RESCUE DAWN
Werner Herzogs Beitrag zum Sub-Genre des Vietnam-Kriegsfilm
Dieter Dengler (Christian Bale) kommt 1965 zu seinem ersten Fliegereinsatz in Vietnam. Er ist Teil eines Geschwaders, das gegen das Kriegsrecht in geheimer Mission über die Grenze zu Laos hinweg fliegt und den Ho-Chi-Minh-Pfad bombardieren soll. Dabei wird sein Flugzeug angegriffen und stürzt ab.
Dengler überlebt den Absturz und kann sich zunächst im Urwald verstecken, wird aber bald gefangen genommen und in einem Gefangenenlager der laotischen Miliz Pathet Lao interniert. Zuvor wurde er einem Offizier der NVA – der Nordvietnamesischen Volksarmee – vorgeführt, der ihn auffordert, ein Papier zu unterschreiben, daß die USA des Imperialismus und verschiedenener Kriegsverbrechen bezichtigt. Dengler, ein gebürtiger Deutscher, lehnt das ab, weil er Amerika liebe und das Land ihm die Erfüllung seiner Träume – eine Karriere als Flieger – ermöglicht habe. In den Krieg habe er nie ziehen wollen, aber das sei seine einzige Möglichkeit gewesen, zu fliegen.
Die Ablehnung bringt ihm Folter und Demütigung ein. Er wird geschlagen, an einem Ochsen durch den Urwald geschleift und ein Ameisennest wird ihm ans Gesicht gebunden. Schließlich erreichen er und seine Häscher das Lager.
Hier lernt Dengler bald seine Mitgefangenen kennen. Da sind Eugene (Jeremy Davies) und Duane (Steve Zahn), zwei Amerikaner, die teils schon seit über zwei Jahren hier interniert sind, was Dengler verwundert, da er und seine Kameraden an Bord des Flugzeugträgers, auf dem er stationiert war, davon ausgingen, daß es bisher keine amerikanische Anwesenheit in Vietnam gegeben habe. Desweiteren gibt es die Asiaten Y.C. (Galen Yuen), Phisit (Apichart Chusakul) und Procet (Lek Chaiyan Chunsuttiwat) – sie alle standen auf die eine oder andere Weise im Dienst der U.S. Army.
Dengler beschließt schnell, auszubrechen, was Duane und vor allem Eugene, der offenbar dabei ist, den Verstand zu verlieren, für Wahnsinn halten. Weder wüssten sie, wo genau sie sind, noch, wie weit von irgendeiner Grenze entfernt. Zudem sei der Dschungel undurchdringlich, er sei der eigentliche Wächter des Lagers, nicht die brutalen und zu Gewaltausbrüchen neigenden Bewacher.
Dengler will sich damit nicht abfinden. Er brütet über Plänen, zugleich gelingt es ihm aber auch, den Männern mit seinem unbeeindruckbaren Optimismus Lebenswillen zu geben. Er steckt sie mit seiner Phantasie an, erfindet Spiele, bei denen sie sich an schöne Dinge erinnern sollen, es gelingt ihm sogar, mit einem der Wächter zwar nicht freundschaftlichen, jedoch freundlichen Umgang zu pflegen. Dies führt dazu, daß der kleinwüchsige Mann den Gefangenen, als es im Camp immer weniger zu essen gibt, ein wenig Nahrung zukommen lässt.
Ansonsten verschlechtern sich die Bedingungen zusehends. Eines Tages bekommen die sechs Insassen lediglich lebende Maden vorgesetzt, die Dengler genüsslich isst, um sowohl den Wärtern, als auch Eugene und den anderen Männern zu beweisen, daß man sich auch davon nicht klein kriegen lassen muß.
Schließlich entwickelt Dengler einen Plan. Zunächst bringt er einen Nagel in seinen Besitz, den er in nächtelanger Kleinstarbeit so zurecht feilt, daß er damit die Handschellen, mit denen die Gefangenen nachts aneinander gefesselt werden, öffnen kann. So können sie sich frei bewegen, ab und an wirklich schlafen und das Lager ein wenig auskundschaften.
Es wird klar, daß eine Flucht am besten in der Mittagszeit möglich ist, wenn die Wachen ihre Waffen niederlegen und teilweise auch ihre Posten verlassen. Zudem gelingt es Dengler, einige Pfähle des Zauns, die im toten Winkel liegen, so zu lockern, daß er und die anderen Männer sie aufbrechen und dort hindurchschlüpfen können.
Eigentlich will Dengler seinen Plan erst während der Regenzeit ausführen, doch eines Tages werden Phisit und Procet Ohrenzeugen, wie die Wachen darüber reden, die Gefangenen im Wald zu erschießen, um in ihre Dörfer zurückkehren zu können, wo ihre Familien hungern.
Dengler beschließt, den Fluchtplan an einem der kommenden Tage durchzuführen. Eugene stemmt sich mit aller Macht dagegen. Er fürchtet, daß die, die nicht gehen wollen, für die Flucht der andern bestraft oder gar getötet würden. Doch außer ihm sind alle bereit, sich anzuschließen. Dengler zwingt Eugene mehr oder weniger, ebenfalls mitzumachen.
Am kommenden Tag führen die Männer den Plan durch. Während Dengler und Duane die Hütten der Wachen aufsuchen und dort Waffen an sich bringen, sollen die anderen zur Küche schleichen und die Wachen dort gefangen nehmen. Als Dengler und Duane ihrerseits die Küche erreichen, ist niemand da, stattdessen sehen die beiden, daß es weitaus mehr Wachen sind, als sie dachten. Dengler rennt kurzerhand auf die Männer zu und fordert sie auf, sich zu ergeben. Als diese zu den Waffen greifen, schießt Dengler sie nieder.
Auch auf Rufzeichen melden sich weder Eugene noch die andern. So brechen Duane und Dengler allein in den Dschungel auf. Schließlich treffen sie auf Eugene und Y.C., die nicht erklären können oder wollen, wo sie gewesen sind, allerdings Waffen bei sich tragen. Dengler tauscht mit Eugene ein Magazin für dessen Kalaschnikow gegen eine Machete und er und Duane machen sich allein auf den Weg in die Freiheit. Sie hören Duane in den Urwald rufen: „Wo soll ich denn jetzt hin?“
Der Fluchtweg erweist sich als extrem schwierig, Dengler und Duane müssen barfuß Flüsse überqueren, Patrouillen ausweichen, sie müssen das wenige Essen, das sie mitnehmen konnten, teilen, schließlich setzt der Regen ein. Mehrfach sehen sie amerikanische Hubschrauber, können diese aber nicht auf sich aufmerksam machen. Duane verliert zusehends den Lebensmut.
Als sie ein verlassenes Dorf erreichen, fordert Dengler seinen Freund auf, sich auszuruhen, er selber werde die Gegend auskundschaften. Als zwei Hubschrauber auftauchen, steckt Dengler das Dorf in Brand, um auf sich aufmerksam zu machen, was zur Folge hat, daß er von den Hubschraubern aus beschossen wird. Langsam verliert auch er den Mut.
Die beiden schleppen sich weiter durch den Dschungel und treffen auf einen Pfad, wo ihnen ein Kind begegnet. Sie folgen dem Kind zu einem Dorf, wo sich die Bewohner aber sofort feindselig ihnen gegenüber verhalten. Sie bedrohen Dengler und Duane mit Macheten und verletzen Duane schwer. Als Dengler beginnt, die Leute anzubrüllen, schlägt einer von ihnen Duane den Kopf ab. Dengler in seiner Verzweiflung schlägt seinerseits mit der Machete nach den Männern udn flieht dann in den Dschungel. Erneut gelingt es ihm, zu entkommen.
Schließlich erreicht er vollkommen entkräftet eine Flußlauf. Er kann eine Schlange fangen, die er lebend zu essen beginnt, als zwei Hubschrauber auftauchen, die ihn offenbar gesehen haben. Während er mit einem Seil in eine der Maschinen gezogen wird, brechen Vietcong-Einheiten aus dem Wald hervor, die Besatzungen der Hueys können diese jedoch zurückhalten. Dengler ist gerettet.
Im Lazarett wird er sofort von Agenten der CIA unter deren Fittiche genommen. Da er in geheimer Mission unterwegs war, muß er eine ganze Reihe von Fragen über den Absturz, die Gefangenschaft und die anderen Gefangenen über sich ergehen lassen. Da tauchen seine Kumpel vom Flugzeugträger auf. Sie haben eine riesige Torte auf einem Wagen mitgebracht, da Dengler Geburtstag habe. In Wirklichkeit soll er sich in dem Wagen verstecken, während die Agenten vor der Tür warten. So gelingt es, ihn aus dem Lazarett zu schmuggeln und per Hubschrauber auf das Schiff zu bringen.
Hier erwarten ihn die gesamte Mannschaft und sämtliche Offiziere. Sie begrüßen den „verlorenen Sohn“ euphorisch. Dengler soll einige Worte sagen und merkt an, daß man auskosten solle, was man habe und wenn es zur Neige ginge, nachfüllen solle. Dann wird er auf Händen in die Messe getragen, wo ein Fest stattfinden soll.
Die Hoch-Zeit der Vietnamkriegsfilme lag in den 1980er Jahren, als Meilensteine wie Oliver Stones PLATOON (1986) oder Stanley Kubricks FULL METAL JACKET (1987) erschienen. Seit den 90er Jahren flaute dieses Sub-Genre des Kriegsfilms ab, wahrscheinlich auch, da Amerika mittlerweile im Nahen und Mittleren Osten in ganz andere Kriege mit anderen Spezifika verwickelt war. Gelegentlich kamen noch Spätwerke, beispielsweise WE WERE SOLDIERS (2002), doch im Großen und Ganzen schien das Thema für Hollywood abgehakt zu sein.
Umso erstaunlicher, daß der deutsche Regisseur Werner Herzog mit RESCUE DAWN (2006) einen weiteren Beitrag zum Thema vorlegte, der oberflächlich betrachtet alle Merkmale, ja Klischees, erfüllt, die für diese Spielart des Kriegsfilms typisch sind: Der Dschungel als vermeintlich lebensfeindlicher, vollkommen undurchsichtiger Raum, die Huey-Hubschrauber, die die Soldaten zu Kampfeinsätzen fliegen und aus brenzligen Situationen herausholen, die Napalm-Abwürfe, die ganze Landstriche verwüsten, die Frotzeleien unter den einfachen Soldaten, blutrünstige Vietnamesen, die ihre Gefangenen foltern und demütigen. Darüber hinaus scheint Herzog – oberflächlich betrachtet – auch noch das Sub-Sub-Genre des M.I.A.-Films zu bedienen. Dieses wurde meist für extrem reaktionäre bis revanchistische Filme genutzt, erzählte von amerikanischen Soldaten, die in vergessenen Lagern in Laos und Kambodscha festgehalten und meist von der eigenen Regierung vergessen wurden. Schauspieler wie Sylvester Stallone oder Chuck Norris nutzten das Thema, um in Filmen wie RAMBO: FIRST BLOOD PART II (1985) oder MISSING IN ACTION (1984) den Krieg quasi erneut zu führen und zumindest fiktional zu gewinnen. Gerade die Frage nach in Fernost zurückgelassenen Amerikanern war hochemotional und kaum sachlich zu bearbeiten.
Herzog nutzt die Vorlage ESCAPE FROM LAOS des Deutsch-Amerikaners Dieter Dengler, der als Kampfpilot 1965 geheime Einsätze auch hinter der Grenze zu Laos und Kambodscha fliegen sollte, bei einem solchen Anfang 1966 abgeschossen wurde und in laotische Kriegsgefangenschaft geriet. Er konnte, gemeinsam mit fünf Mitgefangenen, im Juni 1966 aus dem Lager, in dem sie interniert waren, fliehen, schlug sich 21 Tage durch den Dschungel und wurde schließlich gerettet. Herzog hatte bereits einen Dokumentarfilm, basierend auf der gleichen Vorlage, namens LITTLE DIETER NEEDS TO FLY (1997) gedreht. Herzog selbst schrieb das Drehbuch für die Dokumentation ebenso, wie später für RESCUE DAWN. Größtenteils wurde der Film in Thailand hergestellt, mit einer weitestgehend thailändischen Crew. Christian Bale spielte Dieter Dengler und lieferte eine weitere seiner oft extremen darstellerischen Leistungen ab. Unter anderem hungerte er sich etliche Kilos ab, um Denglers langsamen körperlichen Verfall authentisch rüberbringen zu können – eine Übung, die er zwei Jahre zuvor bereits für THE MACHINIST (2004) bis zum Exzess getrieben hatte – , er isst vor der Kamera lebende Maden und eine lebende Schlange, setzt sich in extremen Folter-Szenen heftigen körperlichen Belastungen aus.
Für Werner Herzog war Bale ein Glücksfall, fand der Regisseur hier doch einen Darsteller, der – wie Herzogs einstiger Haus-und-Hof-Schauspieler Klaus Kinski, mit dem gemeinsam er fünf Filme drehte, die für beide oft Triumphe wurden – bereit war, seine Rolle bis zur letzten Neige, bis zur Selbstaufgabe, auszufüllen. Die Zusammenarbeit mit Bale ist ein erster Hinweis darauf, daß es sich bei RESCUE DAWN eben wirklich nur oberflächlich betrachtet um einen weiteren Vietnam-Kriegsfilm handelt. Bei genauerer Betrachtung hat man es nämlich durchaus mit einem für Werner Herzog typischen Film zu tun.
Herzog hat in seiner langen Karriere, die im Windschatten des Neuen Deutschen Films der 1960er und 70er Jahre begann, sich dann aber recht bald von deren typischen Themen und Herstellungsweisen löste und den Regisseur eher in die Ferne trieb, immer wieder mit Menschen in Ausnahmesituationen, auch in Kriegen – mindestens gegen sich selbst – erzählt. Angefangen mit AGUIRRE, DER ZORN GOTTES (1972), der ersten Zusammenarbeit mit Kinski, über die Figur des Kaspar Hauser in JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE (1974), in STROSZEK (1976), WOYZECK (1979) bis hin zu dem Großwerk FITZCARRALDO (1982), sind die Helden (oder Anti-Helden) seiner Filme oft Männer, die entweder versuchen, den gesellschaftlichen Bedingungen des eigenen Lebens zu entkommen und dabei meist an noch strengeren gesellschaftlichen Regeln scheitern, oder aber, wie Kinskis Figur Fitzgerald in FITZCARRALDO, versuchten, nahezu Unmögliches wahr werden zu lassen – in diesem Fall der Bau eines Opernhauses in den südamerikanischen Urwäldern – und dabei bereit waren, über Leichen zu gehen. Auch Dengler passt in diese Riege: Er ist ein Deutscher, der als Kind die Bombenangriffe auf Deutschland hautnah erlebte, sich dabei in die feindlichen Flugzeuge verliebte und unbedingt Flieger werden will. Er geht in die USA und es gelingt ihm wirklich, bei der Air Force eine Flugausbildung zu absolvieren. In einen Krieg will er keineswegs ziehen, er will einfach nur fliegen – da sind Einsätze im noch nicht als solches deklarierten Kriegsgebiet in Fernost schlicht naheliegend.
Bale spielt Dengler als eine Art großes Kind, als einen Mann, der mit leuchtenden Augen und voller Naivität von seiner Liebe zum Fliegen erzählen kann, der über eine enorme Phantasie verfügt und in einem unverbesserlichen Optimismus andere mitreißen und begeistern kann, selbst für schier ausweglose Unterfangen, wie den Ausbruch aus einem Gefangenenlager mitten im Dschungel. Die ganze Naivität dieses Mannes kommt in einer Szene kurz nach seiner Gefangennahme zum Ausdruck, als ein Führungsoffizier der NVA ihm anbietet, schnell in die Freiheit zu gelangen, wenn er eine Erklärung unterschriebe, in der er die USA des Imperialismus und spätkolonialen Übergriffs auf fremde Länder bezichtige. Dengler lehnt das ab, voller Inbrunst und Liebe für das Land, das ihm ermöglicht hat, seine Träume zu verwirklichen. Mit der gleichen Naivität beteuert er, nie in einem Krieg kämpfen zu wollen, er habe in seiner Kindheit genug davon erlebt, nein, er wolle einfach nur fliegen. Daß an seinem Flugzeug todbringende Raketen und Bomben hingen, scheint er kaum wahr zu nehmen. Als Zuschauer wundert man sich über die Chuzpe dieses Mannes ebenso, wie über seine Blauäugigkeit. Er nimmt die Folter in Kauf, weil er das Ideal eines Landes nicht verraten will, das er mag. Sein Kumpel Duane weist ihn darauf hin, wenn er lächelnd anmerkt, da verliebe sich ein kleiner Junge in die Maschinen und ihre Piloten, die gekommen seien, ihn zu töten. Herzog hat viel Sympathie für diesen Mann, daran lässt er keine Zweifel. Dennoch inszeniert er ihn – sieht man einmal vom Ende des Films ab, worüber noch zu sprechen sein wird – mit einer gewissen Distanz. Dengler ist ein Träumer, ein unverbesserlicher Optimist, was ihn nicht nur die unmenschliche Behandlung durch die Wachen überstehen lässt, sondern auch die Flucht durch den Dschungel.
Es gibt aber neben dieser Figur eine ganze Reihe anderer Hinweise, daß Herzog seinen Kriegsfilm anders angeht, als seine Kollegen zuvor. Er lässt die Soldaten an Bord des Flugzeugträgers, auf dem Dengler stationiert ist, aber auch später im Gefangenencamp, mehrfach darüber reden, daß es ja gar keinen Krieg gäbe, daß die Kampfhandlungen bald vorüber seien, der Mitgefangene Eugene weist immer wieder darauf hin, daß sie alle bald freikämen, da die Verhandlungen längst liefen. Die Komplexität dieses zunächst nie erklärten Krieges, der solch fürchterliche Ausmaße nehmen sollte in den nahezu zehn Jahren, die er nach der Handlung des Films noch andauern sollte, wird so ganz konkret fassbar. Diese Männer wissen nicht wo sie sind – konkret kennen sie die Daten des Lagers nicht, was aber sinnbildlich dafür steht, daß viele derer, die in diesen Kampfeinsatz zogen, keine Ahnung hatten, wo Vietnam eigentlich liegt – , sie führen geheime Einsätze durch, die deutlich gegen das Völker- und Kriegsrecht verstoßen, sie nehmen aber weder diese Verstöße, noch die Gefahr, die darin lauert, wirklich ernst. Bales immer lächelndes Gesicht wird dafür zu einem aussagekräftigen Symbol. Denglers Mitgefangene werden von Herzog wie eine Gruppe wild durcheinander gewürfelter Hippies gezeigt, mit langen Bärten, Eugene erinnert in Physiognomie und Auftreten an einen Acid-Head, ein wenig gar an Charles Manson. Neben Duane, Eugene und Dengler gibt es nur asiatische Gefangene im Lager, die auf die eine oder andere Art für die Amerikaner gearbeitet haben, womit Herzog ebenfalls auf die Verworrenheit dieses Krieges hinweist. Dadurch gibt er aber vor allem Asiaten individuelle Gesichter und Persönlichkeiten. Das gilt darüber hinaus aber auch für die Wachen und Offiziere im Lager.
Darin unterscheidet sich Herzog grundlegend von Francis Ford Coppola, Oliver Stone und auch Stanley Kubrick – den federführenden Regisseuren, die die maßgeblichen Filme zum Thema gedreht haben – , die alle keinen oder einen eher geringschätzigen Blick für die Asiaten und deren Leid hatten. Oft wurde den Vietnamkriegsfilmen der klassischen Periode der 80er Jahre vorgeworfen, die Vietnamesen in ihren Filmen analog der Indianer in den frühen Western Hollywoods darzustellen: Als gesichtslose, feindliche Masse, die irgendwie Teil einer feindlichen Natur ist, wodurch der Einsatz in Vietnam oft der Landnahme des amerikanischen Kontinents gleichgesetzt wurde. Dieser Falle entgeht Herzog. Und auch in der Darstellung des Landes geht er andere Wege. In all seinen Filmen, die in der Ferne spielten – die USA in STROSZEK, der Dschungel in AGUIRRE, DER ZORN GOTTES und in FITZCARRALDO, die Ödnis in WO DIE GRÜNEN AMEISEN TRÄUMEN (1984) oder das südliche Afrika in COBRA VERDE (1987) und anderen – hat Herzog immer einen extrem wachen und vor allem offenen Blick für Land und Leute gezeigt, die er auf Film bannt. Er ist auch ein Naturfilmer, ein Regisseur, der ein enorm ausgeprägtes Gefühl und Gespür für Landschaften und natürliche Räume hat. Und so erfasst er auch den Dschungel in RESCUE DAWN. Peter Zeitlingers Kamera fängt die unglaubliche Schönheit dieser Natur ein. Die majestätischen Berge und Felsformationen, die aus dem Dschungel herausragen, das Grün des Urwalds, die Struktur und Undurchdringlichkeit des Unterholzes, die Dichte dieser Landschaften – nie hat man die Wälder Südostasiens in einem Vietnam-Kriegsfilm so schön gesehen, nie wurden sie in ein eigenes Recht gesetzt, nie als ein nicht feindlicher, sondern schlicht unnahbarer Posten dieses Krieges betrachtet. Damit unterscheidet sich Herzogs Film massiv von allen früheren Filmen zum Thema.
Der Film beginnt mit Realaufnahmen der U.S. Air Force, in der die Wirkung von Bombenangriffen auf die ländliche Gegend untersucht werden sollten. Aus der Perspektive eines Flugzeugs betrachtet man die Bombenteppiche, die auf Dörfer, Felder, Wälder und Weiden niedergehen und verheerende Schäden anrichten. Das erinnert in gewisser Weise an den Auftakt von Coppolas APOCALYSE NOW (1976-79), in der man zu den ersten Zeilen aus dem Lied THE END der Rockband The Doors einen Napalmangriff auf den Dschungel betrachtet. Wie Coppola erzielt auch Herzog eine seltsame Schönheit. Eine Schönheit der Destruktion, die Schönheit der Gewalt. Anders als Coppola, inszeniert Herzog dies allerdings nicht, sondern greift eben auf Realaufnahmen zurück, die das Empfinden dieser Schönheit reflektiert und gegen die späteren Aufnahmen des Films, die eben inszeniert sind, absetzt. Herzog schafft es auf subtile Art und Weise, das Land dem Krieg wieder zu entreißen und als etwas Eigenes zu zeigen. Auch dieser Aspekt weicht nicht nur von den Vorgängern ab, sondern er unterläuft auch deren Strategie. Er stellt all die Vorgänger in Frage. Zwar mögen die Insassen des Camps den Wald als den eigentlichen Feind bezeichnen, der die Flucht eher verhindere, als es die Wachen täten, womit sie das Narrativ der klassischen Vietnam-Kriegsfilme bedienen. Doch wird diese Haltung durch Zeitlingers Bilder konterkariert. Bestenfalls könnte man sagen: Diese Männer gehören hier nicht hin.
Wirklich kritisch zu betrachten ist wahrscheinlich nur das Ende von RESCUE DAWN, der schließlich Hollywood´sche Maßgaben erfüllt. Der gerettete Dengler wird von seinen Kumpels vom Flugzeugträger den Händen der CIA entrissen, die den Mann in eine geheime Basis mitnehmen wollen, da sein Einsatz ein geheimer war, und auf das Schiff zurück gebracht, Hier erwartet ihn die gesamte Besatzung inklusive der Offiziere und begrüßt den „verlorenen Sohn“. Mit ergreifenden Worten feiert Dengler das Leben und wie man es leben sollte und wird umjubelt und auf Händen getragen. Das ist nicht nur pathetisch, es passt auch nicht zu der bis dahin zweistündigen Inszenierung durch Herzog. Man fragt sich automatisch, ob hier Vorgaben des Studios erfüllt werden mussten, um den Film besser vermarkten zu können. Vielleicht ist es aber auch ein bitterböser, verkappter Kommentar des Regisseurs auf die Hurra-patriotischen Filme all der Stallones, Norris´ und Kotcheffs, die diesen Krieg auf ihre Art und Weise erneut führen und historisch neu einordnen wollten.
RESCUE DAWN ist durchaus ein typischer Werner-Herzog-Film. Es ist ein Film über einen Menschen, der – hier ungewollt – in eine Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur und einer vollkommen fremden Umwelt gerät und sich dieser stellt. Er nimmt die Herausforderungen an, die diese Auseinandersetzung ihm abfordert und wächst dabei durchaus über sich hinaus. Sei es die Folter, sei es seine Rolle unter den Gefangenen des Camps, sei es die Bereitschaft, auch zu töten, um zu entkommen – Dengler erfüllt die jeweiligen Aufgaben. Schließlich schleppt er Duane tagelang durch den Dschungel, bis beide schließlich von Dorfbewohnern überfallen und Duane dabei getötet wird. Obwohl Dengler zu halluzinieren beginnt, schleppt er sich weiter. Er ist weniger ambivalent als Figuren wie Fitzgerald in FITZCARRALDO oder Manoel da Silva in COBRA VERDE angelegt, doch bleibt Herzog auf eben subtile Art auf Distanz zu diesem Mann, der wenig über sein Handeln reflektiert. Daß Herzog irgendwann im „realen“ Krieg ankommen würde nach all den unerklärten und eher ideellen Kriegen, die er zuvor auf die Leinwand gebracht hatte, kann nicht verwundern. Er übertreibt es dabei nicht, zeigt nicht mehr Härten und Gewalt, als unbedingt nötig, enthält sich allerdings auch nicht, wo es angebracht scheint, das Martyrium dieser Männer zu beschreiben. Im Kern bleibt dies eine Art Kammerspiel in einem Gefangenenlager, weder die Folterungen, noch der Ausbruch, bei dem Dengler einige der Wachen tötet, noch Duanes Tod werden übermäßig explizit oder übertrieben brutal gezeigt. Sie sind Bedingungen eines Krieges, und das zeigt Herzog. Je mehr der Regisseur sich dem Dokumentarischen zuwendet, das allerdings immer Teil seines Schaffens war, desto näher rückt er auch in seinen fiktionalen Stoffen an eine fühlbare Realität heran. RESCUE DAWN ist dafür eines der besten und treffendsten Beispiele.