SCHREI NACH FREIHEIT/CRY FREEDOM
Richard Attenboroughs Klage gegen das Apartheid-Regime in Südafrika -Jahrzehnte später....verweht....
Der liberale, aber wohlfeile Journalist Donald Woods (Kevin Kline) schreibt in den 70er Jahren nicht nur gegen den Rassismus des in Südafrika herrschenden Apartheid-Systems an, sondern auch gegen das sich seit den frühen Jahren der Dekade ausbreitende ‚Black Consciousness Movement‚, dessen bekanntester Vertreter Steve Biko (Denzel Washington) war. Die – grob wiedergegebene – Idee dahinter ist, daß die Schwarzen des Landes erst einmal ihre eigene Kultur und damit ihre Würde wieder erlangen müssten, u.a. dadurch, daß sie ihre eigene Stammessprachen lernen und nicht das verhasste Afrikaans der Weißen (diese Forderung führte 1976 zu den Unruhen in Soweto, bei denen über 500 Schüler getötet wurden). Liberale wie Woods vermuten dahinter einen „schwarzen Rassismus“.
Als eine ob eines Artikels sehr aufgebrachte junge Ärztin sich bei ihm meldet, die Kontakt zu dem unter Bann stehenden Biko hat, kommt es zu einer Begegnung zwischen Woods und dem vermeintlichen Aufrührer. Dieser entpuppt sich als charmant, freundlich und keineswegs an Gewalt interessierter Revolutionsführer, sondern vielmehr als ein charismatischer Intellektueller. Nach und nach öffnet er Woods und dessen Familie die Augen für das eigentliche Unrecht im Land.
Als Biko verhaftet und verschleppt, schließlich in Polizeigewahrsam getötet wird, bekommt auch Woods zusehends die Repressionen des Systems zu spüren und wird seinerseits unter Bann gestellt, was bedeutet, daß er sich lediglich in Gegenwart einer einzigen Person (abgesehen von engsten Familienangehörigen) bewegen und den Distrikt, in dem er lebt, nicht verlassen und sich weder beruflich noch privat schriftlich äußern darf.
Woods schreibt heimlich ein Buch über Biko, das er in London veröffentlichen will. Dadurch werden die Behörden allerdings äußerst gereizt und die Repressalien gegen die Familie nehmen zu.
So entscheiden die Woods sich schließlich, aus dem Land zu fliehen. In einer waghalsigen Flucht über Land in den Zwergstaat Lesotho, gelingt es Donald Woods und seiner Familie schließlich, nach England zu gelangen.
Was war man seinerzeit begeistert von diesem Film! Richard Attenboroughs CRY FREEDOM (1987) konfrontierte eine junge Generation, die einige Jahre zuvor bereits durch GANDHI (1982) vom selben Regisseur pazifistisch gesinnt worden war, mit dem Thema Apartheid, man regte sich gerechterweise auf und das Bewußtsein wurde auf das Unrecht in Südafrika gelenkt. Das ist gut und deshalb gebührt dem Film ein gehöriges Maß an Respekt. Daß es ein eher durchschnittlicher Film mit einer sehr durchschnittlichen Dramaturgie und einem höchst fragwürdigen Fokus ist, merkt man dann vielleicht eben erst Jahre später, wenn er erneut gesichtet wird und man sich darüber wundert, was einen da vor fast 30 Jahren eigentlich so gepackt hat?
Sichtet man den Film nach Jahren erneut auf DVD, die mit 157 Minuten länger ausfällt, als die Kinoversion von 1987, wundert man sich bspw. schnell über die Verteilung der Handlungselemente im Film. Die nämlich sind interessanterweise keinesfalls im Schwerpunkt auf Steve Biko und seinen Kampf gegen das Unrechtsregime ausgerichtet. Vielmehr entfallen fast 60 Minuten des Films auf die Flucht der Familie Woods, was sicherlich spannend erzähltes Drama ist (wobei festzuhalten bleibt, daß es weitaus spannendere Fluchtgeschichten gibt), kaum aber politisches Kino. Das könnte man durchaus auch verstehen, doch bleibt von den restlichen ca. 100 Minuten vor allem ein seltsamer Eindruck zurück.
Richard Attenboroughs Anliegen steht vollkommen außer Zweifel und da er sich nun einmal auf eben jenes Buch stützt, daß Woods auf seiner Flucht vor den afrikanischen Behörden so unbedingt außer Landes schaffen will, ist auch klar, daß er sich die Möglichkeit einer spannend erzählten Geschichte nicht hat nehmen lassen. Doch wer das Buch kennt, der weiß, daß dort Bikos Ideen – vor allem jene des ‚Black Consciousness Movement‚ – weitaus stärker im Vordergrund stehen als die Flucht der Familie Woods. Der Film müht sich redlich, die Zerrissenheit der Familie – neben den Eheleuten Woods immerhin fünf Kinder – zu zeigen, die ja neben des Vaters politischer Tätigkeit durchaus ein Alltagsleben zu gestalten hatte. So fällt im Film die Entscheidung, das Land zu verlassen, nicht wegen der allgemein herrschenden gesellschaftlichen Zustände, sondern erst, nachdem die Familie selbst Ziel von Angriffen durch den Staat wurde. Vor allem wehrt sich Wendy Woods lange gegen die Pläne ihres Mannes, das Buch zu veröffentlichen, da sie weiß, was dies für sie und die Familie bedeuten wird. Erst als sie selbst Opfer von Repressalien wird, willigt sie ein und ist dann auch relativ schnell bereit, ihm mit den Kindern ins Exil zu folgen.
Der Fokus des gesamten Films liegt schlicht zu stark auf den Problemen einer weißen Familie im Südafrika der 70er Jahre, obwohl der Film offenkundig Partei für die Schwarzen und gegen das weiße, rassistische Apartheid-System ergreift. Wie auch der ungemein bessere A WORLD APART (1988), vertraut auch CRY FREEDOM nicht darauf, den Zuschauer mit einer wirklich schwarzen Sicht auf die Übel des Landes zu konfrontieren. Wo A WORLD APART jedoch die Problematik umgeht, indem er rigoros den Blickwinkel eines jungen weißen Mädchens einnimmt, deren Eltern – Kommunisten im Südafrika der 60er Jahre – den politischen Kampf führen, und sich somit behutsam der Thematik nähert, will Attenborough die große Linien ziehen und kann daran nur scheitern, weil sein Film mindestens so wachsweich anmutet, wie die liberalen Ansichten seines Hauptprotagonisten.
Natürlich ist nicht alles mißlungen an diesem Film, keinesfalls. Er kann in den Massenszenen – so bei einer Beerdigung und einer Sportveranstaltung, die jeweils zu politischen Kundgebungen mutieren, erst recht in den am Ende „nachgeschobenen“ Szenen zu den Massakern in Soweto – überzeugen, er kann auch in einigen Passagen überzeugen, in denen Woods von Biko und dessen Freunden in eine Township mitgenommen und erstmals wirklich mit der schwarzen Realität des Landes konfrontiert wird, in der über 80% seiner Landsleute leben müssen. Hier gibt es auch starke Dialoge, in denen wir von Bikos Theorien erfahren und durchaus verstehen, was es bedeutet haben muß, in jenen Jahren Südafrikaner schwarzer Hautfarbe zu sein. Auch die Ideen des ‚Black Consciousness‚ weiß der Film in diesen Momenten didaktisch gekonnt zu vermitteln. Die Bedrohung durch eine zu jeder Gewalttat bereiten Staatsmacht und auch deren üblen Zynismus stellt der Film ebenfalls überzeugend aus. Wobei dabei die Gegenüberstellung schwarzer Armut und der Überfülle weißen Reichtums und der sie umgebenden Schönheit zwar den Realitäten entsprechen mag, leider aber dennoch etwas arg dick aufgetragen und damit platt wirkt.
Auch muß man klar hervorheben, daß der Film durchweg gut gespielt ist, sowohl in den Hauptrollen – Denzel Washington gibt hier eine frühe Variante seiner später immer wieder gelungenen Performances als schwarzer Führer (MALCOLM X – 1992), zu Unrecht verurteilter Schwarzer (HURRICANE – 1999) oder eines Schwarzen, der seine Würde verteidigt (GLORY – 1989 u.a.) – als auch in den Nebenrollen (vor allem die Kinder der Woods werden hervorragend gespielt). Und sicherlich wird vielen auch gefallen, wie es Attenborough gelingt, den Zuschauer einzufangen und zu überzeugen – neben so mancher Totalen, die – sich herabsenkend – uns in der Masse der Protestierenden entweder untergehen lassen oder uns die Massen erhaben von oben zeigen und damit die Wucht der Proteste verdeutlichen, übernimmt dies nämlich der pompös-pathetische Soundtrack, der neben poppig aufgepeppten Stammesgesängen durch die Musik George Fentons berührt. Überwältigungskino, wie man es besser nicht inszenieren könnte. Hochglanz, allerdings ein Glanz, der der Sache nicht immer angemessen erscheint.
Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß man es in weiten Teilen mit einem recht konventionell erzählten Thriller, allerdings nicht einmal wirklich einem Politthriller im engeren Sinne, zu tun hat. Und auch muß angemerkt sein, daß es Passagen gibt, die den Zuschauer, heute vielleicht mehr als zur Zeit seiner Entstehung, wirklich verärgern können. So hat man ab eines gewissen Zeitpunkts in der Handlung den Eindruck, wichtiger als die Freiheit für ca. 40 Millionen Schwarze, sei die Veröffentlichung eines Buches. So stellen sich denn auch alle Schwarzen des Films (zumindest die, die man dann noch sieht) nach Steve Bikos Tod in den Dienst der Flucht der Woods. Dadurch reduziert der Film Schwarze wiederum zu Handlangern und Helfershelfern und begeht damit den Kardinalfehler vieler „weißer“ Filme über die Probleme farbiger Menschen, egal ob in Südafrika, Europa oder auch den USA. Umso fragwürdiger erscheinen die Rückblenden, die in den letzten 30 Minuten Laufzeit zunehmen und nicht nur Biko vor Gericht brillant argumentierend, sondern – es wurde oben bereits erwähnt – auch das Massaker an den Schülern von Soweto zeigen. Ebenso thematisieren sie den Einfluß, den Bikos Theorien auf die Streikenden hatten. Doch gerade diese Bilder, wiederum in einer atemberaubenden Massenszene gefilmt, wirken wie nachgereicht. Man hätte entweder das Massaker im Laufe der Handlung zeigen oder aber auf diese Bilder verzichten sollen. So wirkt das Ergebnis gewollt, unzusammenhängend und pflichtschuldig.
Da das Apartheidsystem seit über 25 Jahren – zumindest offiziell – nicht mehr existiert, ist der Film heute natürlich eher ein zeithistorisches Dokument, welches zeigt, wie engagierte Intellektuelle und Künstler sich lange darum bemüht haben, mit ihren Mitteln gegen diesen Unrechtsstaat zu kämpfen. Doch da das System wie durch ein Wunder nahezu unblutig gestürzt wurde, steht es uns heute auch weitaus mehr zu, einen solchen Film nach filmkünstlerischen Aspekten zu beurteilen. Und da kann CRY FREEDOM schlicht nicht überzeugen, gemessen an heutigen Politthrillern erst recht nicht. Zu gewollt, zu manipulativ und dabei doch zu sehr auf Erfolg am Markt (deshalb die extrem „weiße“ Perspektive) ausgerichtet, fällt es schwer, dem Film heute mehr als guten Willen zu attestieren. Wohl erinnert man sich, wie übel das schwarze Südafrika in jenen Jahren gelitten hat und man jedes Engagement gegen die Apartheid einfach begrüßen und unterstützen musste. Deshalb ist Attenboroughs Film sicherlich wichtig gewesen in seiner Zeit. Aber eben die Zeit ist auch über ihn hinweggegangen, wie sie es meist mit Kunstwerken tut, die didaktisch wirken, die direkten Einfluß auf ihre Gegenwart nehmen wollen. Gnadenlos.