DER LETZTE KÖNIG VON SCHOTTLAND – IN DEN FÄNGEN DER MACHT/THE LAST KING OF SCOTLAND
Kevin Macdonald gelingt ein erstaunlich differenziertes Drama um den ugandischen Gewaltherrscher Idi Amin und dessen schottischen Leibwächter
Zu Beginn der 70er Jahre verschlägt es den jungen schottischen Arzt Nicholas Garrigan (James McAvoy) eher zufällig nach Uganda. Hier will er in einer Arztstation in der Savanne dem Mediziner Dr. David Merrit (Adam Kotz) und dessen Frau Sarah Merrit (Gillian Anderson) zur Hand gehen.
Ebenfalls durch Zufall trifft Garrigan eines Tages den neuen Herrscher des Landes, Idi Amin (Forest Whitaker), der gerade eben erst die Macht übernommen hat. Da Garrigan dem Präsidenten bei einer leichten Verletzung helfen kann, bietet dieser dem Schotten die Stelle als Leibarzt an.
Dazu trägt auch die Herkunft Garrigans bei, denn Amin ist Schottland-Fan seit er in der britischen Armee gedient hat und glaubt zudem, in einer direkten Linie vom letzten schottischen König abzustammen, was ihn zu dessen rechtmäßigen Nachfolger machen würde.
Garrigan, der sich den Merrits verpflichtet fühlt, lehnt das Angebot zunächst ab, erliegt allerdings nicht nur Amins Charme, sondern auch den Versuchungen des ausgesprochen luxuriösen Lebens in der Hauptstadt Kampala.
Da Amin einen eher kindlichen Charakter hat, sehr begeisterungsfähig ist, zugleich aber auch paranoide Züge aufweist, steigt Garrigan, der sich anfangs nicht scheut, dem Präsidenten offen seine Meinung zu sagen, schnell in dessen Gunst und wird zu einem engen Berater.
Schon bald treten vor allem britische Ausländer – die Briten waren maßgeblich daran beteiligt, Uganda, einst britisches Protektorat, in die Freiheit zu entlassen, hielten aber besondere Bande zu dem Land aufrecht – auf Garrigan zu und erklären ihm, dass Amins Herrschaft völlig anders ist als sie wirkt. Doch der Arzt hält die Einwände für typisch europäische Überheblichkeit. Amin habe den Diktator Obote gestürzt und das Land von dessen Schreckensherrschaft befreit, er sei dabei, Schulen, Krankenhäuser und Straßen zu bauen und den Staat zu demokratisieren.
In einem dieser neu errichteten Krankenhäuser verrichtet auch Garrigan regelmäßig seinen Dienst. Hier lernt er Dr. Junju (David Oyelowo) kennen, seinen Vorgänger als Idi Amins Leibarzt. Der Mann begegnet Garrigan naturgemäß reserviert, arbeitet aber mit ihm zusammen.
Garrigan spürt zwar, wie erratisch und oft widersprüchlich Amins Verhalten ist – so erklärt er seinen Arzt mal zu seinem wichtigsten Berater und eigentlich dem einzigen Menschen, dem er noch vertraue, lädt ihn auf private Partys ein und stellt ihm seine verschiedenen Frauen vor, darunter Kay Amin (Kerry Washington), mit der der Präsident zwei Kinder hat, dann wieder stößt er Garrigan von sich und erklärt ihm, er sei eben doch nur ein kleiner Arzt und habe nichts zu melden – doch wieder und wieder gelingt es Idi Amin, Garrigan zu becircen.
Es sind die Herzlichkeit und die Begeisterungsfähigkeit, auch die Spontanität, die Amin an den Tag legt, die Garrigen für ihn einnehmen. Darüber hinaus macht Amin dem Arzt großzügige Geschenke, darunter einen Mercedes, mit dem der Arzt durch die Stadt braust. Und – nicht unwichtig für einen immer noch jungen Mann wie Garrigan – Idi Amin hört auf ihn. Immer wieder kann Garrigan auch in wesentlichen Fragen seinen Einfluss geltend machen. Manchmal verhindert er damit schlimmere Taten, manchmal setzt er aber auch Dinge in Gang, die er nicht mehr beeinflussen kann.
Schließlich wird er Zeuge davon, wozu Amin auch fähig ist: Nach einem Attentatsversuch, bei dem Garrigan unmittelbar zugegen war, lässt der Präsident die vermeintlichen Täter foltern und anschließend hinrichten – alles ohne jede rechtsstaatliche Verhandlung oder überhaupt ein Verfahren. Diese Haltung steht in direktem Widerspruch zu Amins Aussagen, dass er Uganda in ein modernes, demokratisches Land verwandeln wolle.
Doch erst als der undurchsichtige Nigel Stone (Simon McBurney), ein britischer Verbindungsmann – wahrscheinlich Agent des MI6, des britischen Auslandsgeheimdienstes – Garrigan Bilder von den Gräueltaten – Massakern und Folterungen – zeigt, die von Amins Männern vor allem in den Provinzen begangen werden, kommen dem Arzt Zweifel. Erst recht, als er den seit Tagen verschwundenen Gesundheitsminister auf einem der Bilder erkennt.
Er selbst hatte ihn bei Amin angeschwärzt, als er ihn nachts in einer Bar mit einem ausländischen Weißen scheinbar konspirativ hatte verhandeln sehen. Stone, der Garrigan bittet, ihm regelmäßig Bericht zu erstatten, was im Präsidentenpalast vor sich ginge, erklärt, dass der Weiße ein Pharmavertreter aus Südafrika sei, mit dem der Gesundheitsminister über die Lieferung wichtiger Medikamente verhandelt habe – im Übrigen auf die Vermittlung Stones hin.
Garrigan spürt nun, das Amin ihn nicht ohne Weiteres aus seinen Fängen entkommen lässt. Eines Tages wird der Arzt zu Kay gerufen, da ihr Sohn Krampfanfälle habe. Offenbar leidet der Junge unter Epilepsie. Doch Idi Amin will einfach nur, dass niemand das weiß und lässt ihn gemeinsam mit Kay und deren zweitem Kind wegsperren. Kay zeigt sich von dem jungen schottischen Arzt angetan und die beiden beginnen ein Verhältnis miteinander.
Nachdem Garrigan eines Tages nachhause kommt, seine Zimmer verwüstet vorfindet und zudem feststellen muss, dass ihm sein britischer Pass weggenommen und stattdessen ein ugandischer Pass auf seinen Namen ausgestellt wurde, merkt er, dass die Lage auch für ihn immer gefährlicher wird.
Er wendet sich erneut an Stone, doch dessen ganzes Verhalten hat sich komplett verändert. Aus dem etwas devot wirkenden und in seiner Erscheinung eher etwas verlottertem Mann ist ein Offizier geworden, der Garrigan spüren lässt, dass dieser nun nach seiner Pfeife zu tanzen habe. Keinesfalls sei er bereit, dem Schotten zu helfen – außer dieser sei bereit, ihm und dem Dienst zu helfen, für den er arbeitet. Und Garrigan begreift, dass damit gemeint ist, dass er Amin vergiften soll. Er lehnt das ab und verlässt Stones Haus, nimmt allerdings die Medikamente mit, die für das Attentat auf Amin vorgesehen waren.
Kay erklärt Garrigan, sie sei schwanger und wolle das Kind unbedingt wegmachen lassen. In seiner Verzweiflung wendet Garrigan sich an Dr. Junju, der ihm allerdings erklärt, dass er den Eingriff niemals im Krankenhaus durchführen werde, da er weiß, dass dies vor Amin nicht geheim zu halten ist.
Bevor Garrigan die Abtreibung selbst vornehmen kann, verschwindet Kay. Garrigan sucht und findet sie schließlich in den höhlenartigen Untergeschossen des Krankenhauses. Sie wurde grausam getötet und ihr Körper grotesk zerschnitten und dann vollkommen entfremdet wieder zusammengenäht.
Garrigan beschließt, Stones Auftrag durchzuführen und Amin zu vergiften. Der ist mittlerweile außer sich, weil die internationale Presse nur noch schlecht über ihn berichtet und unter anderem behauptet, er esse Menschenfleisch. Vor allem dieser Vorwurf treibt ihn zur Weißglut. Einmal mehr soll Garrigan ihm erklären, was nun zu tun sei. Der empfiehlt eine Pressekonferenz, auf der Amin seinen ganzen Charme und seinen zweifellos vorhandenen Witz und Humor ausspielen soll. Amin willigt ein.
Garrigan gelingt es, dem Präsidenten die Pillen unterzujubeln, die seinen Tod herbeiführen sollen. Doch während der Pressekonferenz, auf der Amin dauernd mit dem Pillendöschen spielt, die Tabletten jedoch nicht einnimmt, trifft die Meldung ein, dass auf dem Flughafen von Entebbe ein französisches Passagierflugzeug gelandet sei, das entführt wurde.
Der Präsident und seine Untergebenen eilen zum Flughafen. Der Sicherheitschef, der Garrigan schon lange verdächtig auf eigene Rechnung zu handeln, nimmt die Tabletten an sich.
Auf dem Flughafen versorgen Dr. Junju und Garrigan die Passagiere. Die Terroristen trennen die jüdischen von den nicht-jüdischen Fluggästen und Amin teilt mit, dass als Akt des guten Willens die nicht-jüdischen Reisenden ausgeflogen würden. Während Amin sich als Retter und Vermittler aufspielt, stellen die Wachleute fest, dass es sich bei den Medikamenten um Gift handelt.
Garrigan wird in einen separaten Raum geführt, wo Amin ihn verhört und ihm auch mitteilt, dass er von ihm und Kay wisse. Nun solle Garrigan eines fürchterlichen Todes sterben, der Ehebrechern in Amins Heimatdorf zuteilwurde. Dafür werden dem Arzt Haken in die Haut gebohrt und er wird an der Decke des Raums aufgehängt.
Mit Hilfe von Dr. Junju gelingt Garrigan jedoch die Flucht. Der Arzt erklärt ihm, dass er der Welt mitteilen solle, wie Amin wirklich sei und welche Gräueltaten er begehen ließe. Garrigan werde man glauben, er sei schließlich weiß.
Garrigan kann sich unter die Passagiere mischen, die das Flugzeug betreten, dass sie ausfliegen soll. Erst als der Flieger bereits in der Luft ist, merken die Sicherheitsleute, dass Garrigan geflohen ist. Sie erschießen Dr. Junju.
Idi Amins Herrschaft, so erklären einige Tafeln am Ende des Films, habe bis 1979 angehalten. 300.000 Ugander seien ihr zum Opfer gefallen. Amin sei ins Exil nach Saudi-Arabien gegangen, wo er 2003 verstarb.
Kevin Macdonald ist mit seinem Polit-Thriller THE LAST KING OF SCOTLAND (2006) etwas äußerst Seltenes gelungen: Er hat einen Film über Afrika gedreht, in dem nicht der klassische „White Savior“ – der zur Rettung einer Minderheit die sich selbst nicht zu helfen weiß Herbeieilende – den armen Schwarzen zeigt, wie sie sich befreien können o.ä., sondern in dem einerseits das Leid eines afrikanischen Landes – in diesem Fall Uganda – und andererseits die Rolle, die Weiße und vor allem die Briten als Kolonialmacht dabei spielen, verdeutlicht wird. Und ganz nebenbei wird die Rolle des „White Savior“, wie sie in Filmen wie THREE KINGS (1999), BLOOD DIAMOND (2006) oder GREEN BOOK (2018) und vielen, vielen anderen zwar oft unterschiedlich, manchmal auch ironisch gebrochen, doch letztlich unreflektiert eingeführt wird, regelrecht dekonstruiert[1].
Macdonald erzählt, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Giles Foden und auf der Grundlage des Drehbuchs von Jeremy Brock und Peter Morgan, die leicht fiktionalisierte Geschichte von Idi Amin und seinem Leibarzt, der im Film Nicholas Garrigan heißt. Dieser Garrigan, im Grunde – obwohl Forest Whitaker den Oscar für die Beste Hauptrolle erhielt – die Hauptfigur des Films und damit zunächst eben alle Prämissen des „White Saviours“ erfüllend, kommt als frischgebackener Arzt aus einem puritanisch-konservativen schottischen Elternhaus nach Uganda und will dort die Welt retten. Er arbeitet in einer medizinischen Station irgendwo in der Savanne, wo er sich bald in die Frau des vor Ort tätigen Arztes verliebt oder, wenn nicht verliebt, sie zumindest sexuell begehrt. Um weiteren Verwicklungen zu entgehen, kommt ihm das Angebot des neuen Präsidenten Ugandas – es handelt sich um den später ob seiner Grausamkeiten berühmt-berüchtigten Idi Amin – gerade recht, dessen Leibarzt zu werden.
James McAvoy spielt diesen Nicholas Garrigan als einen durchaus aufgeweckten, um jeden Preis der Enge des elterlichen Heims entkommen wollenden jungen Mann zu Beginn der 70er Jahre, der sich für gebildet, weltoffen und vor allem liberal hält. Er geht nach Uganda, er will dort mit seinen Fähigkeiten helfen, er hat ein Faible für verheiratete Frauen, was ihn schließlich fast das Leben kosten wird, nachdem er auch mit einer von Amins Gattinnen angebändelt und diese geschwängert hat. Dass der junge Mann auch gnadenlos naiv und letztlich willens ist, in entscheidenden Momenten wegzuschauen, lässt ihn bei aller Gewitztheit und aller Intelligenz natürlich nicht durchweg sympathisch erscheinen.
Garrigan ist ein geschickt entworfener und komplex ausgearbeiteter Charakter, da wir ihn lange für all das halten, was er uns vorstellen will. Es dauert, bis wir begreifen, wie eitel, selbstverliebt und eben auch naiv dieser Mann eigentlich ist. Macdonald treibt ein geschicktes Spiel mit dem Publikum, indem er Garrigans Perspektive nie verlässt, uns also ebenso wenig wie den jungen Arzt die Gräuel sehen lässt, die im Land geschehen, und so dafür sorgt, dass der Schock, der dem jungen Arzt aus Schottland in die Glieder fährt als es dann so weit ist, uns ebenso trifft – obwohl wir aufgrund unseres historischen Vorsprungs gegenüber den Figuren ja bereits wissen, was da kommen wird.
Es gelingt Macdonald, seinem Film eine gewisse Härte zu geben, die uns durchaus spüren lässt, was tagtäglich auf Ugandas Straßen geschieht, ohne dabei die Leinwand mit expliziter Gewalt und allzu viel Blut zu füllen. Pointiert setzt er einige Schocks – vergleichsweise wenig, denkt man bspw. an einen Film wie BLOOD DIAMOND, der im gleichen Jahr erschienen ist – die sehr deutlich zu verstehen geben, wie pervertiert das System Idi Amins gewesen ist. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass der Film auf Originalbilder zurückgreift, als der undurchsichtige britische Geheimagent Nigel Stone Garrigan Fotos dessen zeigt, was Amin im Hinterland geschehen lässt oder gar selbst initiiert. Es sind schwarz-weiße Bilder, die durch ihren dokumentarischen Charakter ihre Wirkung umso deutlicher entfalten. So muss Macdonald erst gar nicht auf die wirklich unappetitlichen Aspekte der Herrschaft Idi Amins – sein Kannibalismus gilt mittlerweile als belegt; auch dachte der Mann sich Tötungsarten aus, die man nicht genauer betrachten will, deren grausige Archaik in der Folterung Garrigans am Ende des Films aber zumindest angedeutet wird – eingehen, es reicht vollkommen einige gezielte Andeutungen in den Film einfließen zu lassen.
Trotz der komplexen Charakterisierung Garrigans, ist der eigentliche Star des Films – der Oscar-Gewinn wurde bereits erwähnt – Forest Whitaker in der Rolle des Idi Amin. Denn diese Rolle ist nicht weniger komplex und ambivalent angelegt. Der Präsident – und Diktator, damit hier kein falscher Zungenschlag hineinkommt – galt als ein erratischer, schwer greifbarer Mann. Am Ende des Films blendet Macdonald Aufnahmen des echten Idi Amin ein: Er tanzt einen Stammestanz, hält eine Rede, wird gezeigt wie er nachdenklich vor sich hin stiert und scheinbar sinniert. All diese Momente gibt es auch im Film und es ist schon fast erschreckend, wie genau Whitaker diesen Mann einfängt, seine Manierismen aufgreift, Gestik und Mimik reproduziert. Whitaker gelingt es vor allem, das Charisma, das von Idi Amin zumindest anfänglich ausgegangen sein muss, herauszuarbeiten, seine Wirkung auf andere – Landsleute, aber eben auch Europäer – zu vermitteln. Mal ist er kindlich-naiv, dann wieder grausam und skrupellos. Mal vermittelt er den Eindruck, wirklich alles für sein Volk tun zu wollen, dann wieder wirkt er wie ein Mann, der vor allem seinen europäischen Verbündeten (und Geldgebern) gefallen will. Und schließlich auch wie einer jener Tyrannen, denen es vor allem um persönliche Bereicherung, um Luxus und Wohlstand zu tun ist.
In jener Szene am Ende des Films, in welcher Garrigan fast zu Tode gefoltert wird, flüstert Amin seinem ehemaligen Vertrauten zu, dass er alles über ihn wisse, auch, dass er mit seiner Frau geschlafen habe. Für was, so fragt Amin Garrigan, halte der sich eigentlich? Ob er geglaubt habe, er könne einfach nach Afrika kommen und da ein bisschen mit den Schwarzen spielen? Nun, im Moment seines Todes, würde er wahrscheinlich seine erste echte Erfahrung machen. Denn das fehle ihm: Ernsthaftigkeit, das Wissen darum, worauf es im Leben ankomme, wenn es wirklich ernst wird. Garrigan, Blut spuckend, lacht und antwortet:
„You`re a child. That`s what makes you so fucking scary.“
Das Erschreckende an dieser Szene (abgesehen von der Gewalt) ist, dass beide Männer recht haben mit ihrer jeweiligen Einschätzung des andern. Denn beide sind auf ihre Art und Weise Kinder. Sie sind verantwortungslos, sie gehen mit der Wirklichkeit – ihrer und der der meisten Menschen um sich herum – bestenfalls spielerisch um, so, als gehöre sie ihnen, unterläge ihren Wünschen und sei jederzeit nach diesen formbar. Dazu passt eben auch, dass Garrigan nicht an hehren politischen Zielen oder der Erschütterung durch das, was er geraume Zeit unterstützt hat, scheitert, sondern durch schnöden Ehebruch, ein höchst persönliches und letztlich profanes Drama, wie es millionenfach jeden Tag überall auf der Welt vorkommt. Genau damit, mit solchen Details, wird nicht nur der Weg des scheinbar aufgeklärten Europäers entlarvt, desavouiert, auch lächerlich gemacht, sondern eben auch das Prinzip des „White Saviours“. Genau da setzt die Dekonstruktion dieses Typus ein.
Idi Amin, der keineswegs als dummer Mann gezeichnet wird, stellt Garrigan ein ebenso bitteres wie treffendes Zeugnis aus: Er ist ein weißer Mann (Junge), der ununterbrochen rassistische und koloniale Klischees reproduziert. Sicher, er will das nicht, er sieht sich auch nicht so – dennoch tut er es. Er erliegt der Versuchung des Luxuriösen, der Versuchung der Macht – und damit inhärent der Versuchung der Gewalt. Er schläft mit einer schwarzen Frau – diese Tatsache wird nicht dadurch abgemildert, dass er zuvor auch mit der weißen Frau des weißen Arztes auf der Station anbändelt, denn dadurch bestätigt sich lediglich das Klischee des weißen Mannes, der sich so oder so nimmt, was er will – und schwängert sie. Er weiß jedoch, dass er wieder gehen kann, wann immer es ihm beliebt. Er kann sich – typisch für alle Männer, doch besonders für weiße Männer – der Verantwortung entziehen.
Die erste echte Irritation, die Garrigan erlebt und auch als solche wahrnimmt, das Ereignis, welches ihn wirklich verstört, ist der Moment, als seine Papiere ausgetauscht werden und Amin beschließt – und zeigt, dass er es kann -, über Garrigans Identität, seinen Körper, seine Person in toto zu verfügen. Selbst der Moment, in welchem Garrigan Zeuge wird, wie Amin mit den Attentätern umgeht, die es auf sein Leben abgesehen hatten, verstört Garrigan nicht so sehr, wie der, in dem er seinen neuen Pass findet und sich des Verlusts seines britischen Passes Gewahr wird. Es ist dies der Moment, in dem Garrigan begreift, dass er Idi Amin gleichsam „gehört“. Dass der im Begriff ist, Jahrhunderte alte Vorrechte des Europäers für sich zu reklamieren und in (s)ein höchst eigenes Recht zu setzen.
Amin definiert damit ein – wenn nicht das – grundlegendes Problem zwischen Afrika und dem Kontinent, der glaubte, es kolonisieren zu dürfen: Europäer, die einst mit dem erklärten Ziel kamen, Afrika auszubeuten, mögen mittlerweile mit schwammigen guten Absichten kommen, doch gelingt es ihnen meist nicht, sich aus der historischen Rolle zu lösen, für die sie nun einmal stehen. Symbolisch betrachtet. Garrigan will Kay Amin nicht zur Frau – sicherlich will er auch Sarah Merrit nicht zur Frau -, er will aber deren Körper besitzen. Er will das Land besitzen. Er will „besitzen“. Sicher, er mag diese Frauen und das Land, er begehrt sie und es, er ist vielleicht sogar ein bisschen verliebt in beide. Doch nimmt man das, was der Film uns – ganz bewusst, davon muss man ja ausgehen – anbietet, spielen Gedanken an eine gemeinsame Zukunft oder generell Emotionen zwischen dem Schotten und Kay Amin kaum eine Rolle. Ebenso, wie bei Garrigan auch keine emotionale Bindung an Uganda wächst.
Als Kay Garrigan von der Schwangerschaft erzählt, geht es ihm nur darum, das Kind unauffällig, also heimlich, abzutreiben. Von Flucht, gar einer gemeinsamen Zukunft mit dem gemeinsamen Kind, ist an keiner Stelle, nicht in einer einzigen Szene des Films, die Rede. Garrigan will irgendwie heil aus der Sache herauskommen. Wie Garrigan darauf reagiert, dass Amin die Männer, die den Anschlag auf ihn verübten, foltern und hinrichten lässt, weist in die gleiche Richtung: Amins brutale Vergeltung widert ihn zwar an, doch billigt er sie insgeheim, wäre er durch einen gelungenen Anschlag doch ebenfalls betroffen gewesen. Es geht also letztlich immer nur um ihn, um den Schotten, den Europäer, den weißen Mann, um Garrigan. Der Film deutet in all diesen Momenten an, dass Garrigan bei allem europäischen Liberalismus, den er (scheinbar) vertritt, immer der weiße, protestantisch (alttestamentarisch?) geprägte Mann ist und bleibt, den er vorstellt.
Wie komplex die Figur des Nicholas Garrigan angelegt ist, zeigt auch die Auseinandersetzung mit Nigel Stone, dem britischen Geheimagenten, der ihn einzuspannen versucht, um Direktberichte aus dem Präsidentenpalast zu erhalten. Garrigan macht sich über den etwas verlottert wirkenden Mann lustig, er schwingt große Reden, dass Stone genau für jene Briten stünde – vor allem Engländer – die er, Garrigan, der Schotte, nicht leiden könne. Er wirft Stone den Kolonialismus vor, er wirft ihm vor, die Ausbeutung, die zuvor imperial betrieben wurde, nun ökonomisch zu betreiben usw. Und er hat damit ja vollkommen recht – nur sieht er eben nicht, dass er selbst an noch viel exponierterer Stelle exakt dasselbe tut. Und darüber hinaus Idi Amin hilft, seinerseits ein importiertes System zu reproduzieren.
Die Art und Weise, wie Amin und viele, viele andere afrikanische Rebellenführer sich verhalten haben, erinnert immer auch an europäische Systeme und Gewaltherrschaften. Zunächst spielt er sich als Retter des Volkes auf (wobei Amin anders als andere Rebellen-Führer Afrikas keinen sozialistischen oder gar marxistischen Hintergrund hatte), verspricht Besserung der Lebensbedingungen (Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktur), nur um sehr schnell zu den Methoden aller Tyrannen zu greifen, um Gegner und jeden, den man dafür hält, zu beseitigen – Terror, rohe Gewalt, Mord und Totschlag. Auch Amin, da kann er noch so oft über Land fahren und an Stammestänzen teilnehmen, kann sich noch so oft als Freund des Volkes in Szene setzen, ist nicht daran interessiert, spezifisch afrikanische Traditionen aufrecht zu erhalten oder zu re-inventieren. Oder gar einen eigenen, neuen, von den europäischen Vorbildern abweichenden, abgekoppelten Weg einzuschlagen. Amin war begeistert von der britischen Gesellschaft, er hatte in der britischen Armee gedient und hielt sich für einen direkten Abkommen des schottischen Königs – daher der Titel des Films. Keinesfalls wollte er einen Weg gehen, der sich sonderlich von den Fehltritten der europäischen Geschichte unterschied.
Es gelingt dem Film also immanent darzustellen, dass die jüngere Geschichte Afrikas – besser des subsaharischen Afrikas – nach wie vor durch die europäische Kolonialgeschichte geprägt ist. Auch und gerade nach den Befreiungskriegen ist es in den verschiedenen Ländern – gleich ob Uganda oder Simbabwe, ob im Kongo oder den Ländern der afrikanischen Westküste, allen voran Nigeria – nicht gelungen, Regierungen zu implementieren, die es geschafft hätten, sich aus der europäischen Ideen- und Ideologiegeschichte zu befreien. Entweder wurden sogenannte Failed States geschaffen – Länder, die am Tropf der internationalen, sprich: westlichen, Industrie, meist der Öl-Industrie, hingen – oder aber es etablierten sich Diktatoren und Gewaltherrscher, die kleptokratischen Regimen vorstanden. Selten bis nie, dass in Afrika Systeme und Gesellschaftsformen ausprobiert wurden, die ursprünglich eher nomadisch geprägten Gesellschaften gerecht werden oder vor-kolonialistischen afrikanischen Traditionen entsprechen. Es dauerte bis in die 90er Jahre des 20. und in das frühe 21. Jahrhundert hinein, bis dazu wirklich eigene afrikanische Ideen und Vorschläge entwickelt und diskutiert wurden[2].
Es wäre von einem letztlich auch kommerziell ausgelegten Film zu viel verlangt, diesen Fragen und äußerst komplexen und vielschichtigen Themen, Narrativen und Problematiken entscheidend gerecht zu werden. Gemessen an dem, was Hollywood – oder westliches, kommerziell ausgerichtetes Kino – sonst zu Themen wie diesen hervorbringt (gerade, wenn man einen Film wie BLOOD DIAMOND als Referenz heranzieht), muss man Kevin Macdonald und seinem Werk jedoch attestieren, dass ihm ein differenziertes Portrait eines zerrissenen Landes und eines Politikers gelingt, der dieses Land autokratisch beherrscht hat.
Idi Amin ist der Dreh- und Angelpunkt des Films, auch wenn die Story auf den Schotten Garrigan fokussiert – was letztlich den Ansprüchen des kommerziellen Kinos und des Schielens auf ein weißes Publikum geschuldet ist, mag man davon halten, was man will. Dass Amin ein Gewaltherrscher gewesen ist und ein Tyrann, daran lässt der Film keinen Zweifel aufkommen. Dennoch lässt das Drehbuch ihn in einem differenzierteren Licht erscheinen, als einfach nur den Menschenfresser und Sadisten auszustellen, was ein Leichtes gewesen wäre. Auch wird er nicht als primitiver Mann, als „Wilder“ klassifiziert, wie es bspw. ein Film wie RAID ON ENTEBBE (1977) einst getan hat. Aber dann wäre ein Film wie dieser schlichte (und schlechte) Kolportage, nichts weiter.
So aber legt er Amin durchaus bedenkenswerte Worte in den Mund. Nicht nur, wie bereits weiter oben erwähnt, wenn er den schwer gezeichneten Garrigan kurz vor dessen vermeintlichen Tod darauf hinweist, dass der sich verhält, wie sich weiße Männer zumeist in Afrika verhalten haben, sondern auch davor schon. Whitaker spielt Amin eben als charismatischen Mann, der das ugandische Volk, wo er es erreicht, zunächst mitreißen, als einen Mann und Herrscher, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft vermitteln kann. Vielleicht sind das alles leere Worte, sicher, man kennt das von den modernen Populisten: Viele Versprechungen machen und dann nichts davon verwirklichen. Dennoch braucht ein Mann wie dieser zunächst Überzeugungsfähigkeit, Überzeugungskraft. So wird dieser Gewaltherrscher nicht nur zu einem passenden und angemessenen Antagonisten für Garrigan – was es dramaturgisch für einen Polit-Thriller eben auch braucht – sondern zu einer ebenso komplexen Figur, wie es der verführbare Schotte ist. Und dadurch erlangt auch Macdonalds Film Komplexität, Tiefe und Relevanz.
Idi Amins Wesen wird hier zudem durch sein Verhältnis zum Westen, zu Großbritannien als ehemaliger Kolonialmacht, charakterisiert. Er verehrt das „Mutterland“, doch auf der spät im Film gezeigten Pressekonferenz verhöhnt er – kurz bevor er plötzlich weltpolitische Bedeutung bekommt, weil die entführte Air-France-Maschine auf dem Flughafen von Entebbe landet – dieses Mutterland geradezu und bietet Hilfslieferungen an. Er wisse, dass die britische Wirtschaft am Boden liege und Großbritannien Hilfe brauche. Womit er, bedenkt man den realen britischen Lebensstandard und vor allem die dortigen Inflationsraten Mitte der 70er Jahre, ja nicht einmal Unrecht hat. Sein Spott zielt aber auch auf etwas anderes ab und es sind Momente wie dieser, die dem Film eine nicht zu unterschätzende Doppelbödigkeit geben.
Denn Amin dreht in dieser Szene den üblichen Spieß des paternalistischen Verhaltens Europas und der Europäer gegenüber Afrika und den Afrikanern – selbst dort, wo es gut gemeint ist – um. Sind es doch sonst die europäischen Länder – eben „White Saviours“, wenn man so will – die die Afrikaner unterstützen, die Nahrung schicken, die NGOs schicken, welche – wie die Merrits – medizinische, technische und agrarische Hilfe anbieten usw. Nun bietet Idi Amin, wenn auch scherzhaft, einem einst bedeutsamen europäischen Land mit der gleichen herablassenden Geste seine Hilfe an, die sonst den Europäern gegenüber den Afrikanern vorbehalten ist. Eine Geste der Selbstermächtigung, eine stolze Geste, in der ein neuer Geist zum Ausdruck kommt – gleich, wie sehr der durch Amins Herrschaft pervertiert wurde. Erst einmal ist es ein Moment afrikanischen Stolzes.
So muss noch einmal die Rolle des „White Saviour“ thematisiert werden. Sicher, es ist Garrigan, auf den der Film vordergründig fokussiert. Und wie so oft in vergleichbaren Werken, wird auch hier sein persönliches Schicksal hervorgehoben. Er muss gerettet werden. Dr. Junju rettet ihn, wissend, dass Amins Männer Garrigan lediglich haben leben lassen, um dessen Martern zu verlängern. Doch ist er todgeweiht. Der Arzt weiß also, dass er durch die Hilfe, die er Garrigan zukommen lässt, mit seinem eigenen Leben spielt. Und es kommt, wie es kommen musste: Er wird von Amins Sicherheitschef kurzerhand erschossen, als der gewahr wird, dass Garrigan tatsächlich fort ist. Auf die Frage Garrigans, weshalb er ihm helfe, antwortet Dr. Junju, Garrigan sei weiß, ihm werde man zuhören, er solle der Welt erzählen, was hier wirklich geschehe. Garrigan ist in diesem Moment eben nicht mehr der „White Saviour“, sondern absolut auf die Hilfe eines „Black Saviour“ angewiesen, der ihm nicht einmal sonderlich wohlgesonnen ist. Dr. Junju hat schlicht die grausige Realität dessen begriffen, was es bedeutet, wenn ein Schwarzer von den Gräueln in seinem Land erzählt und wenn dies ein Weißer tut. In seinem Auftrag an Garrigan liegt also auch die Bitternis dieser Erkenntnis, und der Schauspieler David Oyelowo vermag es hervorragend, diese Bitternis in dieser Szene zum Ausdruck zu bringen. Dr. Junju opfert sich nicht für Garrigan, wie man, oberflächlich betrachtet, denken könnte. Er opfert sich für sein Land – Garrigan, der Weiße, ist lediglich das Instrument, in das er vertrauen muss, ob er will oder nicht.
Die einschlägige Literatur wirft wie so vielen Filmen, die sich mit Afrika auseinandersetzen, auch THE LAST KING OF SCOTLAND vor, Klischees zu reproduzieren, die Afrika – sprich: dem subsaharischen Afrika – seit jeher anhängen. Man habe es mit „Wilden“ zu tun, Völkern, deren Grausamkeit jeder Beschreibung spotten, Menschen, die uns absolut fremd sind, kaum zu erfassen. Es ließe sich darüber streiten, ob der Film wirklich diese Bilder und Vorstellungen bedient. Am ehesten entspricht er dem noch in den ersten Szenen, die in Afrika spielen. Wenn Garrigan auf der Station ankommt, wird er umringt, findet er sich – neben der von AKTE X-Star Gillian Anderson gespielten Sarah Merrit – tatsächlich in der Rolle des Heilsbringers wieder. Doch unterläuft der Film diese Sicht schnell. Schon in einer der Folgeszenen begegnen Sarah und Garrigan Idi Amin, der durchs Land fährt und Reden schwingt. Und dabei bspw. in einem Dorf mit den Einwohnern jenen zuvor schon erwähnten Stammestanz aufführt. Sicher, dabei wird ein Klischee bedient – zugleich wird aber verdeutlicht, dass dieser Mann, dessen kindliches Gemüt hier ebenfalls zum Ausdruck kommt, nicht nur ein stimmiges Rhythmusgefühl hat, sondern eben auch durchaus in Verbindung mit dem „Volk“ steht. Und dieses Volk wirkt weder primitiv, noch sonderlich wild, sondern vor allem lebensfreudig.
Man kann THE LAST KING OF SCOTLAND also tatsächlich vorwerfen, sich nicht weit genug von herkömmlichen Klischees zu entfernen, keine eigenen Wege, Bilder, Erzähleben zu finden, um seine Geschichte an ein vornehmlich weißes, europäisches Publikum zu bringen. Es gibt Filme, die dies besser vermögen, es gibt Filme, die dabei wahrlich experimenteller vorgehen, sich mehr trauen, abweichen von den erprobten – und ausgetretenen – erzählerischen Pfaden des kommerziellen Kinos. Doch verglichen mit dem mehrfach erwähnten BLOOD DIAMOND, der sicher seine eigenen Qualitäten und Verdienste hat, oder einem Werk wie Richard Attenboroughs CRY FREEDOM (1987) oder gar einem sehr viel differenzierteren Film wie Chris Menges´ A WORLD APART (1988) besteht Kevin Macdonalds Film nicht nur, sondern er sticht definitiv heraus und überzeugt, weil es ihm auf der Grundlage seiner Möglichkeiten gelingt, ein differenziertes und vielschichtiges Bild Afrikas, Ugandas im Spezifischen und der Entwicklung um Idi Amin im Speziellen zu zeichnen. Es ist ein guter Film, der nicht nur thematisch überzeugt, sondern eben auch in seiner Machart, durch die Bilder von Anthony Dod Mantle, die Musik von Alex Heffes, die Regie und – natürlich – vor allem durch die schauspielerische Leistung seiner Hauptdarsteller und die eines sehr guten Ensembles an Charakter- und Nebendarstellern.
[1] Es sei schon an diese Stelle angemerkt, dass die Forschung dies anders sieht (und man es natürlich auch anders sehen kann). Vgl.: Hughey, Matthew W.: THE WHITE SAVIOUR FILM. CONTENT, CRITICS, AND CONSUMPTION. Philadelphia/Oxfordshire, 2014; S. 44-45; 51; 59.
[2] Vgl. dazu u.a.: Mbembe, Achille: POSTKOLONIE. ZUR POLITISCHEN VORSTELLUNGSKRAFT IM GEGENWÄRTIGEN AFRIKA. Berlin/Wien, 2016; sowie, derselbe: AUSGANG AUS DER LANGEN NACHT. VERSUCH ÜBER EIN ENTKOLONISIERTES AFRIKA. Berlin, 2016.