DIE WENDELTREPPE/THE SPIRAL STAIRCASE
Eine Stilübung in Terror an der Grenze von 'Film Noir' und einer Gruselmär
In New England, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine junge, gehbehinderte Frau wird umgebracht. Sie ist das weitere Opfer eines Serienmörders, der bereits eine andere junge Frau umgebracht hat. Die taubstumme Helen (Dorothy McGuire), die im Haus von Mrs. Warren (Ethel Barrymore) als deren persönliche Handlangerin arbeitet, wird von dem Arzt Dr. Parry (Kent Smith), während er sie mit seiner Kutsche heimbringt, gebeten, seinem Rat zu folgen und nach Boston in eine Spezialklinik zu gehen, ihr Schweigen sei Folge eines Traumas in ihrer Kindheit, als sie den Flammentod ihrer Eltern hilflos mit ansehen musste. Diese Art Trauma sei heilbar. Unterwegs wird die Kutsche von einem Jungen angehalten, der Doktor möge schnell kommen, der Vater sei krank. Helen muß das letzte Stück des Weges allein durch die Dunkelheit gehen. Ein Unwetter bricht aus. Durchnässt kommt Helen im Herrenhaus der Warrens an. Dort leben neben Mrs. Warren auch deren Söhne, Professor Albert Warren (George Brent) und Steve (Gordon Oliver), der nach längerer Zeit ins elterliche Heim zurückgekehrt ist. Zudem sind Alberts Sekretärin Blanche (Rhonda Fleming) und die Haushälterin Mrs. Oates (Elsa Lanchester) und deren Gatte Mr. Oates (Rhys Williams) sowie eine Krankenschwester für die bettlägrige Mrs. Warren anwesend. Mrs. Warren bittet Helen, noch in derselben Nacht das Haus zu verlassen, ohne weitere Angaben behauptet sie, für Helen sei die Anwesenheit im Haus gefährlich. Helen will davon zunächst nichts hören, doch als Dr. Parry später vorbei kommt, ist sie bereit, mit ihm in die Stadt zu fahren. Ein Anruf stört die Pläne, denn der Doktor wird noch einmal hinaus in die stürmische Nacht gerufen, er komme Helen später abholen. Mr. Oates wird in die Stadt geschickt, um neuen Äther gegen Mrs. Warrens gelegentliche Ohnmachtsanfälle zu holen, seine Frau gibt sich schon seit Stunden dem Gin hin und wird zusehends trunken, die Krankenschwester, erbost ob der Demütigungen durch Mrs. Warren, kündigt und geht – schließlich ist Helen mit der alten Dame, deren Söhnen und Blanche allein im Haus. Als sie die Sekratärin am Fuße der Wendeltreppe, die den Liferanten- und Gesindeeingang mit dem Keller und den oberen Stockwerken verbindet, ermordet auffindet, fürchtet sie Steven, den sie für den Mörder hält, so sehr, daß sie ihn mit einem Trick, den Mrs. Oates ihr beigebracht hat, in den Kohlekeller lockt und einschließt. Doch nun entpuppt sich Albert als der eigentliche Mörder. Er habe bewusst dafür gesorgt, daß all die Leute aus dem Haus seien, um Helen, die „keinen Mund“ habe und deshalb unrein sei, zu töten. Doch in letzter Sekunde kann Mrs. Warren ihren Sohn stoppen und erschießt ihn auf der Wendeltreppe. Dann bricht sie zusammen. Helen geht ans Telefon, wählt die Nummer, die Dr. Parry ihr gegeben hatte und nennt ihren Namen, dann bricht auch sie zusammen.
Robert Siodmak hatte bereits einige Filme in Amerika gedreht, darunter den Horrorfilm SON OF DRACULA (18943) und den Abenteuerfilm COBRA WOMAN (1944). Im selben Jahr drehte er dann PHANTOM LADY (1944) und THE SUSPECT (1944), zwei frühe Beiträge zum ‚Film Noir‘, dem er dann etliche wesentliche Beiträge schenkte, darunter das Meisterwerk THE KILLERS (1946). 1945 drehte er den vorliegenden THE SPIRAL STAIRCASE (1945), der gemeinhin gern dem ‚Film Noir‘ zugeschlagen wird, filmsprachlich, atmosphärisch und auch inhaltlich jedoch weit eher einem Horrorfilm, einem modernen zumal, entspricht.
Nebel, unwegsames Gelände, Geräusche, sich öffnende Türen, ein altes, düsteres Haus, ein Mörder, der überall sein kann – vielleicht näher ist, als man vermutet – , eine unheimliche Alte, Schatten und Licht, die einander bedingen und jeden zu verschlucken drohen, zudem eine Dramaturgie, die der klassischen „Gruselgeschichte“ (um den doch härteren Begriff „Horror“ nicht überzustrapazieren) entspricht mit ihren Geheimgängen und einem viktorianischen Dekor, das zwischen Petroleum und Plüsch auch die schrecklichsten Schrecken zu verbergen droht – THE SPIRAL STAIRCASE, wenn auch in den U.S.A. angesiedelt, könnte aus der Hand eines Meisters wie W.W. Jacobs (THE MONKEY´S PAW) nach dem Besuch eines Freud-Seminars stammen.
Der Film reiht sich ein in den Reigen jener in den 1940er Jahren beliebten und unter dem Begriff „period pics“ subsummierten Gattungsfilmen, die vornehmlich in einem spätviktorianischen, nebligen London angesiedelt sind und grundlegend mit dem Unheimlichen spielen, zugleich aber kriminalistische Auflösungen bieten. George Cukors GASLIGHT (1944) wäre ebenso dazu zu zählen, wie Siodmaks eigener THE SUSPECT (1944) oder auch Hitchcocks REBECCA (1940), auch wenn der nicht in London spielt. Ein Horrorfilm klassischer Machart müsste dem Publikum das Phantastische, Übernatürliche oder exotisch Fremde – sei es ein Vampir, ein Geist oder ein Riesenaffe – bieten, erst der moderne Horrorfilm bietet den „ganz normalen“ (oder weniger normalen) Psycho von nebenan als „Monster“ und mörder an. Seit Hitchcocks PSYCHO (1960) sind die mythischen und mythologischen Monster und Ungeheuer nicht mehr die Angstmacher Nummer Eins. So gesehen kann THE SPIRAL STAIRCASE durchaus als Horrorfilm betrachtet werden, gerade weil Buch und Regie so deutlich auf inszenatorische und stilistische Versatzstücke des Horrorfilmgenres verweisen.
Allerdings ist es wirklich viktorianischer „Horror“. In der ganzen Anlage hat man es bei der Story des Films mit der eines Stück des ‚Grand Guignol‘-Theaters zu tun. Ein Schauerstück, wie man auf den Jahrmärkten zu sagen pflegte. Umso treffender, daß Siodmak gleich zu Beginn eine wunderschöne kleine Hommage an jene Tage des Kinos einbaut, da es gerade den Übergang vom Vaudeville in eine eigene populäre mediale Form vollzog. Im Frühstücksraum des Hotels, wo der erste Mord im Film stattfindet, wird ein Stummfilm mit musikalischer Begleitung geboten; gebannt sitzt das Publikum und starrt auf die Leinwand, ebenso gebannt ist die Dame am Piano, die ihre dramatischen musikalischen Kontrapunkte zu den Bildern setzt. Kino, wie es einmal war: Einfach, direkt und in Erstaunen versetzend. Und genau so kommt THE SPIRAL STAIRCASE in den folgenden 80 Minuten daher. Voller Höhepunkte, schauriger Schocks und kriechenden Terrors. Die wundervollen Dekors und Set-Pieces eines komplett viktorianisch eingerichteten Hauses irgendwo in Neu England, ebenso die mit Liebe angeordneten Kostüme und Accessoires und zu guter Letzt die perfekt ausgesuchten Nebendarsteller, die einem Roman des großen Charles Dickens entstammen könnten, flankieren, füttern, ja vertuschen eine Geschichte, die ohne Schnörkel und allzu große Wendungen in einer einzigen Gewitternacht direkt auf ihren Kulminationspunkt zurast.
Eine verfolgte Unschuld, ein verrückter Serienmörder, ein Held, der im rechten Moment verhindert ist, die Alte, die sich als diejenige entpuppt, die den Überblick behalten hat und natürlich der Unsympath, der zu Unrecht verdächtigt wird – das Personal ist exakt so bemessen, daß die Story aufgeht. Vom ersten Moment an verdeutlichen Regie und Kamera, worum es geht, ohne dabei allzu subtil vorzugehen: Da lugt ein Auge aus dem Kleiderschrank und beobachtet das Opfer, wenn Helen sich ihren Weg durch den Sturm heim bahnt, folgt ihr eine schwarze Silhouette, die bedrohlich in Szene gesetzt wird, Schatten greifen nach den Protagonisten aus und nichts, keine Ecke, keine Nische, kein Treppenabsatz kann als ungefährdet betrachtet werden. Die Fülle des Dekors im Haus sorgt eben genauso für Unübersichtlichkeit, wie es für Gemütlichkeit steht. Mrs. Warren, der Ethel Barrymore einen Klacks Verschlagenheit gibt, den sie aber immer zur rechten Zeit humorvoll zu nutzen und zu ironisieren versteht, lässt nicht lange Zweifel daran aufkommen, was los ist, kaum ist sie Helens ansichtig geworden, fordert sie sie auf, das Haus zu verlassen. Es sei zu gefährlich, im Haus zu bleiben. Warum das ausgerechnet in dieser stürmischen Nacht so ist? Seit Steve zurückgekehrt ist, verschlimmerten sich die Dinge, beschwört Mrs. Warren ihre stumme Gefährtin, die durch ihr Handikap besonders gefährdet ist. Das alles geschieht in den ersten zehn Minuten des Films – wir müssen uns keiner falschen Illusion hingeben, hier geschieht Grauenvolles, und zwar gleich. Der ‚Whodunnit‘-Aspekt ist ebenfalls dünn, da das Haus bald leer, die wenigen Bewohner entweder gehbehindert, stocktrunken oder das Opfer sind. Bleibt nicht mehr viel Auswahl: Blanche, die Sekretärin? Nein, sie wird selbst Opfer des Killers, der damit allerdings sein Beuteschema durchbricht, kann man bei ihr doch wahrlich keine Behinderung feststellen. Dafür darf sie ihr junges Leben in einer eindringlichen und wirklich grauenerregenden Szene lassen. So haben wir also nur den etwas schmierigen Steve und den eloquenten, scheinbar in Melancholie versinkenden Professor(!) Albert Warren, die als Täter taugen. Daß zum guten Ende dann natürlich jener der Mörder ist, von dem wir es weniger erwarten, versteht sich fast schon von selbst.
„It´s all about atmosphere“ soll Raymond Chandler einst gesagt haben, angesprochen auf seine manchmal undurchsichtigen Plots. Genau dieses Motto sollte man THE SPIRAL STAIRCASE zugute halten. Fesseln kann hier weniger die Story, es fesselt vor allem die Spannung der jeweiligen Situation, es packen die Schocks. Helens Verstummen trägt da natürlich noch dazu bei. Das Gewitter schickt Donner und Blitze und lässt Räume plötzlich erhellen und wieder in Dunkelheit versinken, Gesichter leuchten kurz und grell auf, bevor sie wieder in Schatten verschwinden. Ein wirkliches Schauer-Gewitter, kein Dauerregen, wie der Noir ihn bietet. Im ‚Film Noir‘ sind Gewitter und Regen Zeichen der Melancholie, der Verlorenheit und vielleicht auch des düster dräuenden Schicksals, im Horrorfilm sind sie Boten des Grauens, der Dramatik und des unmittelbar bevorstehenden Schreckens und Schocks. ‚Film Noir‘-Gewitter mäandern depressiv dahin, Horrorfilmgewitter sind hingegen hysterisch und erruptiv. Selten kann man solche Feinheiten besser beobachten als in Siodmaks Stilübung an der Grenze von ‚Film Noir‘ und Horrorfilm.
Daß die Story hingegen unter gewaltigen Logiklöchern leidet, daß ein solcher Plot heute nicht mehr packen, gar fesseln kann, sollte sich von selbst verstehen. Wir schauen uns auch Boris Karloff als Frankensteins Ungeheuer nicht mehr an, um uns zu gruseln. Allein die Verrenkungen, die das Drehbuch unternimmt, damit Dr. Parry das Haus verlassen muß und zunächst auch nicht zurückkehren kann, muten heutzutage schlicht wie eine Farce an. Daß der gute Doktor dabei sein ganzes heldisches Potenzial einbüßt, scheint niemandem interessiert zu haben. Allerdings ist dadurch einerseits Helen eine umso interessantere Figur, da sie auch unter Stress und in größter Gefahr die Übersicht behält und der abschließende Konflikt gewinnt natürlich an immenser Dramatik, wenn die Mutter den eigenen Sohn richtet, der wiederum an den Ansprüchen des Vaters gescheitert ist und darob eine krude sozialdarwinistische, fast faschistoide Weltanschauung entwickelt hat, die es ihm erlaubt, „minderwertiges“ Leben auszulöschen um die Art rein zu halten. Nein, man muß das nicht ernst nehmen und es spielt auch keine Rolle im Film, es ist eine aufgepfropfte Erklärung, um dem Publikum die Motivation nahezubringen. Ohne jegliche Motivation wäre das Ganze wahrlich schaurig gewesen, aber sowas trauten sich dann wirklich erst die spät- und postmodernen Regisseure und Autoren.
THE SPIRAL STAIRCASE ist eine wunderschön anzuschauende Stilübung in viktorianischem Schrecken, ein Film, der deutlich die Wurzeln seines Regisseurs im deutschen expressionistischen Film erkennen lässt und damit hervorragend veranschaulicht, wie diese sehr europäischen Voraussetzungen sich gerade im ‚Film Noir‘, der klassisch in schwarz-weiß gedreht wurde, niederschlugen, ausbreiteten, sich entfalteten und schließlich einen ganz eigenen Stil mitprägten, einen Stil voller Eleganz, Chic und geheimnisvoller Düsternis. Kein Horrorfilm mehr und noch kein ‚Film Noir‘, bietet Siodmaks Kleinod den seltenen Fall eines Hollywood-Solitärs, an dem sich Entwicklungen sehr gut ablesen lassen, der uns aber in seiner ganzen Naivität auch durchaus schauern lässt. Und immer unterhält.