SALVADOR

Oliver Stones Ausflug nach Lateinamerika kann auch vierzig Jahre nach Veröffentlichung immer noch überzeugen

Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre ist der Fotojournalist Richard Boyle (James Woods) völlig abgebrannt. War er einst ein anerkannter seriöser Journalist, der sich seine ersten Meriten mit Artikeln über Lateinamerika, speziell El Salvador verdient hatte, lebt er nun mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Kind in einer Absteige in San Francisco. Er bekommt keine Aufträge mehr, da er als unzuverlässig gilt, auch hat er es sich den meisten seiner Freunde verdorben.

Als seine Freundin mit dem Kind abhaut, beschließt Boyle, seine Zelte in den Staaten ab- und gen Lateinamerika aufzubrechen. Dort braut sich etwas zusammen und er hofft, seine Karriere mit entsprechenden Artikeln wieder in Schwung bringen zu können.

Boyle überredet seinen alten Kumpel „Doc“ Rock (James Belushi), einen dauerbekifften Vertreter der Subkultur, ihn zu begleiten. Der lässt sich auf das Abenteuer ein, ohne zu ahnen, was ihn in El Salvador – von Boyle als eine Art Hippie-Paradies angepriesen – erwartet.

Einmal dort angekommen, dauert es nicht lang, bis die beiden erleben müssen, was hier vor sich geht: Sie werden von Nationalgardisten gefangen genommen, lange ist unklar, was das bedeutet, doch schließlich gelingt es Boyle, sich verständlich zu machen: Er sei ein Bekannter des Colonel Figueroa (Jorge Luke), der ihn noch aus seiner früheren Zeit im Land kennt.

Durch Figueroa erfahren die beiden, was genau sich hier abspielt: Revolutionäre haben begonnen, die Gesellschaft zu infiltrieren, während das Regime immer brutaler gegen seine Feinde vorgeht, teilweise regelrechte Massaker anrichten lässt. Zudem gäbe es sogenannte Todesschwadrone, die von Privatleuten angeheuert und unterhalten würden.

Doc Rock ist schockiert und will im Grunde schnell wieder weg aus diesem Land, das sich als etwas komplett anderes entpuppt, als er erwartet hatte.

Boyle trifft Maria (Elpidia Carrillo), eine Freundin aus früheren Tagen, in die er vorgibt, immer noch verliebt zu sein. Wie seine Gefühlslage tatsächlich ist, weiß er wahrscheinlich selbst nicht, da er sich zwischen beruflichen Problemen, Alkoholismus und seinen kleinen, oft halblegalen Geschäften zu verlieren droht.

Boyle lässt seine vielseitigen Kontakte spielen, um kleinere Aufträge an Land zu ziehen. So spricht er zunächst mit Botschafter Kelly (Michael Murphy), der ihm noch einmal bestätigt, dass das rechtsgerichtete Regime brutal gegen jede Opposition vorgeht. Kelly selbst vertritt eher liberale Ansichten, weiß aber, dass er unter der neuen US-Administration von Ronald Reagan mit diesen nicht wohlgelitten ist.

Bald stellt sich Boyle die Frage, ob Kelly hier aus US-Sicht das Sagen hat oder vielmehr die Vertreter der CIA, Jack Morgan (Colby Chester), oder auch Berater des US-Militärs wie Colonel Bentley Hyde Sr. (Will MacMillan), der erklärter Antikommunist ist und bei gelegentlichen Aufeinandertreffen mit Boyle deutlich macht, was er von Journalisten wie ihm hält – nämlich nichts.

Boyle trifft auch seinen Kollegen John Cassady (John Savage), eine Legende unter Fotojournalisten, der die Maxime vertritt: „Um die Wahrheit zu finden, musst du nah rangehen; gehst du nah ran, gehst du drauf.“ Cassady nimmt Boyle auf verschiedenen Trips in den Dschungel und zu Hot Spots mit – so wird Boyle Zeuge schrecklicher Massaker, immer wieder stoßen sie auf Hügel, an deren Hängen völlig offen die Leichen der Getöteten verrotten. Auch in den Städten und Dörfern, durch die sie kommen, sehen sie immer wieder die Folgen des sich anbahnenden Bürgerkriegs.

Persönlich muss Boyle sich mit Maria und deren Familie auseinandersetzen, zudem sitzt ihm Doc Rock im Nacken, der eigentlich abhauen will, was aus finanziellen Gründen nicht geht. Immerhin lässt er es sich gutgehen, während Boyle sich immer verzweifelter bemüht, Geld zu verdienen – nicht nur für sich, sondern auch für Maria und deren Familie.

Boyle streckt seine Fühler in alle Richtungen aus, trifft auf eine alte Freundin, die Nonne Cathy Moore (Cynthia Gibb), die sich in einer Missionsstation mit ihren Ordensschwestern um die Kinder getöteter Rebellen und Bauern kümmert. An sie wendet sich Boyle auch, als Marias Bruder verschwindet. Er hatte in die Berge gehen und sich den Rebellen anschließen wollen.

Der Privatier, Unternehmer und Lokalpolitiker Maximiliano Casanova (Tony Plana), der selbst eine Todesschwadron unterhält und vorhat, nächster Präsident des Landes zu werden, um dann die eigenen Geschäfte vor allem mit den USA vorantreiben zu können, erklärt bei einem Essen mit Untergebenen ganz offen, dass er die Vertreter der sogenannten Befreiungstheologie, allen voran den Bischof Óscar Romero (José CarloS Ruiz), aus dem Weg geräumt haben will. Diese Richtung der katholischen Kirche nimmt immer offener Partei für die Kleinbauern, die Unterdrückten, die Geschundenen und kommt den Geschäften der Großgrundbesitzer und Industriellen in die Quere.

Gemeinsam mit Cassady reist Boyle zu einem Gottesdienst des Bischofs. Hier werden sie Zeugen, wie er während der Messe erschossen wird. Im anschließenden Tumult wird Boyle verletzt.

Später muss er begreifen, wie weit die Gewalt des Regimes geht: Marias Bruder wurde tot, zerschunden und geprügelt vor der Tür des Hauses, in dem die Familie lebt, abgelegt. Doc Rock ist erschüttert.

Auch die Nonnen um Cathy Moore werden Opfer der Nationalgardisten: Als sie von einem Kurztrip in die USA zurückkehren, wird der Wagen, in dem sie zurück in die Mission fahren, abgedrängt, sie werden herausgezerrt, vergewaltigt und allesamt ermordet. Boyle und Cassady sind am folgenden Morgen Zeugen am Tatort, wissend, dass sich niemand wirklich um die Aufklärung bemühen wird.

Im Gegenteil: Als Boyle auf einer Party in der amerikanischen Botschaft Morgan und Hyde zur Rede stellt und sie damit konfrontiert, dass das Vorgehen der USA, die mittlerweile immer mehr militärische Berater ins Land schicken, ihn stark an das in Vietnam erinnere, sie sich also erneut die Finger schmutzig machen und erneut die Zivilbevölkerung am meisten leide, zeigen die beiden sich nicht nur unbeeindruckt, vielmehr machen sie die El Salvadorianer mit dafür verantwortlich, was im Land geschehe, weil sie sich nicht den herrschenden Verhältnissen unterordneten. Auch zeigen sie wenig bis kein Mitleid mit dem Schicksal der Nonnen. Auch die sind in ihren Augen schlichtweg Störenfriede, die ihr Ende geradezu herausgefordert haben. Der Kampf gegen den Kommunismus sei das einzige, was zählt. Das verdeutlicht vor allem Hyde mehrfach.

Bei einem weiteren Ausflug in die Krisengebiete wird Cassady getötet. Diesmal, so war er sich sichert, habe er das eine Foto geschossen, das Foto, das alles ändern könne – und wie von ihm prophezeit, ist es auch das Bild, das ihn tötet. Der geschockter Boyle, der den Tod seines Freundes kaum fassen kann, nimmt dessen Filme an sich.

Während die Rebellen langsam aus den Bergen strömen und das Land tatsächlich zu fluten und damit auch einzunehmen beginnen, wird Boyle klar, dass er fliehen muss. Er ist bei zu vielen Leuten angeeckt, hat sich zu viele Feinde gemacht.

Morgan und Hyde bedrängen Kelly, die amerikanischen Waffen- und Treibstofflager zu öffnen und der Armee, respektive der Nationalgarde zur Verfügung zu stellen, da sonst ein kommunistisches Regime drohe. Der unsichere Kelly erklärt sich schließlich bereit dazu. Nun ist der Bürgerkrieg in voller Härte ausgebrochen.

Boyle heiratet in einer schnellen und schmucklosen Zeremonie Maria, damit er sie mit in die USA nehmen kann. Doc Rock bringt sie an die Grenze nach Guatemala, wo es brenzlig wird. Doch dank Doc, der im richtigen Moment schnell schaltet und Kelly informiert, gelingt es Boyle, Maria und deren Familie, die Grenze zu passieren. Boyle konnte auch mit einem Trick Cassadys Filme, die u.a. das gewaltsame und gnadenlose Vorgehen der Regierungstruppen belegen, retten und mitnehmen.

Es gelingt ihnen, auf dem Landweg in die USA zu kommen, doch kurz hinter der Grenze zu Mexiko wird der Bus, in dem sie alle sitzen, angehalten. Die Grenzpolizei sucht nach illegalen Einwanderern und da Maria und die Kinder keine Papiere besitzen, werden sie aus dem Bus geholt und mitgenommen. Boyle versucht das zu verhindern, wird aber seinerseits festgenommen.

Bildtafeln erklären, dass er sie nach seiner Freilassung gesucht habe; sie sollen in einem Flüchtlingslager in Guatemala leben.

Die Fotos, die Cassady das Leben gekostet haben, werden veröffentlicht und rütteln die amerikanische Öffentlichkeit auf.

Der Bürgerkrieg in El Salvador, der sich bis Anfang der 90er Jahre hinzog, forderte rund 75.000 Todesopfer, größtenteils unter der Zivilbevölkerung. Mit Hilfe des US-Militärs begingen Regierungstruppen beim Massaker von El Mozote eine der brutalsten Gräueltaten in der Geschichte Lateinamerikas.

Oliver Stone, heute für Filme wie PLATOON (1986), WALL STREET (1987), JFK (1991) oder NATURAL BORN KILLERS (1994) ebenso berühmt wie berüchtigt, war in Hollywood eine Größe lange bevor es ihm gelang erstmals im Regiestuhl Platz zu nehmen. Er hatte die Drehbücher für teils umstrittene Filme wie Alan Parkers MIDNIGHT EXPRESS (1978) geschrieben, wofür er tatsächlich den Drehbuch-Oscar gewann, teils für schnell als moderne Klassiker betrachtete Werke wie Brian De Palmas SCARFACE (1983) und Michael Ciminos THE YEAR OF THE DRAGON (1985). Selbst hatte er bei zwei eher seltsamen, kommerziell nicht sonderlich erfolgreichen Horrorfilmen – SEIZURE (1974) und THE HAND (1981) – Regie geführt, galt aber nach deren Scheitern weiterhin als brillanter Drehbuchautor, seine Fähigkeiten als Regisseur waren hingegen umstritten. So dauerte es, bis es ihm gelang, eine weitere Regiearbeit zu realisieren. Es sollte SALVADOR (1986) werden.

Durch Zufall war Stone auf die Aufzeichnungen des Fotojournalisten Richard „Rick“ Boyle gestoßen, die ihn faszinierten. Boyle war in den Jahren 1980/81 in El Salvador gewesen und hatte dort hautnah den Beginn des Bürgerkriegs miterlebt, der sich schließlich – immer durch amerikanische Einflüsse, vom Militär und vor allem der CIA befeuert – bis in die frühen 1990er Jahre hinziehen sollte. Für die Linke, aber auch für viele Liberale, war das amerikanische Engagement in Lateinamerika ein Skandal, erinnerte dies doch auf bemerkenswerte Art und Weise an den Beginn des Vietnamkriegs in den 60er Jahren. Die Schrecken dieses Krieges steckten vielen Amerikanern noch in den Knochen, der Verlust seines moralischen Gewichts hatte die USA globalpolitisch tatsächlich massiv geschwächt. Umso erstaunlicher, dass man nun erneut bereit war, sich auf das nächste außenpolitische Abenteuer einzulassen. Wieder ging es um das Zurückdrängen einer angeblich unmittelbar bevorstehenden kommunistischen Revolution, diesmal, wie einst in Kuba, direkt vor Amerikas Haus-, bzw. Hintertür. Damals bekam die Vorstellung neue Nahrung, Latein- und Südamerika seien so etwas wie der „Hinterhof“ der USA, die bereits im 19. Jahrhundert durch die sogenannte Monroe-Doktrin aufgekommen und in den 50er, 60er und 70er Jahren immer wieder neu aufgelegt worden war und zu massiver Einflussnahme durch die USA, vor allem durch die U.S.-amerikanischen Geheimdienste (Guatemala 1954, Chile 1973) geführt hatte.

Stone schrieb gemeinsam mit Boyle ein Drehbuch, das von sämtlichen Studios in Hollywood, an die er sich wandte, abgelehnt wurde. Einerseits schien das Thema nicht massenkompatibel und also kommerziell wenig erfolgreich, andererseits war es politisch zu heiß. Es konnte Ärger mit allen möglichen offiziellen Stellen bedeuten, niemand wollte sich daran die Finger verbrennen. Zudem gab Hollywood sich seit Beginn der 80er Jahre gänzlich einem neuen chauvinistischen Patriotismus hin. Seitdem Sylvester Stallone – seit geraumer Zeit Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion – mit den Figuren des Boxers Rocky und des Vietnamveteranen Rambo aktiven Geschichtsrevisionismus betrieb und direkten Einfluss auf den Kalten Krieg zu nehmen schien, hatte Hollywood nicht mehr viel Interesse an jenem kritischen Kino, das die 70er Jahre geprägt hatte und unter der Bezeichnung ‚New Hollywood Cinema‘ in die Filmgeschichte eingegangen ist. Stone ist sicherlich kein Vertreter dieser spezifischen Art amerikanischen Films, dafür ist sein Interesse an Mythos, Spektakel und klassischem Erzählen zu ausgeprägt, doch hat er bspw. das (nicht sonderlich gelungene) Drehbuch für Hal Ashbys (nicht sonderlich gelungenen) Film 8 MILLION WAYS TO DIE (1986) geschrieben und so mit einer Ikone des ‚New Hollywood‘ zusammengearbeitet. Die Einflüsse der 70er Jahre auf sein Kino, seine Art von Filmen, sind nicht zu übersehen und nicht zu unterschätzen.

Stone gelang es schließlich – größtenteils in Großbritannien – ein von Hollywood völlig unabhängiges Budget von ca. viereinhalb Millionen Dollar aufzutreiben, was für einen Film der angepeilten Größenordnung und auch angesichts des Aufwands, den man auf der Leinwand deutlich sehen kann, nicht sonderlich viel Geld bedeutete. Zunächst gab es die Überlegung, Boyle sich selbst spielen zu lassen. Das Script, das Stone und der Journalist verfasst hatten, hielt sich zwar nicht sklavisch an die genauen Abläufe – Stone weiß natürlich, dass man eine Story dramaturgisch straffen und verengen muss, um sein Publikum einsammeln, packen und mitreißen zu können – doch war es nah genug an der Realität der Jahre 1980/81 angesiedelt, dass die Idee, halbdokumentarisch vorzugehen und einige der Beteiligten sich selbst spielen zu lassen, zunächst verlockend schien. Nach ersten Probeaufnahmen waren alle Beteiligten allerdings überzeugt, dass es besser sei, erfahrene Schauspieler an Bord zu holen.

So wurden James Woods als Richard Boyle, James Belushi als dessen Freund Doc Rock und John Savage als Fotograf John Cassady engagiert. Cassady war an den Journalisten John Hoagland angelehnt, der 1984 tatsächlich in den Wirren des Bürgerkriegs in El Salvador ums Leben gekommen ist. Da sein Name auf einer Todesliste der illegalen und privatgeförderten Todesschwadronen stand, die maßgeblich für den während des Bürgerkriegs begangenen Terror an der Zivilbevölkerung verantwortlich waren, muss davon ausgegangen werden, dass sein Tod kein tragischer Unfall war, wie es offiziell gern dargestellt wurde. Boyle war jedoch, anders als im Film darstellt, nicht bei Hoaglands Tod anwesend, hier nahm sich das Drehbuch – wie auch in einigen anderen Punkten – die künstlerische Freiheit, Geschehnisse zusammen- und engzuführen, um so den ganzen Schrecken jener Jahre einfangen und verdeutlichen zu können.

Stone scheut sich u.a. nicht, den Mord an Erzbischof Óscar Romero nachzustellen, ein Ereignis, das maßgeblich mit dafür verantwortlich war, dass der Bürgerkrieg offen ausbrach, aber auch für internationale Aufmerksamkeit sorgte, was die Geschehnisse in Lateinamerika generell anging, war Romero doch ein Vertreter der sogenannten Befreiungstheologie, die auch in Europa zusehends Anhänger fand. Ebenso drastisch zeigt Stone die Vergewaltigung und den Mord an vier katholischen Missionarinnen, die am 2. Dezember 1980 Mitgliedern der Nationalgarde zum Opfer fielen. Diese Morde waren tatsächlich wesentlich dafür verantwortlich, dass die US-amerikanische Verstrickung in El Salvador international zur Kenntnis genommen wurde. Nicht zuletzt in den USA selbst. Stone baut allerdings auch Szenen in sein Buch und den Film ein, die das Verhalten der Revolutionäre in Frage stellen, denen trotzdem ganz offensichtlich seine und damit auch die Sympathie des Film-Boyle gehört. Der wird Zeuge, wie revolutionäre Milizen Angehörige der Nationalgarde und der offiziellen Armee per Genickschuss regelrecht hinrichten.

Stone ist also durchaus bemüht, die Wirrnis des Kriegs, die Ambivalenz herauszustellen, denen jeder unterliegt, der hier mittun will – gleich ob aktiv oder passiv. Er macht es sich, seinem Publikum und seinen Protagonisten nicht einfach. Und doch weiß er, wo er steht. So zeigt er in oftmals expliziten Bildern die Überreste von Leichen, zeigt die Massen an Toten, die nach den Massakern an Berghängen liegen und verrotten; er zeigt immer wieder Hinrichtungen und Tötungen; er zeigt den im Film „Major Max“ genannten, tatsächlich an die reale Gestalt des Roberto D´Aubuisson angelehnten Politiker und Führer einer Todesschwadron, wie der nicht nur sein mörderisches Programm erklärt, sondern auch eindeutig den Auftrag zur Ermordung Romeros und anderer Kirchenvertreter erteilt, die sich in seinen Augen zu stark für die Armen und für die Befreiungstheologie engagieren. In einer langen Dialogsequenz lässt Stone Boyle auf einer Party in der amerikanischen Botschaft mit Vertretern der CIA und des amerikanischen Militärs, die den ganzen Film hindurch immer wieder auftauchen und deren Rolle bewusst undurchschaubar bleibt, über das amerikanische Engagement streiten. Dabei führt Boyle so ziemlich jedes Argument an, dass die Friedens- oder die Bürgerrechtsbewegung seit den 60er Jahren gegen die amerikanische Einmischung gleich wo vorgebracht haben. Das mag ein wenig wie ein politdidaktisches Referat wirken, dennoch zeigt die Szene eindrücklich, wie gegenwärtig das Vietnam-Trauma nicht nur 1980, als der Film spielt, sondern eben auch 1986, als er erschien, immer noch gewesen ist. Und nicht zuletzt durch Stone selbst – besser: durch seinen nächsten Film PLATOON – auch weiterhin am Köcheln gehalten wurde.

Die zeitgenössische Kritik hatte einiges an Stones Film auszusetzen, vor allem aber fand sie den Film zu überladen mit Nebenhandlungen. Man kann das teilweise nachvollziehen, doch sollte man nicht übersehen, dass es Stone auf diese Weise gelingt, eben kein reines Lehrstück der linkspropagandistischen Didaktik zu liefern, sondern einen Film, der gerade deshalb überzeugt, weil er lebensnahe, authentische Figuren bietet, die nicht nur ihre Bestimmung im Auge haben, sondern sich mit ganz gewöhnlichen Problemen herumschlagen. Der Film-Boyle ist kein Sympath und James Woods weiß ihn als einen etwas schmierigen Typen, einen, wie er sich selbst einmal nennt, „Windhund“ zu spielen, der seinen Vorteil sucht, kein Problem hat, auch Freunde übers Ohr zu hauen und sich zwischen diversen Frauen und Familien durchlaviert. In San Francisco, wo der Film beginnt, ist er nicht mehr wohlgelitten, hat es sich mit Arbeitgebern und Kollegen verdorben, seine Freundin haut mit dem gemeinsamen Kind ab. Er überredet seinen Kumpel Doc Rock, ihn zu begleiten, ohne ihm zu sagen, worauf sie sich da wirklich einlassen. Boyle selbst kennt Lateinamerika von früheren Besuchen und stellt es seinem Kumpel gegenüber wie ein Hippieparadies dar. In El Salvador selbst trifft er dann auf Maria, die er von einem früheren Aufenthalt kennt, in die er nach wie vor verliebt ist und die er schließlich außer Landes zu bringen hofft.

Es dauert, bis dieser Mann bereit ist, über den Tellerrand der eigenen Probleme hinauszublicken und das Elend, das um ihn herum herrscht, wirklich wahrzunehmen, bzw. emotional anzunehmen. Seine Kontakte in der Botschaft, zu Kollegen, zur CIA und auch zu den Kirchenvertretern – er ist mit Cathy, einer der Nonnen, die später ermordet werden, befreundet – nutzt er zunächst ausschließlich, um sich Geld zu borgen oder Jobs zu beschaffen. Auch mit Cassady, den er schließlich zu mehreren Einsätzen begleitet, scheint seine Beziehung lange nur geschäftlich zu sein. Und doch ist dieser sich hinter Machosprüchen und ebensolchem Gehabe versteckende Typ nicht herzlos. Er nimmt wahr, was geschieht, und er will helfen. Und schließlich schlägt er sich auf eine Seite, die in seinen Augen „richtige“, die der Revolution.

In der Figur des Richard Boyle kommt Stones Können als Drehbuchautor zur vollen Entfaltung. Anhand einer solchen Figur gelingt es ihm, eine politische und damit eher abstrakte Story spürbar zu machen, emotional zu vermitteln. Und da es dem Buch gelingt, Boyles seltsame Äquidistanz zum Geschehen durchzuhalten – letztendlich will er Maria und deren Kinder ebenso aus dem Land bringen, wie er die Filme, die Cassady kurz vor seinem Tod geschossen hat und die er in einem Geheimfach in seiner Schuhsohle transportiert, außer Landes und in den USA in die Medien bringen will – bleibt diese Figur auch nahbar. Er ist ein Mensch voller Fehler, ein Schlawiner, manchmal ein Gauner, sicherlich kein seriöser Journalist mehr – und doch und vor allem ist er ein Mensch, der berührt wird von dem, was um ihn her geschieht.

Am ehesten nachvollziehbar ist die Kritik am Film anhand der Figur des Doc Rock. Der wird kaum eingeführt, scheint ein Freund von Boyle zu sein, irgendwie eine Gestalt der Undergroundszene von San Francisco, die Ende der 70er Jahre bereits weit von den Hippieidealen der späten 60er entfernt war. Er ist ein Dauerkiffer, den das Versprechen auf billige Drogen, billigen Alkohol und billigen Sex lockt, was ihn nicht gerade zu einem Sympathieträger macht. In El Salvador ist er aber ernsthaft erschüttert von dem, was er erleben muss. Und obwohl er lange mit seinem Schicksal hadert und schon früh wieder in die heimatlichen und bei allen Unzulänglichkeiten eben auch sicheren USA zurück möchte, was daran scheitert, dass weder er noch Boyle über genügend Geld verfügen, um ihm ein Ticket zu kaufen, ist es am Ende er, der im Land bleibt, während Boyle, der gern geblieben wäre, flüchten muss.

Bleibt die Frage, was Stone mit einer Figur wie diesem Doc Rock dramaturgisch bezweckt? Vielleicht wollte er eine Perspektive einbringen, die keine journalistische ist? Mag sein, doch bleibt die Figur, bei deren Darstellung James Belushi nicht über die handelsüblichen Klischees eines hedonistischen Schwerenöters hinauskommt, schwach, geradezu blass. Er ist angemessen entsetzt, wenn er bspw. mitbekommt, was die Nationalgardisten mit Marias Bruder anstellen, den sie zu Tode gefoltert haben, er ist im richtigen Moment da, um Boyle gerade am Ende des Films rauszuhauen, wenn der in den Fängen einer Todesschwadron ermordet zu werden droht, ansonsten aber läuft er meist betrunken oder stoned durchs Bild und hat keine weitere dramaturgische Funktion.

Und doch ist diese Figur in dem eingeführten Reigen nicht überflüssig. Man könnte sie als symbolische Figur betrachten, anhand derer vorgeführt wird, dass die USA gegenüber Lateinamerika nahezu auf allen Gebieten – eben nicht nur politisch/militärisch/ökonomisch, was zu kritisieren einfach ist, sondern auch kulturell und eben auch sub- und gegenkulturell – versagt haben. Sich immer nur als „großer Bruder“ aufgespielt haben und dass selbst die, die es vermeintlich „besser“ meinen – Hippies, Aussteiger, Alternative – letztlich auch nur um des eigenen Vorteils willen hier aufschlugen und sich nahmen, was immer sie kriegen konnten – Drogen, Frauen, Alkohol. Macht. Ein koloniales und imperiales Rollback.

Dass Woods lange Zeit einen ausgemachten Macho abgibt, muss man wohl als gewollt und derselben Kategorie zugehörig annehmen. Auch dadurch bekommt die Story den Subtext, dass sich eben nicht nur die „bösen“ Amerikaner – die CIA oder die militärischen Berater – in Ländern wie El Salvador wie der letzte Dreck benommen haben, sondern dass auch die anderen, die vermeintlich „guten“ Amerikaner die Länder Lateinamerikas ausbeuterisch betrachteten. Unterwegs ködert Boyle Doc Rock mit dem Versprechen, dass nicht nur das Marihuana „da unten“ extrem billig sei, sondern auch die Prostituierten. Und – tatsächlich zusätzlicher Anreiz dieser beiden Typen – zudem seien die auch extrem jung. Stone stellt seinen Landsleuten also unumwunden ein extrem schlechtes Zeugnis aus, gleich welcher politischen Couleur.

Dass Stone ein versierter Drehbuchautor, aber zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere noch ein Regieneuling war, merkt man allerdings auch. Vielleicht liegt es daran, dass einige Drehbuchideen – wie u.a. die Rolle einer Figur wie Doc Rock – und ihre Inszenierung nicht zur Deckung kommen. Zudem fehlt es ein wenig an Timing, der ganze Film wirkt manchmal uneinheitlich, gelegentlich erscheint die Szeneabfolge willkürlich, auch sind einige Anschlüsse holprig. Natürlich sind das eher Probleme des Schnitts und der Montage, weniger solche der Inszenierung. Und doch fallen auch sie auf Stone zurück. Die Inszenierung ist weitestgehend gut und einheitlich.

Der Film hat einen ausgesprochen guten, weil realistischen, fast authentischen Look. Was Oliver Stone in späteren Filmen wie JFK oder NATURAL BORN KILLERS zur Prämisse machte – durch die Nutzung unterschiedlichster Kamera- und Filmformate und durch ununterbrochenen Wechsel zwischen anscheinend authentischem und ausgesprochen artifiziellem Material eine extreme Entfremdung und Verwirrung des Zuschauers herzustellen – deutet sich hier schon an: Kameramann Robert Richardson nutzt teils grobkörniges Material, wodurch die entsprechenden Momente im Film nahezu dokumentarischen, authentischen Charakter erhalten. Dazu trägt auch der damals noch nicht so geläufige Gebrauch der Handkamera bei, der in einigen Massenszenen – bspw. während des Mordes an Romero in der Kathedrale – ein Gefühl der Panik und Desorientierung erzeugt. Dies gepaart mit einer extrem guten und genau entworfenen Mise en Scene, wodurch die Schauplätze wie originalem Bildmaterial der damaligen Zeit – sowohl Fotos als auch Filmaufnahmen – entnommen wirken, erschafft den Eindruck, man habe es hier mit einem semidokumentarischen Film zu tun. Szenebildner Bruno Rubeo leistete hervorragende Arbeit. Unterlegt ist das alles mit einem manchmal arg pathetischen, meist aber treibendem Soundtrack von Goerges Delerue, der das Gefühl dauernd lauernder Gefahr unterstreicht und die Zuschauer*innen zusehends in Unruhe versetzt.

SALVADOR ist ein packender, es ist ein guter, wenn gelegentlich auch berechnender, der Kolportage zuneigender – und damit für Oliver Stone auch typischer – Film, der sein Publikum durchaus im Sinne seines Regisseurs zu manipulieren weiß. Darin seinem Vorgänger, Roger Spottiswoodes UNDER FIRE (1983), nicht unähnlich, kann er allerdings weniger als dieser die politischen Hintergründe wirklich packen und vermitteln. Stone kapriziert sich eher darauf, dem Publikum bekannte Tatsachen gebündelt und dramatisch einwandfrei verpackt darzubieten, während Spottiswoode bemüht war, anhand einer tatsächlichen Medienkritik der Systematik hinter modernen Konflikten nachzuspüren. Wahrscheinlich sollten die beiden Filme nicht deshalb miteinander verglichen werden, nur weil in beiden Fällen Journalisten im Mittelpunkt der Handlung stehen. Vielleicht ist es fairer, beide als unterschiedliche, aber auf ihre je eigene Art berechtigte Beiträge zu einem Thema zu sehen, das Amerika seinerzeit nicht genug beschäftigte und denen es gelungen ist, die Aufmerksamkeit zumindest punktuell auf diese geschundene Region zu lenken.

Oliver Stone entwickelte jedenfalls schon hier sichtbar die für ihn später so typischen Mittel und Methoden, um seine Anliegen zu bearbeiten und darzubieten. Hier widmete er sich einem damals immer noch aktuellen und also zeitgenössischen Thema, mit dem Nachfolger PLATOON sollte es, wie bereits erwähnt, jener Konflikt sein, der die USA so sichtbar auch zehn Jahre nach seiner offiziellen Beendigung immer noch umtrieb, später wandte der Regisseur sich inneramerikanischen Themen zu, immer direkt, immer drastisch und nie um steile Thesen verlegen. Auch das sollte ein Markenzeichen seines Oeuvres werden.

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