HEIMKEHREN/HOMEGOING

Das fulminante Debut einer starken Erzählerin

Als Yaa Gyasis Roman HEIMKEHREN (HOMEGOING/2016, Dt: 2017) erschien, wurde er auch hierzulande nahezu frenetisch gefeiert. Ein großer Wurf, ein meisterliches Debut, eine klare und starke Stimme der afro-amerikanischen Literatur. Wobei afro-amerikanisch hier sehr genau genommen werden sollte, wurde die Autorin doch in Ghana geboren, wuchs jedoch im Süden der Vereinigten Staaten auf. Somit ist die Authentizität dessen, was sie beschreibt, verbürgt.

Bevor zum Buch selbst etwas gesagt sein soll, kann man festhalten, daß solche Zuschreibungen – „großer Wurf“, „meisterlich“ – immer gefährlich sind. Sie können Erwartungen wecken, die vielleicht kein Werk so erfüllen kann, wie es der Rezipient möglicherweise aufgrund einer Besprechung durch einen seiner Lieblingskritiker erwartet. Das ist letztlich auch in diesem Falle so. Denn Gyasi – deren Könnerschaft damit um kein Gran geschmälert sein soll – erfindet die Literatur nicht neu, im Gegenteil, sie bedient sich momentan gängiger literarischer Muster um einen weiten Bogen durch die Zeit und große Entfernungen zu spannen.

Multiperspektivisch wird die Geschichte zweier Stränge einer Familie aus der damals als Goldküste bezeichneten Region, die in etwa dem heutigen Ghana entspricht, erzählt. Während eine Schwester verschleppt und versklavt auf einem Schiff gen Amerika verschifft wird, wächst die andere in ihrem gewohnten Umfeld auf, wird Zweit-Gattin eines englischen Verwaltungsoffiziers und gibt nicht nur einen schwarzen Stein, sondern auch ein Familiengeheimnis an ihre Kinder weiter. In jeweiligen Generationssprüngen, immer zwischen Afrika und der Neuen Welt wechselnd, verfolgt Gyasi die Geschichte der Familien hier wie dort.

Wahrlich ein „kühner Bogen“, wie es im Klappentext heißt. Und ein literarisch nicht ganz ungefährliches Unterfangen. Jedem Kapitel – also jeder Generation – widmet die Autorin 30 bis ca. 50 Seiten. Das bedeutet aber auch, daß sie ein jedes Mal in etwa die Zeit, in der der Leser sich befindet, markieren muß und, was die Sache erschwert, ein jedes Mal muß sie entweder eine kurze Liebesgeschichte erzählen, da ja erklärt werden muß, wie es zur nächsten Generation kommt, oder aber es muß zumindest kurz angerissen werden, wie sich die jeweils im Mittelpunkt des Kapitels stehende Figur mit wem auch immer zusammengetan hat. Das Prinzip führt dazu, daß man es bei HEIMKEHREN im Grunde mit einem Episodenroman zu tun hat, wenn nicht gar mit einer Kurzgeschichtensammlung, die einem roten Faden folgt. Ein vergleichsweise enges literarisches Konzept. Immer, wenn man eine Figur gerade kennengelernt hat, sie ein wenig zu verstehen beginnt, sich ihr vielleicht sogar emotional verbunden fühlt, entschwindet sie aus der Handlung und taucht später in einer älteren Gestalt noch einmal auf.

Man kann also erkennen, daß Gyasi an bekannte und momentan äußerst beliebte Konzepte der (westlichen) Literatur anknüpft, sie aufgreift und sich zunutze macht. Weite Bögen, gern über Generationen und die Zeiten hinweg, aus verschiedenen Perspektiven erzählt – das scheint momentan sehr viele Leser anzusprechen. Gyasi allerdings nutzt dieses Konzept wahrlich geschickt, um ihr Epos zu erzählen und dabei exemplarisch eine afrikanische Geschichte zu erzählen, die sich über zwei Kontinente hin entwickelt.

Gyasi scheut sich nicht, ihre Leser mit einigen Härten zu konfrontieren. Sowohl ihre Beschreibungen aus den Verliesen in Cape Coast, wo die eingefangenen Stammesmitglieder eingepfercht werden, als auch jene aus den Bäuchen der Sklavenschiffe, sind nur schwer zu ertragen – und in ihrer Eindringlichkeit wahrscheinlich sehr, sehr nah an der damaligen Wirklichkeit. Sie verschont aber auch ihre afrikanischen Leser nicht. Denn sehr ausführlich beschreibt sie ein System der Sklavenbeschaffung, das auch ein ungutes Licht auf die eigenen Vorfahren und Ahnen wirft. Denn einige der Stämme, die an der Goldküste vornehmlich mit den Briten in Berührung kamen, beteiligten sich am Sklavenhandel. Sie fingen Männer, Frauen und Kinder ihnen feindlich gesonnener Stämme ein, verschleppten sie und verkauften sie an den Meistbietenden – was durchaus auch Holländer und Portugiesen sein konnten, die den Briten gen Afrika folgten.

Es gelingt Gyasi also eindrucksvoll, die Verstrickung des eigenen Volks in eines der großen Menschheitsverbrechen zu dokumentieren. Zugleich gelingt ihr aber auch das Kunststück, das dahinterstehende System – ein knallhartes kapitalistisches System, das den menschlichen Leib selbst zur Ware machte – zu entlarven. Es war ein importiertes System, ein originär britisches System, das – letztlich eine sehr moderne Kritik – von allem Anfang an Menschen korrumpiert. Wer verdienen kann, verdient, gleich, ob er sich damit an den eigenen Leuten versündigt oder nicht. Davor scheint kein Mensch nirgends gefeit. So kann der Leser hier durchaus lernen, daß Schuld und Schuldfragen nicht so einfach zu erklären oder zu beantworten sind, wie das auch heute einige in den spezifischen (Sozial-)Wissenschaften gern hätten. Schuld, als christliches Konzept, ist nicht so leicht zu verteilen, sondern sie verstrickt. Eine Erkenntnis, die uns immer wieder auf uns selbst zurückwirft, uns an eigene Verfehlungen und Schuldigkeit erinnert.

Der amerikanische Strang der Erzählung entspricht wiederum recht genau und exemplarisch den Erfahrungen Schwarzer durch die Jahrhunderte in jenem Land der ach so unbegrenzten Möglichkeiten. Von den Baumwollfeldern des Südens, wo sie als Sklaven unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten, über Flucht und Entkommen gen Norden, den Gefahren, denen sogenannte „freie“ schwarze Menschen auch im Norden, wo man es mit den Zuschreibungen von „frei“ und „unfrei“ nicht allzu genau nahm, ausgesetzt waren und es Mitte des 19. Jahrhunderts nur wenige Weiße – vornehmlich die Abolitionisten – gab, die sich für die Rechte schwarzer Menschen einsetzten, die Erfahrung, das Rassismus auch da grassiert, wo die Sklaverei offiziell abgeschafft oder nie eingeführt wurde – in diesem Fall also jene Staaten nördlich der Mason-Dixie-Linie – bis hin in die Gegenwart des 20. Jahrhunderts, folgt Gyasi dem Schicksal jener, die verschleppt und versklavt wurden und kann es spürbar vermitteln. Den Wechsel aus der Gefangenschaft der Sklaverei in die Lohnsklaverei eines ebenfalls gnadenlos kapitalistischen Systems, in dem jeder Arbeiter schnell durch einen andern ersetzt werden kann, erleben die Protagonisten ebenso, wie sie die Erfahrungen und Entwicklungen Schwarzer im 20. Jahrhundert – Ghettoisierung, Drogen, Jazz oder die Bürgerrechtsbewegung – durchlaufen. Manchmal wird das ein wenig schematisch, da Gyasi offenbar jedwede dieser Erfahrungen und Entwicklungen irgendwie unterbringen will.

Und – das nun allerdings ist eine wirklich literarische Bewegung, um die Erzählung an ein schlüssiges Ende zu führen – schließlich lässt Gyasi die Nachkommen der beiden Schwestern, mit denen die Erzählung ihren Anfang nahm, in einer mittlerweile globalisierten Welt aufeinandertreffen. Erst in Ghana, wohin die Amerikaner reisen, um sich ihrer Wurzeln zu versichern, dann in den USA, wohin – wie Gyasi selbst – einige der Ghanaer auswandern, um ein besseres Leben zu führen, bessere Bildung zu erhalten, sich bessere Chancen im globalisierten System des erweiterten Kapitalismus, im „Weltinnenraum des Kapitals“ (Peter Sloterdijk) zu erkämpfen. Das ist dann schon große Literatur, wie hier Weltgeschichte auf die Erfahrung einzelner runtergebrochen und erklärt, damit aber eben auch veranschaulicht wird.

HEIMKEHREN ist sicherlich trotz der beschriebenen Abstriche ein grandioses Debut, keine Frage. Das ist souverän erzählt, die Autorin kennt und versteht ihr Material und weiß es sehr gut und genau ein- und anzuordnen. Sprachlich sicher und auch durchaus sprachgewaltig kann sie – distanziert, nie pathetisch, nicht anklagend – von historischem Unrecht, von historischer Schuld und deren Verarbeitung erzählen. Und sie bringt gerade dem europäischen Leser eine ihm doch weitestgehend fremde Perspektive nah. Eine afrikanische Perspektive, die immer stärkere Beachtung findet, nicht zuletzt, weil immer mehr junge Autoren und Autorinnen auf den internationalen Buchmarkt drängen, die wirklich etwas zu erzählen haben und endlich die ihnen zustehende Beachtung finden.

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