STILL HALTEN

Jovana Reisingers später Beitrag zur "neuen Innerlichkeit"

Bücher mit denen man sich schwertut, Bücher die man vielleicht auch nicht versteht. Als Mann, als Deutscher, als Nicht-Österreicher zumindest. Jovana Reisinger, Filmemacherin und Künstlerin, geboren in München, jedoch aufgewachsen in Österreich, legt mit ihrem Debutroman STILL HALTEN (erschienen 2017) ein solches Werk vor. Angesiedelt irgendwo zwischen Marlen Haushofer und Elfriede Jelineks frühen Werken, gelegentlich Erinnerungen an Daphne Du Mauriers THE BIRDS evozierend, wirkt es wie ein sehr später Beitrag zu dem, was einst in den 1970er Jahren als „neue Innerlichkeit“ bezeichnet wurde.

Eine Frau, Ehegattin, offenbar schwer depressiv, zieht sich zusehends ins eigene Ich zurück, distanziert dieses Ich allerdings auch zusehends, indem sie sich von außen, in der dritten Person, beobachtet. Sie setzt sich in Bezug zu einer Umgebung, einer österreichischen Kleinstadt, die sie sehr genau beobachtet, in der sie eine Enge ebenso spürt, wie eine aus der Enge geborene Geborgenheit. Sie wartet auf ihren Mann, der auf Dienstreise ist, während sie vom Arzt ein Jahr Pause und einige Medikamente verschrieben bekommen hat, um zu sich zu kommen. Die Krise, die zu ihrem Zustand geführt hat, wird nie näher erklärt. Dann stirbt ihre Mutter und sie muß eine Haltung einnehmen, muß sich ver-halten. Dieses Verhalten – sowohl gegenüber der toten Mutter, als auch gegenüber ihrem Erbe – nimmt zusehends pathologische Züge an. Zumindest, wenn man den Blick als Außenstehender, als Mann, als unbeteiligter Leser auf das richtet, was aus der Innenansicht dieser Frau folgerichtig erscheint.

Reisinger nutzt eine scheinbar einfache, meist deskriptive Sprache, beschränkt sich auf kurze Hauptsätze, Aussagesätze, und führt ein Wesen vor, daß man(n) so eigentlich für ausgestorben gehalten hatte: Eine Frau, die sich fast ausschließlich über ihren Gatten, über die Wirkung auf Männer generell, zu definieren scheint. Das allerdings nicht, ohne diese Haltung ironisch, gelegentlich schon zynisch, zu reflektieren und damit – scheinbar – zu brechen. Doch wirken sowohl die Beschreibung, als auch die Reflektion, eindimensional. Dann allerdings führt Reisinger den Leser wiederum in fast surreal anmutende Szenen iund Szenerien, bei denen schwer zu unterscheiden ist, ob sie noch Bezug zur Wirklichkeit haben und diese nur extrem verzerrt darstellen – der verzerrten Wahrnehmung der namenlosen Erzählerin entsprechend – oder ob sie bereits komplett einer Wahnvorstellung entspringen. Sicher ist, daß es Reisinger gelingt, dem Leser auf beunruhigende Art und Weise eine innere Entfremdung, eine immer größere Distanz zwischen dem Ich und dem Außen, einer Ding-Welt, letztlich der Natur, die hier zunehmend feindlich wahrgenommen wird, zu verdeutlichen – allerdings nicht zu erklären. Diese Erzählerin bleibt fremd, weil sie sich selbst immer fremder wird. Da wir als Leser aber nur diese Erzählerin als Ver-Mittlerin haben, wird die Fremdheit verstörend.

In der Fremde, die doch die eigentliche Heimat ist, im Dorf, wo sie einst zuhause war – die Heimat vergisst nie, ist einer der Sätze, die einem Mantra gleich immer wieder Eingang in die Erzählung finden – trifft die Erzählerin auf alte Bekannte, mit diesen aber auch auf eine weitere Entfremdung. Niemand trauert um die Mutter, wie sie selbst, als Tochter, ebenfalls nicht trauern kann, nicht zu trauern versteht. Das Heim-Kommen wirkt eher wie ein Startschuß für die Zurückgebliebenen, endlich wieder ins Leben zu kommen. So freut sich der Jäger, endlich wieder jagen zu dürfen im Wald hinter dem Haus der toten Mutter, in den diese ihn nicht mehr einließ. Und die Erzählerin scheint diesen Wunsch nach Einhegung, nach Schaffen einer Ordnung, zu teilen.

Im Haus der Mutter angekommen, deren Persönlichkeit die Erzählerin in Ermangelung einer eigenen, ausgebildeten, ein-, an-zu-nehmen gedenkt, wird virulent, was sich in Teil Eins der Erzählung bereits anhand ebenfalls verstörender Beobachtungen hinsichtlich des Verhaltens der Krähen in der Stadt – folgen sie der Erzählerin? Sind sie ihr Schatten? Gar ein Teil ihres Selbst, jener Teil, den sie nicht, nie, füllen konnte, jener Leerstelle, wo ihre Persönlichkeit nicht ist? Oder sind sie Ausdruck, Symbol, eines sehr, sehr dunklen Teils dieser Persönlichkeit? –  angedeutet hatte: Die Natur selbst wird zur Bedrohung. Der Wald hinter dem Haus ist ein undurchdringliches Dickicht, eine wild brodelnde, sich ungebremst ausbreitende Natur, die den Vater „verschluckte“, der sich einst im Wald in einer Hütte erhängt hatte. Die Natur ist das Ungeordnete, das die Unordnung spiegelt, die den unruhigen Geist der Erzählerin befallen hat. Sie beginnt, diese Natur zu bekämpfen. Schießt auf Vögel, erfreut sich an den toten Rehen, die der Jäger aus dem Wald schleppt, erfreut sich in einem triumphalen Gefühl der Überlegenheit an den Bäumen, die „die Burschen“ im Wald fällen und vor ihrem Garten stapeln. Was als Depression begann, dann zu einer Schrulle hinsichtlich ihres Verhältnisses zu ihrer Umgebung zu werden scheint, entwickelt sich schließlich zum Wahn. Immer mehr Tiere müssen sterben, immer weitreichender und anmaßender wird der Anspruch, den die Erzählerin auf Umgebung, Natur, die Welt erhebt, immer aggressiver der Ton, in dem dieser Anspruch formuliert wird.

Erst mit dem Eintreffen „des Mannes“, ihres Gatten also, scheint sie innere Ruhe finden zu können. Doch bevor dies geschieht, zieht es sie – dem Jäger und einem Gefährten folgend – in den Wald. Immer tiefer dringt sie in ihn ein, so, wie sie zuvor beschrieben hat, wie ihr Mann in sie eindringen soll, verliert sich im undurchdringlichen Unterholz, bis sie die Lichtung mit der Hütte erreicht, wo einst der Vater sich erhängte. Wie friedlich habe er da gehangen, sei geschaukelt von der Decke dieser Hütte. Der Tod wird zum Sehnsuchtsort und die Lichtung vielleicht zu jenem Ort im Inneren eines Menschen, wo sich das Gewirr aus eigenen Gedanken, Sprachfetzen, Ideen, Erinnerungen und der Angst vor dem Verlust des eigenen Ich lichtet und man, vielleicht, Ruhe finden kann. Außer, es wartet eine böse Überraschung just an dem Ort, der Frieden verspricht.

Ratlos bleibt der (männliche?) Leser vor diesem Textkonvolut zurück, ermahnt sich, anzunehmen, daß dies vielleicht nie für ihn geschrieben wurde. Und will es doch durchdringen, womit vielleicht die Rolle, die in diesem Buch den Männern zugeordnet ist, exakt erfüllt wird. Man fühlt sich ertappt. All das bleibt fremd. Inhaltlich, sprachlich, psychologisch. Reisinger findet Bilder, auch Sprachbilder, die wehtun, die aber in dem Durcheinander der Protagonistin derart entfremdet wirken, daß sie dem Leser zwar wehtun – allen voran jene „Berge“ aus toten Vögeln, die sie in ihrem Garten aufstapelt und wo sie beobachtet, wie die lebenden  Tiere den toten Tieren das Gekröse aus den offenen Bäuchen picken – in ihrer apokalyptischen Erscheinung, dennoch aber distanziert bleiben, gefiltert durch diese sperrige Sprache und immer einer Frau zuzuordnen, die man(n) natürlich immer schnell für verrückt erklären kann.

So schwer man sich mit STILL HALTEN tun mag, so sehr es sich dem Verständnis zu entziehen scheint, weh tut dieser schmale Band allemal. Zu eindringlich dann doch das, was man versteht, zu schmerzhaft dann doch die Entwicklung. Auch wenn man diese Frau nie mag, wenn man ihre Anmaßung ebenso verabscheuenswürdig findet, wie ihren ironischen, manchmal zynischen Zugriff auf die Welt, die sie als feindlich wahrnimmt und die sie zu ihrer Feindin gemacht hat, so ist man bei aller Distanziertheit zu tief in dieser Seele, in dieser Psyche, die man nicht versteht, deren Schmerz, Angst und schließliche Panik aber immer spürbar sind durch das Gatter der Worte und Buchstaben. Schwere Kost.

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