OMERTÀ/OMERTA. HALLGATÁSOK KÖNYVE

Eine echte Herausforderung für den westlichen (?) Leser

Märchen – Rosen – die Liebe – Gott: Die Sprache in vier Formen. Immer uneigentlich und nie echt, nie direkt. Und das alles, um nicht sagen zu müssen, was ist. OMERTÀ (OMERTA. HALLGATÁSOK KÖNYVE, 2017; Dt. 20222). Schweigen. Ein Schweigegelübde, die Einverständniserklärung, niemals niemandem zu erklären, was man getan hat – oder was einem widerfahren ist. Im Gefängnis, im Lager, in den Kellern des Sicherheitsdienstes. Das trifft den einzelnen. Als Gesellschaft wird die Omertà zu einem Zustand, der jede und jeden ergreift und ganz ohne Anleitung, ja sogar ohne Zwang, an das allgemeine Schweigegelübde bindet. Und so reden die Menschen eine Ersatzsprache, eine Rudimentsprache, die alles sagt und nichts ausdrückt.

Andrea Tompa erzählt in ihrem Roman OMERTÀ aus vier ich-erzählenden Perspektiven aus einer solchen Gesellschaft: Kali, Vilmos, Annuschka und Elenóra heißen diese vier Protagonisten und sie berichten von sich und davon, wie es sich nach dem Krieg in einem Rumänien lebt, in dem sie einer Minderheit – der ungarischen Minderheit – angehören, die in Siebenbürgen sesshaft ist und nicht wirklich versteht, wie sich die Linien, die Grenzen – auch die des Sagbaren, jene in denen man sich bewegen darf und soll – verschieben und darunter mehr oder minder leiden. Kali arbeitet bei Vilmos als Haushälterin. Vilmos züchtet Blumen und steigt unter dem neuen Regime schnell auf, ist er doch kein Intellektueller, kein Studierter, kein „Volksfeind“, sondern ein einfacher Mann aus dem einfachen Volk. Annuschka, die zu der Zeit, da sie in die Erzählung eintritt – Vilmos´ Erzählung – ein sehr junges Mädchen von vierzehn Jahren ist, liebt Vilmos und wird von diesem begehrt. Ihre Schwester Eleonóra ist Nonne in einem Kloster, also per se eine „Volksfeindin“, hat sie sich doch dem Herrn Jesus verschrieben und nicht der weltlichen Macht des Kommunismus und seiner neuen Zeit. Sie landet in einem Gefängnis und verschwindet für sechs Jahre, bevor sie als äußerlich gebrochene Frau wieder ins Leben tritt, innerlich jedoch ihrem Glauben die Treue gehalten hat und somit nicht gebrochen werden konnte.

Tompa lässt in vier langen Abschnitten alle vier zu Wort kommen und schafft für sie alle eine eigene Sprache, ein eigenes Idiom, eigene Ausdrucksweisen und sprachliche Eigenheiten. Terezia Mora hat diese zweifellos schwierig zu erfassenden Idiome ins Deutsche übersetzt und versucht, der Autorin gerecht zu werden. Die Kritik war begeistert, im Frühjahr 2022 galt OMERTÀ als Sensation am Büchermarkt, im Grunde, so konnte der Eindruck entstehen, hält man hier ein Werk in Händen, das aus sich heraus schon den Literaturnobelpreis verdient habe. So macht sich der Rezipient also an die Lektüre und lässt sich damit auf ein Wagnis ein, das er so nicht erwartet hätte. Ein Wagnis? Ja – aber anders, als man es dem Begriff nach erst einmal erwarten würde. Ein literarisches Wagnis, denkt man, erfüllt dieses Verdikt mit einer gewagten Sprache oder indem von Ungeheuerlichem erzählt wird. Tompa hat einst mit einer Arbeit über Vladimir Nabokov promoviert – LOLITA, Nabokovs wohl bekanntestes Buch, ist auch heute noch ein solches Wagnis, sprachlich wie inhaltlich. Tompas Buch erfüllt dieses Urteil aber auf ganz andere, sehr viel banalere Art und Weise: Es ist von unfassbarer Langeweile.

Langeweile? Ja, Langeweile, langweilig, lang-weilig. Wer sich an diesen Anstieg wagt, der sollte mindestens ein gehobenes Interesse an Rosenzucht haben, an Vorurteilen, die ungebrochen ausgebreitet werden und am Glauben an den lieben Gott. Denn dies sind die drei vorherrschenden Themen des Buches. Vor allem der mittlere Teil, VILMOS´ BUCH – mit Abstand der längste Abschnitt – wird für den Leser zu einer echten Herausforderung. Denn Vilmos verbirgt sein Denken, seine Angst und seine Feigheit hinter einer endlosen Suada hinsichtlich der Zucht und Pflege unterschiedlichster Rosensorten. Und was auch immer sich darin verbergen mag an Metaphern, Allegorien, versteckten Hinweisen – wer sich nicht sehr genau mit der Geschichte, auch der Literatur Ungarns und Rumäniens auskennt, dem wird Vieles entgehen und dann bleibt eine Rose schlicht eine Rose…

Zwar gibt es ein Glossar, das Licht in die verwinkelten Namens- und Stadtbezeichnungen gibt, wo etwas auf Rumänisch und wie es auf Ungarisch gesagt wird, doch hält es sich sehr zurück, was sonstige rumänische und ungarische Wörter betrifft. Zudem gibt es keine Einordnung, zeitlich, geschichtlich, gesellschaftlicher Natur – der Leser bringe also auch hinreichende, wenn nicht ausreichende Kenntnisse der rumänischen und ungarischen Nachkriegsgeschichte mit, um sich hier im Dickicht zurechtzufinden, denn die Figuren erzählen am Rande auch von historischen Ereignissen (Ungarnaufstand 1956) entlang und ordnen ihre Geschichte hier und da zeitlich ein, doch betreffen sie diese Ereignisse entweder gar nicht (Kali, Annuschka) oder äußerst rudimentär (Vilmos, dessen Auslandsaufenthalte natürlich von den Ereignissen betroffen sind). Lediglich Elenóra ist unmittelbar betroffen, flüchtet sich aber in ihren Glauben und damit in eine uneinnehmbare Trutzburg, zumindest erscheint es so.

Diese vier Menschen – das zu beschreiben und einzufangen gelingt Tompa dann hervorragend – gehören den Hóstátern an, jenen Menschen aus dem Hóstát, einer rural geprägten Gegend um Klausenburg herum, und sind dementsprechend Bauern. Sie verfügen über keine ausgesprochen ausdrucksstarke Sprache, ihr Sprechen ist ein Einfaches, direktes. Und Tompa schafft es, dieses einfache Sprechen und das sich dahinter verbergende Denken nahezu perfekt in eine literarische Form zu übertragen. Und mehr noch: Durch ihr jeweiliges Sprechen, nicht nur ihre Inhalte oder die Marotten, sondern wirklich durch ihr Sprechen, werden die innersten Ängste, werden die Beschädigungen dieser Figuren, werden ihre Nöte, Hoffnungen und Eigenheiten (die nicht immer angenehm sind; so deutet sich bei Vilmos immer wieder eine Neigung zu sehr jungen Damen an, vielleicht eine Hommage der Autorin an die berühmteste Figur ihres Promotionsgegenstands) deutlich. Das ist durchaus hohe literarische Kunst. Und doch bleibt da immer ein Defizit, wartet man immer auf ein Mehr, etwas anderes, daß einen Kontrapunkt setzt. Doch den gibt es nicht, bzw. ist er so tief in dieser Sprache versteckt, daß der Leser wahrlich gefordert ist, wenn er denn irgendwo da vorhanden sein sollte. Man muß das interpretieren und man muß sich bei der Interpretation immer gewahr bleiben, wie prekär sie ist. Denn diese Menschen bleiben dem modernen Leser fremd. Dem modernen Leser und – vielleicht – mehr noch dem westlichen Leser.

Vilmos vor allem lässt uns alles Mögliche wissen, nur nie das, was uns wirklich interessieren würde. So erfahren wir, wie bereits erwähnt, eine Menge über die Rosenzucht im Allgemeinen, über die technischen Details im Besonderen und nicht zuletzt wird uns die Geschichte der modernen Rosenzucht, werden uns ihre Triumphe und Niederlagen seit Beginn des 20. Jahrhunderts vor Augen geführt. Dahinter versteckt sich ein Angsthase, ein Mann, der sich in eine innere Emigration zurückgezogen hat, der die Augen vor dem Elend der Geschichte (immer wieder berichtet er uns von Werner, einem Juden, der offenbar lebend aus den Lagern zurückgekehrt ist, der aber nie direkt im Buch auftritt) fest verschließt und in dem Moment, in dem er Aufmerksamkeit auf sich zieht, schnell bereit ist, mitzumachen und zu erfüllen, was die neue Obrigkeit von ihm verlangt. Ergebnisse im Sinne des Sozialismus.

Im ersten Abschnitt – KALIS BUCH – ist eher der Charakter der Erzählenden, ihre Weigerung, sich in irgendeiner Weise auf die neue Zeit einzulassen, ihre Flucht in die Märchen und also das Märchenhafte, aber auch ihre Akzeptanz der Umstände, der Art, wie nicht zuletzt Vilmos, dessen Geliebte sie mit der Zeit wird, mit dem sie sogar ein Kind hat, sie behandelt, was den Leser immer stärker enerviert. Im zweiten Teil, in dem eben Vilmos erzählt, ist es dann die Feigheit gepaart mit persönlichen Vorteilen und versteckten Gelüsten, die uns diesen scheinbar naiven und stillen, zurückhaltenden Mann suspekt macht und schließlich auch Widerwillen beim Leser auslöst. Annuschka scheint in diesem Reigen die Figur, die wir am besten nachvollziehen können und die dem Lesenden auch das beste Hintergrundwissen vermittelt, weil sie erklärt. Sich und ihre (sozialen) Umstände erklärt. Daß die Hóstáter eben das Land bestellen und was es bedeutet, wenn In Folge der Kollektivierung die Äcker konfisziert werden, dann die Tiere, die man ja nun nicht mehr brauche. Sie erleidet ein Schicksal – die Schwester im Gefängnis, der Vater ein Trunkenbold, die Mutter schon lange tot – , das wir irgendwie nachvollziehen können und sie ist diejenige, die zwar nie in eine offene Opposition zum Regime treten würde (keine dieser Figuren ist ein Held, ist politisch genug, sich zu wehren), die aber ausspricht, wo und auf welche Art Unrecht geschieht und wie auch sie darunter leidet. Und sie liebt. Bedingungslos. Sie liebt Vilmos, sie leidet und sie entwickelt sich, legt das jugendliche Schwärmen ab, entscheidet sich für einen „guten“ Mann, den sie vielleicht nicht ganz so bedingungslos liebt, auf den sie sich aber verlassen kann.

Und dann, im letzten Abschnitt des Romans, begegnet uns also Eleonóra, Jene Frau, die auf all den vielen Seiten zuvor einem Gespenst gleich durch die Zeilen geisterte, mal direkt benannt, mal indirekt markiert. Nun erzählt sie ihre Geschichte und man wird den Eindruck nicht los, daß Tompa hier eine ungebrochene Heldinnengeschichte wiedergeben will. Der Glaube als Anker in einer aus den Fugen geratenen Welt, der Körper – in Liebe zu Christus – geschunden in den Kellern der Securitate, doch der Wille, der Geist und der Glaube ungebrochen. Wir wissen, daß viele Katholiken gerade in Polen heute wirklich glauben, es sei Papst Johannes Paul II. quasi im Alleingang gelungen, Polen und letztlich die Welt vom kommunistischen Joch zu befreien. Und Tompa scheint diese Sichtweise zu unterstützen, zumindest zu begünstigen. Eine Sichtweise, die einen sich aufgeklärt wähnenden Westler skeptisch stimmt, wenn sie ihm nicht gar sauer aufstößt.

Vielleicht dringt man damit zum Kernproblem der Lektüre vor: Für westliche Leser, die sich an die Vorgänge in Rumänien 89/90 noch erinnern können, an die Bilder des Schauprozesses, der dem Ehepaar Ceaușescu gemacht wurde, die Leichen der beiden – ungefragt fürchterlichen Herrscher – im Hof, an den Kampf, den die Reste der Securitate, der rumänischen Geheimpolizei, ausfocht und das Land damit an den Rand eines Bürgerkriegs führte, dem fällt es schwer, sich auf diese Perspektiven einzulassen. Und so ist es vielleicht mit dem ganzen Roman. Vielleicht kann ein westlich geprägter Leser die Feinheiten, die Terezia Mora so kongenial ins Deutsche übertragen zu haben scheint, schlicht nicht erkennen. Péter Esterházy lässt sich auf dem Klappentext des Buchs mit dem Satz zitieren, er sei während der Lektüre süchtig geworden. Das mag sein, aber vielleicht gilt dieser Suchtfaktor eben nur für die, die wirklich dabei waren, die es hautnah erlebt haben, nicht nur als Fernsehereignis, und die wissen, was es heißt, schweigen zu müssen und sich einer Sprache zu bedienen, die nichts sagt und alles ausdrückt. Allerdings muß der Leser dafür die Codes kennen.

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