FÜRCHTE DEN DONNER/HEED THE THUNDER
Ein Sittengemälde - Thompsons zweiter Roman zeigt alles, was der klassische Noir-Autor später liefern sollte. Hält sich allerdings noch zurück
1946 erscheint Jim Thompsons zweiter Roman HEED THE THUNDER. Der Mann, der für seine Verrückten, Psychopathen, Wahnsinnige, für seine eiskalten, empathiefreien Killer, die falschen Frauen, hässlichen Kinder und vollkommen dysfunktionale Familiensysteme berühmt werden sollte, der früh schon Rassismus, Korruption und ein Gesellschaftssystem, das nur ein ultrakapitalistisches „Ganz oder gar nicht“ kennt, anprangerte und sich nicht scheute, sich mit seinen kommunistischen Überzeugungen in einem Amerika, das geradezu unter Kommunisten-Paranoia litt, unbeliebt zu machen, dieser Mann legte mit diesem Werk, das 4 Jahre nach seinem Erstling, dem autobiographischen Roman NOW AND ON EARTH (1942) erschien, einen Gesellschaftsroman aus dem Mittleren Westen vor, in dem alle Themen, die den vollendeten Romancier von THE KILLER INSIDE ME (1952), THE GETAWAY (1959) oder POP. 1280 (1964) beschäftigen und ausmachen sollten, bereits angelegt, manche sogar schon ausgearbeitet sind.
Beginnend ca. 1905, werden die Ereignisse und Begebenheiten rund um die Familie Fargo aus Verdon, Nebraska, über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren erzählt. Die Fargos sind ein Clan, der – vom Patriarchen Lincoln „Link“ Fargo angeführt – eine große Farm betreibt, hauptsächlich Weizen anbaut und sich ansonsten müht, mit den Errungenschaften der Moderne mitzuhalten. Sei es, daß modernere Maschinen, wie bspw. Mähdrescher, klassisches Farmerhandwerk ersetzen, allerdings auch bezahlt sein wollen, sei es das Automobil, das sich durchzusetzen beginnt und das neue Infrastrukturen benötigt, befestigte Straßen etwa, wodurch wiederum Aufträge und Investitionen ins County fließen usw. Während Links Ältester, Sherman, das väterliche Erbe als Farmer aufnimmt und versucht, den Gründerbemühungen des Vaters ebenso gerecht zu werden, wie seiner Familie, versteht sich Links zweiter Sohn Grant als ein Dandy, der sich von der Familie aushalten lässt und ansonsten mit den Mädchen des Dorfes poussiert. Sein Schicksal wird eines der härteren sein, von denen in diesem Buch berichtet wird. Links Töchter, Edie und Myrtle, und ihre Gatten, bzw. in Edies Fall der abhanden gekommene Gatte, leben die Leben von zwar selbstbewussten, doch noch längst nicht emanzipierten Frauen, die „gute Verbindungen“ eingehen müssen. Edie kommt zu Beginn des Buches zurück nach Verdon, weil ihr Mann sie verlassen hat und sie mit ihrem Jungen, dem kleinen Bob, nicht allein zurecht kommt. Myrtle, deren Mann Alfred, ein Brite, in der Bank arbeitet und diese nach und nach übernimmt, bleibt die blasseste der vier Geschwister, weitaus blasser als ihr Gatte. Es gibt noch einen Cousin, Jeff, dem es gelingt, aus der Rolle des Dorftrottels heraus eine politische Karriere zu machen, die ihn nicht nur in das Amt des Bezirksstaatsanwalts trägt, sondern gar bis in den Senat.
Weniger anhand einer stringenten und in sich geschlossenen Geschichte wird dieses Panorama ausgebreitet, als vielmehr entlang der Entwicklungen der Figuren. Episodenhaft werden die kleineren und größeren Begebenheiten aus den Leben dieser Menschen erzählt, während die Jahreszeiten den Rhythmus dieser Leben vorgeben und die Zeit noch vergleichsweise langsam vergeht. Thompson siedelt seine Geschichte, sein Panorama, bewusst um die Jahrhundertwende an, also zu einer Zeit, da Amerika noch nicht die Weltmacht, ja, im Grunde noch nicht einmal ein wirklich geschlossenes Staatsgebiet war. Zwar ist die Welt der Fargos weniger von Gewalt geprägt, als die anderer Thompson-Helden (besser: Antihelden), doch macht der Autor kein Hehl daraus, daß dieses Leben hart, sehr hart ist und dabei wenig Rücksicht genommen wird auf die Bedürfnisse von wem auch immer: Ob Ehefrau, Kind oder Tier, es wird gepeitscht, gezüchtigt, angetrieben und geflucht, was das Zeug hält. Zwar ist dieses County ein befriedetes, doch ist man in Verdon, Nebraska, verdammt weit weg von allem, ganz sicher von der „großen“ Politik Washingtons.
Thompson beweist aber schon in diesem frühen Werk seine Wachsamkeit, was soziale Schieflagen und vor allem das Bestreben eines anonymen Kapitalismus betrifft, der sich die Unwissenheit und Unbedarftheit einfacher Farmer zu Nutze macht, um bspw. Maschinen zu verkaufen, die in dem Moment vollkommen nutzlos sind, in dem man sich bemüht, Landwirtschaft so zu betreiben, daß die Böden erhalten bleiben und nicht erodieren. In einem fantastischen Dialog zwischen einem deutschen Farmer, der – auch dafür hatte Thompson Sinn – zwar auf seine Deutschstämmigkeit pocht, sich aber, stolz, als Amerikaner bezeichnet, und einem Vertreter für Landwirtschaftsmaschinen, werden wir Zeugen davon, wie einfache Lebensweisheit und generationenalte Kenntnisse Wissenschaft und – wichtiger – alle Marketing- und Verkaufskonzepte unterwandern kann. Das Spannungsfeld zwischen einem aufkommenden Finanzsystem, das sich aus Darlehen, Schuldscheinen, Krediten und Zins- sowie Zinseszins speist, und einer Bevölkerung, deren Rechensysteme sich an Wetter, Stürmen und Ernteerwartungen ausrichten, wird von Thompson hier wahrscheinlich so realistisch und genau beschrieben, wie sonst selten in seinen Werken. Sicher, was harte Arbeit bedeutet, wissen die meisten seiner Helden, außer jenen faulen Sheriffs, die lieber den lieben langen Tag gar nichts tun, doch die Arbeitsbedingungen bspw. auf den Ölfeldern in SOUTH OF HEAVEN (1967) werden oftmals überspitzt dargestellt, so daß das Amerika, in dem die Helden dieser späteren Werke leben, an sich schon Züge der Hölle trägt. Hier, in HEED THE THUNDER, ist die Bedrohung durch anonymisierte Banksysteme und neumodische Technologie deshalb so bedrückend, weil sie eben extrem realistisch gezeichnet wird. Thompson beweist in den wiederholten Hinweisen auf die „Deutschen“, die „Hunskys“ und andere, wie sehr er sich der Tatsache bewusst ist, daß Amerika eine Art Schmelztiegel sein sollte, wo der eine vom andern lernt, daß dem aber bei Weitem nicht so ist. Werden die Deutschen ob ihrer Tüchtigkeit und Ausdauer bewundert, wenn auch nicht geliebt, so werden bspw. die „Hunskys“ – Böhmischstämmige – abgelehnt und verachtet. Auch die religiösen Zugehörigkeiten spielen immer wieder eine Rolle. Ob wer katholischen Glaubens ist oder protestantisch, kann in einer Gemeinde fern ab von allem von großer Bedeutung sein.
Jim Thompson war ein Chronist der Schattenseiten amerikanischen Lebens, je länger er schriftstellerisch tätig war, desto düsterer wurde seine Welt, desto menschenfeindlicher die Schilderungen seines Personals. Hier ist sein Blick schon hart, doch ist die Analyse noch nicht von seiner Verachtung allen menschlichen Strebens geprägt. Eher malt er ein realistisches Gemälde ländlichen Lebens am Vorabend der Modernisierung durch Technisierung, zeigt auf, wie es kam, wie es dann wurde, er zeichnet die Wege des Kapitals ebenso nach, wie er die Anfälligkeit des Menschen für all jene kleinen Verführungen, wie er die Korrumpierbarkeit noch des Besten unter uns gnadenlos aufdeckt. Dabei reflektiert er durchaus auch das amerikanische demokratische System, das massiv durch Lobbyismus geprägt ist, aber auch davon, sich im richtigen Moment kaufen zu lassen, die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen und dann das richtige Druckmittel zu besitzen, um dem eigenen Anspruch Nachdruck zu verleihen. So, wie es HEED THE THUNDER ausstellt, verurteilt er diese Entwicklungen nicht einmal sonderlich.
Es sind – wie im shakespeareschen Drama – schließlich die menschlichen Wirrungen und (Ver)Irrungen, die die Katastrophen auslösen. In der grausamsten Szene des Buches, die in ihrer Brutalität dann durchaus den Stil antizipiert, den Thompson schließlich kultivieren und zu Meisterschaft bringen sollte, schlägt Alfred, Myrtles Mann, der seinerseits nach und nach dem syphilitischen Wahn verfällt und unter Alkoholeinfluß zu Aggression und Gewalttätigkeit neigt – sicher eine frühe Reflektion des Autors auf seinen eigenen übermäßigen Alkoholgenuß – , einen Jungen derart zusammen, daß der nicht nur entstellt bleibt, sondern auch seine kognitiven Fähigkeiten einbüßt. Es ist einerseits die Darstellung selbst, die erschüttert, mehr noch aber ist es Alfreds und auch Edies – zu ihrer Hilfe war Alfred geeilt, da der Junge Edie, die Lehrerin war, verulkte und sich über sie lustig machte – Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal eines Kindes, das den Leser empört. Thompson kehrt diesem Geschehen danach den Rücken, erinnert uns aber gelegentlich an das Opfer Mike Czerny, denn er wird es sein, der eines der Schicksale der Familie Fargo einst erfüllen wird. Die Abgründe der menschlichen Seele interessierten Thompson also von allem Anfang an ebenso, wie die politischen und sozialen Implikationen der Welt, die er beschreibt.
HEED THE THUNDER ist sicherlich nicht das beste Werk des Autors, es ist nicht einmal das, was man einen „echten Thompson“ nennen könnte. So ist es sicherlich für all jene interessant, die etwas über die Entwicklung dieses vornehmlichen Noir-Autors erfahren wollen. Aber auch Leser, die sich für Amerika interessieren, die Sittengemälde mögen und das große Bild menschlicher Verfehlungen, werden hier ganz sicher fündig. Denn auch, wenn hier noch nicht der Autor der späteren Werke spricht, rasant, gut lesbar, spannend und unterhaltsam ist auch dieses frühe Buch schon.