ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT

Wolfgang Staudtes bissige Gesellschaftssatire über ein Land, das einfach weitermacht

Während der letzten Kriegstage steht der Gefreite Rudi Kleinschmidt (Walter Giller) in Holland vor dem Kriegsgericht. Er hat zwei Stück Schokolade gestohlen, was den Kriegsgerichtsrat Dr. Schramm (Martin Held) dazu veranlasst, die Todesstrafe zu fordern, handele es sich hier doch um einen klaren Fall von Wehrkraftzersetzung.

Das Urteil soll irgendwo auf einem Feld vollstreckt werden. Schramm ist zugegen. Als ein alliierter Fliegerangriff droht, brüllt Schramm seinen Fahrer an, doch endlich zu verschwinden. Kleinschmidt nutzt die Gelegenheit und macht sich von dannen. Allerdings nicht, ohne sich sein Todesurteil zu sichern, das ihm durch die Luft entgegen geflattert kommt.

Jahre sind vergangen. Dr. Schramm, mittlerweile Oberstaatsanwalt in einer deutschen Kleinstadt, ist mit Hildegard (Camilla Spira) verheiratet und müht sich, ein hinreichender Ersatzvater für deren Jungs zu sein. Vor allem der Ältere der beiden, Walter (Roland Kaiser), zeigt sich häufig resistent gegenüber Schramms noch sehr von der „guten alten Zeit“ geprägten Erziehungsmethoden.

Eines Morgens schellt es an der Tür und das Dienstmädchen Erna (Inge Meysel) bringt einen riesigen Strauß Rosen, die für Schramm abgegeben worden seien. Hildegard verdächtigt ihn natürlich sofort einer außerhäuslichen Affäre, doch Schramm kann sie beruhigen: Der Strauß ist ein Geheimzeichen, daß der Studienrat Zirngiebel, angeklagt wegen antisemitischer Äußerungen, sich über die Grenze abgesetzt habe. Schramm, der ein solches Delikt nun wirklich nicht als ahndungswürdig begreifen will, hatte den Haftbefehl bewußt zurückgehalten, damit der Delinquent die Möglichkeit zur Flucht erhält. Hildegard ist zwar entsetzt, daß ihr Mann seine Reputation mit Gefälligkeiten wie diese riskiert, ist zugleich aber beruhigt, daß er ihr treu zu sein scheint.

Schramm lebt noch ganz im Geist der Zeit des Nationalsozialismus. Er liest heimlich die Deutsche Soldatenzeitung, denkt gern an die gute alte Zeit zurück und ficht kleine Kämpfe mit Walter aus, der amerikanische Jazzmusik im Radio hören will, die Schramm natürlich ablehnt.

Auf dem Weg ins Amt kommt Schramm nun eines Tages an einem Auflauf vorbei, den ein Straßenhändler verursacht hat. Es ist Rudi Kleinschmidt, der sich mittlerweile als Verkäufer von Trick-Spielkarten verdingt, da er, wie er seiner alten Freundin Lissy (Ingrid van Bergen) erklärt, die mittlerweile ein Lokal in der Stadt betreibt, sich nur unterwegs wohlfühle. Nur wenn sie ihn bitte, würde er sesshaft werden. Lissy fühlt sich geschmeichelt, weißt ihren Freund allerdings erst einmal auf seine ausstehenden Schulden bei ihr hin.

Schramm beobachtet den Mann eine Weile und ist sich sicher, daß er ihn kennt. Doch er-kennt er ihn nicht. Es treibt den Oberstaatsanwalt um, er lässt einen Polizisten Erkundigungen über Rudi einholen, zergrübelt sich das Hirn und ist verwundert, wie sehr ihn der Mann beschäftigt. Auch Rudi, der von der Polizei bedrängt wird, ahnt, daß er den Mann kennt, der ihn da beobachtet hat.

Rudi erfäjhrt, um wen es sich bei Schramm handelt. Da er sein Todesurteil immer bei sich trägt und darauf Schramm als Verantwortlicher unterschrieben hat – es handelt sich sogar um eine Vollstreckungsurkunde, weshalb Rudi offiziell sogar tot ist – versteht er nun, daß er Schramms Karriere in der Hand hat.

Schramm erhält während einer Verhandlung die Unterlagen zu dem Straßenhändler, dessen er dann auch noch am Gericht ansichtig wird. Schramm verliert die Contenance und beschuldigt den ihm immer noch Fremden, etwas gegen ihn, Schramm, im Schilde zu führen.

Daheim muß Schramm auch noch gewärtigen, daß Walter einmal mehr seinen Anweisungen nicht gehorcht hat und spät ausgeblieben ist. Als Schramm seinem Stiefsohn eine Standpauke hält, fällt dem eine Dose mit Schokolade aus der Tasche. Als Schramm sie sieht, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, um wen es sich bei dem Straßenhändler handelt. Und nun beginnt Schramm erst recht, Rudi Kleinschmidt zu fürchten.

Der ist Lissy mittlerweile nähergekommen, sie teilt sogar sein Bett mit ihm. Rudi erklärt ihr die Lage mit Schramm, aber die Geschäftsfrau, zynisch und realitätsbewußt, rät ihm, die Finger davon zu lassen, wenn sich „kleine Mann“ mit einem „großen Mann“ anlege, ginge das nie zugunsten des „kleinen Mannes“ aus.

Und sie scheitn recht zu behalten: Schramm lässt seine Beziehungen spielen, da er Rudi verdächtigt, etwas gegen ihn unternehmen zu wollen, da eine Beförderung ins Haus steht. Er will den Straßenhändler unbedingt aus der Stadt haben und lässt ihn durch einen ihm ergebenen Polizisten schikanieren. So wird Rudi unterstellt, seine Kartenspiele animierten zu Falschspiel und Betrug. Wolle er seine Lizenz behalten, müsse er die Stadt verlassen. Rudi erklärt sich zunächst einverstanden, sattelt dann aber auf Krawatten um und verkauft diese auf der Straße. Dafür wird ihm schließlich sein Gewerbeschein entzogen. Walter, der dies beobachtet hat, nähert sich Rudi und erklärt ihm, man habe ihn auf dem „Kieker“.

Abends trifft sich der Stammtisch bei Lissy. Es handelt sich dabei um die Herren Haase (Werner Finck), ein Versicherungsagent, den Bauunternehmer Kugler (Werner Peters) und den Feinkosthändler Hessel (Ralf Wolter). Rudi erzählt ihnen von dem Vorkommnis und berichtet dann die ganze Geschichte, angefangen mit dem Todesurteil gegen ihn. Die Herren zeigen sich entsetzt, man müsse unbedingt etwas gegen Schramm unternehmen.

Haase setzt ein geharnischtes Schreiben auf, das sich direkt an den Generalstaatsanwalt (Wolfgang Preiss) richtet. Obwohl Haase ein kurzes und prägnantes Schreiben anpeilt, werden es schließlich fünf Seiten. Doch als Haase das Schreiben zum Briefkasten bringt, verlässt ihn der Mut und er besinnt sich darauf, daß es in diesem Lande immer besser sei, mit der stummen Masse zu schwimmen. Haase zerreißt den Brief.

Hessel gibt sich mutig, als er der Frau Oberstaatsanwältin die Bedienung verweigert. Hildegard will in seinem Laden für ein Abendessen einkaufen, welches sie auf Geheiß Schramms für den Generalstaatsanwalt und den Gerichtspräsidenten (Paul Hartmann) geben soll, da der Oberstaatsanwalt sie becircen möchte; auch weil er fürchtet, sie könnten bereits Gerüchte über ihn gehört haben. Doch als Hildegard zahlt, gibt Hessel ihr dann generös die üblichen 3% Rabatt.

Kugler seinerseits nutzt die Informationen über Schramm auf seine Weise. Er sucht den Oberstaatsanwalt auf und erzählt ihn von den Gerüchten. Er verlangt von Schramm, daß der zukünftig ein gutes Wort für ihn einlege bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Sont könnten die Gerüchte sich verbreiten, was ungut für Schramm wäre.

Der kehrt abends vollkommen entgeistert nachhause zurück. Er fühlt sich – zu recht – erpresst. Hildegard solle sofort alle abendlichen Aktivitäten einstellen, die Leute ausladen, er, Schramm, brauche Ruhe. An diesem Abend beschließt Schramm, mit Rudi zu reden, ihn zu bestechen und so aus der Stadt zu expedieren.

Doch als er anderntags zu Rudis Pension kommt, in der auch Lissys Bar untergebracht ist, erfährt Schramm, daß Rudi bereits weg sei. Der nämlich ist resigniert und hat beschlossen, zu gehen, nicht zuletzt, weil er sich mit Lissy überworfen zu haben glaubt.

Rudi streift durch die Straßen der Stadt, während er auf seinen Zug wartet. An einem Schaufenster bleibt er stehen und sieht dort etliche Dosen und Schachteln von eben jener Schokolade, für deren Diebstahl ihm Schramm einst nach dem Leben trachtete. Rudi wird wütend, schlägt die Scheibe des Schaufensters ein und stiehlt zwei Dosen Schokolade.

Schramm erfährt schnell, daß Rudi als Einbrecher gefasst wurde. Sein erster Impuls ist es, zu fliehen, doch dann denkt er nach, begibt sich in die Asservatenkammer, lässt sich Rudis Sachen zeigen, findet das Todesurteil in dessen Brieftasche und nimmt es an sich. So kann Rudi, der gegenüber seinem Anwalt (Wolfgang Wahl) behauptet, er wolle endlich reinen Tisch machen und das Unrecht, das ihm widerfahren sei, bekannt machen, seine Behauptung nicht beweisen. Sein Anwalt rät ihm, das ganze zu vergessen und einfach zu behaupten, er sei betrunken gewesen und habe eine Dummheit begangen.

Schramm ist als Staatsanwalt für das Verfahren gegen Rudi eingeteilt. Darüber wundern sich sowohl der Gerichtsdirektor und auch der Generalstaatsanwalt. Die beiden hatten nach der plötzlichen Ausladung bei den Schramms bereits ihrer Verwunderung über und auch einem gewissen Zweifel an Schramm Ausdruck verliehen. Nun beschließen sie, sich die Verhandlung anzuschauen.

Die Verhandlung gestaltet sich eigenartig. Schramm argumentiert eher wie ein Verteidiger, spielt Rudis Tat immer weiter herunter, da er im Grunde eine Niederschlagung des Verfahrens will, Rudi soll einfach die Stadt verlassen, das würde ihm reichen. Doch je nervöser Schramm wird, desto stärker verhaspelt er sich, gerät durcheinander und revidiert seine Strafforderung – ursprünglich ein paar Tage Arrest, die mit der bereits verbrachten Zeit im Gefängnis nach der Verhaftung abgegolten seien – plötzlich und fordert die Todesstrafe. Nun kommt doch ans Licht, was Schramm so unbedingt geheim halten wollte. Er flieht wortlos und in Robe aus dem Gerichtsgebäude.

Die Presse berichtet von einem „Justiz-Skandal“ und davon, daß Schramm beurlaubt worden sei.

Rudi packt seine Siebensachen und macht sich auf den Weg nach Hamburg. Zwei Möbelpacker, die er auch schon auf seinem Weg zuvor getroffen hatte, bieten ihm an, ihn mitzunehmen. Rudi steigt ein. Doch dann blickt er in den Rückspiegel – und sieht Lissy, die hinter dem Wagen herrennt. Sie will Rudi, in den sie sich nun doch verliebt hat, aufhalten. Der bittet seine Kumpels, anzuhalten. Er steigt aus und wartet auf die heraneilende Lissy.

Daß im Nachkriegsdeutschland, gerade in den 50er Jahren, nicht gern über die Zeit des 3. Reichs gesprochen wurde, daß die, die lange und gern mitgemacht haben, schnell wieder in Amt und Würden waren, daß die Deutschen sich gern selbst als Opfer sahen – am besten gleich als Hitlers erste Opfer – und man ansonsten schwieg und schaute, daß die eigene Karriere vorankam, es der Familie gut ging und man sein Stück vom Wirtschaftswunderkuchen abbekam, all das sind heute Allgemeinplätze, fast schon Klischees. Daraus resultierend gibt es auch die Annahme, es sei im Grunde nie, auch nicht kulturell, über das Vergangene gesprochen worden. Doch ganz stimmt das nicht. So, wie WG Sebalds Diktum, der Bombenkrieg der Alliierten sei in der deutschen Nachkriegsliteratur nie thematisiert worden, nicht haltbar ist, wenn man die Bücher von Gert Ledig (VERGELTUNG/1956) oder Erich Maria Remarques DER FUNKE LEBEN (1952) kennt, so muß konstatiert werden, daß zumindest Wolfgang Staudte mehrfach die Zeit des Nationalsozialismus und deren Folgen thematisierte. Der filmhistorisch wohl wichtigste Beitrag ist sein Rückkehrer-Drama DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946), zugleich der erste deutsche Nachkriegsfilm. Auch DER UNTERTAN (1951) nach Heinrich Mann kann durchaus als kritische Auseinandersetzung mit den Deutschen und ihrem Land betrachtet werden; hier analysiert Staudte vor allem die Voraussetzungen für eine Entwicklung, die im Nazi-Regime und dem Krieg, schließlich im Terror der Lager kulminierte.

ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT (1959) geht noch einen gehörigen Schritt weiter und präsentiert seinem Publikum eine ganz gegenwärtige Geschichte, die sich allerdings mit der nicht mehr ganz so unmittelbaren Vergangenheit kurzschließt. Ein Herr Oberstaatsanwalt erkennt in einem Straßenhändler jenen Mann, den er in den letzten Kriegstagen wegen des Diebstahls zweier Schokoladenstücke zum Tode verurteilt hatte. Der Mann konnte dem Exekutionskommando nur entkommen, da exakt in jenem Moment, in dem das Urteil vollstreckt werden sollte, ein Fliegerangriff die Prozedur störte. Nun glaubt der ehemalige Kriegsgerichtsrat, daß es der ehemalige Delinquent auf ihn abgesehen habe, was er natürlich nicht zulassen kann. Und so wird eine Spirale aus Verwechslung, falscher Annahme und echtem Druck in Bewegung gesetzt, die schließlich dazu führt, daß der Herr Oberstaatsanwalt sich selbst verrät und ihm im wahrsten Sinne des Wortes nur noch die Flucht bleibt – direkt aus dem Gerichtssaal.

Staudte arbeitete die Idee selber aus, Georg Hurdalek verfasste das Drehbuch, produziert wurde der Film von Kurt Ulrich. Mit Martin Held, Walter Giller, Ingrid van Bergen und Camilla Spira stand Staudte ein exquisites Ensemble zur Verfügung, das durch solch hervorragende Darsteller wie Ingrid Meysel, Ralf Wolter oder Wolfgang Preiss in Nebenrollen ergänzt wurde. Hervorzuheben sind darunter ganz eindeutig Held und Giller. Beiden gelingen hier nahezu brillante Darstellungen, wobei man Held bereits als sehr guten Charakterdarsteller kannte, während Giller eher für leichte Unterhaltung stand. Deshalb ist seine Leistung wohl umso höher einzuschätzen.

Er gibt dem Straßenhändler Rudi Kleinschmidt eine nie erzählte Geschichte mit, eine tiefe Melancholie, die sich immer dann am deutlichsten ausdrückt, wenn Rudis privates Gemüt mit jener Rolle konterkariert wird und kollidiert, die er auf der Straße spielt, wo er Spaßkarten oder Krawatten verkauft. Im Grunde gibt Giller einen traurigen Clown, dem gar nicht nach Lachen zumute ist, dessen Witze schal und bitter sind und eigentlich nur von seiner Traurigkeit und Resignation zeugen. Eine Traurigkeit, die ihm das Leben mitgegeben zu haben scheint. Ein Mann ohne festen Wohnsitz, ein Getriebener, der für ein paar Tage in der Stadt ist und seine alte Freundin Lissy aufsucht, der er deutlich zu verstehen gibt, daß sie der einzige Grund wäre, sesshaft zu werden. Ein Mann, der eigentlich nur seinem Gewerbe nachgehen und ansonsten ein friedliches Leben will, nachdem er den Krieg in vielen Facetten kennengelernt hat – u.a. eben als Kandidat fürs Erschießungskommando. Durch die eigenen Leute. Giller spielt das mit der abgeklärten Coolness amerikanischer Vorbilder wie Robert Mitchum, Marlon Brando oder James Dean – alles Schauspieler, die eine gewisse Abgeklärtheit gegenüber der Welt kultiviert hatten; Schauspieler, die Männer gaben, die vieles gesehen hatten, was Männer nicht hätten sehen sollen und die darob ihren Glauben an das Gute verloren haben und den Zeitläuften distanziert gegenüberstehen. Giller spielt hier recht mühelos in dieser Liga, ausgesprochen modern; man fragt sich, weshalb ihm in seiner langen Karriere nicht mehr solcher Rollen angeboten wurden, spielen hätte er sie können.

Martin Held seinerseits spielt ganz groß auf in der Rolle des selbstgerechten, unbeirrbaren Alt-Nazis Schramm, der auch Jahre, nachdem die Bundesrepublik sich gefestigt und konsolidiert hat, noch am alten Glauben festhält. Eingeführt wird die Figur im Kreise ihrer Lieben – seiner Frau Hildegard, die Spira als etwas hausbackenes Muttchen gibt, und deren Söhnen – als ihm ein Bote einen Strauß Rosen zukommen lässt. Das ruft natürlich Hildegards Eifersucht auf den Plan, doch schnell kann ihr Mann sie beruhigen – die Blumen sind ein Zeichen, ein Code. Er selbst hat dafür gesorgt, daß ein Angeklagter, der sich offenbar in antisemitischen Äußerungen ergangen hat, fliehen konnte, bevor der Haftbefehl zur Vollstreckung kam. Die Blumen bedeuten, daß der Mann in Sicherheit, sprich: hinter der Grenze, ist. Gleich auf welcher Seite des Gesetzes man heute steht, alte Kameraden helfen einander.

Umso schrecklicher für diesen Wilhelm Schramm, daß da eine Figur aus der Vergangenheit auftaucht, die eigentlich tot und begraben sein sollte. Helds Changieren zwischen Selbstgerechtigkeit, der Sicherheit, die ihm sein Amt vermeintlich verleiht, und den ersten Zweifeln, die in ihm aufkommen, ist große Schauspielkunst. Und auch wie dieser Schramm nun versucht, alles daran zu setzen, den Straßenhändler Kleinschmidt aus der Stadt zu expedieren, wie er all seine Macht als Jurist einsetzt, wie er als „großer Mann“, wie ihn Lissy einmal bezeichnet, den „kleinen Mann“ Kleinschmidt fertig zu machen sucht, das zeigt die ganze Selbstsicherheit, mit der jene, die eigentlich in Gefängnissen hätten sitzen müssen, die eigentlich für ihre Grausamkeiten während des Krieges abgeurteilt gehört hätten, längst wieder ihre Spiele spielten, längst wieder trittsicher Fuß gefasst und Karrieren gemacht hatten. Held stattet seinen Oberstaatsanwalt Schramm mit einer mal schneidigen, mal jovialen Stimme aus, er lässt ihn nervös den Hausherren geben und dann selbstsicher und selbstgerecht als Chef auftreten, der Untergebene in Notsituationen bringt, aus denen er sie dann großmütig errettet. Ein Mann im Übrigen, der sich selbstredend keiner Schuld bewußt ist. Denkt man zumindest.

Daß Staudte hier gerade einen Juristen hernimmt, verwundert nicht, denn in kaum einem Bereich gingen die Karrieren so bruchlos weiter, wie in der Justiz. Buch und Regie zeigen also eine hohe Aufmerksamkeit und Wachsamkeit für die Vorgänge in Politik und Gesellschaft. Grandios gelingt es hier, die Verbrechen des Regimes und seiner Handlanger zu zeigen und ebenso, wie diese Verbrechen nicht nur verschwiegen wurden – Schramm erklärt seiner Frau, er habe seine Tätigkeit während des Krieges auf dem „Fragebogen“, also jenem Schriftstück, mit welchem die West-Alliierten „entnazifizierten“, einfach nicht angegeben – sondern die Verbrecher nahtlos wieder zu Honoratioren und „Stützen der Gesellschaft“ aufsteigen konnten. Womit Staudte der zeitgenössischen Gesellschaft des Jahres 1959 natürlich einen direkten Spiegel vorhielt.

Daß es eben diese Gesellschaft war, die überhaupt erst ermöglichte, daß die Täter von einst nun wieder in ihrer Mitte angekommen waren, spiegeln Buch und Regie allerdings ebenfalls. Mit den Herren Haase, Hessel und Kugler werden drei Prototypen des deutschen Klein- und Spießbürgers entworfen, anhand derer Kleingeist, Feigheit und das Schielen nach dem eigenen Vorteil vorgeführt werden. Denn die drei Herren erfahren abends am Stammtisch von Kleinschmidts Ungemach, nachdem ihm sein Gewerbeschein entzogen wurde – natürlich auf Geheiß Schramms. Das empört die Herren. Herr Haase schreibt einen langen und deutlichen Brief an den Generalstaatssekretär, um das Unrecht, daß Kleinschmidt widerfahren ist, anzuprangern und zugleich Schramm bloßzustellen, macht dann aber am Briefkasten einen Rückzieher und erklärt seiner Sekretärin, daß es letztlich doch angenehmer sei, mit und in der schweigenden Masse zu schwimmen. Herr Hesse will die Frau Oberstaatsanwältin eigentlich nicht mehr bedienen, gibt ihr aber dann doch lieber die üblichen 3% Rabatt, nur um sich später, als alles aufgeflogen ist, damit zu brüsten, den Herrn und seinen Anhang nicht mehr bedient zu haben. Der von Ralf Wolter gespielte Herr Kugler schließlich wendet sich direkt an Schramm und berichtet ihm von den Gerüchten. Er selber, ein Bauunternehmer, wolle sich daran nicht beteiligen, doch bitte er den Herrn Oberstaatsanwalt, zukünftig doch ein gutes Wort für ihn einzulegen, wenn städtische und kommunale Aufträge vergeben würden.

So bekommt gleich auch der Durchschnittsbürger sein Fett weg in diesem Film. Der mag selber nicht belastet sein, mag sich empören, ist unter Alkoholeinfluß und am Stammtisch sicher auch ein Maulheld, macht aber den Rückzieher, wenn es ernst wird, wenn es zum Schwur kommt. Ducklinge, Feiglinge und – in Kuglers Fall – Vorteilsnehmer. Es ist diese Gesellschaft, die stille und schweigende Masse, die es Männern wie Schramm erlaubte, ihre Karrieren einfach fortzusetzen. Das spiegelt Staudtes Film ganz eindeutig und sehr, sehr deutlich.

Dennoch wurde der Film ein immenser Erfolg an den Kinokassen. Das mag vor allem daran gelegen haben, daß Staudtes Film bei allem Sarkasmus und aller Satire, die er bietet, vor allem im Gewande einer eher leichten Gesellschaftskomödie daherkommt. Wie in den leichten Lustspielen der späten 20er und der 30er Jahre – allerdings auch wie in den Durchhaltekomödien der Nazis selbst – beruht die Story auf Zufällen, Mißverständnissen und Verwechslungen. Kleinschmidt ist kein Rebell, er ist auch nicht auf Rache aus. Er will seinen Gewerbeschein – und bricht sein Schweigen erst spät, vor Gericht, entgegen den eindringlichen Bitten seines Anwalts, und dann auch eher aus Versehen, denn gewollt. Dieser Mann, gerade der resignative Teil seines Charakters, hat längst akzeptiert, daß es keine Gerechtigkeit gibt, erst recht nicht für Männer wie ihn. Umso berührender seine Liebe zu Lissy. Diese sehr zarte Romanze wird ein weiterer Grund gewesen sein, daß ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT solch ein Kassenknüller wurde. Ingrid van Bergen, die Staudte sogar einen sehr kurzen Moment nackt zeigt – echte Avantgarde im Deutschland der ausgehenden 50er Jahre – , gibt eine moderne, selbstbewusste Frau, eine Geschäftsinhaberin, die auf eigenen Beinen steht. Und die doch ein großes Herz für den „kleinen Mann“, den, als welchen sie ihn sogar einmal bezeichnet, „Feigling“ hat. Sie mag den Clown, den Hallodri, den Nicht-Sesshaften, der schlicht aus seinem Wesen heraus eine Unangepasstheit verkörpert, die störend wirkt im Fluß der neuen Zeit.

Staudte und sein Kameramann Erich Claunigk hatten ein sehr gutes Gespür für ihre unmittelbare Gegenwart und die Umgebungen, in denen sie drehten. Göttingen und Hannover, vor allem aber Kassel waren die Kulissen für die Außenaufnahmen. Mit Lissys Etablissement zeigen sie eine damals moderne kleine Bar, anziehend für junge Leute ebenso, wie für gesetztere Herren wie die oben genannten Haase, Hessel und Kugler. Es läuft moderne Musik in der eben erstandenen Musik-Box und mit Schramms Stiefsohn Walter gibt es sogar einen kleinen Rockabilly-Rebellen, auch wenn der sich gleich in der Auftaktszene anhören muß, daß die Haare ab sollen. Auch seinen Musikgeschmack kommentiert Schramm mit einem heute nicht mehr zitierfähigen Wort, welches die Älteren jedoch selbst noch im Ohr haben dürften. Wie man in den 50ern Jazz eben zu titulieren pflegte, wenn man selbst tief im deutschen Liedgut verankert war – wie Schramm/Held in einem fürchterlich anzuhörenden abendlichen Moment am Klavier unter Beweis stellt.

So funktioniert der Film auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Und da dem „kleinen Mann“ Kleinschmidt letztlich auch im juristischen Sinne Gerechtigkeit widerfährt und er dann auch noch im richtigen Moment in den Rückspiegel des Lasters blickt, der ihn aus der Stadt zu bringen im Begriff ist, und somit Lissy sieht, die ihm nachrennt, was natürlich zur Vereinigung der beiden führt, kann das Publikum ganz zufrieden nachhause gehen. Denn ist man selbst mit den eher unerfreulichen Persönlichkeiten und Begebenheiten im Film gemeint? Mitnichten. Als Beweis dient dann schon der Besuch des Films selbst – zeigt man damit doch eine gewisse Aufgeklärtheit.

Das führt zum Kern der Kritik an Staudtes Film. Denn bei aller Brillanz der Darstellung, bei allem Mut des Drehbuchs, bei aller Entlarvung nationalsozialistischer Altlasten, umgeht Staudte eben doch jene Bereiche, in denen es wirklich schmerzen würde. Wie zuvor schon DIE MÖRDER SIND UNTER UNS postuliert auch ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT ein Vergangenheitsbild, in dem das 3. Reich, die Bewältigung damaligen Unrechts, zu einer rein innerdeutschen Angelegenheit gedimmt ist. Das gezeigte Unrecht – das willkürliche Todesurteil, das zu Anfang gegen Kleinschmidt verhängt wird – wird von einem Deutschen an einem Deutschen begangen und zwar innerhalb der Institution der Wehrmacht. Der Kriegsgegner tritt nur in Form des Fliegers auf, der die Erschießung unterbricht. Anders als im älteren Film, der sich diesbezüglich völlig bedeckt hält, obwohl die Figur der Susanne Wallner – so eindringlich von Hildegard Knef dargeboten – als ehemalige KZ-Insassin eingeführt wird, ist im jüngeren Film in der Anspielung auf die antisemitischen Äußerungen des von Schramm verschonten Studienrates zu Beginn des Films das Verbrechen an den Juden zumindest indirekt angesprochen.

Doch hält der Film eine große Distanz gegenüber dem Grauen ein, welches die Nazi-Zeit für die eigentlichen Opfer bedeutete, also die Juden, politische Gefangene, Homosexuelle, als behindert betrachtete Menschen undundund. Im individuellen Konflikt zwischen Schramm und Kleinschmidt wird also die Frage nach Recht und Unrecht, nach Täter und Opfer und der Macht der Täter verhandelt. Und in diese Art der Verhandlung lässt es manchmal wie einen Klassenkampf wirken: Hier der Großkopferte, der immer und überall durchkommt, dort eben jener „kleine Mann“, der doch immer nur Spielball ist, Kräften unterworfen, die er nicht versteht und von denen er sich besser fernhält.

Zwar ist dies ein Beispiel dafür, daß auch schon in den 50er Jahren über die unmittelbare Vergangenheit gesprochen wurde; es ist aber auch ein Beispiel dafür, daß dies nur unter eingeschränkten Bedingungen geschah, mit viel Rücksicht auf das deutsche Publikum.

Doch trotz dieser Kritik muß man Wolfgang Staudte zugutehalten, daß er überhaupt einer der wenigen war, die die Vergangenheit thematisierten, sich ihr stellten, wenn auch in einer erträglichen, also leider auch geschönten Form. ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT ist ein immer noch ungemein unterhaltsamer, weil eben auf intelligente Art humorvoller Film, der zugleich einiges über seine Zeit aussagt. Und damit ist es ein Zeitdokument. Man ist erstaunt, wenn man ihn nach Jahren wiedersieht, vielleicht erstmals seit der Kindheit, und feststellt, wie modern, wie gelungen er ist, wie gut er nach wie vor unter den dramaturgischen Aspekten einer Komödie funktioniert. Und was für ausgesprochen gute Schauspieler da am Werke waren. Ein großartiges Beispiel dafür, daß der unmittelbare deutsche Nachkriegsfilm auch etwas Gehaltvolles zu bieten hatte, neben etlichen Heimat- und Durchhaltefilmen.

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