ÖL!/OIL!

Upton SInclairs Beschreibung des kalifornischen Ölrauschs der 1920er Jahre - und eine schöne Coming-of-Age-Geschichte

Als er ÖL! (OIL!; 1927) veröffentlichte, war Upton Sinclair schon lange eine öffentliche Figur, seine sozialen, sozialtreformerischen, teils sozialistischen Ansichten und Pläne hinlänglich bekannt und er hatte schon mehrfach versucht, in politische Ämter zu gelangen, um seinen Plänen auch Taten folgen zu lassen. Dennoch wird der damalige Leser zunächst kaum erwartet haben, daß in einem Roman, der offensichtlich im Milieu der Ölindustrie spielt, ein junger Sozialist die Hauptrolle spielt und über viele, viele Seiten hinweg sozialistisches Gedankengut dialogisch aufbereitet wird. Genau das aber bietet der Autor in diesem Werk, von dem er selbst behauptet, wie für kein anderes Recherche betrieben zu haben. Eine augenzwinkernde Aussage, da sie sich vor allem darauf bezog, daß er Jahre in Südkalifornien gelebt und dort den Ölboom der 20er Jahre hautnah miterlebt hatte.

ÖL! Ist – vor allem anderen – ein Coming-of-Age-Roman, eine Éducation sentimentale. Vor allem Letzteres, wenn man bedenkt, daß der Held aus Flauberts gleichnamigen Roman trotz all seiner Entwicklungen und Erfahrungen schlußendlich dort endet, wo er begonnen hat – in der von ihm gekannten und wenig goutierten Mittelschicht. Auch James „Bunny“ Ross Jr., der Hauptprotagonist in SInclairs Roman, müht sich, der eigenen Klasse zu entkommen – sozusagen in die andere Richtung – und muß doch im Laufe der Jahre erkennen, daß das gar nicht so einfach ist, wenn man sich erst einmal an einen gewissen Lebensstil und ein gewisses Einkommen gewöhnt hat. Und an Liebeleien, die ohne ein gewisses Vermögen kaum denkbar sind.

Wir begegnen ihm und seinem Vater, James Arnold Ross, zu Beginn des Buches auf dem Weg zu einem Treffen mit Parzellenbesitzern in Südkalifornien, die sich zusammengeschlossen haben und ihr Land gemeinschaftlich verpachten wollen, in der Hoffnung, an möglichen Ölbohrungen partizipieren zu können. Wir erleben Ross Sr. dabei, wie er zwar fair, aber äußerst hart mit den Parzellenbesitzern verhandelt und mit dem Druck, den er auf sie ausübt, seine Verhandlungsposition zusehends verbessert. Während dieser Verhandlungen sitzt Ross Jr., jetzt noch ein Kind von gerade mal elf Jahren, dabei und hört zu – er soll lernen. Doch irgendwann erregt eine Stimme vor dem Fenster seine Aufmerksamkeit, er geht in den Hof des Hauses, in dem sie sich befinden, und trifft hier auf den hungrigen Paul Watkins.

Diese Begegnung wird Bunnys Leben bestimmen, denn Watkins, wollte man dialektisch denken, ist die Antithese zu allem, was Bunnys Welt ausmacht und ausmachen wird. Während die Firma des Alten prosperiert und die Familie Ross immer reicher wird, entwickelt sich Paul zu einem Sozialisten, später zu einem Kommunisten. Da Bunny seinen Vater bittet, mit ihm zur Farm der Watkins´ zu fahren, wo sie eigentlich nur Wachteln schießen wollen, dort aber bald Öl finden, verweben sich die Familiengeschichten miteinander. Der alte Ross kauft den Watkins die Farm ab, womit er der Familie aus bitterer Armut hilft, sie zugleich aber auch um die Reichtümer ihres Landes bringt, die nun ihm gehören. Das Ölfeld auf dem Land der Watkins und umliegenden Ländereien, die Ross sen. nach und nach aufkauft, ist immens und begründet seinen Aufstieg in die Liga der führenden Ölgesellschaften – zumindest die Liga der unabhängigen Ölgesellschaften.

Zwischen Bunny und Paul entsteht eine lebenslange Freundschaft, die vor allem für Bunny von Bedeutung ist, da er durch seinen Freund Bodenhaftung behält und sein Sozialgewissen ausbildet. In späteren Jahren treibt er sich als junger Mann an der Universität lieber in sozialistischen Kreisen herum, als mit seinesgleichen Tennis zu spielen oder auf Filmpremieren zu gehen. Doch taucht er auch in die Kreise der High Society ein, ist lange mit einer Schauspielerin liiert, weiß die Vorteile von Geld und Ruhm durchaus zu genießen. Und doch wird er eben auch als der „rote Ölprinz“ bekannt, da er wieder und wieder – vot allem bei Streiks – Positionen wider die eigene Klasse einnimmt.

Sinclair beschreibt nicht nur die Härte des Ölgeschäfts, auch die Härte der Arbeit auf den Feldern, an den Bohrtürmen und -löchern, und wie auf allen Ebenen mit härtesten Bandagen gekämpft wird, sondern  – in einer Art Parallelmontage – eben auch die Entwicklungen der amerikanischen Linken in den 1920er Jahren. Die Auseinandersetzungen zwischen Sozialreformern, Sozialisten und Kommunisten werden vor dem Leser ausgebreitet und der sollte wissen, ob ihn diese Kämpfe und Streitereien interessieren, nehmen sie auf den fast 800 Seiten des Romans doch einen beträchtlichen Teil ein.

Sinclair gelingt es aber auch, mit viel Humor und Ironie von der Entwicklung des jungen Mannes, Bunny Ross, zu erzählen. Angesiedelt ist das alles in fiktiven Orten wie „Beach City“ und „Angel City“, doch liegt es nahe, daß man es mit Los Angeles und dessen Satelliten zu tun hat. So wurde „Beach City“ immer als Huntington Beach eingeordnet, einem Küstenort, südlich des eigentlichen Los Angeles angesiedelt. Sinclair betrachtet das Leben und Treiben in Südkalifornien mit einer Mischung aus Abneigung gegenüber der Dekadenz und der daraus resultierenden Ignoranz gegenüber den sozial Schwachen und einer gewissen distanzierten Ironie, mit welcher er den Lebensstil von Filmstars und Wirtschaftsmagnaten beschreibt.

Der Roman sorgte für Skandale und durfte teils nur gekürzt erscheinen, weil der Autor auch vor – für die späten 20er Jahre durchaus eindeutigen – sexuellen Anspielungen und einigen sehr eindeutigen Szenen nicht Halt macht. Die Darstellung der Entwicklung eines jungen, wohlbehüteten und doch auch recht intelligenten Mannes, der sich an seiner Herkunft reibt und aus den Schranken und Korsetten seiner Klasse auszubrechen versucht, ist äußerst gelungen und treffsicher. Daß dieser junge Mann letztlich dem Reichtum verhaftet bleibt – auch wenn er einen beträchtlichen Teil davon einbüßt und das, was ihm bleibt, für „die Bewegung“ einzusetzen sich müht – ist in der inneren Logik dessen, was Sinclair beschreibt, nur folgerichtig. Eher muten Bunnys Gewissen und seine soziale Ader in Bezug auf die amerikanische Wirklichkeit auch jener Jahre märchenhaft an. In Bunny Roos erfindet der Autor eine Figur, wie sie in Amerika vielleicht – zumindest in Erzählungen, Legenden und Märchen – gern gesehen wird, die aber in der Realität so kaum anzutreffen sein wird.

Geschickt versteht es Sinclair, die Zeitläufte in sein Werk einzubauen. Das ganze Konstrukt der Familie Ross beruht lose auf dem Vorbild von Edward L. Doheny, einem self-made-millionaire, wie auch Ross sen. einer ist. Dafür, das merkt man Sinclairs Text an, hat er durchaus auch Respekt. Der alte Ross ist ein Glücksritter, der sich hochgearbeitet und es schließlich zu etwas gebracht hat. Er zeigt auch ein gewisses Interesse an den Ideen seines Sohnes, ist im Zweifelsfall aber immer bereit, Widersprüche als normalen Lauf des Lebens zu akzeptieren. Er will keine Streikbrecher einsetzen, beugt sich aber den Leitlinien der Vereinigung der Ölgesellschaften, er will gern helfen, doch geht seine Hilfe nie so weit, daß seine eigenen Unternehmungen dabei irgendwie gefährdet wären. Zu Fall kommt er schließlich durch politische Ranküne, an der sein späterer Kompagnon beteiligt ist.

Sinclair bezieht also viele zeitgenössische Skandale und politische sowie gesellschaftliche Entwicklungen in seinen Roman ein[1]. Politische Verstrickungen und Intrigen, Korruption, die Brutalität dieser spezifisch amerikanischen Form des Kapitalismus, die vor Gewalt nie zurückschreckte, die Kälte gegenüber sozial Schwachen und die Eitelkeiten der Reichen, Kalifornien nicht als „gelobtes Land“ und Sonnenscheinstaat, sondern als ein von Bohrtürmen verunstaltetes und durch Bohrlöcher in eine Kraterlandschaft verwandeltes, nahezu rechtsfreies Territorium – all das lässt sich in ÖL! hervorragend nachverfolgen und nachvollziehen. Wie sein Freund und großes Vorbild Jack London zuvor den Goldrausch beschrieben hatte und die ungeheure Mühsal und Brutalität, die es erforderte, in den Weiten Alaskas zu bestehen, so schildert Upton Sinclair in ÖL! den Rausch des „schwarzen Goldes“, der ebensolche Aufbruchstimmung und Gier hervorgerufen hatte, jedoch mit anderen Mitteln und Bandagen ausgefochten wurde.

Es lässt sich darüber streiten, ob das literarisch wirklich groß ist. Paul Thomas Anderson, dessen Film THERE WILL BE BLOOD (2007) nach eigener Aussage auf die ersten 150 Seiten des Buches rekurriert, ist der Ansicht, der Roman sei weder gut, noch sonderlich bekannt. Es mag an dieser Sichtweise liegen, daß seine Geschichte fundamental von der des Buches abweicht. Eigentlich bedient er sich lediglich einer Nebenfigur – Paul Watkins hat einen religiös verbrämten Bruder, Eli, durch Ross sen. eher aus Spaß dazu angestachelt, eine „Kirche der dritten Offenbarung“ zu gründen und der damit sehr, sehr reich wird; Sinclair stellt also auch diesen dialektischen Bezug her: Kapitalismus, Kommunismus (dem häufig eine säkulare Heils- und Erlösungserzählung unterstellt wird) und dem (protestantischen) Glaube, der dann selbst wieder nach kapitalistischen Regeln funktioniert – um seinen Film in die für ihn passende Bahn zu lenken. Doch kann man seinem Urteil nicht ganz widersprechen.

So sehr der Roman auch Spaß macht, während man ihn liest, gerade weil Sinclair sich der Mittel von Ironie und Humor bedient, um die Geschichte zu erzählen und seine Figuren damit auch nicht allzu ernst nimmt, wirken Teile doch wie Seminaren einer Kaderschule entnommen. Man liest sich durch lange Passagen, in denen eine Art Vulgärsozialismus gepredigt wird, der – auch im Buch – weitestgehend folgenlos bleibt. Natürlich gibt die Geschichte Sinclair letztlich recht, denn der Sozialismus hat nie, nicht einmal in den schweren Jahren der Depression, als Franklin D. Roosevelt nahezu sozialistische staatliche Programme auflegte, eine Chance gehabt, in den USA anerkannt oder gar goutiert zu werden. Es werden soziale Mißstände und politische Skandale angeprangert, doch geändert hat es nichts. So ist ÖL! vielleicht als Zeitdokument für jene interessant, die sich für die amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts interessieren.

Dennoch bleibt es ein gut konstruierter, süffig zu lesender, und immer unterhaltsamer Roman der amerikanischen Moderne. Nicht der beste, nicht der einflußreichste, aber sicherlich kein schlechtes Buch.

 

[1] Dieser Text bezieht sich auf die Taschenbuch Ausgabe des Manesse-Verlags, München, einer Neuübersetzung durch Andrea Ott. Dankenswerterweise hat der Verlag dem Roman einen ausgreifenden Anhang hinzugefügt, der sehr genaue Auskünfte über die Realbezüge gibt. Ein Nachwort von Ilija Trojanow rundet das Buch ab und gibt essayistisch Einblick in die literarische wie soziale und gesellschaftliche Verortung des Buches.

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