UNSANE – AUSGELIEFERT/UNSANE

Steven Soderbergh bietet eine brillante Mischung aus politischer Anklage und einem Psychothriller

Sawyer Valentini (Claire Foy) ist auf der Flucht vor einem Stalker namens David Strine (Joshua Leonard) weit von ihrer Heimatstadt Boston weggezogen. Ihre Mutter Angela (Amy Irving) hat sie über die Ursachen ihrer Flucht im Dunkeln gelassen, was dazu führt, daß diese sich Vorwürfe macht, sie habe sich nach dem Tod des Vaters nicht genügend um die Tochter gekümmert.

Sawyer ist irgendwo in Pennsylvania als Analystin in einer Bank untergekommen. Hier fällt sie bald als besonders fähige, aber auch besonders harte Verhandlerin auf. Das bekommen ihre Kunden ebenso zu spüren, wie ihre Kolleginnen.

Doch das Trauma der Verfolgung setzt sich fort. Sawyer versucht, mit Online-Datings auszugehen, doch immer wieder sieht sie nur ihren einstigen Stalker in den Männern. Das veranlasst sie, Hilfe bei einer Therapeutin zu suchen. Sie besucht eine Einführungssitzung in der Highland-Creek-Clinic. Die Therapeutin ist einfühlsam, es gelingt ihr sogar, Sawyer dazu zu bringen, frühere Suizidgedanken zuzugeben. Nach der Sitzung soll Sawyer nur einige Formalitäten erledigen und einige Papiere unterschreiben. Was sie nicht ahnt, ist, daß sie auch ihrer Einweisung zustimmt, sollte sie als Gefahr für sich und/oder andere eingestuft werden. Und als genau solche sieht sie die Therapeutin.

Sawyer wird gegen ihren Willen zunächst für 24 Stunden in die Klinik eingeliefert. Daß sich die resolute junge Frau diese Behandlung nicht gefallen lassen will, versteht sich von selbst. Allerdings bestätigt sie mit ihrem aggressiven, verbal ausfälligen Verhalten genau die Diagnose. Infolge dessen wird ihre Aufenthaltszeit auf sieben Tage ausgeweitet. Zwar wird ihr erlaubt, einen Anruf zu tätigen, doch nimmt bei der Polizei, die sie anruft, niemand ihre Aussage, gegen ihren Willen festgehalten zu werden, ernst.

Sawyer macht nun nach und nach die Bekanntschaft ihrer Mitinsassen, darunter die ebenfalls sehr aggressive Violet (Juno Temple), die Sawyer immer wieder provoziert und auch angreift, es aber jedes Mal so aussehen lässt, daß Sawyer als Aggressorin dasteht. Sie lernt aber auch Nate Hoffman (Jay Pharoah) kennen, der ein vierwöchiges Opiumentzugsprogramm durchläuft, sich bei den Sitzungen der Selbsthilfegruppen als einer der wenigen wirklich Aktiven herausstellt und dem es zudem gelungen ist, ein Handy in die Klinik einzuschmuggeln.

Sawyer nervt ihn zwar mit ihren dauernden Bitten, das Handy nutzen zu dürfen, er ist jedoch bereit, ihr zu helfen. So kann Sawyer überhaupt mit der Außenwelt in Kontakt treten. Sie informiert ihre Mutter, was ihr widerfahren ist. Angela ist sofort bereit, den Weg von Boston auf sich zu nehmen, um der Tochter zu helfen.

Dank Nate versteht Sawyer erst, in was für eine Mühle sie geraten ist. Er erklärt ihr das System hinter einer Einweisung wie der ihren: Die Kliniken ließen die arglosen Patienten diese Formulare unterschreiben, könnten sie so für 24 Stunden festhalten und derweil einen Grund finden, die Einweisung auf sieben Tage auszudehnen. Dabei ginge es aber nicht um Heilung, sondern lediglich um das Abkassieren der Krankenversicherungen. Solange diese zahlten, fänden sich immer neue Argumente, einzelne vor Ort festzuhalten, weigerten sich die Versicherungen, weiterhin zu zahlen, würden die Patienten kurzerhand entlassen – egal, ob geheilt oder nicht.

Sawyer beobachtet Nate und es fällt ihr auf, daß dieser nicht nur beständig Notizen macht, sondern vor allem mit dem Handy Berichte durchgibt. Offensichtlich ist er ein Investigativ-Journalist, der sich unter dem Vorwand einer Opiumsucht hat einweisen lassen, um die Mißstände in den Kliniken aufzuklären.

All dies wird allerdings überlagert von Sawyers Entdeckung, daß der Pfleger George Shaw in Wirklichkeit David Strine ist. Sie bezichtigt Shaw offen, ihr Stalker zu sein, was natürlich niemand ernst nimmt. Shaw selbst beteuert seine Unschuld und versichert Sawyer immer wieder, daß er ihr nichts tun wolle und offenbar eine Verwechslung vorliege.

Angela taucht anderntags auf und Sawyer ist seit langer Zeit erstmals bereit, sich ihrer Mutter vollends anzuvertrauen. Dabei erzählt sie ihr auch von dem Stalker Strine, der als George Shaw in der Klinik angeheuert habe. Angela versichert ihr, sie werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um Sawyer rauszuholen. Doch bei der Polizei blitzt sie ab, ihr Anwalt erklärt ihr am Telefon in einem endlosen Sermon, wie die Rechtslage hinsichtlich einer Einweisung ist und fordert sie auf, ihn wieder anzurufen, sobald sie mehr Material habe. Dann legt er auf.

Sawyer erlebt einen Albtraum, als ihr Strine/Shaw eine zusätzliche Pille in ihren Medikamentencocktail steckt und sie daraufhin fürchterliche Halluzinationen hat. Dies führt dazu, daß sie einmal mehr ans Bett fixiert wird und in der Klinik als renitent gilt. Allerdings wird auch bald aufgeklärt, daß sie offenbar unter Medikamenteneinfluß stand. Strine/Shaw gibt sich vor Kollegen die Schuld daran. Seine Vorgesetzte lobt ihn aber und dankt ihm für seine Bereitschaft, auch Doppelschichten zu übernehmen.

Abends taucht im Motel, in dem Angela abgestiegen ist, ein Angestellter der Verwaltung auf, angeblich habe es ein Problem mit der Elektronik gegeben. Es ist aber David Strine, der sich so Zugang zu Angelas Zimmer verschafft.

In der Klinik findet Strine heraus, wer Nate in Wirklichkeit ist, weshalb er ihn in den Keller verfrachtet und dort zunächst tagelang unter Drogeneinfluß setzt und ihm schließlich eine Überdosis verpasst. Als Nate gefunden wird, halten die Angestellten der Klinik ihn für das Opfer eines Rückfalls. Allerdings entdecken zwei Pfleger, die seinen Spind leerräumen, sein Notizbuch und begreifen, wer er wirklich war. Die Klinikleitung lässt das Beweisstück verschwinden.

Strine/Shaw gelingt es, Sawyer derart zu provozieren, daß sie nach einem Wutanfall in eine Einzelzelle im Keller verlegt wird. Dort hat er fast alleinigen Zugang zu ihr und offenbart ihr einmal mehr seine Liebe. Sie hatten sich einst kennengelernt, als Sawyer, die sich ehrenamtlich bei einer Sozialstation betätigte, seinen Vater regelmäßig besuchte und ihm vorlas. Bei der Beerdigung des alten Mannes ergriff Strine ihre Hand und behauptete, sein Vater habe gewollt, daß sie ein Paar würden.

Jetzt setzt Sawyer sich gegenüber seinen Annäherungsversuchen zur Wehr, indem sie ihn verhöhnt und seine Liebesschwüre für baren Unsinn erklärt, da er gar nicht liebesfähig sei. Einmal provoziert sie Strine derart, daß er sie würgt, was sie wiederum als Beweis seiner Liebesunfähigkeit nimmt. Der Mann wird zusehends verzweifelter, er erzählt ihr von einem Waldhaus in New Hampshire, wo er mit ihr als Selbstversorger leben will.

In einem Waldstück nahe der Stadt wird die Leiche des wirklichen George Shaw gefunden, wodurch die Polizei erstmals stutzig wird, ob die Angaben der damals hysterisch wirkenden Angela hinsichtlich des Stalkers ihrer Tochter doch recht gehabt haben könnte.

In ihrer Zelle hat Sawyer die Taktik geändert: Nun fordert sie von Strine, daß sie nicht die erste Frau sein wolle, mit der er schläft. Liebe er sie wirklich, solle er eine Frau hier zu ihr in die Zelle bringen und es mit dieser vor ihren Augen treiben. Der vollkommen verzweifelte Strine greift nun zum letzten Mittel, setzt Violet unter Drogen und schleppt sie nachts in die Zelle im Keller.

Sawyer geht dazwischen, als Strine die nur schwach bewußte Violet vergewaltigen will und beginnt nun ihrerseits auf das Mädchen einzureden. Sie liebe sie angeblich und habe sie immer gewollt und sie habe immer gespürt, daß Violet nur von ihr gesehen werden wollte. Sawyer weiß aber, daß Violet in ihrem Hosenbund immer ein selbstgebasteltes Messer mit sich trägt. Dieses zieht sie nun hervor und verletzt Strine damit schwer. Sie flieht aus der Zelle und schließt diese hinter sich. Daß Strine daraufhin in seiner Wut Violet kurzerhand das Genick bricht, interessiert Sawyer nicht sonderlich.

Sie flieht aus der Klinik, kann sich verstecken, wird aber von Strine, der sich irgendwie aus der Zelle befreien konnte, eingeholt und niedergeschlagen. Als sie erwacht, findet sie sich im Kofferraum seines Wagens wieder. Neben ihr liegt die Leiche ihrer Mutter. Es gelingt Sawyer, die Notentriegelung des Kofferraums zu betätigen und sie springt aus dem Wagen. Das merkt Strine sofort, verfolgt sie durch den Wald und zerschlägt ihr den Fußknöchel mit einem Hammer. Er schleppt sie in den Wald und legt sich neben die bewußtlsoe Frau. Während er ihr erneut seine Liebe beteuert und von ihrem gemeinsamen Leben in den Wäldern New Hampshires schwafelt, erwacht Sayer und sticht Strine das Kreuz, das sie von der Leiche ihrer Mutter entwendet hat, ins Auge. Dann schneidet sie ihm mit Violets Messer, das sie noch bei sich trägt, die Kehle durch.

Derweil haben zunächst die ermittelnden Polizisten einen Durchsuchungsbescheid erwirkt und sind in die Klinik eingedrungen, um nach Sawyer zu suchen. Nachdem die Zeitung, für die Nate gearbeitet hat, seine Identität öffentlich gemacht und auch von dem Auftrag berichtet hat, an dem er arbeitete, durchsuchen auch die Staatsanwaltschaft und das FBI die Klinik, stellen dabei Nates Notizbuch sicher und verhaften die Klinikleitung.

Sechs Monate später ist Sawyer wieder in ihr bürgerliches Leben zurückgekehrt. Sie wurde sogar befördert. Beim Mittagessen mit einer ihr nun unterstellten Kollegin, teilt Sawyer dieser nebenher mit, daß sie entlassen sei und zudem das Essen bezahlen wird. Auf den Vorwurf, sie sein ein Miststück, reagiert Sawyer ganz cool und erklärt, dem sei nicht so, sie genieße nur ihre Macht über andere. Dann hört sie plötzlich die Stimme eines anderen Gastes. Sie hört deutlich David Strine. Mit einem Messer bewehrt geht sie zu dem Tisch, an dem sie Strine vermutet. Als sie feststellt, daß es ein ihr vollkommen fremder Mann ist, den sie beinahe erstochen hätte, rennt sie aus dem Restaurant.

 

Ein typisches Albtraum-Motiv: Man geht zu einem Arzt, will nur etwas abklären, vielleicht lediglich einen Termin machen – und wird umgehend in eine Klinik eingewiesen, aus der man nicht mehr herauskommt. Das ist die Ausgangssituation in Steven Soderberghs Thriller UNSANE (2018).

Sawyer Valentini, von Claire Foy mit einer gehörigen Portion Arroganz und Unnahbarkeit ausgestattet, ist Opfer eines Stalkers geworden, weshalb sie weit vom heimischen Boston weggezogen ist. Doch das Trauma ist mitgezogen. So wendet sie sich an eine Psychologin, die sie aufgrund vermeintlich suizidaler Tendenzen direkt einweisen lässt. Dumm nur, daß sich einer der Pfleger als eben jener Stalker erweist, der Sawyer offenbar in die fremde Stadt gefolgt ist.

Es ist eher Soderberghs Inszenierung und seinem atmosphärischen Willen und Geschick, denn der Logik der Story geschuldet, daß das alles funktioniert. Denn die Logiklöcher der Handlung sind gelegentlich doch arg. Wie gelingt es David Strine, den Joshua Leonard als sanftmütiges Monster spielt, so schnell, herauszufinden, wo Sawyer eingeliefert wurde, weshalb kann er hier sofort einen Job ergattern? Oder hatte er den Job bereits, als das Objekt seiner Begierde eingewiesen wird? Besitzt er also hellseherische Fähigkeiten? Wie befreit er sich aus der Zelle, in der er am Ende des Films eingesperrt ist? Sind das alles reelle Zusammenhänge oder passiert all das, was wir da beobachten, nur im Kopf von Sawyer Valentini?

Die Atmosphäre des Films verheißt von Beginn an nichts Gutes, nimmt den Betrachter jedoch sofort gefangen. Aufgrund ihrer Widerspenstigkeit, in irgendeiner Weise sympathisch zu wirken, ihrer Distanziertheit und Kälte, fragen wir uns schnell, wie es um Sawyer Valentinis geistige Gesundheit bestellt ist. Haben wir es hier wirklich mit der taffen Geschäftsfrau zu tun, der wir anfangs begegnen, oder ist sie eine geistig zerrüttete Frau, die vor Phantomen wegrennt? Die Geschehnisse in der Klinik bieten unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Spielt sich das alles nur in dem Kopf dieser Frau ab und haben wir es bei den anderen Patienten, den Pflegern und Ärzten und erst recht ihrem angeblichen Stalker eher mit Hirngespinsten zu tun, oder – was das Zusammentreffen mit einem investigativ ermittelnden Journalisten nahelegt – ist Sawyer Valentini Opfer einer Gesetzeslücke geworden? Denn wenn sie eine Gefahr für sich und andere darstellt, darf sie für 7 Tage festgehalten werden. Diese Verordnung nutzen Kliniken, um Patienten und damit das Geld der Krankenversicherungen abzugreifen, zumindest solange diese zahlen, weshalb der Aufenthalt mancher Patienten künstlich verlängert wird, andere nach der Mindestzeit einfach wieder entlassen werden.

Auf dieser Ebene prangert Soderbergh vor allem das amerikanische Gesundheitssystem an, das schlichtweg profitorientiert funktioniert, aber nicht nach den Bedürfnissen von Patienten ausgelegt ist. Die Idee, dieses eher politische Thema mit einer Stalkergeschichte zu verbinden mutet da zunächst gewagt an. Doch die Diskrepanz zwischen einem politischen Thesenfilm und einer fast an einen Horrorfilm angelehnten Psycho-Story relativ lange offen zu halten, die Logikbrüche weitestgehend zu ignorieren und den Zuschauer mit tiefer Beklemmung in ein Psychiatriekonzept zu versetzen, das einem Albtraumszenario gleicht, gelingt Soderbergh eben brillant.

Die Insassen, mit denen Sawyer hier konfrontiert wird, wecken natürlich Erinnerungen an einen der ganz großen „Irrenhaus“-Filme, Miloš Formans ONE FLEW OVER THE CUCKOO`S NEST (1975). Durchgeknallte, Drogensüchtige auf Entzug, Wirre und Irre durchstreifen die Gänge einer allerdings aseptischen Klinik, die in ihrer Stille und Glätte eher an eine Raumstation erinnert als an ein Krankenhaus. Der Hauptfigur ähnlich unnahbares Personal kümmert sich hier distanziert um die Patienten, zeigt weder Mitleid noch Verständnis und vor allem ist es vollkommen frei von Mißtrauen gegenüber dem neuen Kollegen, der so offensichtlich an Sawyer Valentini interessiert ist.

Es ist eine in sich surreale Situation, die Soderbergh dadurch unterstützt, indem er die Räume oft verzerrt zeigt, weit in die Tiefe reichend, dann wieder flach und erdrückend. Unterstützt wird sie durch eine Außenwelt, die sich mit dem Personal der Klinik konspirativ zu verbünden scheint. In der Stadt, in der dies alles geschieht, scheint es nur zwei Polizisten zu geben, die sind aber immer dort, wo gerade etwas passiert. Sie tauchen in der Klinik auf; sie sind an der Fundstelle der Leiche des echten George Shaw, den Strine umgebracht hat, um seinen Platz in der Klinik einzunehmen; sie durchsuchen die Klinik am Ende des Films, bevor plötzlich eine Staatsmacht auftritt (die nie näher beschrieben wird, wohl aber die Staatsanwaltschaft, unterstützt vom FBI, sein dürfte), die die Klinikleitung massiv unter Druck setzt, da die Redaktion der Zeitschrift, für die Nate Hoffman, der Investigativ-Journalist, gearbeitet hat, sich fragt, wo ihr Mitarbeiter abgeblieben ist. Den hat mittlerweile Strine im Keller der Klinik, wo er Sawyer in einer Gummizelle gefangen hält, die außer ihm niemand zu kennen scheint, zu Tode gefoltert. Es sind diese Motive und Wendungen, die einerseits immer wieder unwahrscheinlich wirken, im Kontext des Films aber immer stärker ein nahezu kafkaeskes Gefühl prägen.

Es ist also dieses ständige Changieren zwischen einer realen Situation und einer möglichen Psychose der Hauptfigur, das UNSANE einen so bedrohlichen, fast unangenehmen Unterton gibt. Schließlich gelingt es Soderbergh, beide Ebenen ineinander zu verdrehen, sich gegenseitig bedingen zu lassen und auf beiden Ebenen einer eigenen, jedoch zwingenden Logik folgen zu lassen. Denn Sawyer beginnt, auf das Psychospiel ihres Häschers einzugehen. Sie zwingt ihn, mit einer anderen Frau zu schlafen, weil sie, wenn er sie wirklich liebe und diese Liebe erwidert sehen wolle, nicht seine „Erste“ gewesen sein soll. Also verfrachtet der immer verzweifelter wirkende Mann eine andere Patientin in die Gummizelle, um es vor den Augen Sawyers mit dieser zu treiben. Sawyer weiß jedoch, daß gerade diese Patientin immer ein selbstgebasteltes Messer bei sich trägt, worauf sie wohl spekuliert hatte. So kann sie Strine ausschalten und zunächst der Situation entkommen. Daß ihre Mitinsassin diese Volte nicht überlebt, kümmert sie wenig. Die Ebene einer persönlich empfundenen Bedrohung und die der realen Situation gegen den eigenen Willen institutionell eingesperrt zu sein, durchkreuzen einander und lösen sich ineinander auf.

Auch die Gefühlskälte der Hauptfigur trägt zur unterschwelligen Bedrohlichkeit des Films bei. Soderbergh inszeniert sie mehrfach: In der Begegnung mit ihrer Mutter ebenso, wie in einer abschließenden Szene, in der die wieder in ihrem Job arbeitende Sawyer, nun im Betrieb aufgestiegen, einer früheren Kollegin nonchalant die Kündigung mitteilt und auf deren Vorwurf, sie sei ein Miststück, kühl antwortet, das stimme so nicht, sie genieße nur die Macht, die sie über andere habe. Genau diese Aussage wird aber schon im nächsten Moment konterkariert, als sie in einem anderen Gast erneut David Strine zu erkennen glaubt, der aber nachweislich tot ist. Er wurde nämlich von Sawyer höchstpersönlich vom Leben zum Tode befördert.

Wer also hat hier Macht über wen? Und gewinnt am Ende immer das System – repräsentiert durch die Klinik, die die Macht hatte, eine hilfesuchende Frau einfach für eine Woche wegzusperren und durch jene nicht näher definierte Polizeibehörde, die wiederum übergeordnet scheint und ihrerseits die Macht hat, die Macht der Klinik zu brechen…ad Infinitum? Oder hat ein Mann wie David Strine immer die Macht über seine Opfer, die sich letztlich nur noch in einem inneren Kosmos bewegen können, in dem der Horror nie aufhört? Wer ist der Rebell in diesem Spiel? Sawyer Valentini oder gar David Strine, der sich gegen jede Wahrscheinlichkeit nimmt, was er haben will? Oder hat man es sogar mit einer Infektionskette zu tun, die immer wieder an ihren eigenen Ausgangspunkt zurückkehrt? Immerhin hat Soderbergh einige Jahre zuvor mit CONTAGION (2011) einen wesentlichen Pandemie-Thriller gedreht. Er versteht also etwas von Infektionen und Übertragung.

Institutionelle Gewalt wird hier also geschickt individueller Gewalt gegenübergestellt und beide wirken in ihrer Erscheinungsform zwar nicht analog, aber definitiv kalt und unberechenbar. Strine bricht mehrfach zusammen und versucht, Sawyer von der Ernsthaftigkeit seiner Liebe zu überzeugen. Das unmenschliche Kliniksystem, das es einem Mann wie Strine so einfach machen konnte, sich darin zu bewegen und seiner eigenen Agenda zu folgen, weil es selbst korrupt ist und rein wirtschaftlichen Interessen folgt, die einen „Fehler im System“ nicht dulden können und somit lieber überspielen, bricht seinerseits unter dem Druck der Anwaltschaft und der ermittelnden Behörden zusammen. Doch ist die Gewalt beider – Strines so wenig, wie die des Systems – damit nicht endgültig gebrochen, lediglich punktuell eingeschränkt. Sawyer Valentini kehrt sofort ins System zurück, nimmt den alten Job bei einer Bank wieder an, steigt auf und setzt wiederum andere unter Druck, allein, weil sie es kann und die daraus resultierende Macht genießt. Sie ist sozusagen selbst mit dem Virus der macht und Machtausübung infiziert und genießt ihre Position. Wenn sie aber am Ende aus dem Restaurant wegrennt, nachdem sie mit einem Messer fast den vermeintlichen Strine attackiert hätte und im letzten Moment feststellt, daß es ein völlig anderer Mann ist, dann ist Sawyer Valentini wieder genau am Ausgangspunkt der Handlung angelangt. Sie wird aus dem System, das Strine erschaffen hat, ebenso wenig ausbrechen können, wie sie aus dem gesellschaftlichen System ausgebrochen ist. Es ist ein leistungsbezogenes, profitorientiertes System, das eben auch eine Klinik wie die hervorbringt, in der sie selbst gefangen war. Ein System, in dem sich ein David Strine aber eben auch nahezu ungehindert bewegen kann.

Geschickt hält Steven Soderbergh also die Balance zwischen einem Psychothriller und einem Krankenhausdrama, was einmal mehr die Brillanz dieses Regisseurs belegt, der zu den wenigen Filmemachern in Amerika gezählt werden darf, die im besten Sinne des Wortes dem entsprechen, was einst auteur genannt wurde. Zwar schreibt er seine Stoffe meist nicht selbst, doch besteht er im filmischen Prozeß auf höchstmögliche Kontrolle, weshalb er meist auch als Kameramann seiner Produktionen fungiert. UNSANE erzielte nicht zuletzt deshalb Aufmerksamkeit, weil er komplett mit einer iphone-Kamera gedreht wurde. Das mag zu den manchmal kalt wirkenden, verzerrten Perspektiven und Einstellungen beigetragen haben, doch wären diese Effekte alle auch mit herkömmlichen Kameras zu erzielen gewesen.

Soderbergh ging es bei dieser Produktionsform vielmehr um den Versuch, sich herkömmlichen Produktionsmitteln und letztlich den Verwertungsketten Hollywoods zu entziehen. Die Produktion wird einfacher, billiger und vor allem schneller, der Regisseur hat noch bessere Kontrolle über sein Produkt. Soderbergh, der auch zu jenen gehört, die sich unablässig Gedanken um den Film als Kunstform unter besonderer Berücksichtigung seiner ökonomischen Interessen macht, kämpft also auch immer einen Kampf gegen ein System, in dem künstlerische Freiheit immer weniger, kommerzieller Erfolg dafür immer mehr bedeutet. Er will das (amerikanische) Kino dorthin zurückführen, wo es irgendwann zwischen 1967 und 1977 schon einmal war: In eine Zeit größtmöglicher künstlerischer Freiheit bei gleichzeitigem kommerziellem Erfolg. Filme sollen etwas zu sagen haben und dennoch unterhalten. Und dafür braucht es Künstler, die das Handwerk beherrschen und zugleich einen wachen Blick auf die Gesellschaft haben, aus der heraus sie ihre Stoffe entwickeln. Leute wie Steven Soderbergh, der mit UNSANE beweist, daß genau dieser Spagat gelingen kann.

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