IM AUGUST IN OSAGE COUNTY/AUGUST OSAGE COUNTY

Meryl Streep bietet in diesem Familiendrama eine faszinierende Darbietung als wahrhaftes Mutter-Monster

Beverly Weston (Sam Shepard), ein Lehrer und Intellektueller, der vor langer Zeit mit einem Gedichtband Aufmerksamkeit erregt hat, lebt mit seiner Frau Violet (Meryl Streep) in Osage County, Oklahoma. Sie bewohnen ein alleinstehendes Haus, in dem sie einst ihre drei Töchter aufgezogen haben. Während Barbara (Julia Roberts) mit ihrem Mann Bill (Ewan McGregor) in Colorado lebt, wo er eine Dozentenstelle an der Universität hat, ist Karen (Juliette Lewis) längst gen Florida entschwunden. Lediglich die schüchterne Ivy (Julianne Nicholson) lebt noch in der Nähe und kümmert sich regelmäßig um ihre Eltern.

Berverly, genannt „Bev“, engagiert eine junge Indianerin, Johnna (Misty Upham), die sich um Violet kümmern soll. Er selber, ein harter Trinker, meint, dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen zu sein. Violet ist ein Biest, verbittert und zynisch, sie leidet an Mundhöhlenkrebs, hat gerade eine Chemo-Therapie hinter sich und eine lange überwunden geglaubte Tablettenabhängigkeit scheint erneut auszubrechen. Sie und Bev haben sich darauf geeinigt, daß sie sich gegenseitig in Ruhe lassen, bei ihren diversen Lastern.

Einige Tage nachdem Johnna ihren Dienst angetreten hat, verschwindet Bev. Violet, außer sich, informiert ihre Schwester Mattie Fae Aiken (Margo Martindale), die sofort mit ihrem Mann Charlie (Chris Cooper) zu Violets Unterstützung kommt. Natürlich kommt auch Ivy hinzu. Sie informiert Barbara in Colorado, da diese unter den Schwestern immer die Stärkste und die Wortführerin war.

Barbara, die in Trennung von ihrem Mann lebt, packt ihre Sachen, bittet Bill und die gemeinsame Tochter Jean (Abigail Breslin), sie zu begleiten, und sie machen sich auf den weiten Weg von Denver nach Osage County.

Dort trifft kurz nach ihnen auch Karen mit ihrem Verlobten Steve (Dermot Mulroney) ein. Schnell ist klar, daß Bev sich umgebracht hat. Barbara wird gebeten, ihn zu identifizieren. Die Beerdigung wird festgesetzt. Nun sind Violet und ihre Töchter nach langer Zeit erstmals miteinander vereint. Zwischen Barbara und Violet herrscht von Beginn an eine unterschwellig gespannte Stimmung. Violet wirft ihrer Ältesten vor, zu kommen, wenn deren Vater verschwindet, als sie ihre Mundkrebsdiagnose erhalten habe, habe die Tochter das hingegen nicht gekümmert. Zudem sei Barbara für Bevs Suizid verantwortlich, sei sie doch seine Lieblingstochter gewesen und nie habe er es verwunden, daß sie gegangen sei.

Am Tag der Beerdigung treffen auch Mattie Fae und Charlie Aiken wieder im Haus ein, zudem wird später am Tag „Little Charlie“ (Benedict Cumberbatch), ihr Sohn erwartet, der es nicht rechtzeitig zum Begräbnis schafft und deshalb ein schlechtes Gewissen hat. Er ist ein schüchterner junger Mann, in den Augen seiner Mutter allerdings ein kompletter Versager.

Nach dem Begräbnis finden sich alle im Haus zu einem Leichenschmaus ein. Violet kommt, offensichtlich unter schwerem Tabletteneinfluß, als letzte zu Tisch und sehr schnell eskaliert die Situation. Zwischen ihr und Barbara kommt es immer wieder zu Schlagabtäuschen, Violet greift aber auch Bill an, der, wie der tote Bev, ein recht begabter Lyriker ist. Und schließlich macht sich Violet über Bev selbst lustig, der schon seit Jahrzehnten nichts Vernünftiges mehr gedichtet habe. Karen, die naiv und etwas unbekümmert wirkt, wird von ihrer Mutter beleidigt und ihr Verlobter kurzerhand zum Schwachkopf und Heiratsschwindler erklärt. Dann fällt Violet über ihre Töchter her, die ein Luxusleben führten, verglichen mit ihr, die eine extrem harte Kindheit gehabt habe, so wie ihre Schwester, die eh der einzige Mensch sei, der etwas tauge, habe sie sich doch zwischen Violet und deren gewalttätigen Vater geworfen, als es drauf angekommen sei.

Als Violet sich erneut eine Dosis ihrer Medikamente einverleiben will, fordert Barbara sie ultimativ auf, ihr diese auszuhändigen. Es kommt zwischen den beiden zu Handgreiflichkeiten. In diesem Streit geht unter, daß „Little Charlie“ eine Ansage machen wollte.

Er und Ivy haben sich ineinander verliebt und wollen gemeinsam Osage County Richtung New York verlassen. Bei einer abendlichen Runde der drei Schwestern erklärt sich Ivy den andern, die natürlich auf das verwandtschaftliche Verhältnis hinweisen. Ivy klärt sie auf, daß sie keine Kinder haben wolle und auch keine mehr kriegen könne, sie habe Vorsorge getroffen. Während des Gesprächs ist aber auch zu spüren, daß Barbara und Karen sich beide darauf verlassen hatten, in Ivy jemanden zu haben, der so oder so bei der Mutter bliebe.

Als die drei in den Garten treten, merken sie, daß Violet ihnen die ganze Zeit gelauscht hat. So sitzen die drei Töchter mit ihrer Mutter zusammen und sie erzählt eine traurige Geschichte darüber, wie ihre eigene Mutter ihr zu Weihnachten ein bestimmtes Geschenk nicht gemacht und sich dann über ihre Traurigkeit belustig habe. Vielleicht habe sie ja diese Boshaftigkeit von ihr, sinniert Violet. Keine der Töchter widerspricht. Nur Karen erklärt ihr, sie alle liebten sie.

Derweil macht sich Steve an Barbaras Tochter Jean heran, ködert sie mit etwas Haschisch, das er bei sich hat und will sie schließlich küssen. Das sieht Johnna, die vehement dazwischen geht. Erneut kommt es zu einem Eklat. Karen, die nicht glauben will, daß ihr Steve etwas Böses getan haben könnte, verlässt am nächsten Morgen früh das Haus, sie und Steve fahren zurück nach Florida. Bill erklärt Babrara, daß auch er am kommenden Morgen mit Jean den Heimweg antreten werde. Bei dem sich entspinnenden Gespräch fragt Barbara ihn, ob er je zu ihr zurückkehren werde, Bill erklärt, man solle zwar niemals nie sagen, aber es sei eher unwahrscheinlich. Und er weist Barbara auf die Ähnlichkeiten zwischen ihr rund ihrer Mutter hin – eine mögliche Erklärung, weshalb er sich anderweitig orientiert hat.

Als „Little Charlie“ Ivy am nächsten Tag ein Stück vorspielt, das er für sie komponiert hat, wird er erneut von seiner Mutter angegangen. Doch diesmal geht sein Vater dazwischen und weist Mattie Fae in die Schranken. Charlie verlässt das Haus. Mattie Fae steht allein auf der Veranda, als Barbara zu ihr tritt, entspinnt sich ein Gespräch über die Verbindung zwischen Charlie und Ivy. Dabei gesteht Mattie Fae, daß Charles nicht Charlies Vater sei – es sei Bev gewesen, was die Verbindung zwischen Ivy und ihrem bisherigen Cousin noch unglücklicher macht.

In Folge spitzt sich die Lage zwischen allen Beteiligten wieder zu. Ivy, Barbara und Violet sind schließlich allein am Esstisch und Barbara fängt an, Ivy regelrecht zu beschimpfen und lächerlich zu machen, in der Hoffnung, ihre Mutter daran zu hindern, Wahrheiten auszusprechen, die Ivy nicht hören soll. Doch Violet, die bisher als einzige – entgegen ihrer Annahme, man könne ausgerechnet ihr nichts verheimlichen – nicht begriffen hat, was sich zwischen Charlie und Ivy abspielt, erklärt, sie habe immer gewusst, daß Charlie Bevs Sohn ist. Nun gerät Ivy außer sich und erklärt, daß sie gehen und sie niemand je wiedersehen werde. Barbara rennt ihr nach, um sie aufzuhalten, doch Ivy fährt davon.

Ein letztes Mal kommt es zwischen Barbara und ihrer Mutter zu einer heftigen Auseinandersetzung. Schließlich setzt Barbara sich in einen Pick-Up und fährt davon, ohne irgendetwas mitzunehmen. Violet tanzt zu Claptons Lay Down Sally, ein Stück, das sie und Bev früher oft gehört haben, bricht dann zusammen und klammert sich an Johnna, die sie schweigend in die Arme nimmt.

Will man sich bei der lokalen Bevölkerung nicht unbeliebt machen, hilft es, sich mit den feineren Unterscheidungen der amerikanischen Regionen auszukennen. Was genau ist der „mittlere Westen“? Und wo liegen die „Great Plains“? Auch Bill Fordham ergeht es so, als er seiner Frau Barbara gegenüber vom Mid-West spricht, während sie durch die Plains gen Osage County, Oklahoma fahren, um ihrer Mutter nach dem Selbstmord des Vaters beizustehen. Allerdings ist das Geplänkel nur ein Symptom des schwelenden Ehestreits, der zwischen den beiden herrscht, seit Bill mit einer wesentlich jüngeren Frau angebändelt und das gemeinsame Haus der Familie verlassen hat. Das Geplänkel ist allerdings auch nur ein Vorgeschmack dessen, was der Zuschauer in den folgenden zwei Stunden, die AUGUST OSAGE COUNTY (2013) ab diesem in etwa Punkt noch dauert, an menschlicher Niedertracht, familiären Abgründen und Beziehungsstress erleben wird.

John Wells hat ein Theaterstück von Tracy Letts verfilmt, die auch das Drehbuch zum Film geschrieben hat, Adriano Goldman hat die unfassbar schönen Bilder dieser unendlich weiten, in der Sommerhitze brütenden und flirrenden Landschaft, die ununterbrochen mit der destruktiven Wucht der Familie Weston kontrastieren, mit seiner Kamera eingefangen. Herausgekommen ist ein manchmal zu dick aufgetragenes Familiendrama, das aber allein aufgrund der schauspielerischen Leistung aller Beteiligten und der emotionalen Intensität, mit der es den Zuschauer zwei Stunden zu bannen versteht, überzeugen kann. Vor allem aber aufgrund der schauspielerischen Leistungen. Wie sich Meryl Streep – als eines der beeindruckendsten Mutter-Monster, das man lange auf der Leinwand bewundern durfte – hier einen Schlagabtausch nach dem anderen mit Julia Roberts in der Rolle ihrer ältesten Tochter Barbara, genannt „Barb“, liefert, eben jener Dame, die ihrem Gatten während der Fahrt von Colorado nach Oklahoma die Unterschiede zwischen den Plains und dem Mid-West erörtert hatte, solch darstellerische Kraft hat es derart in sich, daß das Zuschauen momentweise schwer fällt. Unterstützt von Größen ihres Fachs wie Chris Cooper, Sam Shepard (wenn auch nur in einer kleineren Rolle) oder Benedict Cumberbatch, können Streep und Roberts ein Mutter-Tochter-Duell entfalten, das wohl niemanden unberührt lässt, der diesem beiwohnt.

So flach diese Landschaft im Herzen Amerikas ist, so weit der Himmel und so heiß die hier geschilderten Tage im August, so tief sind die Verstrickungen und ist die Zerrüttung in der Familie Weston, deren Konflikte im Zentrum des Films stehen. Nach dem Ableben von Vater „Bev“ bleiben dessen Ehefrau Violet und die drei Töchter Barbara, Ivy und Karen zurück. Das Verhältnis zwischen Violet und ihren Töchtern ist offenbar seit deren Kindheitstagen schon belastet, aber auch die Beziehungen der Schwestern untereinander sind nicht konfliktfrei. Barbara ist die Starke, die die Dinge in die Hand nimmt, die aber ihrer herrschsüchtigen und vor Verletzungen anderer nie zurückscheuenden Mutter auch am ehesten gleicht. Es gab in der Vergangenheit eine Tablettensucht bei Violet und wir begreifen, daß es wohl vor allem Barbara war, die darunter – u.a. in Form nächtlicher Anrufe und wüster Beschimpfungen – zu leiden hatte. Ivy ist eine schüchterne junge Frau, die ihr bisheriges Leben vor Ort verbracht und damit auch die Sorge um die Eltern in deren Alltag übernommen hat. Doch sie will ausbrechen, sie hat einen Mann gefunden, was ihr weder die Mutter, noch die Schwestern je zugetraut hätten. Und diese Tatsache stört auch Barbaras und Karens Kreise, denn beide scheinen sich stillschweigend darauf verlassen zu haben, daß sich mit Ivy vor Ort schon jemand um die Mutter kümmern wird, nachdem der Vater den Freitod als Ausweg aus einem scheinbar verzweifelten Leben gesucht hat. Karen wiederum ist ein Luder, die  einen windigen Geschäftsmann in ihrem Schlepptau hat, den Violet mit einigen kurzen Sätzen nicht nur komplett bloßstellt, sondern auch ein für alle Mal abfertigt. Karen wird von Juliette Lewis gespielt, die damit einmal mehr die Paraderolle des zumindest naiv wirkenden Flittchens übernimmt, die sie seit KALIFORNIA (1993) oder NATURAL BORN KILLERS (1994) im Standardrepertoire hat.

Eine der neben den gelegentlichen Übertreibungen wenigen Schwächen in Letts Drehbuch ist die Tatsache, daß ihr für einige dieser Figuren wenig Originelles einfällt und diese damit zu Klischees erstarren lässt. Das gilt vor allem Karen und Steve, der, so scheint es, lediglich die dramaturgische Funktion erfüllt, im entscheidenden Moment einen wirklich bösen Fehler zu begehen, womit die Handlung voran- und zu einem Endpunkt kommen kann. Klischees sind die generelle Gefahr dieses Films. Klischees und eben die Überfrachtung mit dramatischem Potential. Die Konflikte, die sich hier auftun, sind im Kern alle schon bekannt und weidlich ausgenutzt worden, um dem Publikum dysfunktionale Familien vorzuführen oder gleich das ganze System Familie zu desavouieren. Ob in Richard Brooks Tennessee-Williams-Verfilmung CAT ON A HOT TIN ROOF (1958), Jodie Fosters HOME FOR THE HOLIDAYS (1995) oder in Todd Solondz HAPPINESS (1998) – um nur drei Klassiker des Metiers zu nennen – , es gab im amerikanischen Kino immer die Tendenz, die Familie entweder zu feiern, wiederherzustellen und gegen Angriffe von außen zu verteidigen, was meist der Genrefilm übernahm, oder aber sie komplett zu dekonstruieren und in ihrer ganzen zerstörerischen Pracht auszustellen, wie es die eben genannten Filme alle getan haben. Auch AUGUST OSAGE COUNTY gehört zweifelsohne in die letztere Kategorie. Letts greift auf mannigfach schon bekannte Muster zurück – gelegentlich fühlt man sich in der Konstellation der drei Schwestern an A THOUSAND ACRES (1997) erinnert, allerdings erspart Letts uns dankbarerweise das Thema Kindesmißbrauch – , unter anderem auch auf das des die Familie beherrschenden Patriarchen, den sie geschickt durch eine nicht minder brutale und fordernde Matriarchin ersetzt.

Doch gelingt es Letts dann eben mit genau solch einer Figur auch, jedwedes Klischee zu durch-, es aufzubrechen und zu seiner tieferen Wahrheit, dem versteckten Kern, vorzudringen. Diese Violet ist eine wahrlich starke Frau, die gemeinsam mit ihrer Schwester Mattie Fae offenbar in bitterer Armut und unter der Knute eines ausgesprochen gewalttätigen Vaters aufgewachsen ist. Ihre Stärke ist aber auch das Problem dieser Frau(en), denn diese gebiert auch ihren Zynismus und ist Quell ihrer dauernden Angriffe auf andere. Violet und Mattie Fae Aiken scheinen durchaus Verbündete zu sein, gemeinsam wirken sie wie eine Einheit, unzertrennlich, zwei Frauen, die gemeinsam so einiges erlebt haben. Doch auch zwischen diesen beiden treten in den beschriebenen Tagen tiefsitzende Verwerfungen zutage, spätestens, wenn die wahre Vaterschaft von Mattie Faes Sohnemann Charles, genannt „Little Charlie“, thematisiert wird und sich dann auch noch herausstellt, daß diese nicht gar so geheim war, wie von Mattie Fae angenommen. Wells skizziert die Konflikte in Mattie Fae Aikens Familie, anders als jene bei den Westons, eher oberflächlich, fast nebenher, da sie nicht im Fokus der Handlung stehen, für die Entwicklungen jedoch sind sie ganz wesentlich. Und die entscheidenden Dialoge sind so treffend, so genau, die darstellerische Umsetzung ist so exakt und überzeugend, daß der Zuschauer sehr genau begreift, welche Zerwürfnisse sich auch dort auftun. Belege für ein hervorragendes Drehbuch, das es versteht, seine Punkte zu setzen.

Die Klasse der Regie zeigt sich darin, wie dieses so genaue Drehbuch umgesetzt wird. Der Film ist gespickt mit Szenen, bei denen man als Zuschauer irgendwann denkt: Nein, nein, tut euch das nicht an!; in denen man einzelnen Protagonisten zurufen möchte: Sag es nicht! Halt, um Gottes Willen, den Mund! Nur um dann zu erleben, wie sie es sich doch antun, wie noch die letzten Gemeinheiten und Boshaftigkeiten einander wie Gift ins Gesicht geschrien, eingeträufelt, bittersüß verabreicht werden. Wenn am Ende dieses Films Streeps Violet allein, krebskrank und seelisch nahezu zerstört – wofür sie ganz und gar selbst verantwortlich ist – in ihrem Haus  zurückbleibt, gestreichelt von einer ihr unliebsamen Indianerin, die ihr suizidaler Gatte noch eingestellt hatte, bevor er alles Irdische hinter sich ließ, dann fürchtet man, daß man in diesen gut zwei Stunden Filmzeit, in denen man ein paar Tagen im Leben der Familie Weston, ihrer Anverwandten und den Angeheirateten beiwohnen durfte, das Ende eines Familienverbunds erleben musste. Schwer vorstellbar, wie diese Menschen je wieder miteinander reden, einander unter die Augen treten wollen. Die Wunden, die sie sich schlagen, die gut gehüteten Geheimnisse, die in diesen Tagen ans Licht gezerrt, die teils uralten und sehr tief sitzenden Verletzungen dieser Menschen, die alten Narben, die hier erneut und mit Wonne aufgerissen werden, all das lässt einen normalen familiären Umgang miteinander kaum noch zu.

In einer der zentralen Szenen des Films – der tote Vater wurde soeben zu Grabe getragen, die Familie versammelt sich um den Tisch, um ein Mahl zu sich zu nehmen – holt Violet zu einem Rundumschlag aus, bei dem niemand der Anwesenden verschont bleibt. Es ist vor allem diese Szene, die dramaturgisch zwar etwas unvorbereitet und plötzlich daherkommt, die aber Meryl Streep auf der Höhe ihres Könnens zeigt. Die Lust, mit der sie hier wirklich jeden – außer ihrer Schwester – dessen Schwächen vorhält, einzelne bloßstellt, darunter eben auch Karens Verlobten Steve und sogar ihren toten Ehemann, die Wut, ja der Zorn, der sie anzutreiben scheint, die Tiefe und die Wucht der Attacken, die sie auf ihre Töchter reitet, könnten peinlich und ebenfalls stereotyp wirken, wenn Streep nicht in der Lage wäre, sie absolut glaubwürdig umzusetzen. Viel kulminiert hier, inhaltlich wie formal. So übertrieben die ganze Szene angelegt sein mag, so übertrieben ist auch Violets Zorn, der die stilistische Anlage dann rechtfertigt. Wirklich greifbar wird das, weil Streep es versteht, durch all diesen Zorn und den Zynismus Violets grundlegende Verbitterung und dahinter ihre Angst und ihren Schmerz aufscheinen zu lassen. Die Übertreibung des Ganzen spiegelt und entlarvt den Schutzwall, den Violet sich mit ihrer Art zugelegt hat. Es ist eine solch intensive Szene, daß sie für den Zuschauer zur reinen Tortur wird.

Doch ist es nicht die einzige, Letts und Wells haben einige solche Momente zu bieten, die für den Betrachter wirklich schmerzhaft sind, allerdings auch dorthin gehen, wo die Wahrheiten vieler Familien liegen. Und dann schrecken sie auch nicht davor zurück, diese Wahrheiten bis zur bitteren Neige zu benennen und durchzuspielen. Da es Letts ein ums andere Mal gelingt, eben jene punktgenauen Sätze in ihr Script zu schreiben, die wie mit dem Skalpell filetierend immer noch tiefere Wahrheiten ans Tageslicht befördern, Wahrheiten, die sich wie ein Geschwür unter der Oberfläche, der Fassade dieser Familie schon lange ausgebreitet haben, nimmt man ihr die gelegentlichen Klischees nicht gar so übel. Zumal in jedem Klischee natürlich selbst auch immer ein Kern an Wahrheit steckt – und genau diese Kerne, diese zugrunde liegenden Wahrheiten trifft AUGUST OSAGE COUNTY nahezu perfekt. Hinzu kommt die Weigerung von Buch und Regie, dieser Geschichte eine versöhnliche Wendung, gar ein Happyend zu verpassen. Nach dem, was man da zwei Stunden gesehen und auch ertragen hat, wäre das allerdings auch nicht mehr glaubhaft gewesen.

Vielleicht ist manches hier zu dick aufgetragen, vielleicht sind die inneren Motive der Figuren nicht immer überzeugend, vielleicht hätte man auf die eine oder andere Figur, die eine oder andere Wendung in der Handlung sogar verzichten können, um ein noch realistischeres Szenario zu generieren. Doch es bleibt festzuhalten, daß John Wells auf Grundlage eines sehr guten Stücks und mit Hilfe dieses außergewöhnlichen Ensembles ein wirklich nachhaltiger Beitrag zum Thema Familie und Familienzwistigkeiten im Film gelungen ist, der sehr amerikanische Themen aufgreift und doch universell nachvollziehbar ist. Es ist ein großer Schauspielerfilm und ein wahres Drama, wie es sich hinter Millionen verschlossener Türen und hübscher Fassaden zuträgt, so ganz alltäglich und dennoch immer außergewöhnlich, immer einzigartig, wie uns Tolstoi lehrt. Das gelebte Leben kann verbittern, vor allem, wenn man, wie Violet, der Meinung ist, es an die falschen – in diesem Fall die Kinder – vergeudet zu haben. In ihren Augen sind ihre drei Töchter schlicht undankbar und verwöhnt. Und diese Erkenntnis, meint sie, gäbe ihr das Recht zu jeder Äußerung, jeder Verletzung, zum Aussprechen jeder vermeintlichen Wahrheit, die ihr in den Sinn kommt. Und macht sie so grausam – und einsam.

Die Indianerin Johnna, die als letzte noch da ist – obwohl sie, wie wir, Zuschauerin und Betrachterin all dieser Dramen wurde und dabei so manche Unfreundlichkeit abbekommen hat – und die am Ende Violet in ihren Armen hält, als diese nicht mehr aus noch ein weiß, von allen verlassen (wobei den tieferen Beweggründen des Suizides ihres Mannes noch nicht einmal nachgegangen wird), diese Johnna ist der scheinbar einzig normale und vor allem empathische Mensch in diesem Reigen. Und sie wird zur moralischen Instanz, die handelt, als die Entwicklungen kulminieren und wirklich böse Wendungen drohen. Johnna schweigt die meiste Zeit des Films und vielleicht ist dies die einzig angemessene Reaktion auf all das, was sich da vor ihren – und unseren – Augen entfaltet: Sprachlosigkeit. Den Schmerz kann man diesen Menschen nicht mehr nehmen. Mit dem werden sie leben müssen. So lange es irgend geht.

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