THE NORTHMAN
Robert Eggers entführt sein Publikum in eine wilde, raue und brutale Wikinger-Saga
Amleth (Oscar Novak), Sohn von König Auvrantil (Ethan Hawke), verlässt seine Heimatinsel, nachdem er mit ansehen musste, wie sein Onkel Fjölnir (Claes Bang), Auvrantils Halbbruder, seinen Vater getötet und anschließend seine Mutter Gudrún (Nicole Kidman) geehelicht hat. Eigentlich hatte Auvrantil seine Macht in Amleths Hände übergeben wollen, hatte mit ihm Heimir (Willem Dafoe) den Narren besucht, der mit der Anderwelt in Kontakt steht und dem jungen Prinzen die Zukunft weissagen sollte.
Der erwachsene Amleth (Alexander Skarsgård) überfällt als Teil einer wilden Horde von Berserkern, in die er bereits als Jugendlicher aufgenommen wurde, Dörfer und Siedlungen entlang der baltischen See und im Hinterland der Rus. Amleth ist ein rauer, brutaler und gnadenloser Krieger geworden, der seine menschliche Seite, seine Erziehung und auch seine Bestimmung lange schon vergessen zu haben scheint. Durch die Begegnung mit einer Seherin (Björk), die in ihm zu erkennen scheint, wer er wirklich ist, wird er an sein Versprechen erinnert, den Vater zu rächen und Fjölnir zu töten.
Amleth erfährt, dass Fjölnir einst von der Insel, zu deren Herrscher er sich widerrechtlich aufgeschwungen hatte, durch den Wikingerkönig Harald Schönhaar vertrieben wurde und nun, eher geduldet denn erwünscht, mit den Überlebenden aus seinem untergangenen Königreich, darunter Gudrún und Amleths Halbbruder Gunnar (Elliott Rose), auf Island lebt.
Amleth besteigt ein Sklavenschiff, welches nach Island segelt, um sich so bei seinem verhassten Onkel einzuschleichen. Während der Überfahrt lernt Amleth Olga (Anya Taylor-Joy) kennen, in die er sich verliebt und der er seinen Racheplan eröffnet. Sie beschließt ihm zu helfen – auch, um ihre eigene Freiheit zurück zu erlangen.
In den Diensten Fjölnirs erweist Amleth, der sich nun Björnulfur nennt, als arbeitsam und vor allem still. Bei einem brutalen Wettkampf rettet er Gunnar vor einem gegnerischen Spieler und erlangt dafür Privilegien von seinem Herrn. So darf er u.a. Olga heiraten.
Immer wieder überlegt Amleth, wie und auf welche Weise seine Rache durchgeführt werden kann. In einer kalten Winternacht folgt er einem Polarfuchs in eine Höhle, wo er auf einen Zauberer (Ingvar Sigurðsson) trifft. Dieser weiß, wen er vor sich hat und eröffnet Amleth, wo er ein Schwert finden wird, das besondere Kräfte birgt und vor allem blutdürstig ist.
Amleth muss sich dafür einem Draugr stellen – einem Toten, der in seinem Grabhügel haust und über das Schwert wacht. In einem vielleicht wirklichen, vielleicht nur halluzinierten Kampf muss Amleth dem toten Krieger die Waffe entwinden. Das gelingt ihm und er fühlt sich nun für seine Aufgabe gewappnet.
Amleth beginnt, die Männer von Thórir (Gustav Lindh) zu töten. Thórir ist Fjölnirs älterer Sohn. Mit Olgas Hilfe schaltet Amleth weitere Männer seines Onkels aus und dezimiert damit die Anzahl seiner Gegner.
Schließlich gibt er sich im Glauben, diese würde sich über das Wiedersehen und ihre Rettung freuen, Gudrún zu erkennen. Doch ist ihre Reaktion eine ganz andere: Sie war immer die Geliebte Fjölnirs, nie habe sie König Auvrandil geliebt. Dieser sei ein Mann gewesen, der nur für seine Eroberungszüge, für Gold und Huren gelebt und sie zeitlebens wegen ihrer Abstammung von Sklaven verachtet habe. Sie wünscht sich Amleths Tod.
Amleth ist außer sich vor Zorn, tötet Thorír und schneidet dem das Herz aus dem Leib. Fjölnir geht davon aus, dass hier Trolle am Werk waren, verdächtigt jedoch auch die Sklaven, mit dunklen Mächten im Bunde zu stehen. Wahllos tötet er Sklaven, bis Gudrún ihn überzeugt, dass Amleth lebt und auf der Insel sein Unwesen treibt.
Amleth lässt sich gefangen nehmen, da er befürchtet, dass Fjölnir sich ansonsten an Olga vergeht. Trotz fürchterlicher Misshandlungen gibt er nicht preis, wo er Thorírs Herz versteckt hat. Ohne dieses kann dessen Vater ihn aber nach dem alten Glauben nicht begraben. Schließlich wird Amleth von einigen Raben befreit, die sein Vater – einst der „Rabenkönig“ genannt – aus Walhall, der Ruhestätte der Helden und Krieger, geschickt haben mag.
Amleth flieht mit Olga auf einem Boot von der Insel Richtung Orkney. Doch will er – gegen Olgas Willen, die der Meinung ist, ihr Zusammentreffen hätte seine Bestimmung geändert und die, wie auch Amleth weiß, schwanger von ihm ist – seinen Auftrag, wie er seine Rache empfindet, erfüllen. Da die Kinder in Olgas Bauch seine Blutlinie weitertragen, kann er getrost in seinen sicheren Tod gehen.
So springt er über Bord und schwimmt zurück zur Insel, um sich dort Fjölnir zu stellen.
Zurück in der Siedlung tötet Amleth nahezu jeden, dessen er ansichtig wird. Schließlich – eher aus Notwehr, denn gewollt – fallen seiner Wut auch Gudrún und Gunnar zum Opfer. Fjölnir fordert seinen Widersacher nun zu einem Endkampf an „den Toren zur Hölle“ heraus. Das bedeutet an den Hängen des Vulkans Hekla, der im Begriff ist, auszubrechen. Hier bekämpfen die beiden Männer einander bis zur totalen Erschöpfung. Sie werden beide sterben. Im Todeskampf begreift Amleth, dass sein Schicksal sich erfüllt hat. Er wird von einer Walküre aufgenommen und nach Walhall gebracht.
THE NORTHMAN (2022) war erst Robert Eggers´ dritter Langfilm nach dem grandiosen THE WITCH (2015) und dem eher durchwachsenen, jedoch sehr kunstbewussten und vor allem kunstwilligen THE LIGHTHOUSE (2019), doch wirkt der Film bereits wie das routinierte Werk eines alten Kämpen, der mit Millionenbudgets umzugehen versteht und Film-Sets mit Hunderten von Statisten zu beherrschen weiß. Zudem inszeniert er hier ein Ensemble handverlesener Schauspieler, die teils nur in Nebenrollen auftreten, diesen jedoch ihren Stempel aufdrücken, darunter Nicole Kidman, Ethan Hawke und Willem Dafoe.
Eggers´ Wille, seine Historiendramen – im Grunde trifft das auf alle seine Filme zu, auch auf sein neuestes Werk NOSFERATU (2024), eine Neuverfilmung des Murnau-Klassikers von 1922 – so historisch akkurat und naturgetreu wie nur irgend möglich zu gestalten, wird auch hier, in dieser Wikinger-Saga, überdeutlich. So hat man es entgegen der allgemeinen Annahme weniger mit einem blutrünstigen Abenteuerfilm oder gar einem Action-Spektakel zu tun, vielmehr ist dies ein nicht weniger blutrünstiger Arthouse-Film, der sich aber irgendwo zwischen Schlachtenspektakel und esoterischem Geraune zu verlieren droht.
Eggers Drama basiert auf der altdänischen Sage um Amlet (oder auch Amlethus – hier, bei Eggers Amleth), Sohn des Statthalters von Jütland. Der wurde durch Verrat um Amt und Würden gebracht, weshalb sein Sohn schreckliche Rache übt, indem er sich zunächst als wahnsinnig ausgibt und dann, nach und nach, mit List und manchmal auch mit Tücke, all jene aus dem Weg räumt, die er seiner Rache für würdig befindet. Einst vom dänischen Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus (1160- ca.1216) niedergeschrieben, wurde die Geschichte von Amlet auch zur Vorlage eines der großen Dramen von William Shakespeare: HAMLET.
Eggers deutet die Verwandtschaft zu diesem Stück Weltliteratur zwar an, bietet allerdings eine komplette Neuinterpretation, in welcher er sich auch nicht scheut, eine gewisse Primitivität vorzuführen, die er für seine Protagonisten wohl als typisch betrachtet. Das ist stellenweise durchaus interessant, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film letztlich bei allem Willen zum stilistisch Eigenwilligen und zur historischen Genauigkeit doch in genau jenen Klischees verfängt, die für Wikinger-Geschichten eben typisch sind. Vorchristliche Unholde verüben brutale Massaker an Unschuldigen und kennen weder Mitleid noch Gnade, wenn es darum geht, ihren Willen oder aber, wie hier in diesem Film, ihr Schicksal zu erfüllen.
Nach seiner Flucht von der Insel im Nordatlantik, wo er aufwuchs, findet sich Amleth nach einer Odyssee durch Europa in einer Horde Berserker wieder, die Dörfer entlang der Ostseeküste und weit im Landesinneren plündern. Amleth ist nun ein blutrünstiger und gnadenloser Krieger, der weder für Kinder, noch Frauen oder Männer Mitleid kennt. Intensiv werden die Momente inszeniert, in welchen wir diesen Mann als Erwachsenen wiedersehen. Grunzend, offenbar völlig dem Blutrausch ergeben, metzelt er nieder, wer sich ihm in den Weg stellt. Gnadenlos und brutal ist das und für das Publikum nur schwer erträglich. Denn Eggers ist auch in der Darstellung der Schlachten und Gemetzel äußerst geschichtsbewusst und erspart den Zuschauer*innen nichts. Eine Wikingerhorde, die über ein Dorf herfällt, ist kein schöner Anblick – und genau davon erzählen die Bilder, die Kameramann Jarin Blaschke mit einem chromatischen Grauton überzieht, aus dem das Rot des Blutes umso drängender hervorsticht. Kalt sind diese Bilder, Distanz bauen sie auf und lassen uns als Betrachter*innen immer entweder unmittelbar ins Geschehen tauchen oder aus großer Ferne auf die Ereignisse blicken. Selten, dass wir uns hier in einer adäquaten Halbdistanz wiederfinden, gleichberechtigt in die Handlung eingebunden. Wir blicken in eine ferne Vergangenheit, die uns fremd ist und die uns fremd bleibt.
Eggers, der, wie jeder Film-Auteur, der auf sich hält, auch sein eigener Drehbuchautor (und bestenfalls auch noch Produzent und Schnittmeister) ist, enthält sich, wie auch in seinen früheren Filmen, jedweder Beurteilung dessen, was er zeigt. Mehr noch: Wie vor allem in THE WITCH lässt er auch hier die Möglichkeit des Okkulten, des Mystischen, des Außerweltlichen zu. Seine Filme – inklusive NOSFERATU, der dieses Prinzip natürlich zum Movens erhebt – balancieren immer auf einem schmalen Grat zwischen rationaler Erklärung und eines möglichen Mystizismus. So sind die Ereignisse dieser Filme einerseits immer rational, meist psychologisch, erklärbar. In THE WITCH ist es der Puritanismus, eine verbrämte Religiosität, die zu Hexenglauben, Hexenverfolgung und Verbannung einzelner Mitglieder oder ganzer Familien der Gemeinschaft führen; in THE LIGHTHOUSE ist es der Wahnsinn, der durch Einsamkeit entstehen kann; hier, in THE NORTHMAN, sind es der Wunsch nach Rache und die Verrohung in einer rohen und brutalisierten Welt. Und doch gibt es in all diesen Werken immer auch die Möglichkeit, dass das, was geschieht und dessen wir ansichtig werden, eben auch genau so geschieht, wie der Film es zeigt. Das würde bedeuten, dass es in THE WITCH eben wirklich Hexen sind, die auf die Protagonisten einwirken, es würde bedeuten, dass auf der kleinen Insel, auf der der titelgebende Leuchtturm in THE LIGHTHOUSE steht, tatsächlich Hort übersinnlicher, außerweltlicher Kräfte ist. Und es würde bedeuten, dass Amleth in THE NORTHMAN tatsächlich in Kontakt mit Erdgeistern, mit Elfen und Trollen steht, wie es im Film mehrfach angedeutet wird.
Es spricht für Robert Eggers´ Kunst, beide Ebenen zu berücksichtigen und beiden – wertfrei – Raum zu geben. Die Weigerung, zu urteilen, das Beharren auf dem Nebeneinander rationaler und mystischer – und, mehr noch vielleicht, gerade in diesem Werk: mythischer – Erklärung und Durchdringung der Wirklichkeit, macht viel von seinem Werk aus, macht es auch zu etwas Besonderem. Keine Frage. Denn Eggers liefert in gewisser Weise – vor allem auch mit dem Wunsch, so authentisch wie möglich Geschichte auf die Leinwand zu bannen – eine Kulturgeschichte der westlichen Welt. Von den Mythen des Vorchristentums, über die christlichen Kirchen und ihre Überspanntheit, in die Abseiten der Psyche, die der Kulturgeschichte des Westens einen ganzen neuen, unerforschten Kontinent hinzugefügt hat, als die wahre Welt so langsam keine Terra Incognita mehr zu bieten hatte, die zu erobern sich noch lohnte, bis hin zur Romantik und ihren Abwegen, die NOSFERATU wohl aufzeigt und beschreitet, scheint der Autor und Regisseur Robert Eggers ein kulturbeflissenes Programm zu verfolgen. Es bleibt definitiv spannend, diesem Künstler in seiner Entwicklung zu folgen.
Ob das, was er bietet, dann wirklich immer gelungen ist, bleibt dahingestellt. Gerade THE NORTHMAN zeigt eben auch, wo die Grenzen solch künstlerischer Herangehensweise liegen. Denn so beeindruckend die filmische Gestaltung auch sein mag – neben den Bildern selbst, ist es die ganze Bildgestaltung, die Mise en Scene, die das Auge ununterbrochen füttert, Aufmerksamkeit bedarf, den Geist anregt: Die Set-Designs sind grandios, die Ausstattung ebenfalls –, die Geschichte ist und bleibt eine Rachegeschichte herkömmlicher Natur. Mit Shakespeares Helden, diesem großen Grübler und Zweifler der Weltliteratur, teilt die Hauptfigur des Films eigentlich nur noch den Namen. Mit dem Drama des englischen Nationaldichters im Grunde nur die äußerste Handlung, eben die Rachegeschichte. Ansonsten wird dem Publikum ein grunzendes Wesen präsentiert, welches Eggers – um in dem Bild seiner „Kulturgeschichte“ zu bleiben – wohl als vorzivilisatorisch angelegt hat.
Dieser Mensch ist, wenn überhaupt, nur nominell ein Christ, sein Glaube aber, sein wahrer Glaube, sind die pantheistischen Naturreligionen seiner nordischen Heimat. Dieser Mann ist im Werden begriffen, und er scheidet aus der Welt, wie wir sie kennen, nachdem er seinen Auftrag – an den ihn im entscheidenden Moment eine Seherin gemahnt – erledigt hat. Und als er geht, wird er von einer Walküre ins göttliche Walhall gebracht. Das ist seine Vollendung als Mensch, da es die Vollendung seines Auftrags ist, die Erfüllung seiner Mission, die eben keine christliche ist. Dieser Mensch kann das so erleben, weil er es noch glaubt. Mit dem beginnenden und sich schnell ausbreitenden Christentum werden Erzählungen wie diese aber überflüssig.
Dem zu folgen ist natürlich interessant. Doch trägt ein solch theoretisches Konstrukt eben nicht über nahezu 140 Minuten Film-Zeit. In denen schaut man dann letztlich doch einem brutalen Heiden – einmal mehr einem toxischen Mann – dabei zu, wie er Dörfer überfällt, Frauen und Kinder erschlägt, wie er grausame Rache übt und andere Männer verstümmelt, bis er endlich – immer noch schreiend und grunzend – seinen Vater gerächt hat. Reaktionärer kann die Botschaft eines Films im Jahr 2022 kaum sein. Und auch kaum langweiliger. Die Zuschauer*innen sitzen da, betrachten das Geschehen, bewundern die Bilder und fragen sich irgendwann, was das alles soll? Und spätestens dies ist tödlich für jeden Film: Der Moment, in dem das Publikum schon beim Betrachten darüber nachzudenken beginnt, wie das gemacht wurde und weshalb das so gemacht wurde und wozu das eigentlich gut ist? Denn in diesem Moment verliert das Kino seine ureigene, ihm innewohnende Kraft (und Macht, um auch hier im Bilde zu bleiben): Die Magie wirkt nicht mehr. Umso schlimmer bei einem Film, der sehr viel von Magie und Mystik und einer Welt hinter der Welt erzählen will.
THE NORTHMAN ist sicher nicht Robert Eggers bester Film; es ist aber ein zumindest in Teilen spannendes Experiment. Nun also NOSFERATU. In einem so deutlich der romantischen Phantastik zuzurechnenden Werk könnte ein Künstler wie Eggers tatsächlich zu sich selbst kommen. Man darf gespannt sein.