DIE MÖRDER SIND UNTER UNS – Der erste deutsche Nachkriegsfilm
Wolfgang Staudtes frühe Auseinandersetzung mit den Kontinuitäten jüngster deutscher Geschichte
1945. Unmittelbar nach Kriegsende kehrt Susanne Wallner (Hildegard Knef) in das zerstörte Berlin zurück, wo sie ihre alte Wohnung wieder beziehen will. Sie hat die letzten Jahre in einem Konzentrationslager der Nazis verbracht. Sie will sich ihr Leben wieder aufbauen. In ihrer Wohnung trifft sie Dr. Hans Mertens (E. W. Borchert) an, der hier einquartiert wurde. Er ist ein starker Trinker, der von fürchterlichen Erinnerungen an seine Kriegserlebnisse gequält wird.
Die zupackende Frau, die entschlossen ist, sich nicht unterkriegen zu lassen und zunächst dafür sorgt, daß die Wohnung wieder halbwegs bewohnbar ist, fühlt sich zunächst von dem zynischen Mann abgestoßen, der sich gegenüber den Menschen als abweisend und feindselig gibt. Doch hört sie ihn nachts im Schlaf schreien und ahnt, daß ihn Schreckliches umtreibt.
Beide gewöhnen sich nach und nach aneinander und richten sich in einem provisorischen Leben ein.
Beim Aufräumen fällt Susanne ein Brief in die Hände, den sie liest. Es ist ein Abschiedsbrief, den ein Kamerad von Mertens einst geschrieben und diesem gegeben hatte, damit er ihn an die Hinterbliebenen aushändigt. Offenbar hat Hans dies aber nie getan. Als sie ihn fragt, weshalb, kommt es zu einer lautstarken Szene, während der Hans ihr erklärt, daß er dies ganz bewußt nicht getan habe. Nachdem er sich bei ihr entschuldigt hat, bittet er sie, den Botengang für ihn zu übernehmen.
Susanne sucht also die angegebene Adresse auf und stellt erstaunt fest, daß der Absender, Ferdinand Brückner (Arno Paulsen), lebt und sich bester Gesundheit erfreut. Er bittet Susanne, den Brief nicht seiner Frau auszuhändigen, man müsse ja nicht alles weitergeben, was man einst im Angesicht des sicheren Todes empfunden habe.
Brückner erzählt Susanne, wie er, Hauptmann der Wehrmacht, nach einem Angriff so schwer verwundet gewesen sei, daß er Hans Mertens, der damals Offizier in seiner Einheit gewesen sei, um dessen Pistole bat, um sich zu erschießen, da er nicht den Russen in die Hände habe fallen wollen. Brückner zeigt sich erfreut, daß Hans noch lebt und schlägt vor, sich einmal gemeinsam zu treffen.
Hans ist schockiert, als er von Susanne erfährt, daß Brückner noch lebt. Dennoch trifft er sich mit ihm. Brückner, jetzt ein Fabrikant für Nudelsiebe, die er aus Stahlhelmen, die er zuvor produzierte, herstellt, hat schnell wieder Anschluß ans bürgerliche Leben gefunden. Er lebt in relativem Wohlstand, hat eine Familie und glaubt fest daran, daß es mit Deutschland wieder aufwärts gehe.
Er schlägt Hans, der ihn bei einem Familienessen besucht und daran teilnimmt, vor, doch einmal gemeinsam in eins der neu entstandenen Tanzlokale zu gehen, man könne sich doch gemeinsam amüsieren. Hans, der regelmäßiger Kunde in diesen Etablissements ist, stimmt zu. Unterwegs führt Hans Brückner durch entlegene Trümmerfelder. Er will den Mann mit seiner Pistole, die Brückner ihm zurückgegeben hat, als „Andenken“ an gemeinsam überstandene Kriegsabenteuer, erschießen.
Doch gerade, als Hans Anstalten macht, seinen Plan in die Tat umzusetzen, treffen die beiden auf eine aufgelöste Frau, die verzweifelt einen Arzt sucht, ihre Tochter läge im Sterben. Hans weigert sich zunächst, doch Brückner, der weiß, daß Hans ein guter Chirurg ist, nötigt ihn geradezu. So geht Hans mit der Frau, die mit ihrer Tochter in einem baufälligen Loch lebt und nimmt hier eine Notoperation an dem Mädchen vor.
Derweil amüsiert sich Brückner mit den leichten Damen in dem Lokal und lässt es sich gut gehen.
Für Hans ist die Rettung des Mädchens eine Art Katharsis. Er fasst wieder Lebensmut und öffnet sich Susanne, in die er sich verliebt hat und die ihn ebenfalls liebt. Eine Weile geht es den beiden gut und sie blicken gemeinsam in eine offene Zukunft. Doch an Weihnachten verdüstert sich Hans´ Stimmung erneut. Er beschließt, Brückner in dessen Fabrik aufzusuchen und nun zu töten. Susanne teilt er mit, er müsse noch etwas erledigen.
In seiner Abwesenheit findet sie Hans´ Tagebücher und erfährt nun, was ihren Geliebten so umtreibt und weshalb er Brückner so hasst: Der hatte am Weihnachtsabend 1942 im besetzten Polen 121 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, als Vergeltungsaktion erschießen lassen. Mertens war es nicht gelungen, nicht einmal mit einem Appell an sein „christliches“ Herz und den Hinweis auf Weihnachten, seinen damaligen Hauptmann davon abzuhalten. Anschließend an die Erschießungsaktion feierte der Offiziersstab friedliche Weihnachten.
Susanne rennt in die Nacht hinaus, um Hans von seinem Vorhaben abzuhalten.
Der hat mittlerweile die Fabrik erreicht, nachdem er zuvor einer Andacht in einer zerstörten Kirche gelauscht hatte, und hört nun Brückners Ansprache an die Belegschaft. Als die Arbeiter alle gegangen sind, stellt Hans Brückner zur Rede und konfrontiert ihn mit dem Massaker. Brückner hält sich für unschuldig, beharrt darauf, daß es „andere Zeiten“, eben „der Krieg“, gewesen sei, man das alles nun ruhen lassen und vergessen müsse.
Gerade als Hans auf Brückner schießen will, kommt Susanne hinzu und fleht ihn an, nicht selbst zum Mörder zu werden, wie Brückner einer sei. Sie hat die letzte Zeile in Hans Tagebuch vor Augen: DIE MÖRDER SIND UNTER UNS! stand da zu lesen. Hans gibt nach und pflichtet Susanne bei, daß es notwendig sei, daß nun ordentliche, zivile Gerichte die Arbeit aufnähmen und Menschen wie Brückner aburteilen sollten.
Susanne und Hans kehren gemeinsam in ihre Wohnung zurück.
Es werden Bilder von toten Zivilisten, von Brückner im Gefängnis, Soldaten und Massengräbern übereinander geblendet.
Über Klassiker mit gesellschaftspolitischem Anspruch zu schreiben, sie zu analysieren, den Versuch zu wagen, sie einzuordnen, ist alles andere als einfach. Lauern da doch eine ganze Reihe von Gefahren. Wie betrachtet man einen Film aus mehr als 70 Jahren Abstand? Mit dem Blick dessen, der um die Geschichte weiß, der die Entwicklungen seit Erscheinen des Werks kennt? Oder doch besser aus einer zeitgenössischen Perspektive? Umso schwerer, wenn es sich beim Klassiker um ein Werk handelt, das für seine Zeit steht, wie kaum ein anderes vergleichbares, das in den allgemeinen Kanon eingegangen ist und allgemein anerkannt wird?
Wolfgang Staudtes DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946) ist genau solch ein Werk. Es war der erste Nachkriegsfilm, der in Deutschland gedreht wurde, es ist ein Werk, das exemplarisch für den sogenannten „Trümmerfilm“ steht – also Filme, die noch in den Ruinen des Krieges gedreht wurden und damit fast dokumentarischen Charakter bekamen, bildeten sie doch das ganze Ausmaß der Zerstörung Deutschlands ab – und es ist ein Werk, das allgemein anerkannt wurde, weil es sich sehr früh bemühte – der Titel ist Programm – die Kontinuitäten aufzuzeigen, die sich nach dem Zusammenbruch des 3. Reichs in Deutschland abzeichneten. Und es stimmt ja auch – Staudte gelingt ein für diese frühe Phase des Nachkriegsfilms auch dramaturgisch erstaunlich kohärenter Film, der den Finger in offene Wunden legt und sich vor allem nicht scheut, Verbrechen der Wehrmacht anzusprechen. Mehr noch: Der innere Konflikt des Protagonisten Dr. Hans Mertens – und damit auch der dramaturgisch zentrale Konflikt des Films, der Movens, der die Figuren aufeinander zutreibt – ist eben das Verbrechen, an dessen Beteiligung die Hauptfigur so leidet. 121 Frauen, Kinder und alte Männer wurden während einer Kommandoaktion in Polen am Weihnachtsabend 1942 erschossen, Dr. Mertens war als Offizier mit verantwortlich..
Es ist erstaunlich, daß Staudte, der auch das Drehbuch für seinen Film schrieb, so offen die Verbrechen anspricht, die die Wehrmacht begangen hatte. Verbrechen, von denen man in Deutschland lange nichts wissen wollte, galt die Wehrmacht doch als „sauber“ und war für viele ehemalige Soldaten ein gedanklicher Zufluchtsort, an dem man sich einreden konnte, nur seine Pflicht getan zu haben und nicht mitschuldig geworden zu sein an den Verbrechen der Nazis. Es ehrt Dr. Mertens natürlich im Kontext des Films, daß er unter den Erinnerungen und der empfundenen Schuld leidet und es ehrt ihn auch, daß er bereit ist, sich dennoch ins Leben zurück zu kämpfen, was ihm in dem Moment gelingt, in dem er einem Kind dessen Leben retten kann. Es ehrt den Film allerdings weniger, daß die von Hildegard Knef in einem ihrer frühesten Filme gespielte Susanne Wallner eben aus dem Konzentrationslager zurück gekehrt ist. Offensichtlich durchaus wohl genährt und bereit, das Leben anzupacken, aufzuräumen, dabei mitzuhelfen, das Land wieder aufzubauen. Es ist dies die Schnittstelle, an der sich die zeitgenössische und die Perspektive des zeitlichen Abstands schneiden und einander ins Gehege kommen. Wir wissen um die schrecklichen Gräuel der KZ, wir wissen, was es bedeutet haben muß, in einem der Lager gefangen gewesen zu sein, zumindest haben wir eine Vorstellung davon. Wir kennen die Bilder, wir kennen die Geschichten der Überlebenden. Und wir wissen, daß die, die die Lager überlebt haben, zumeist gebrochene Menschen waren. Egal, ob sie dort aufgrund ihres jüdischen Glaubens eingesperrt waren, oder weil sie Zigeuner, homosexuell oder politische Gefangene waren. Doch Susanne Wallner wird als Mensch dargestellt, der vergessen, ein neues Leben anfangen, aufbauen will. Schwer vorstellbar, daß diese Frau Jahre den Willkürakten und dem Grauen eines Konzentrationslagers ausgesetzt gewesen sein soll.
Staudte muß zumindest eine Ahnung gehabt haben. In einer Szene am Frühstückstisch des Fabrikdirektors Brückner – eben jenes Kommandanten, der die Erschießung der Zivilisten 1942 befahl und nun bereits wieder gesellschaftsfähig statt, wie zuvor, Stahlhelme Nudelsiebe produziert – wird uns überdeutlich die Titelseite einer Zeitung präsentiert, die davon kündet, in Auschwitz seien 2 Millionen Juden vergast worden. Brückner nutzt die Zeitung als Unterlage für seine Kaffeetasse, wodurch die Szene hohen symbolischen Charakter erhält. Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl, wenn man bedenkt, wie sehr Mertens, der zusehends dem Alkohol verfällt, unter den Erinnerungen und der empfundenen Schuld leidet und wie leicht Frau Wallner ihre Erlebnisse, von denen im gesamten Film nie die Rede ist, außer in der Einführungsszene, in der eine Nachbarin im Treppenhaus raunt, „die“ käme aus dem Lager zurück, wegzustecken scheint. Ohne, daß Staudte dies wollte, werden hier Kriegserlebnisse und Kriegsschrecknisse gegen die Erlebnisse und Schrecknisse der Konzentrationslager ausgespielt. Und im Kontext des Films wirken die Kriegserlebnisse dann doch weitaus schlimmer, betrachtet man Mertens Zerfall. Dramaturgisch wäre es unnötig gewesen, Susanne Wallner eine KZ-Vergangenheit mitzugeben.
Brückner hingegen ist – erstaunlich treffend gezeichnet – genau der Typus, der nach 1945 einfach weitermachte. Unbeeindruckt von jedwedem Schuldgefühl, scheint er schon früh wieder Fuß gefasst zu haben, hat seine Fabrik wieder in Betrieb genommen und die Produktion angeschmissen[1]. Eben noch Rüstungsgüter hergestellt, baut man mit Alltagsgegenständen schon eifrig die Zivilgesellschaft wieder auf. Und genießt ausgiebig die Vorzüge des Friedens. Trotz der Trümmer, der Toten und des Leides um ihn herum, ist für Brückner der Krieg schon weit weg. Mit seinen Verbrechen konfrontiert, verweist er darauf, daß das doch „ganz andere Zeiten“ gewesen seien – als sei der Krieg, dessen Zeichen, die Wunden, doch so überdeutlich ausgestellt werden im gesamten Film, eine lang zurückliegende Vergangenheit. In einer Rückschau wird gezeigt, wie die Zivilisten niedergemäht werden und der Offiziersstab sich anschließend unterm Weihnachtsbaum trifft und andächtig Weihnachtslieder anstimmt. Und wieder ist Weihnachten, die erste Nachkriegsweihnacht und Mertens beschließt, Brückner zu töten. Er sucht die Fabrik auf und hört sich Brückners Ansprache an seine Belegschaft an, verlogene Worte über Frieden, aufkommenden Wohlstand und den Aufbau der Gesellschaft. Staudte bringt darin seine ganze Abscheu vor eben jenen zum Ausdruck, die schuldig geworden sind und dennoch einfach weitermachten, als sei nichts geschehen. Es war halt der Krieg. Wie in einem Dostojewski´schen Roman ist es die Liebe einer Frau, die Mertens davor bewahrt, selbst erneut zum Mörder zu werden. Gerade rechtzeitig kann Susanne Wallner ihn davon abhalten, Brückner zu töten. Das Morden muß aufhören.
Es wurde die Vermutung angestellt, daß Staudte das Ende seines Films habe abschwächen müssen, um keine etwaigen Nachahmungstäter zu animieren, auf keinen Fall eine Art Pogromstimmung zu schüren oder gar Selbstjustiz Vorschub zu leisten. Mertens Einsicht, daß Menschen wie Brückner der Justiz zu übergeben und von ordentlichen Gerichten für ihre Taten zu verurteilen seien, wirkt dann auch wirklich wie eine Befriedung des Publikums. Doch wirkt das Ende in gewisser Weise auch wie ein Fazit des gesamten Films, denn eine gewisse Apologetik kann man ihm nicht absprechen. Sicher, die Wehrmacht hat in Polen offenbar schlimm gewütet, es hat brutale Verbrechen gegeben, doch der „anständige“ Deutsche leidet unter dieser Tatsache und fühlt sich schuldig. Mertens Katharsis, als er das Mädchen retten kann, wirkt in Bezug auf die Heftigkeit der begangenen Verbrechen – auch dessen, das im Film Erwähnung findet und eben auch gezeigt wird, wobei als letztes ein kleines Kind von einer Maschinengewehrgabe fällt – doch recht einfach zu haben. Wenn die Errettung eines einzigen Lebens in den Trümmern Berlins die Mitschuld am Mord an 121 Menschen wenn schon nicht tilgen, so doch deutlich abschwächen und erträglich machen kann, kann der Weg zurück in die Zivilgesellschaft, zurück in die zivilisierte Gemeinschaft der Völker, so schwer ja nicht sein. Zumal das Kind schließlich unter den Bedingungen leidet, die die Alliierten mit ihren Luftangriffen den Deutschen bereitet haben. Ohne behaupten zu wollen, daß hier eine Relativierung stattfände, haben die Zusammenhänge doch durchaus einen gewissen Geschmack des Aufrechnens. Und dazu trägt natürlich in nicht geringem Maße das Bild bei, das DIE MÖRDER SIND UNTER UNS vom zerstörten Berlin – stellvertretend für das zerstörte Deutschland – zeichnet.
Daß die, die diese Trümmerlandschaften, die einmal ihre Heimat gewesen waren, betrachteten, einem nachhaltigen Schock unterlagen, ist nur allzu verständlich. Eine solche Zerstörungswucht durch Menschenhand hatte die Menschheit zuvor wahrlich noch nicht gesehen. Davon legt der Film ebenso beeindruckend wie bedrückend Zeugnis ab. Vielleicht ist dies aus heutiger Sicht sein eigentlicher Verdienst: Nachhaltig diese Zerstörung festgehalten zu haben. Jene Szenen, in denen Mertens allein, an einer Stelle auch gemeinsam mit Brückner, durch Berlin streift, Trampelpfaden durch die Haufen aus Ziegelsteinen und Unrat folgend, wo Ratten sich ungeniert bedienen, wo Menschen in Erdlöchern und einsturzgefährdeten Ruinen hausen, sind sicherlich die eindrücklichsten des Films. Sofort fallen dann auch die Kontraste zu den Innenaufnahmen in der ebenfalls zerstörten, windigen Wohnung von Susanne Wallner auf, die deutlich als Studiokulisse zu erkennen ist. Was in den Außenaufnahmen wirklich dokumentarischen Charakter erhält, wird hier zu einem Kammerspiel in besseren Theaterbauten. Vorwerfen kann man dies dem Film natürlich nicht, bedenkt man, unter welchen Bedingungen er entstand.
Rein filmanalytisch fällt auf, daß sich Staudte gelegentlich am deutschen Expressionismus orientiert und damit an eben jener bahnbrechenden Epoche, die dem deutschen Film seine wohl beste, künstlerisch wichtigste Zeit beschert hatte und durch den Exodus der oft jüdischen Künstler – Regisseure, Schauspieler, Drehbuchautoren, aber auch Techniker, Kameraleute, Kulissenbauer, etc. – spätestens nach der Machtergreifung der Nazis 1933 abrupt beendet wurde. Allerdings nimmt Staudtes Film scheinbar einen interessanten Umweg: Einige Szenen, Einstellungen, in denen Licht und Schatten genutzt werden, um symbolisch von Schuld und Sühne zu erzählen, davon, wie noch der selbstsicherste Alt-Nazi in der Falle hocken kann, erinnern deutlich an den amerikanischen Film Noir, der just in jenen Jahren einen seiner Höhepunkte erlebte. Es wundert, daß DIE MÖRDER SIND UNTER UNS unter diesem rein formalen Aspekt nie als Beitrag zum Genre – ein umstrittenes – betrachtet wurde.
Sein schwarz-weißer Look, gerade die Licht-Schatten-Spiele, die ausgiebige Nutzung der dunklen Zwischenräume und Schatten der Ruinen und baufälligen Treppenhäuser, aber auch gewisse Kameraeinstellungen, weisen alle Merkmale des Film Noir auf. Und auch inhaltlich könnte man dem Film eine gewisse Affinität attestieren. Wie im Film Noir haben wir es im Kern auch hier mit einem Verbrechen zu tun, ohne daß die Polizei einschreitet, es sich also formal um einen Kriminalfilm handelt, damit, daß ein einsamer Mann, wie die Anti-Helden des Film Noir ein Verlorener, selber zur Aufklärung, zunächst auch Rache, schreitet. Wie die Protagonisten des Film Noir, ist dieser Mann gebrochen, sind seine Narben und Wunden innerlich und nicht ohne Weiteres zu heilen. Er hält sich am Alkohol fest und versucht, die Dämonen seiner Seele so zu bannen. Er trägt Schuld. All dies sind typische Merkmale des Film Noir. Wenn man also, wie es einige Filmhistoriker und Filmtheoretiker gern tun, den Film Noir nicht als eigenes Genre betrachten will, sondern eher als einen Stil, der in ganz unterschiedlichen Genres greifen konnte – im Kriminalfilm, in Thrillern, Western, im Kriegsfilm, immer verbunden mit melodramatischen Elementen – , wenn also die unterschiedlichsten Filme als Beiträge zum „Genre“ betrachtet werden können, dann sollte man durchaus überlegen, ob Wolfgang Staudtes Film nicht ein sogar sehr gelungener Beitrag dazu ist.
Auf jeden Fall ist es ein gelungener Versuch, wieder an die großen Zeiten des deutschen Films anzuschließen. Staudte, der allerdings schon im 3. Reich als Schauspieler, gelegentlich auch als Regisseur gearbeitet hatte, blieb sich, soweit es möglich war, treu und lieferte mindestens mit DER UNTERTAN (1951) einen weiteren hochgradig gesellschaftskritischen Film ab, der allerdings mit den Mitteln der Satire arbeitete. Wie DIE MÖRDER SIND UNTER UNS war auch DER UNTERTAN eine Arbeit für die Ost-Berliner DEFA (obwohl diese offiziell erst einige Monate nach Abschluß der Dreharbeiten zu DIE MÖRDER SIND UNTER UNS, die zwischen März und August 1946 stattfanden, gegründet wurde). Danach bekam der Regisseur Probleme mit westdeutschen Behörden und trennte sich trotz seines anfänglichen Widerstands schließlich von der Produktionsfirma. In Westdeutschland konnte er lange keine Filme realisieren, die seinen kritischen Ansprüchen genügten, da die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft lieber in Heimatfilmen einer Zeit hinterher hing, die es nie gegeben hatte, und mit SiSSI (1955) und den Nachfolgefilmen einen orgasmatischen Wachtraum historischen Ausmaßes geliefert bekam, der alles Bedenken der jüngsten Vergangenheit vergessen ließ. Doch konnte Staudte schließlich ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT (1959) drehen, der erneut das Thema der personellen Kontinuitäten nach 1945 aufgriff, diesmal aber, wie bei DER UNTERTAN, mit satirischen Mitteln.
DIE MÖRDER SIND UNTER UNS wird nicht nur ein Zeitzeugnis bleiben, sondern immer auch den Verdienst haben, früh, sehr früh, nachdem das Trauma des Zusammenbruchs die deutsche Bevölkerung ereilt hatte, trotz aller Kritik, die man üben kann, aus der Rückschau wohl auch üben muß, darauf hinzuweisen, daß die eigene Verstrickung in das, was geschehen war, nicht in Vergessenheit geraten durfte. Er wird ein Zeugnis dafür bleiben, daß man sehr wohl – entgegen der landläufigen Meinung – schon früh reflektieren konnte, was da geschehen war und wie es in der Nachkriegszeit und schließlich auch in den beiden neuen Deutschländern weiter wirken konnte. Daß das niemand wissen wollte für lange Zeit, kann man schwerlich dem Regisseur und Autor Wolfgang Staudte vorwerfen. Seine Filme beweisen, daß zumindest Künstler früh auf die Verstrickungen der Verbrecher hinwiesen und sich dem Vergessen entgegen stemmten.
[1] Man mag es dahingestellt sein lassen, ob dies wirklich so schnell möglich war – immerhin ist die Handlung in den Monaten direkt nach Ende der Kampfhandlungen 1945 angelegt. Staudte muß die Entwicklung jedoch zumindest antizipiert haben.