OFFICIAL SECRETS

Um das Mindeste zu sagen: OFFICIAL SECRETS (2019) ist ein redlicher, ein rechtschaffener Film. Basierend auf den berühmt-berüchtigten „wahren Begebenheiten“ wird die Geschichte von Katharine Gun erzählt, einer britischen Whistleblowerin.

Gun war eine Geheimdienstmitarbeiterin beim GCHQ (Government Communications Headquarters), einem Nachrichtendienst der britischen Regierung. In ihrer Funktion als Analystin aufgefangener Kommunikation wird sie unmittelbar vor dem Waffengang gegen den Irak 2003 auf ein Memo aufmerksam, das vom britischen Geheimdienst Informationen einfordert, um Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, deren Stimme die USA und Großbritannien brauchen, um eine Resolution zu erwirken, erpressbar zu machen. Gun wägt ab und steckt die Informationen schließlich über eine befreundete Aktivistin an den Observer, eine der führenden britischen Zeitungen, durch. Sie wird zu einer sogenannten Whistleblowerin. Ihr Fall erregte Aufmerksamkeit, da sie sich schließlich selber stellte und es zu einem Verfahren kam, das die Regierung schließlich niederschlug, da sie befürchtete, Informationen freigeben zu müssen, die das Lügenkonstrukt um den Irak-Krieg hätten auffliegen lassen können.

Der Südafrikaner Gavin Hood, der sich bereits in EYE IN THE SKY (2015) intensiv mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit der modernen Kriegsführung beschäftigt hatte, drehte die Mischung aus Polit-Thriller und Gerichtsdrama mit einer erlesenen Riege von Schauspielern, allen voran Keira Knightley in der Rolle der Katharine Gun. Herausgekommen ist – ein redlicher, rechtschaffener Film. Wer die Nachrichten bewußt verfolgt, weiß um die Geschichte und natürlich auch, wie sie endete. So entsteht im Film selbst nur geringe Spannung. Die Gefahr für Gun und ihren Mann ist nicht bedrückend genug inszeniert, um den Zuschauer wirklich zu packen, wirklicher Thrill entsteht noch am ehesten in den Bemühungen der Journalisten des Observer, die Wahrhaftigkeit des Memos, das ihnen zugespielt wurde, zu verifizieren. In diesem Handlungsstrang greift Hood allerdings auf all jene Thriller zurück, die Journalisten bei ihrer angeblich immer so konspirativen Arbeit zeigen. Doch auch diese Entwicklungen sind im Film nie mit wirklicher Verve eines Thrillers inszeniert. Zu schnell, zu einfach wirken die investigativen Recherchen. Hinzu kommt, daß die ganze Angelegenheit letztlich wie das Hornberger Schießen ausgeht, eher an eine Farce erinnert, denn an einen wirklich spannenden Plot.

So bleibt dem Zuschauer erst einmal nur, die Leistungen der Schauspieler zu bewundern, die in einer überzeugenden Mise-en-scene – die englische Kleinstadt, in der Gun und ihr Gatte leben, die abgedunkelten Büros des GCHQ, der pompöse Gerichtssaal, in dem schließlich verhandelt wird – agieren. Regie und vor allem Florian Hoffmeisters Kamera geben sich Mühe, das Geschehen in einen möglichst realistischen Look zu kleiden, um die Dringlichkeit und Realitätsnähe der Geschichte zu unterstreichen. So ist der gesamte Film letztlich eher um Realitätsnähe denn Spannung bemüht. Wenn Gun beschattet wird, wenn ihr Mann in Abschiebehaft gerät, wenn sie die Entscheidung fällt, sich für „nicht schuldig“ zu erklären, verzichtet Hood weitestgehend auf das dramatische Potential solcher Szenen. Zwar ist OFFICIAL SECRETS nicht dokumentarisch angelegt, auch wenn er immer wieder Nachrichtenmaterial und Interviews der damals Machthabenden wie Tony Blair verwendet, bleibt aber in der Äquidistanz gegenüber seinem Material, um Wirkung nicht mit vordergründigen Spannungselementen zu erzeugen, sondern die skandalträchtige Geschichte für sich sprechen zu lassen. Was ihm aus den genannten Gründen eben nur halbwegs gelingt.

Diese Geschichte hat allerdings die Zutaten, die es braucht, um ein links-liberales Empörungspotential in Nullkommanichts emporschnellen zu lassen: Mutige junge Frau deckt Komplott der Regierung auf, um Wähler, Bevölkerung und Verbündete zu belügen, Erpressung und Einflußnahme auf höchster Ebene, der Druck des Staates, bzw. der Regierung und jede Menge aufrichtige Anwälte – Ralph Fiennes spielt den Menschenrechtsanwalt Ben Emmerson, der Gun zur Seite steht – die es mit einer staatlichen Übermacht aufnehmen. Natürlich ist man auf der Seite von Gun, die, verheiratet mit einem Moslem, schnell zu einem Objekt unterschwelliger Bedrohung durch Geheimdienstkreise wird. Die Maßnahmen, die ergriffen werden, um sie unter Druck zu setzen – u.a. die drohende Abschiebung ihres Mannes – sind übel und niederträchtig und schnell bestätigt der Film alle schlimmen Befürchtungen, die man schon immer gegenüber dem anonymen staatlichen Machtapparat hegte.

Genau darin liegt aber auch das Problem. Denn OFFICIAL SECRETS erzählt wirklich nichts, was man nicht genau so erwartet hätte. Er rennt, mit Verve und wilder Entschlossenheit, sein Sujet als den Skandal zu verkaufen, den es zweifelsohne darstellt, offene Türen ein. Doch wird das Ganze so lediglich zu einer Selbstvergewisserung sich moralisch sicher wähnender Kreise, die es „immer schon gewusst haben“. In der Figur Katharine Gun ist nichts Doppeldeutiges, es wird nicht hinterfragt, weshalb eine junge Frau, die einst als Lehrerin gearbeitet hat, überhaupt zum Geheimdienst geht und dort direkt an exponierter Stelle arbeitet. Wo es anderen Polit-Thriller jüngeren Datums auch dann, wenn sie auf „wahren Begebenheiten“ beruhen, gelingt, ihre Figuren interessant zu machen, weil es Charaktere mit Abgründen sind[1], bleibt die Katharine Gun in OFFICIAL SECRETS als Charakter blass. Ebenso ergeht es dem Zuschauer mit ihrem Mann und den Kollegen in ihrer Abteilung beim GCHQ. Sie alle scheinen Menschen ohne Geschichte, ohne Privatleben zu sein und was man von ihrem Privatleben erfährt, scheint sich ebenfalls nur um die Entscheidung zu drehen, ob Großbritannien an der Seite der USA in den Krieg ziehen soll.

Da die Zuschauer sich größtenteils noch an jene aufgeheizte Stimmung des Jahres 2003 werden erinnern können, evoziert Hood mit den Einspielern der damaligen weltumspannenden Großdemonstrationen gegen den Waffengang bekannte Bilder und Erinnerungen. Und bekannte Gefühle. Die, die dabei waren, werden sich noch einmal als Teil einer Bewegung erleben und empfinden können, die ebenfalls moralisch auf der richtigen Seite stand, was heute ja auch nicht mehr zu leugnen ist, weiß man doch längst, wie sehr vor den UN gelogen, Tatsachen gebogen und schlicht behauptet wurden. Doch ein Film wie OFFICIAL SECRETS erfüllt dann letztlich eben nur den Zweck einer Selbstvergewisserung. Man steht auf der richtigen Seite, man ist moralisch überlegen, man bewegt sich nicht in Grauzonen, sondern weiß im rechten Moment, worauf es ankommt und wie man sich zu verhalten hat. Und ab und an findet man sich am warmen Lagerfeuer ein, um mit Gleichgesinnten die Erinnerungen aufzuwärmen. OFFICIAL SECRETS ist genau ein solches Lagerfeuer.

 

[1] Man denke nur an die von Cate Blanchett gespielte Figur der Mary Mapes in TRUTH (2015) oder an Jessica Chastain als Titelfigur in MISS SLOANE (2016) – beides ehrgeizige junge Damen, die auch Opfer ihrer Eitelkeit und ihres Ehrgeizes werden.

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