DIE FRAU MIT DER 45ER MAGNUM/MS.45

Abel Ferraras Rache- und Erlösungsphantasie ist eine delirierende Vision aus der (post)modernen Hölle

Die stumme Thana (Zoë Tamerlis Lund) wird auf dem Heimweg von ihrer Arbeitsstelle, wo sie als Büglerin angestellt ist, vergewaltigt. Als sie nach hause kommt, wartet auch dort ein Mann in ihrer Wohnung, der sie eigentlich ausrauben will, dann jedoch die Gelegenheit ergreift und sie ebenfalls vergewaltigt. Mit einem Bügeleisen tötet sie den Mann, zerstückelt die Leiche und lagert die Einzelteile in Plastik verpackt in ihrem Kühlschrank. Jedes Mal, wenn sie das Haus verläßt, nimmt sie ein Stück ihres Peinigers mit und entsorgt ihn so in öffentlichen Abfallkörben, Schließfächern und offenstehenden Kofferräumen von fremden Wagen. Bald spricht die Presse in New York City, wo sich all dies zuträgt, von schrecklichen Morden. Thana hat sich die Waffe des Einbrechers angeeignet – die titelgebende MS.45 – und führt sie ab jetzt mit sich. Als ein junger Typ, der auf der Straße rumhängt und offensichtlich sehr aggressiv ist, ihr folgt, weil er gesehen hat, daß sie ein Tasche „verliert“, tötet sie auch diesen Mann. Das löst – nachdem sie sich bisher mit Alpträumen hatte rumschlagen müssen – eine Veränderung in ihr aus. Ab nun zieht Thana – in wechselnden Kostümen, meist jedoch als Vamp – durch die New Yorker Nacht und tötet Männer, die sich ihr nähern oder sie bedrohen. Auf ihrer Arbeitstselle fällt ihre Verwandlung auf, weil sie unzuverlässig wird, zugleich wird ihre Nachbarin, eine alte, etwas verrückte Dame, die einen kleinen Hund ihr eigen nennt, zusehends aufdringlicher, nicht zuletzt, weil der Hund die „Leckerlis“, die in Thanas Kühlschrank lagern, längst gerochen hat. Thana führt ihn aus, will ihn töten, doch gelingt ihr das (eben) nicht. Ihr Arbeitgeber gibt eine Halloween-Party, zu der Thana als Nonne verkleidet erscheint und nur darauf wartet, daß einer der Kollegen sich ihr nähert. Als dies geschieht, kommt es zur offenen Katastrophe und Thana tötet nahezu jeden Mann im Raum, bis eine Kollegin sie mit einem Kuchenmesser ersticht.

Abel Ferrara – so etwas wie der Bastardbruder von Martin Scorsese, wie dieser ein Chronist des Molochs New York und dessen dunklerer Seiten – schuf mit MS.45 (1981) einen Kultfilm des ‚Rape and Revenge‘-Subgenres, zudem jedoch auch einen Kultfilm der radikaleren feministischen Zirkel der frühen 80er Jahre. Man könnte diesen Film in eine Reihe stellen mit THELMA AND LOUISE (1991) sowie dem französischen BAISE MOI (der diesem Werk hier einiges verdankt) aus dem Jahr 2000. Man hätte eine interessante Verknüpfung, wobei es zu konstatieren gälte, daß zwei der drei Filme von Männern gedreht wurden, lediglich der französische Film ist das Werk von Frauen – sicherlich einer der Gründe, warum so vehement gegen diesen Film polemisiert wurde. Auch Ferraras Werk wurde sowohl in den USA als auch in Europa, vornehmlich in Deutschland, arg kritisiert und hierzulande schließlich auch indiziert. Besorgt man sich eine Uncut-Fassung des Fims, fragt man sich bis auf einige wenige Szenen, warum er eigentlich auf dem Index gelandet ist, bzw. derart starken Kürzungen unterlag? Kann es sein, daß v.a. Männer mit diesem Film (eines Mannes!) nicht zurecht gekommen sind?

Ferrara nimmt den radikalen Geschlechterdiskurs jener Jahre sehr ernst. Die 70er hatten ja politisch wie gesellschaftlich ohnehin zusehends eine Radikalisierung erlebt und auch und gerade im feministischen Lager gab es u.a. die Haltung, daß eine Kommunikation mit dem männlichen Geschlecht schlichtweg nicht möglich sei. Und genau an diesem Punkt setzt Ferrara an: Seine Heldin ist stumm. Damit findet zwischen ihr und der Männerwelt kein Dialog (mehr) statt, es ist vollkommen einseitige Kommunikation. Wobei das, was sie hauptsächlich von Männern zu hören bekommt, meist Obszönitäten sind. Diese Frau, die sich schließlich in das Gewand einer Nonne kleidet, symbolisch also ihre Jungfräulichkeit zurückgewinnt, die sie – zumindest erfahren wir nichts anderes im Film – durch Gewalt verloren hat, diese Frau eröffnet eine neue, symbolische Kommunikationsebene – die Gewalt. Doch halt, das stimmt nicht – diese Ebene der Kommunikation, dieses Medium, diese Sprache, wird Thana schließlich ununterbrochen von Männern unterbreitet, vorgeführt und angeboten, wenn man so will. Die Welt, die Ferraras Film dar- und ausstellt, hat ihre „Sprache“ verloren und substituiert sie ununterbrochen, mit Gewalt.

Das macht dieses Werk zu einem Ausnahmefilm: Ferrara bedient mit einer fast simplen Story, ausgesprochen wenig Dialog (wie auch, bei einer stummen Heldin?) und einer rudimentären Handlung fast ausschließlich die symbolische Ebene. Dem Film wurde ja auch genau das – wohl falsch verstanden – vorgeworfen: Er sei simpel und bediene primitive Muster und Vorstellungen, sei nicht ausgefeilt und einfach eine Aneinanderreihung von Mordszenen. Doch anders als andere ‚Rape-and-Revenge‘-Movies (allen voran LAST HOUSE ON THE LEFT [1972] von Wes Craven, sozusagen der „Vater“ des Genres), setzt Ferrara weder auf Action, noch auf Spannung und auch nicht – entgegen den gängigen Vorurteilen gegen den Film – auf übermäßige Gewaltexzesse oder gar Splatter. Im Gegenteil, die Tötungszenen, abgesehen von der ersten in Thanas Appartement und jenem Massaker, das sie dann auf der Party anrichtet, sind sogar bewußt unspektakulär inszeniert. Und selbst die expliziteren, wie die eben erwähnten, fallen nach heutigen Maßstäben unter „ferner liefen“. Was dem Film nur gut tut. Denn das Hauptaugenmerk sollte hier keineswegs auf der Gewalt liegen. Und die wird hier auch nie zum Selbstzweck – weder inhaltlich noch formal.

Abel Ferrara – Katholik, der zugibt, sich in allen Filmen mit seiner Religion auseinander zu setzen – gibt als Mann ein damals ultraradikales Statement zur Emanzipation der Frau in einer extremen Machowelt ab. Er vermengt dieses – v.a. durch das Nonnenkostüm seiner Hauptprotagonistin – mit der Frage nach Schuld und Sühne. In späteren Werken – vor allem dem hochgelobten THE FUNERAL von 1996 – wird diese Frage expliziter aufgeworfen, steht sie im Mittelpunkt – hier spiegelt sie sich am ehesten im Ende des Films. Thana wird ihren Rachefeldzug nicht überleben, sie wird sterben und zwar durch die Hand einer Frau. Durch ein Messer, welches durch die Hand einer Frau geführt wird (und man beachte, wie dieses Messer gehalten wird, bevor es zum Einsatz kommt – die Superzeitlupe, die Ferrara für diese Szene nutzt, läßt keinen Zweifel aufkommen, wer den Diskurs bestimmt, der eine Frau dieses Messer führen läßt). Geht Thana zu weit? Muß auch eine gerechter Feldzug – Auge um Auge, Zahn um Zahn – durch „gerechte“ Strafe beendet werden? Das soll jeder Zuschauer selbst entscheiden. Und niemals vergessen, welches Geschlecht für „das Gesetz“ verantwortlich zeichnet….

Es scheint, daß Ferrara genau das NICHT sagen will, sondern klar definiert, daß Frauen (und man sei sich bewußt, daß die Thana, die uns anfangs begegnet, alles andere als eine selbstbewußte, gar aufreizende Frau ist) in sowieso von Männern geführten Diskursen und in symbolischen Ordnungen (die zumindest in den vergangenen 2000 Jahren zu über 90% von Männern gestiftet wurden) schlicht keine Stimme haben. Es wird radikalere Mittel benötigen, um gehört zu werden. Vielleicht nicht gleich Mord? Nun ja, liest man – wie alles andere in diesem Film – das Morden allegorisch für eine radikale Handlung, einen Bruch zum herrschenden System, eine Abkehr von einer Gesellschaft, die so, wie der Film sie darstellt, eh dem Untergang geweiht (weil heillos verrottet) ist, dann hat man es in diesem semiotischen Film schlicht mit einem weiteren, sehr starken Zeichen zu tun. Daß es dann eine Frau namens Thana (von Thanatos) ist, die zur Vollstreckerin eben dieser Einsichten wird, ist folgerichtig und stellt lediglich einen formalen Zirkelschluß dar.

Es mag sein, daß es Ferraras radikale Haltung seinen Geschlechtsgenossen gegenüber zu verdanken ist, daß der Film derart schlecht aufgenommen wurde, zumindest bei Männern. Interessant ist, daß BAISE MOI seinerzeit ähnliches wiederfuhr – „Gewaltpornographie“ etc., war da zu hören. Es scheint Männer – selbst intelligente – immer noch ungemein zu verunsichern, wenn Frauen einmal „zurückschlagen“, mit den Waffen, die sonst den „Helden“ vorbehalten bleiben. Abel Ferrara hat einen hervorragenden Beitrag zur Genderdebatte geliefert, er hat einen klugen Film gedreht und zudem einige Fragen an seine Geschlechtsgenossen gerichtet, die diese auch heute, nahezu 30 Jahre nach Erscheinen dieses Films, nicht beantworten können.

 

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