner Logistik und auch in der Terminologie vom „Bilder schießen“ etc. Analogien zu militärischer Sprache aufweist, die Scott Abstand davon nehmen lassen, sich dem Militär gegenüber allzu kritisch zu positionieren. Umso erstaunlicher also, daß die Schlachtszenen in Germanien dennoch extrem realistisch und hart wirken und keineswegs versuchen, das Geschehen zu beschönigen.
GLADIATOR nutzt das Militär, den Krieg also schlicht als Voraussetzung seiner gesamten Story. Maximus ist ein Tribun, ein Kriegsherr, ein Eroberer. Da die Geschichte ca. 180 A.D. spielt und wir wissen, daß das Militär, der Krieg und die damit verbundenen Trophäen in der römischen Geschichte immer einen sehr hohen Stellenwert hatten, brauchen sich Drehbuch und Regie nicht übermäßig mit kritischen Reflektionen auseinanderzusetzen. Maximus kann in seiner Präsenz auf dem Schlachtfeld als Mann gezeigt werden, der hohes Ansehen genießt, weil er es versteht, seine Truppen zu führen, über ein hohes Maß strategischen und taktischen Bewusstseins verfügt und zudem Mut im Kampf beweist. Das macht ihn zu einem Liebling der Götter – und des Kaisers Marc Aurel. Geschickt wählt das Buch diese Epoche, kann man mit Aurel doch auf einen Philosophen-Kaiser zurückgreifen, was es erlaubt, durchaus politisch-philosophische Fragen abzuhandeln. So ist es u.a. die Frage nach Tyrannei und Volksherrschaft, bzw. der Republik – wenn man denn dem Senat und der römischen Republik wirklich einen solchen, im Kern demokratischen, Status zuerkennen will – die hier durchaus kritisch verhandelt wird. Daß dabei Aurel ein republikanisches Gemüt attestiert wird, behauptet der Film allerdings exklusiv, immerhin war die Republik zu Beginn seiner Herrschaft bereits seit nahezu 180 Jahren Geschichte. Doch erlaubt diese Haltung eines weisen alten Mannes die maximale Distanz zu dem, was sein Sohn Commodus, zumindest im Film, dann errichtet. Zudem braucht das Buch den dramaturgischen Kniff, um des Kaisers Entscheidungen hinsichtlich der Machtübergabe an seinen Sohn zu begründen. GLADIATOR ist eben auch ein ödipales Vater-Sohn-Drama.
Liest man die Wikipedia-Einträge zu Scotts Schlacht- und Heldenepos, drängt sich der Eindruck auf, nichts an dem Film entspreche der Realität. Mit einer nahezu kleinkrämerischen Lust wird bald jedes Detail des Films – von den historischen Zusammenhängen bis zu den Rüstungen der Legionäre und der Kleidung der Germanen – auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft und siehe da: Kaum etwas stimmt mit der historischen Wahrheit überein. Sicher, Scott und seine Ausstatter haben es sich nicht nehmen lassen, beständig auf die angebliche Authentizität des Films hinzuweisen, die Akkuratesse, die man dem Design habe angedeihen lassen. Ein Fehler, wie immer, wenn man für sich in Anspruch nehmen will, was bei genauerer Prüfung nicht zu halten ist. Umso erstaunlicher, bedenkt man, daß der Film eigentlich keine Sekunde lang den Eindruck erweckt, an historischer Genauigkeit interessiert zu sein. Nicht einmal an logischer Genauigkeit scheint er allzu interessiert. Allein schon Maximus´ Flucht und Heimkehr, die er mit zwei Pferden bewerkstelligt, die aber, folgt man den Angaben, die die Handlung dem Zuschauer an die Hand gibt, durch halb Europa hätte erfolgen müssen – von der Donau bis in seine spanische Heimat – wirkt vollkommen unrealistisch; ebenso etliche der späteren Kampfszenen, die er als Gladiator oftmals gegen eine Übermacht weit besser ausgerüsteter Gegner zu bestehen hat und alle gewinnt. Es gäbe noch einige Beispiele dieser Art zu nennen. Doch hat man nie das Gefühl, daß es Scott oder dem Drehbuch im Kern um historische Genauigkeit oder innere Logik zu tun ist. Hier geht es um etwas anderes, vielleicht größeres, im Kern aber vor allem literarisches.
Drehbuch und Regie bedienen sich immer dort bei der historischen Wahrheit, wo es ihnen zupass und weichen sofort von jeglichem Wirklichkeitsbezug ab, wenn es ihrem dramatischen Anliegen in die Quere kommt. Sie brauchen einen angemessenen Gegenspieler, also wird Commodus – ausgestattet mit dem veritablen Vaterkomplex des nicht ausreichend anerkannten/verstoßenen Sohnes – zu einem Tyrannen aufgebaut, dem der eigene Machterhalt alles, das Imperium, das Volk, seine Freunde und Verbündeten hingegen nichts, bestenfalls Erfüllungsgehilfen sind. Er gibt dem Volk Brot und Spiele, was weitestgehend der Realität entsprochen haben dürfte, er baut seine Prätorianergarde zu einer Machtbasis aus und geht in Konflikt zum Senat – ebenfalls der historischen Realität entsprechende Maßnahmen. Doch gilt all das in GLADIATOR nur dem einen Ziel, sich vom Übervater zu lösen, die innere Schwäche zu überwinden, die Kränkungen vergessen zu machen und vor allem dem Gegenspieler – eben Maximus, dem Marc Aurel im Film die Kaiserkrone verspricht, hält er den Soldaten doch für den verantwortungsvolleren und weitsichtigeren Mann – zu schaden. Alles läuft hier auf einen Zweikampf, auf das Duell zweier Männer hinaus, die natürlich zwei Prinzipien vertreten. Hier der selbstbezogene Tyrann, schwach und verderbt, dort der selbstvergessene Held, der sich im Dienste höherer Aufgaben und Aufträge zu opfern bereit ist. Weltgeschichte reduziert auf das persönliche Drama mit tragischen Zügen. Wir verstehen diesen jungen und offenbar durchaus klugen Kerl, der auf so bittere Art um sein – berechtigtes? – Erbe gebracht zu werden droht. Wenn der Kaiser dem Sohn unter Tränen gesteht, daß dessen Fehler des Vaters Versagen sei und das Drehbuch wahrlich den Bereich der antiken Tragödie betritt, bleibt dem Nachgeborenen nur der Vatermord um der eigene Schande nicht gewahr werden zu müssen. Doch verstehen wir eben auch die Sorgen des Kaisers und erst recht, daß das Monstrum, das Commodus nach (und durch) den Vatermord wird, bekämpft und besiegt werden muß.
Um diese Geschichte zu der dramatischen Höhe zu führen, die es braucht, um ernst genommen zu werden und nicht lächerlich zu wirken, nutzen Buch und Regie gnadenlos die Literatur- und Filmgeschichte, um sich die rechte Fallhöhe anzueignen. GLADIATOR ist voller Anspielungen und Verweise. Allem voran umweht das ganze Werk ein Hauch der Königsdramen Shakespeares. Commodus erinnert in seiner Schwäche, Durchtriebenheit und der schließlich seinen Charakter übernehmenden Bösartigkeit an Richard III. sowie an Claudius aus HAMLET. Commodus ist ein Vatermörder und – nimmt man sein mehrfach an Maximus gerichtetes Wort „Bruder!“ ernst – auch ein Brudermörder. Seine Kleidung wirkt mit zunehmender Filmhandlung eher wie einer Renaissance-Stadt entstammend, beispielweise dem Venedig aus OTHELLO, womit auch Jago in die Filmfigur Commodus eingeht. Im Verhältnis von Commodus und seiner Schwester Lucilla, die einst Maximus liebte, kann man durchaus das Echo der Beziehung von Lady MacBeth und ihres Gatten vernehmen, solange Lucilla noch keine eindeutige Position gegen ihren Bruder eingenommen hat und vergleichsweise undurchschaubar bleibt, ebenso aber spielt hier jenes inzestuöse Verhältnis von Caligula und seiner Schwester Drusilla hinein, womit der Film nicht nur Anleihe bei einer weiteren historisch verbürgten Gestalt und deren skandalöser Geschichte nimmt, sondern auch auf den einzigen antiken Monumentalfilm der 1970er Jahre verweist: Tinto Brass´ skandalumwitterten Antike-Porno CALIGULA (1979), der – wie GLADIATOR – ebenfalls mit einer ganzen Riege von Weltstars wie Peter O´Toole, John Gielgud und Malcolm McDowell, sowie einer erstaunlich aufwändigen Ausstattung in Kostümen und Set-Design aufwarten konnte. In der fast mythisch anmutenden Fokussierung auf den Zweikampf eines Kaisers und dem zu einem Gladiator degradierten Feldherren korrespondiert der Film dann wiederum mit John Boormans Fantasy-Opus EXCALIBUR (1981), das von König Artus, den Rittern der Tafelrunde und der Suche nach dem Gral erzählt. Doch ebenso, wie GLADIATOR auf diese selbst schon der Postmoderne zuzurechnenden Werke verweist, ist er in seiner geradezu konventionellen Erzählweise, der geradlinigen Story, den oberflächlich betrachtet eindeutig zuzuordnenden Figuren auch an seine direkten Vorgängern, jenen Monumentalfilme der goldenen Hollywood-Ära wie QUO VADIS? (1951), BEN HUR (1959) oder THE FALL OF THE ROMAN EMPIRE (1963), angelehnt. All diese Anklänge und vermeintliche Assoziationen sind – davon sollte man ausgehen – genau so gewollt.
Mit Joaquin Phoenix hat Ridley Scott einen Schauspieler zur Verfügung, dem es gelingt, all die Einflüsse, die gerade seine Figur in sich vereint, zu bündeln und angemessen darzustellen, wobei er der Figur Commodus auch noch genug Eigenes – Verletzliches, Verschüchtertes gar – hinzuzufügen weiß, um sie mit soviel Leben und Charakter auszustatten, daß sie einem wahren Helden, wie Russell Crowes Maximus es ist, standhält. Vielleicht sollte man das grundlegend begreifen, wenn man GLADIATOR betrachtet: Nie ist es diesem Film um historische Genauigkeit zu tun, nirgends geht es um die Darstellung einer möglichst realistischen Antike. Immer geht es um Literatur. Wie der große Dramaturg des elizabethanischen Zeitalters, nutzen Ridley Scott und die Drehbuchautoren Zeit und Raum lediglich, um Allgemeingültiges über die ‚Conditio Humana‘ zu sagen.
Worum aber geht es dann in einem Film, der eine im Kern erstaunlich schlichte Geschichte um Aufstieg und Fall, Rache und Vergeltung, Liebe und Verrat präsentiert? Es wurde bereits erwähnt, daß Scott die Frage von Tyrannis und Republik verhandelt und natürlich steht er, der Brite – ein Abkömmling der ältesten Demokratie der Neuzeit – auf der Seite der Republik als Symbol für die Demokratie. Doch wie alle großen Werke der Weltliteratur, bleibt auch dieses ambivalent. Denn mehr noch als die Frage nach Tyrannei oder Republik, behandelt es klassisches Heldentum. In einem postheroischen Zeitalter[3], in einer Ära der Rückversicherungsgesellschaften, die keine Risiken mehr eingehen wollen (oder können), verhandelt Ridley Scott, ein durchaus postmoderner Auteur, die Frage nach dem Heldischen in nahezu klassischer Manier. Kann es das noch geben? Das ungebrochen Heldische? Den ungebrochenen Helden? Und wenn ja, wie, in welch einem Setting, für welche Sache setzt er sich ein, dieser Held? Maximus will heim, er will nicht kämpfen und weiter töten, er will seine Frau und seinen Sohn sehen und seine Güter bestellen. Doch wird er von den Entwicklungen, auf die er keinen EInfluß hat, dazu gezwungen, Haltung zu bewahren und seine Position in einem Spiel einzunehmen, das er nicht spielen will und dessen Regeln er erst nach und nach und dann ausgesprochen schmerzhaft erlernt. Schon diese Exposition ist die eines klassischen Helden. Und obwohl Commodus keinen direkten Einfluß auf Maximus´ Werdegang als Kämpfer in den Arenen hat, diese Entwicklung sogar zunächst zufällig anmutet, legen die Dramaturgie und die Inszenierung des Films unzweideutig nah, daß wir es mit Fügungen des Schicksals zu tun haben. Ab dem Moment, da Maximus des Todes seiner Familie Gewahr wird und diesen Schock überlebt, läuft die Handlung mit dem Uhrwerk der klassischen Tragödie auf ihren zwangsläufigen Höhepunkt zu. GLADIATOR erzählt damit ein Heldenepos in Zeiten des Postheroismus.
Das Heldenepos aber verlangt geradezu nach der Ernsthaftigkeit, die es auszeichnet und zugleich braucht es die persönliche Vergeltungsgeschichte, um genug inneren Sog zu entwickeln, das Publikum wirkmächtig mitzunehmen in einen Rausch aus Blut und Gewalt. Einige der Szenen in den Arenen des Nahen Ostens, wo Maximus in Proximos Gladiatorenschule seine Ausbildung erhält, sowie im mit höchster Finesse am Computer generierten Kolosseum, stehen jenen zu Beginn des Films hinsichtlich der expliziten Darstellung der Gewalt in nichts nach. GLADIATOR muß diese Härte ausstrahlen, um seine doppelbödige Botschaft glaubhaft vermitteln zu können. Humor, und sei er noch so schwarz, noch so morbide, noch so zynisch, wäre dem Film nicht bekommen.
Im Grunde also ein antizyklischer Film? Der Nachfolger BLACK HAWK DOWN hatte aufgrund der Geschehnisse des 11. September 2001 eine ausgesprochen komplizierte Veröffentlichungsgeschichte und wirkte doch nahezu prophetisch, schien er doch exemplarisch vom Kommenden zu künden. Wir werden in Kriege gezwungen, die asymmetrisch verlaufen, in denen der Feind nur noch schwer zu lokalisieren ist, es werden Kriege sein, die nicht mehr im herkömmlichen Sinne erklärt werden und deren Ursprung oftmals „gut Gemeintes“ aber eben verdammt schlecht Gemachtes sind. Dort haben wir es nicht mehr mit Helden zu tun, sondern mit „ganz normalen Männern“, die man im Laufe der Kampfhandlungen im Staub der somalischen Hauptstadt Mogadischu kaum mehr wird auseinander halten können. Diese Kriege sind weder schön, noch kann man in ihnen Lorbeeren gewinnen, wie es die römischen Legionäre noch kannten, sondern sie sind notwendig, dreckig und furchtbar brutal. So wirkt GLADIATOR wie ein Abgesang, ein letzter Salut an jene Krieger, die dies noch uneingeschränkt sein konnten. Nach dem letzten, von Ironie geprägten, Jahrzehnt eines der blutigsten Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte, erscheint GLADIATOR zugleich aber auch selber wie eine Ouvertüre dessen, was da kommen sollte. In Verteidigung demokratischer Errungenschaften, so könnte man in den Film hineinlesen, müssen wir zurückfinden zu jenem Heroismus, den bspw. unsere Großväter in Verteidigung der Demokratie gegen die totalitären Tyranneien des 20. Jahrhunderts aufgebracht haben. Ridley Scott, noch einmal sei daran erinnert, ist Brite, aufgewachsen in Zeiten des Krieges und, wie so viele seiner Generation, ganz sicher dadurch geprägt.
Bei aller Analyse und Interpretation, ist GLADIATOR aber vor allem ein gewaltiges Abenteuer- und ein Actionspektakel, eine eindringliche Liebesgeschichte, die sich nie wirklich entfalten darf und darum umso schmerzhafter wirkt und ein Drama um Rache und Verrat, das seinesgleichen sucht. Großes emotionales Kino, das sich keine Sekunde scheut, seine Vorgänger zu zitieren, seine Quellen auszunutzen, offen auszustellen und ihnen – auch das – zu huldigen. Es ist ein nahezu perfekter Film, der sich durch ausgezeichnete Kameraarbeit (John Mathieson), hervorragendes Timing, einen präzisen Schnitt (Pietro Scalia), äußerst überzeugende Schauspielerleistungen und natürlich Scotts Inszenierung auszeichnet. Fast zu perfekt, möchte man anmerken, fast zu glatt geht das alles auf und überwältigt das Publikum geradezu mit Wollust. Wodurch die subkutane Message sicherlich umso eindringlicher, weil nahezu subversiv vermittelt wird. Daß Scott sich nicht scheut, gelegentlich auch Leni Riefenstahls TRIUMPH DES WILLENS (1935) zu zitieren, fällt da kaum mehr ins Gewicht, unterstreicht allerdings den postmodernen, manchmal gar Pastiche-artigen Charakter des Films. Einzig die Musik, für die Hans Zimmer hauptverantwortlich zeichnet, will nicht wirklich in ein Antike-Epos passen, wirken die Anleihen bei Wagner und selbst irischer Volksmusik doch einerseits zu aufdringlich und gewollt den Tragödien-Charakter unterstreichend und zugleich arg kitschig in einem Werk, das sich zwar großen Pathos´ bedient, den offenen Kitsch aber eigentlich meidet. Und fast ist man froh darum, eine weniger perfekte Ebene entdeckt zu haben.
GLADIATOR wird nach ALIEN und BLADE RUNNER wahrscheinlich das dritte Werk sein, mit dem Ridley Scott sich unumwunden der Filmgeschichte eingeschrieben hat. Er hat einige wirklich großartige Filme gemacht, er hat es nie gescheut, umstrittene, ambivalente Werke vorzulegen und sich damit immer auch der Kritik, dem Widerspruch, ausgesetzt. Es bleibt immer dem einzelnen überlassen, ob ihm gefällt, was er da präsentiert bekommt und bis auf seine ersten beiden Filme war nicht einer bei seiner Veröffentlichung unumstritten. Scotts manchmal seltsam anmutende Veröffentlichungspolitik zwischen Kinofassung, Director´s Cut und Final Cut, machte es seinen Anhängern zudem schwer, ihm immer zu folgen; allein BLADE RUNNER weist mindestens drei Schnittfassungen auf, die den Film ein jedes Mal mit einem neuen, manchmal den anderen Versionen entgegenstehenden Subtext austatten. Auch GLADIATOR erhielt eine um gut sechzehn Minuten erweitere Fassung. Doch kann man mit Fug und Recht behaupten, daß die Kinofassung ein in dieser Form an Perfektion grenzender Film ist, der es sich traut, einen Stoff (post)modern und damit seiner Zeit angemessen zu präsentieren und dennoch ganz als das zu erscheinen, was er eben eigentlich ist: Ein Leinwandspektakel, wie es sie nur ein paar Mal pro Dekade gibt. So reiht er sich ein in die großen Werke der Traumfabrik, irgendwo zwischen MUTINY ON THE BOUNTY (1935), GONE WITH THE WIND (1939), CASABLANCA (1942), THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI (1957), IL GATTOPARDO (1963), THE GODFATHER (1972), E.T. (1982) oder TITANIC (1997). Wie diesen – exemplarisch ausgewählten – Filmen, gelingt es GLADIATOR, sich als eigenständiges Werk zu behaupten, das Recht des Kinos einzufordern und einzulösen und doch ganz und gar auf der Seite dessen zu bleiben, was das Kino als Versprechen immer war: Der Traum davon, dem Publikum das Spektakel als Abbild von etwas zu bieten, das größer ist, als das Leben selbst.
[1] Wolfgang Petersens TROJA (2004) und Oliver Stones ALEXANDER (2004) seien stellvertretend genannt, doch kann man seit GLADIATOR ganz generell eine stete Zunahme antiker oder mittelalterlicher Stoffe im Kino und TV beobachten.
[2] Explizit sei in diesem Zusammenhang auf Francis Ford Coppolas APOCALYPSE NOW (1976/79) verwiesen, in dessen Kielwasser diese Diskussion erstmals offen ausgetragen und von Coppola mit der Aussage, der Film SEI Vietnam (also der dort stattgefundene Krieg) befeuert wurde.
[3] Vgl. https://www.dw.com/de/wir-sind-eine-postheroische-gesellschaft/a-15927515. Der Politologe Herfried Münkler definiert den Begriff hier u.a. in Bezug auf die Anerkennung für die soldatischen Leistungen in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts.