DER MOMENT DER WAHRHEIT/TRUTH
Ein hervorragender, spannender und auch nachdenklicher Film über die Arbeit im modernen Journalismus
Im Jahr 2004 will die Journalistin Mary Mapes (Cate Blanchett) einen Anwalt engagieren, da sie vor einem Gremium ihres Arbeitgebers, dem Sender CBS, aussagen muß.
Es geht um ihren Job, nachdem die anerkannte und nicht unbekannte Journalistin in einem Fall recherchierte, in dem es um die Art und Weise ging, wie George W. Bush, der amtierende Präsident, seinerzeit um einen Einsatz in Vietnam herumkam, indem er in die Nationalgarde aufgenommen wurde und dort lange Abwesenheitszeiten hatte, die jedoch offenbar gebilligt wurden. Nachdem das Magazin, für das sie arbeitet – 60 Minutes mit dem berühmten Moderator Dan Rather (Robert Redford), einer Art väterlichem Freund – den Bericht ausgestrahlt hatte, kamen Zweifel an der Authentizität der genutzten Unterlagen und auch an der Seriosität der Quellen auf, die Mapes genutzt hatte.
In einem Rückblick erzählt Mapes dem Anwalt ihre Sicht der Dinge. Wie sie anonym Unterlagen zugespielt bekam, die bewiesen, daß Bush durch Verbindungen seiner Familie überhaupt erst Aufnahme in die Nationalgarde fand, wie er dort erstaunlicherweise immer mal wieder beantragte Versetzungen sofort genehmigt bekam, wie er abstruse Fehlzeiten aufwies und dennoch an zumindest freundliche Bewertungen gelangte.
Mapes und ihr Team treiben schließlich die Quelle der Unterlagen auf – Bill Burkett (Stacy Keach), ein Bush-Hasser, der seinerseits nicht preisgeben will, von wem er die Unterlagen bekam – und es gelingt ihnen auch, in Ben Barnes (Philip Quast) einen ehemaligen Vorgesetzten von Bush aufzutreiben, der zumindest andeutet, daß dessen Engagement bei der Nationalgarde aufgrund seiner familiären Beziehungen zustande kam.
Nachdem die Sendung ausgestrahlt wurde, tauchten schnell Zweifel an der Echtheit der Unterlagen auf, obwohl sich Mapes` Team alle erdenkliche Mühe gegeben hatte, anhand von Experten für Schrifttypen und Signaturen zu beweisen, daß die Akten authentisch sind. Unter anderem habe es zur Zeit von Bushs Einsatz Mitte der 70er Jahre kein hochgestelltes „th“ gegeben, außerdem sei das Dokument, das die Redaktion vorgeführt habe, mit einem einfachen Microsoft-Word-Programm jederzeit zu erstellen, lauten die heftigsten Vorwürfe.
Fieberhaft suchen die Journalisten nach Gegenbeweisen, u.a. einer Akte, die das hochgestellte „th“ beweist. Doch langsam geraten sie in die Defensive. Mapes und Rather zwingen Burkett mehr oder weniger, vor die Kamera zu treten, was dem schwer kranken ehemaligen Lieutenant Colonel sichtlich schwer fällt und gegen die urprünglichen Absprache zwischen den Burketts und Mapes verstößt. Während des Interviews übernehmen hochgestellte Angestellte und Redakteure, die von der Chefetage von CBS instruiert wurden, immer stärker die Regie und stecken Rather Fragen zu, die dieser Burkett stellen solle. Fragen, die den Mann deutlich in die Defensive drücken, als Lügner entlarven und damit den Sender entlasten sollen. Burketts Frau Nicki (Noni Hazlehurst) macht Mapes schließlich bittere Vorwürfe, die Mapes nicht mehr entkräften kann.
Doch alle Bemühungen des Senders und der Redaktion von 60 Minutes sind umsonst: CBS sieht sich schließlich veranlaßt, sich bei seinen Zuschauern zu entschuldigen, man habe schlampig gearbeitet. Mapes und ihr Team stehen vor dem Aus. Es wird eine hausinterne Untersuchugnskommission eingesetzt, die die Beteiligten befragen soll. Dennoch muß Redaktionsleiter Josh Howard (David Lyons) Mapes` Mitarbeitern mitteilen, daß sie entlassen sind. Vor allem der Rechercheur Mike Smith (Topher Grace) reagiert darauf extrem aggressiv und wirft Howard an den Kopf, daß es auch ihn treffen werde, weil er die Recherche grundsätzlich zugelassen habe. Er begründet diese Prognose damit, daß der Mutterkonzern, dem CBS gehöre, sich gar nicht erlauben könne, Bush auf die Füße zu treten, weil in Washington, D.C. gerade an Gesetzen gearbeitet wird, die für den Konzern ökonomisch viel zu wichtig seien. Später wird sich diese Vorhersage bewahrheiten.
Schließlich kommt es auch für Mary Mapes zur Anhörung. Sie und ihr Anwalt treten vor das Gremium, wo Mapes sich angemessen benimmt, instruiert von ihrem Anwalt, weil der wusste, daß sie impulsiv ist und durchaus in der Lage, auf ihre Widersacher verbal loszugehen. Doch schließlich verlangt sie, daß sie zu ihrer politischen Haltung befragt werde, weil sie weiß, daß Rather und die anderen aus ihrem Team genau danach befragt wurden. Sie nutzt diesen Moment, um ihre Arbeit und die ihres Teams als politisch neutral zu verteidigen und schließlich naheliegend zu erklären, weshalb die ganze Verschwörungstheorie, die Unterlagen seien in einem Microsoft-Word-Programm gefälscht, Unsinn ist.
Es hilft alles nichts. Mary Mapes wird entlassen. Sie kehrt nach Texas zurück, wo sie mit ihrem Mann, der sie immer unterstützt hat, und dem gemeinsamen Sohn lebt, der in den Monaten ihrer Recherche und der Abwehrschlacht gegen die Vorwürfe arg vernachlässigt wurde. In einem Telefonat teilt Dan Rather ihr mit, daß er seinen Job als Hauptmoderator der CBS-Abendnachrichten an den Nagel hängen wolle. Nachdenklich stellt er die Frage in den Raum, ob Journalsimus, so wie sie ihn verstünden, überhaupt noch zeitgemäß sei, wenn mittlerweile im Grunde jeder mit einem Handy sein eigener Journalist mit einer eigenen Wahrheit sei.
Gemeinsam mit ihrem Mann verfolgt Mary Rathers letzte Sendung.
Journalistenfilme – oder Filme, die von journalistischem Handeln berichten – waren in Hollywood immer ein nicht näher definiertes Genre für sich. Lewis Milestone, Billy Wilder, Alan J. Pakula – einige der größten Regisseure der Traumfabrik haben sich am Sujet versucht und Maßstäbe gesetzt. Für den modernen Film vor allem Pakula mit seiner Verfilmung der Watergate-Affäre ALL THE PRESIDENT`S MEN (1976), die aus der Sicht der Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein erzählt wurde, die den Skandal seinerzeit aufgedeckt haben. Robert Redford spielte darin Bob Woodward und lieferte eine der besten Leistungen seiner Karriere. Natürlich wird genau dieser Film und seine damalige Rolle evoziert, wenn man heutzutage TRUTH (2015) betrachtet, in dem Redford erneut die Rolle eines der bekanntesten und wichtigsten Journalisten Amerikas übernimmt. Diesmal ist es Dan Rather, den er portraitiert.
Rather, der seit den 60er Jahren für den Sender CBS als Reporter und Nachrichtensprecher arbeitete, wurde ebenfalls durch seine Berichterstattung zur Watergate-Affäre bekannt, war ab 1981 der sogenannte Anchorman der CBS-Hauptnachrichtensendung und zugleich Mitarbeiter des renommierten Magazins 60 Minutes. Hier arbeitete er u.a. mit der jüngeren Journalistin Mary Mapes zusammen, die durch ihre Berichterstattung zum Militärgefängnis Abu Ghraib und den dortigen Foltermethoden der U.S.-Army bekannt wurde. In den Jahren 2000 bis 2004 widmete sie sich u.a. George W. Bushs Zeit in der Nationalgarde, die ihm einen Einsatz in Vietnam ersparte. In Folge der Ungereimtheiten, die sich hinsichtlich ihrer Quellen ergaben, musste sie CBS verlassen. In Folge des Skandals verabschiedete CBS auch Dan Rather im Jahr 2006.
Mapes schrieb ein vielbeachtetes Buch über die Affäre: TRUTH AND DUTY: THE PRESS, THE PRESIDENT AND THE PRIVILEGE OF POWER, das 2005 erschien. Dies wurde die Grundlage für James Vanderbilts TRUTH, seinem Debutfilm als Regisseur. Vanderbilt hält sich an die ungeschriebenen Regeln eines nie näher definierten Genres und präsentiert extrem engagierte Journalisten in mal hektischen, mal ruhigen, aber immer erlesenen Bildern und Settings – je nach dem, an welchem Punkt einer Recherche die Protagonisten angelangt sind. Der Film wird als Rückschau inszeniert und erzählt eigentlich davon, wie Mapes einen Star-Anwalt engagiert, der ihr bei ihrer Anhörung durch ein Gremium bei CBS helfen soll, ihre Position zu verteidigen. Als Zuschauer werden wir zunächst also durch ihre Perspektive auf die Geschehnisse geleitet und schlußendlich auch mit ihrer Sicht versöhnt. Da der Sender die wesentlichen Akten, die sie zugespielt bekommen hatte, und die belegen sollten, daß Bush im Grunde während der Hälfte seiner Dienstzeit bei der Nationalgarde abwesend gewesen ist, für Fälschungen, die Quelle, die Mapes mit den Papieren versorgt hatte, für unglaubwürdig hält, steht also nicht nur ihr Job auf dem Spiel, sondern auch ihre Reputation. Mapes verlor ihren Job schließlich wirklich und versuchte, durch das Buch ihre Reputation zu retten. Vanderbilts Film allerdings, so eng er sich an die Vorlage auch halten mag, nutzt Freiräume, um zumindest einen ambivalenten, objektiveren Blick auf das Geschehen zu werfen.
Mit Robert Redford in der Rolle des Dan Rather, Cate Blanchett als Mary Mapes und einer Riege hervorragender Darsteller in Nebenrollen – darunter Denis Quaid, Elisabeth Moss, Bruce Greenwood, Stacy Keach oder Topher Grace – steht Vanderbilt ein Ensemble zur Verfügung, dem es nahtlos gelingt, Sympathien für die Figuren zu wecken, zugleich aber auch Eitelkeiten, Brüche, Widersprüchlichkeiten und durchaus auch Seiten aufblitzen zu lassen, die eher unsympathisch wirken. Sei es Rathers Haltung des unbestechlichen „Elder Statesman“, der schon alles gesehen und dennoch Angst um seinen Job hat – auch weil offensichtlich nicht so sauber gearbeitet wurde, wie er es gewohnt war ; sei es Mapes gelegentliche Arroganz gegenüber ihrer Quelle Bill Burkett, dessen Frau, die sie inständig bittet, keine Namen in der Reportage zu nennen, sie nicht ernst nimmt und den sie immer weiter in das Geschehen hineintreibt, bis er eben doch öffentlich im Fernsehen auftritt und dann medientypisch durch die Manege getrieben und geschlachtet wird; sei es die Unbarmherzigkeit des jungen Mike Smith, der als Rechercheur zu ihrem Team gehört und sich als Menschenfreund gibt, dann aber wenig Skrupel hat, für eine gute Story sehr weit, vielleicht zu weit zu gehen.
Vanderbilt versteht es, all diese Menschen zwar als überaus engagierte und ihre Jobs hervorragend beherrschende Profis zu zeigen, verdeutlicht aber ebenso, was diese Professionalität gelegentlich mir sich bringt: Verlust an Verantwortungsgefühl gegenüber anderen, Arroganz und Überheblichkeit und eine gewisse Selbstgerechtigkeit. Mapes Familie, auch wenn der Film dies nur andeutet, bleibt während ihrer Recherche und des Kampfes um ihren Job nahezu auf der Strecke. In der abschließenden Anhörung tritt sie zunächst – auf Anweisung ihres Anwalts – gemäßigt und ruhig auf, um dann ein mitreißendes Plädoyer zu halten, dessen Argumentation, weshalb ihre Story keine Fälschung sei, durchaus zu überzeugen versteht, zeigt sich allerdings zutiefst verstört, als der einzige Journalist, der dem Gremium angehört ihr eine einfache Frage stellt, die ihren Glauben an die Richtigkeit ihrer Haltung und Position unterminiert. Es ist der großartigen Cate Blanchett zu verdanken, daß diese Ambivalenzen aufscheinen, relevant werden und doch ein kohärentes Bild einer hochprofessionell arbeitenden Frau entsteht, die durchaus von sich überzeugt ist und doch auch Zweifeln unterliegt.
Vanderbilts Film ist nicht nur ein spannendes Puzzle über Wahrheit, Annahme, und Vermutungen und die Frage, wann das eine das andere überlagert, verdeckt, einnimmt, sondern auch die Studie einer Branche, die gerade in den U.S.A. ein hohes Renommee genießt (zumindest, bis Donald Trump das Weiße Haus enterte) und dementsprechend auch ein hohes Meinungsbild von sich selbst hat(te). Es ist aber eben auch eine Branche, die an einem historischen Wendepunkt steht. Die um sich greifende Digitalisierung in allen Lebensbereichen macht Fälschungen einfacher, macht die Frage nach Originalität und Wahrheit schwieriger und vor allem stellt sie die Profession als solche mehr und mehr in Frage. Der Film behauptet, Dan Rather habe selber seine Demission eingereicht. In einer bewegenden Szene teilt er dies Mapes, die in ihm so etwas wie einen väterlichen Freund und auch Mentor gesehen hat, in einem Telefonat mit. Während dieses Gesprächs thematisiert er die aufgeworfene Frage ganz offen: Kann der Journalismus, so wie er und seine Generation ihn verstanden, überhaupt noch weiterhin bestehen? Macht er noch Sinn, wenn die Frage nach Wahrheit oder Fälschung immer ambivalenter wird, weil es eh so scheint, als sei Wahrheit mittlerweile eher eine Frage der Perspektive, des eigenen Standpunkts, eben der Annahme dessen, was der einzelne für wahr halten will? TRUTH zeigt Journalisten bei der Arbeit, deren Ethos sozusagen noch analog funktioniert, die einer Ära entstammen und anhängen, die unweigerlich zu Ende zu gehen scheint. Wenn die Hatz nach dem Clou, der heißesten Nachricht, dem Scoop, immer härter wird, wenn übergeordnete Redakteure anfangen, Fragen vorzulegen, die ein Mann wie Dan Rather zu stellen habe, wenn die Rücksicht auf jene, auf die investigativer Journalismus, der seriös verstanden sein will, also auf Quellen, dringend angewiesen ist, immer weniger Wert besitzt, ist die Zeit von Leuten wie Rather möglicherweise vorbei.
Und – auch das wird deutlich thematisiert – wenn hinter Nachrichtenredaktionen letztlich Industriekonglomerate stehen, die wirtschaftliche Interessen haben, ist die Unabhängigkeit dessen, der berichte soll und will, immer gefährdet. CBS stand in den Jahren, in denen der Film spielt, eben auch unter enormen Druck, da der Mutterkonzern an bestimmten Gesetzen interessiert war und vermehrt Lobbyarbeit in Washington D.C. betrieb, denen Mapes und Rather mit ihren Investigationen in die Quere zu kommen drohten.
Gelegentlich wurde TRUTH vorgehalten, seinem Publikum gegenüber manipulativ zu sein. Der Vorwurf ist bei einem Film über Journalismus natürlich wohlfeil, weil es Objektivität zum einen, außer in den exakten Wissenschaften, sowieso nicht gibt, ein Film aber darüber hinaus immer eine Position beziehen muß, wenn er nicht nur dokumentarisch, sondern auch spannend und unterhaltsam sein will. Und das ist Vanderbilts Film in hohem Maße. Und es ist gerade den Leistungen der Schauspieler zu verdanken, daß die Manipulation selbst Teil des Themas des Films wird – was nicht zuletzt an der Figur des Dan Rather liegt, dem vom Drehbuch unterstellt wird, im entscheidenden Moment durchaus auch feige gewesen zu sein.
Ohne dem Genre wirklich Neues hinzuzufügen, wird TRUTH den Maßstäben, die eben Leute wie Wilder und Pakula einst gesetzt haben, gerecht und weiß als nachdenklicher, vielschichtiger und auch widersprüchlicher Film zu überzeugen.