MIDNIGHT RUN

Auch in den 80ern konnte Hollywood durchaus überzeugen

Die Kopfgeldjäger Jack Walsh (Robert De Niro) und Marvin Dorfler (John Ashton) arbeiten beide für den Kredithai Eddie Moscone (Joe Pantoliano), der 450.000 Dollar Kaution für den Buchhalter Jonathan Mardukas (Charles Grodin) hinterlegt hat. Mardukas hatte den Chicagoer Gangsterboss Jimmy Serrano (Dennis Farina) um 15 Millionen Dollar geprellt, die er anschließend (fast) komplett an Wohltätigkeitsorganisationen gespendet hat. Nun soll Walsh den erneut flüchtigen Mardukas ausfindig machen und innerhalb von fünf Tagen nach L.A. bringen, da sonst die Kaution verfällt. Walsh findet zwar schnell raus, daß seine Beute in New York ist, doch genauso schnell findet das FBI heraus, welchen Auftrag Walsh hat und wo er ist. Agent Alonzo Mosely (Yaphet Kotto) ist mindestens ebenso an Mardukas interessiert, wie Eddie und natürlich Serrano, mit dem schlußendlich nicht nur das FBI ein Hühnchen zu rupfen hat, sondern auch Walsh selbst, der einst von dem Mafiaboss aus Chicago vertrieben wurde, als er nicht bereit war, sich schmieren zu lassen. Mosely warnt Jack eindringlich davor, ihm in die Quere zu kommen. Jack revanchiert sich, indem er Moselys Dienstmarke stibitzt, die ihm im Verlauf der Handlung noch gute Dienste leisten wird. Es gelingt Jack, Mardukas zu stellen und die beiden machen sich auf den Weg zum Flughafen, es scheint als behielte Eddie mit seiner anfangs getätigten Aussage recht: Es ist ein „Midnight Run“, ein „leichter Job“. Bis Mardukas im Flugzeug komplett durchdreht, da er extreme Flugangst hat und Jäger und Beute vom Kapitän des Fliegers verwiesen werden. Also machen sie sich mit dem Zug, schließlich dem Bus und endgültig dem Auto auf den Weg, quer durchs Land. Immer verfolgt von Serranos Leuten und Eddies Bluthund Marvin. Und Mardukas entpuppt sich nicht nur als dauerredender Pedant, sondern auch als besserwisserischer Gutmensch, insistierender Hobbypsychologe, ungefragter Anlage- sowie Ernährungsberater. Jack Walsh stehen beredte fünf Tage bevor…

Die 80er Jahre zu bashen als das Jahrzehnt, in dem Hollywood zum Plastikproduzenten wurde, scheint immer so leicht und einfach. Da gab es eben die ganzen Actionstreifen ohne Sinn und Verstand, von Rocky bis Rambo, da gab es Arnold Schwarzenegger, der Meriten als stammelnder Barbar sammelte, es gab Vehikel wie TOP GUN (1986), die so offensichtlich als Propaganda- und Werbefilme des Pentagon fungierten, es gab jede Menge schlechter Teeniefilme und schlechter Musikfilme und schlechter Horrorfilme und…und…und…

…und es gab eine ganze Reihe wenig – oder, besser: weniger – beachteter Filme aus dem mittleren Segment, die durchaus zu überzeugen, die Esprit, Witz, Action und Spannung entweder einzeln, oft aber auch als Mix zu bieten wussten und somit intelligente Unterhaltung boten. Der vorliegende MIDNIGHT RUN (1988) entstammt exakt dieser Schublade. Nominell eine Action- oder Thrillerkomödie, weiß Martin Brests Film sehr genau, wann das komödiantische, wann das actionhaltige Element zu dominieren hat. Und wenn es drauf ankommt, gelingen dem Film mit einem Mal auch die stillen Töne. Brest, der zuvor einen der ikonographischen Filme der 1980er Jahre abgeliefert hatte – die Actionkomödie BEVERLY HILLS COP (1984) – danach aber erstaunlich lange, vier Jahre immerhin, keinen Regieauftrag mehr bekam, legte mit MIDNIGHT RUN wahrscheinlich seinen besten Film vor.

Es ist ein zunächst ein klassisches Roadmovie, das Brest vor dem Zuschauer ablaufen lässt. Wie viele der besseren U.S.-Filme der 80er Jahre, ist dies vor allem aber eine endlose Schau des Americana. Wir werden in Züge und Autos verfrachtet, mindestens sechs Diners und Coffee Shops werden besucht, Las Vegas spielt eine wichtige Rolle und der Film liebt es, die Stadt bei Nacht zu zeigen in ihrem Lichtermeer. Wir besuchen die amerikanischen Suburbs, wir besuchen die amerikanischen Innenstädte, wir durchqueren Arizona wie die Hobos der 30er Jahre auf Güterzügen und dabei wird uns auch ein Gutteil jener Landschaft gezeigt, die seit den 30er Jahren und den Western John Fords zur amerikanischen Ikonographie schlechthin gehören. MIDNIGHT RUN ist auch ein Film für Filmliebhaber, so zahlreich sind die Anspielungen, so voller Liebe zu den Schauplätzen amerikanischer Klassiker ist dieser Film. Erinnerungen werden wach an spezifische Western, Komödien oder Thriller: THE SEARCHERS (1956), THE DEFIANT ONES (1958), NORTH BY NORTHWEST (1959) oder EASY RIDER (1969). Neben diesen Genres hat man es allerdings auch mit einer Reminiszenz an den Gangsterfilm und einem astreinen Buddy-Movie zu tun; und selbst ein Familiendrama weiß das Drehbuch an gegebener Stelle einzubauen. Und zwischen all diesen Handlungselementen, die sich in einem Roadmovie eben auch einfach aneinanderreihen lassen, platziert MIDNIGHT RUN immer wieder schwelgerische Bilder von Sonnenuntergängen im Mittelwesten, Neonlicht, das vor einem tiefblauen Himmel entflammt, das Lichtermeer eines Strip bei Nacht, die Tankstellen und Hamburger Joints, die Jugendcliquen, die um damals noch fette Straßenkreuzer herumstanden. Auch ein Hauch AMERICAN GRAFFITI (1973) schwingt hier immer mal wieder mit. Regie und Kamera lassen sich Zeit für diese Blicke, die Gegensätze und Kontraste, die dieses immens große Land immer wieder zu bieten hat.

Doch was den Film trägt, sind die Darsteller. Das gesamte Ensemble ist gut aufgelegt, doch vor allem De Niro und Grodin wissen die Vorlagen, die George Gallos Drehbuch ihnen liefert, zu nutzen. De Niros dauermotzender, sich anfangs nahezu ausschließlich in Fäkalsprache äußernder Jack Walsh, ein Ekelpaket der Sonderklasse, wird von Grodins sich ebenso elegant wie gebildet wie amüsiert gebendem Mardukas konterkariert und so entpuppen sich die Gangster und Kriminellen in diesem Film schnell als gebildeter, klüger und welterfahrener denn die Kopfgeldjäger, die Cops oder das bis auf den extrem genervten Agenten Mosely eher blasse FBI. Das Script setzt wohl auf Action – es taucht immerzu jemand auf, der Jack Walsh das Leben schwer macht und immerzu taucht eine andere Partei auf, die ihn aus der aktuellen Bredouille holt, was meist mit kaputten Autos, zerdepperten Mülltonnen und Kopfschmerzen für die Beteiligten einhergeht – aber ebenso auf Wortwitz. Die Wortgefechte zwischen De Niro und Kotto oder De Niro und Grodin sind teils zum Schreien komisch. Wobei Grodin mit seinen Fragen – „Warum hat deine Frau dich verlassen, Jack?“, „Wieso konnte dich in Chicago niemand leiden, Jack?“ – oft ins Schwarze trifft und dem Film bereits in diesen erst einmal komisch wirkenden Szenen eine ernsthafte Basis verschafft. Und wenn es dann plötzlich wirklich ernst wird, wenn Jack Walsh, als alle Stricke reißen, blank und ohne Gefährt vor der Tür seiner Exfrau steht, versteht es das Buch, verstehen es mehr noch die Darsteller, diese Szene ganz plötzlich aus dem Kontext einer Komödie zu lösen und den Schmerz dieses Mannes, seiner ehemaligen Partnerin und der gemeinsamen Tochter, die ihren Vater neun lange Jahre nicht gesehen hat, spürbar zu machen. Es sind dies jene Momente, die den Film zu etwas Besserem machen als den 80er-Jahre-Durchschnitt, der sich meist eben doch im hanebüchenem Wortwitz eines Eddie Murphy oder ewig coolen Sprüchen anderer Stars der Dekade erschöpfte und die Momente „echten Lebens“ eher scheute. MIDNIGHT RUN tut dies eben nicht, er zeigt im Grunde einen hart arbeitenden Mann – Jack Walsh – der eine wirklich schlechte Woche hat. Und der Film nimmt das ernst, bei aller Komik, die es eben auch mit sich bringt.

De Niro zeigt in MIDNIGHT RUN ein Talent, das er zuvor zwar verschiedentlich andeuten, jedoch nie offen ausspielen konnte: Das des Komödianten. Mittlerweile hat er sich darauf verlegt, fast nur noch Komödien zu drehen, in denen er oft – wie in ANALYZE THIS (1999) oder MEET THE PARENTS (2000) – frühere Rollen oder aber sein Image als harter Hund parodiert. In MIDNIGHT RUN deutet sich dies alles an und man sieht teils Gesichter, Gesten und mimischen Ausdruck, die heute zu seinem Standardrepertoire gehören und bei denen man oftmals denkt, daß er wenig bis keine Lust hat, so sehr sind sie zu Manierismen verkommen. Doch das war 1988 noch anders und so hält er hier noch die Waage zwischen einer ernsthaften Darstellung und momentweiser Parodie des Dargestellten.

Es gibt Vorläufer für diese Mischung – Michael Ciminos Debut THUNDERBOLT & LIGHTFOOT (1974) bietet ebenfalls einen Mix aus komischen Situationen, Action, einer momentweise überraschenden Härte und einer gewissen Tragik. Obwohl THUNDERBOLT… vielleicht näher dran ist am Leben seiner Zeit, den frühen 70ern, kann man aber doch eine Linie zwischen beiden Filmen ziehen und auch ablesen, was sich geändert hatte in den mehr als zehn Jahren, die zwischen den beiden Produktionen liegen. Die frühere Dekade, die mit dem ‚New Hollywood‘ ein interessantes, neues, formal wie inhaltlich anderes, manchmal kritisches, manchmal auch durchaus konservatives Kino hervorgebracht hatte, stellte, ganz im Sinne der ‚Counterculture‘, Hasardeure, Spieler, Outlaws oder echte Verlierer in den Mittelpunkt. Die 80er griffen lieber auf den „hard working man“ zurück, den Cop, den Macher, den ehrlichen Malocher, der eigentlich sein Leben ganz in Einigkeit mit den Normen der Gesellschaft leben will. MIDNIGHT RUN ist auch deshalb interessant, weil er durchaus noch den Geist des ‚New Hollywood‘ atmet – z.B. ist er offensichtlich ‚on the road‘, also ‚on location‘ gedreht – und dennoch ein Produkt seiner Zeit ist, was den Look, die Kameraarbeit, das Set Design angeht. Doch die Konflikte, die Walsh austrägt, erinnern durchaus an die der gebrochenen Anti-Helden der 70er Jahre. Die waren allerdings ernsthaft gefährdet, Walsh hingegen ist vor allem genervt. Die Gefahr – da ist der Film wieder ganz Kind seiner Zeit – kommt von außen, nicht aus dem Innern. Es sind die Mafia und ein Konkurrent, die Walsh bedrohen. Den inneren Schmerz, das verdeutlicht Mardukas und vertritt damit eine äußerst positivistische New-Age-Haltung, die in den 80ern mehr und mehr en vogue war, den inneren Schmerz gilt es zu überwinden. Walsh wird den Verlust der Familie verarbeiten müssen, ihm wirklich gefährlich werden, wird der nicht (mehr). Das FBI schließlich wird hier einmal mehr als etwas vertrottelt dargestellt, ein Gegner für Walsh ist es freilich nicht. Eher ein Konkurrent, wie Marvin. Beide bedrohen Walshs Grundlage, denn wenn er Mardukas nicht abliefert, so oder so, bekommt er kein Geld. Wobei Marvin dabei noch einen Tick härter zur Sache geht, als das FBI. Walsh selber benimmt sich und fühlt offenbar auch wie ein Cop. Der Verlust seines Jobs scheint ihn letztlich mehr zu bedrücken, denn der Verlust der Familie. Teil seiner Tragik ist es ja gerade, daß er den Polizeidienst quittieren musste, eben weil er ehrlich bleiben wollte, weil er kein Schmiergeld annahm. Vieles hier ist falsch, verkehrt, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein fernes Echo von SERPICO (1973), das wir da vernehmen.

Das Problem eines Films wie MIDNIGHT RUN ist, daß er heute wie ein Prototyp wirkt, dessen Rezeptur seitdem tausendfach probiert, variiert, neu angerichtet wurde, manchmal mit erstaunlich guten Ergebnissen, oft aber auch einfach platt und peinlich. Dennoch schaut man den Film natürlich in der Gegenwart und sieht all die Klischees mit, die danach kamen, die man aber leiderleider ebenfalls alle schon gesehen hat. So wird der Film sicherlich vor allem jene überzeugen können, die sich noch den staunenden Blick auf das bewahrt haben, was Kino in seinen besseren Momenten eben zu leisten vermag, das Gespür bewahrt haben für den Zauber, den es verbreiten kann, für die Magie eines Blickes, eines Moments, eines einzigen Bildes. Auch, wenn das heutzutage unter den Hochleistungsbedingungen der totalen Digitalisierung sicher alles viel besser und überzeugender zu machen ist: MIDNIGHT RUN ist auch deshalb ein schöner und packender Film, weil er aus einer anderen Zeit erzählt. Es ist ein ehrlicher Film, dem – vielleicht auch nur von heute aus gesehen – auch ein wenig die Trauer darüber eingeschrieben scheint, daß die Dinge meist so laufen, wie sie laufen und wir uns immer nur anpassen können, selten etwas ausrichten und auch deshalb Märchen, Geschichten, manchmal Mythen brauchen. Ein wenig Ablenkung. Und Ablenkung bietet MIDNIGHT RUN nun allemal.

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