28 TAGE SPÄTER/28 DAYS LATER

Ein in sich widersprüchlicher Endzeitthriller von Danny Boyle

Prolog

Eine Gruppe Aktivisten dringt in ein Versuchslabor ein. Dort werden offensichtlich Experimente an Schimpansen durchgeführt. Die Aktivisten wollen die Primaten befreien. Einer der diensthabenden Forscher kommt hinzu und warnt eindringlich davor, die Tiere freizulassen, sie seien mit „Wut“ infiziert und hoch ansteckend. Das Virus infiziere jeden, der gebissen werde, umgehend und verwandle den Betreffenden, der daraufhin seine Mitmenschen angreife. Kaum ist der erste Schimpanse frei, beißt er eine der Aktivist*innen, die ihrerseits sofort Blut spuckend auf einen ihrer Kollegen losgeht. Der Virus ist in der Welt…

28 Tage später…

…erwacht der Fahrradkurier Jim (Cillian Murphy) aus einem Koma. Er war Patient in einem Londoner Krankenhaus, das nun menschenleer und vollkommen verwüstet ist. Jim irrt durch die ebenfalls menschenleeren Straßen der Metropole und sucht nach Anzeichen von Leben.

Als der Abend anbricht, sucht Jim Zuflucht in einer Kirche, wo er auf einen Leichenberg stößt. Er zieht sich auf die Empore zurück, schockiert darüber, dass sich in den Tagen seines Komas offenbar die ganze Welt komplett gewandelt hat. Doch kaum kann er zur Ruhe kommen, erregt er doch die Aufmerksamkeit eines Priesters, der sich Jim allerdings zuckend, sehr schnell und vor allem mit blutunterlaufenen Augen nähert. Jim flieht aus der Kirche, doch sammeln sich immer mehr Wesen, die dem Priester gleichen und verfolgen ihn.

Plötzlich explodiert ein Molotow-Cocktail neben Jim. Zwei Vermummte tauchen auf und töten einige der Wesen, die Jim verfolgen. Dann ziehen sie sich gemeinsam mit ihm in einen kleinen Laden mit Lebensmitteln zurück. Der Laden ist durch Rollläden abgeschottet und bietet somit Schutz vor den Angreifern.

Es sind Selena (Naomie Harris) und Mark (Noah Huntley), die Jim gerettet haben. Beide haben die Seuche, von der sie Jim nun erzählen, überlebt. Die Infektion wird offenbar über das Blut übertragen, die Infizierung erfolgt umgehend und ist unumkehrbar. Wie tollwütige Tiere fallen die Infizierten jeden an, der sich ihnen in den Weg stellt. Selena berichtet, dass, bevor die Kommunikation zusammenbrach, von Fällen in New York und auch in Paris berichtet wurde. Doch wisse man nicht, wie weit die Seuche um sich gegriffen habe.

Jim beschließt, sich zu seinem Elternhaus im Stadtteil Deptford durchzuschlagen. Mark erklärt Jim, dass der Weg zu weit sei, um noch bei Tageslicht dort anzulangen; sich während der Dunkelheit im Freien aufzuhalten allerdings zu gefährlich sei. So beschließen die drei, am folgenden Tag zu gehen.

In seinem Zuhause angelangt, findet Jim seine Eltern tot in ihrem Bett, offensichtlich haben sie sich selbst getötet. In einem Abschiedsbrief wünschen sie ihm, dass er nie wieder aus dem Koma aufwache in einer Welt wie dieser. Jim ist zutiefst erschüttert.

Er und seine Begleiter verbringen die Nacht im Haus. Während Selena und Mark schlafen, betrachtet Jim alte Videofilme von seinen Eltern. Das Licht zieht Infizierte an, darunter befreundete Nachbarn. Sie dringen ins Haus ein, es kommt zu einem Kampf, bei dem Mark verletzt wird. Selena springt sofort hinzu und tötet ihm mit einer Machete, die sie immer bei sich führt. Sie erklärt Jim, dass sie schmerzhaft lernen musste, dass es keinen anderen Weg gebe.

Jim und Selena fliehen aus dem Haus. Durch Zufall werden sie auf Licher aufmerksam, die auf dem Balkon einer hoch gelegenen Wohnung eines Wohnsilos blinken. Sie schlagen sich dorthin durch, werden im Treppenhaus aber von Infizierten angegriffen. Ein in einer Kampfmontur gerüsteter Mann eilt ihnen zur Hilfe und lässt sie in eine Wohnung.

Es ist Frank (Brendan Gleeson), der sich hier mit seiner Tochter Hannah (Megan Burns) verschanzt hat. Frank weiß, dass er und Hannah hier nicht bleiben können. Frank hat mit einem Notfallradio ein Signal empfangen und aufgezeichnet, das aus dem Raum Manchester ausgestrahlt wird. Ein Major Henry West fordert darin alle Überlebenden auf, sich dorthin zu begeben. Man habe die Lösung für die Infektion. Frank, der Taxifahrer ist, verfügt über einen Wagen und das nötige Benzin, will aber nicht allein mit seiner Tochter den weiten Weg auf sich nehmen. Selena und Jim sind bereit, sich den beiden anzuschließen.

So macht sich der kleine Trupp anderntags auf den Weg. Doch schon der Versuch, London zu verlassen, erweist sich als nervenzehrend und sehr gefährlich. Doch gelingt es ihnen schließlich, die Stadt zu verlassen und das offene Land zu erreichen.

Unterwegs machen sie Rast. Hier kommen sich Jim und Selena näher. Jim träumt davon, verlassen zu werden, Frank weckt ihn aus seinen Alpträumen, woraufhin Jim den älteren Mann mit „Dad“ anspricht. Es scheint, als könne eine Gemeinschaft entstehen.

Schließlich gelangen die Vier nach Manchester und tatsächlich auch an das Herrenhaus, in welchem sich eine kleine Einheit von Soldaten verschanzt hat. Doch beim Versuch, auf das Grundstück vorzudringen, wird Frank zunächst mit Blut infiziert und dann von einigen der Soldaten erschossen.

Major Henry West (Christopher Eccleston), der das Kommando führt, heißt Jim, Selena und Hannah Willkommen. Auf dem Grundstück befinden sich genügend Vorräte, um die Einheit und die Zivilisten eine Weile zu versorgen. Durch ein breit um das Haus gelegtes Minenfeld ist es den Soldaten auch möglich, einen Großangriff Infizierter zurückzuschlagen. Das stellen sie auch gleich am ersten Abend, den Jim, Selena und Hannah im Haus verbringen, unter Beweis.

Anderntags führt Major West Jim über das Grundstück. Dabei zeigt der Major seinem Gast einen Infizierten, den er in einem Innenhof angekettet hat. Er wolle ausprobieren, wie lange es daure, bis ein Infizierter verhungert sei.

Abends kommt es zu einem Zwischenfall, bei dem mehrere Soldaten versuchen, sich an Selena und Hannah zu vergreifen. Lediglich Sergeant Farrell (Stuart McQuarrie) stellt sich seinen Kameraden in den Weg.

Jim versucht mit den Frauen zu fliehen, doch verhindern die Soldaten dies. Major West erklärt Jim, dass er den Männer Frauen versprochen habe. Zudem sehe er darin die Zukunft: Man müsse sie neu heranzüchten, die Menschheit, besser, stärker, schlauer.

Jim und Farrell werden zu einem Exekutionsplatz auf dem Grundstück geführt, sie sollen wegen Widerstands standrechtlich erschossen werden. Doch Jim gelingt wie durch ein Wunder die Flucht. Farrell wird von seinen eigenen Leuten ermordet.

Jim verlässt das Grundstück und entkommt in den umliegenden Wald, wo er jedoch den Infizierten ausgeliefert ist. Während er dabei ist, sich seinem Schicksal zu ergeben, erblickt er am Himmel die Kondensstreifen eines Flugzeugs. Das gibt ihm Hoffnung, dass außerhalb Großbritanniens noch Menschen leben, es also Rettung geben könnte.

Jim schleicht sich zurück ins Haus und befreit den Infizierten. Gerade, als Selena versucht, Hannah mit Valium vollzupumpen, damit sie das, was den Frauen bevorsteht, irgendwie ertragen kann, greift Jim die Soldaten an. Es gelingt ihm, einige zu töten, die meisten allerdings werden Opfer des Infizierten.

Mit dem Taxi gelingt Jim, Selena und Hannah die Flucht, wobei Major West das letzte Hindernis darstellt. West hatte sich im Auto versteckt und schießt auf Jim, der dabei getroffen wird. Hannah, die sich ans Steuer gesetzt hatte, gibt Gas, steuert den Wagen jedoch rückwärts, wo der befreite Infizierte lauert, den West verhungern lassen wollte. Der reißt den Major aus dem Wagen, während Hannah erneut Gas gibt und den Wagen vom Grundstück steuert.

Die drei halten an einer Apotheke, wo Selena, eine ausgebildete Apothekerin, sich mit Hilfe einer Adrenalinspritze und mit Wiederbelebungsversuchen verzweifelt um Jims Leben bemüht…

Epilog

Wieder sind 28 Tage vergangen. Selena, Hannah und der offensichtlich genesene Jim haben sich in ein abgelegenes Cottage irgendwo an der Küste zurückgezogen, wo sie halbwegs sicher vor Angriffen sind. Sie haben ein riesiges Banner genäht, auf dem „Hallo!“ steht. Regelmäßig erscheint ein Aufklärungsflugzeug am Himmel, dem sie den Schriftzug entgegenhalten. Eine Stimme aus dem Off erklärt, die Suche habe sich gelohnt.

Im englischen Original fordert die Stimme auf Finnisch (es ist ein finnisches Flugzeug) einen Helikopter an.

Im engeren Sinne sollte man Danny Boyles Endzeit-Horror-Film 28 DAYS LATER (2002) eigentlich nicht als Zombiefilm betrachten, da die im Film auftretenden Wesen mit „Wut“ Infizierte, keine wieder auferstandenen Toten sind. Letzteres ist aber seit George A. Romeros bahnbrechendem und immer noch gültigem Klassiker NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) die herkömmliche Definition dessen, was ein Zombie sei. Wobei man argumentieren könnte, dass der Begriff eigentlich – auch filmhistorisch – anders konnotiert ist, denn als Zombie werden im Voodoo-Kult jene bezeichnet, die durch magischen (oder pharmazeutischen) Einfluss willenlos gemacht wurden. Werke wie Victor Halperins WHITE ZOMBIE (1932) oder Jacques Tourneurs I WALKED WITH A ZOMBIE (1943) belegen dies. Sei´s drum – mittlerweile sind es aus ihren Gräbern auferstandene Tote, die nach Menschenfleisch gieren und lediglich durch das Zerstören ihrer Köpfe (und damit dem Rest dessen, was man noch „Hirn“ nennen könnte) aufzuhalten sind, die gemeinhin als Zombies gelten. Soweit der Ausflug in die Kulturgeschichte des Zombies.

Boyle war es in seinem von Alexander Garland geschriebenen Endzeitthriller aber offensichtlich um anders zu tun, als dem an sich schlecht beleumundeten Sub-Genre des Zombie-Films ein weiteres, dann wahrscheinlich eher belangloses Werk hinzuzufügen. Das erledigten schließlich Zack Snyder mit seiner Neuverfilmung von Romeros zweitem Genreklassiker DAWN OF THE DEAD (1978/2004) und ab 2010 der Fernsehsender AMC mit der Verfilmung der seit 2003 erscheinenden Comic-Serie THE WALKING DEAD (2010-2022). Mit letzterer schließt sich dann auch wieder der Kreis zu Boyles Film. Denn der lieferte eine brillante Ausgangssituation, die THE WALKING DEAD aufgriff: Die Hauptfigur, bei Boyle der von Cillian Murphy gespielte Fahrradkurier Jim, erwacht in einem Krankenhaus und muss feststellen, dass die Welt sich in der Zeit seines Komas/seiner Bewusstlosigkeit von Grund auf geändert hat. Scheinbar ist sie menschenleer und die, die noch da sind, haben sich sehr verändert: Sie greifen Menschen an und scheinen sie aufzufressen. Wobei – auch das sollte der Genauigkeit halber erwähnt sein – in Boyles Film nie explizit gezeigt wird, dass die Infizierten tatsächlich Menschen fressen. Da der Epilog uns zeigt, wie einige Aktivisten in ein Forschungslabor einbrechen um die dort gefangenen Primaten zu befreien, ein entsetzter Mitarbeiter sie warnt, diese seien mit „Wut“ infiziert, müssen wir zunächst davon ausgehen, dass die Angriffe vor allem Ausdruck eben dieser Wut sind, nicht, wie bei Romero und dessen Epigonen, Hunger das grundlegende Motiv ist. Deren Zombies sind auch alles andere als wütend, vielmehr wirken sie apathisch. Erst spät in Boyles Film erwähnt ein Militär, dass er eins dieser Wesen gefangen und am Leben hielte, um auszuprobieren, wie lange es dauert, bis es verhungert sei – dies könnte dann als Hinweis gelesen werden, dass auch diese „Zombies“ Menschen fressen.

Boyles Zombies (in Ermangelung eines besseren Wortes ab nun „Infizierte“) unterscheiden sich aber auch in anderen Aspekten maßgeblich von den herkömmlichen. Vor allem bewegen sie sich wahnsinnig schnell, nicht, wie bei Romero und seinen Nachfolgern, in Zeitlupengeschwindigkeit. Das macht sie bedrohlicher, es gibt Boyle aber auch die Gelegenheit, durch Verfremdungseffekte, den Einsatz der Handkamera und ungeheure Schnittgeschwindigkeit die Momente der Angriffe als extrem belastende Situationen zu inszenieren; weniger als Splatter-Orgien, wie es sonst üblich ist, wenn Zombies, meist aus schierer Übermacht, ihrer Opfer habhaft werden. Überhaupt verzichtet Boyle weitestgehend auf den für das Genre typischen extrem hohen Blut- und Gewaltanteil.

Im Laufe der Handlung verschwinden die Infizierten weitestgehend aus dem Fokus des Films und es treten andere Themen, vor allem dystopische Gesellschaftsmuster in den Vordergrund. Zudem – und dies ist vielleicht eine der wesentlichen Eigenarten des Films, die allerdings nicht genügend Beachtung findet – wird an verschiedenen Stellen des Films deutlich, dass sich der Ausbruch möglicherweise auf Großbritannien beschränkt, man es also nicht, wie in herkömmlichen Zombie-Filmen, mit einer weltweiten Seuche zu tun hat. In vielerlei Hinsicht ist 28 DAYS LATER also eher mit einem Film wie WORLD WAR Z (2013) verwandt, könnte gar als dessen Vorläufer betrachtet werden, als dass er an Romeros ursprünglicher DEAD-Trilogie[1] erinnerte.

Offenbar wollen – um auf die Anliegen des Films zurückzukommen – Autor Garland und Regisseur Boyle eben diese dystopische Idee einer zusammenbrechenden Zivilisation ausloten, wollen herausfinden, wie sich die Gesellschaft, mehr noch wie sich der Einzelne verhält, wenn alle Sicherheiten verloren gehen, wenn der sogenannte Firnis der Zivilisation wegbricht. Und welches Genre wäre besser für eine solche Untersuchung geeignet als dieses? Natürlich könnte man jedwede Katastrophe dafür hernehmen – in den 80er Jahren waren es meist Visionen postnuklearer Landschaften (MALEVIL/1981; THE DAY AFTER/1983) – doch durch die Seuche, durch die Infizierten, entsteht ein zusätzlicher äußerer Druck. Die Infizierten zu bekämpfen lässt aus ganz normalen Bürgern, mit denen sich jede/r Zuschauer*in identifizieren kann, plötzlich archaische, zu allem bereite Krieger werden. Wie werden sie sich organisieren, welche Form des Miteinanders wird entstehen? Wird es überhaupt noch eine Art des Miteinanders geben? Selena tötet ihren Begleiter Mark sofort, als sie sieht, dass der bei einem Angriff verletzt wurde. Und sie würde, daran lässt sie zunächst keinen Zweifel aufkommen, auch Jim umgehend töten, wenn dem Ähnliches widerfährt. Schnell wird deutlich, dass in einer Welt, wie 28 DAYS LATER sie darstellt, ein jeder auf sich allein gestellt ist. Ist es also möglich, in einer solche Welt noch einmal Vertrauen zu fassen? Eine Gemeinschaft aufzubauen? Und unter welchen Bedingungen könnte ein solche Gemeinschaft existieren?

Fragen wie diese sind natürlich immer interessant. Seltsamerweise gelingt es aber nur selten, sie anhand der geschilderten Situationen, in Dystopien oder Endzeitszenarien wirklich weiterführend, tiefgreifend, intellektuell befriedigend zu durchdringen, zu analysieren oder gar zu beantworten. Daran scheitert bspw. auch eine Serie wie THE WALKING DEAD, die aufgrund ihres Formats noch viel besser geeignet gewesen wäre, die verschiedenen Möglichkeiten gesellschaftlichen Miteinanders – von gleichgeschalteten, autoritär geführten Gemeinschaften bis zu kollektivistischen Kommunen bspw. – durchzuspielen. Letztlich erliegen die Macher der Serie aber doch der Schaulust des Spektakels, wenn sie nicht nur Staffel für Staffel immer widerwärtigere Antagonisten einführen, sondern auch immer ausgefeiltere Tötungen bieten. Nur am Rande verfolgen sie die Möglichkeiten sozialer Entfaltung und neuer, sich langsam herausbildender Stammesgemeinschaften.

Boyle und Garland gehen sowieso einen anderen Weg, doch müssen die Zuschauer*innen selbst entscheiden, ob er gelungen ist. Die Gesellschaft in ihrem Film ist eben erst zusammengebrochen, es sind bisher eben nur die titelgebenden 28 Tage vergangen, die Jim im Koma verbracht hat. Das, was von der Gesellschaft übrig ist, ist also noch dabei, sich zu finden, steht erst am Anfang dessen, was sich neu bilden könnte. Hier herrscht zunächst einmal Anarchie. Doch auch Garland und Boyle fällt nichts wirklich Neues, nicht wirklich Originelles ein, was sich aus diesem Zustand heraus entwickeln könnte. Bestenfalls bieten sie eine Bestandsaufnahme menschlicher Einsamkeit, wenn Jim mehrfach träumt, seine Begleiter hätten ihn verlassen. Doch weder wird dieses Thema tatsächlich vertieft, noch das Thema Trauer, das kurz anschlägt, als Jim, Selena und Mark Jims Eltern tot, offenbar suizidiert, auffinden. Doch schnell sind diese eher emotionalen, eher leisen Themen vergessen, wenn der nächste Angriff der Infizierten ansteht.

So liefert Kameramann Anthony Dod Mantle seinem Regisseur zwar spektakuläre Bilder des menschenleeren Londons, bedrückende, fast klaustrophobische Momente, wenn die Infizierten angreifen, doch letztlich geschieht genau das, was in allen Zombiefilmen geschieht: Angriff, Verteidigung, schnell lernen, mit aller Härte gegen die vorzugehen, die infiziert wurden. Man schlägt sich durch, trifft erneut auf Überlebende, bildet eine kleine Gruppe, schließlich gibt es einen scheinbaren Ausweg (es gelingt, einen Mittelwellensender abzuhören). Dann macht sich die Gruppe auf den Weg – in diesem Fall gen Nordengland –, um ein scheinbar sicheres Ziel anzusteuern. Dort, wo man hinwill, sitzt das Militär – oder zumindest eine Einheit, die sich militärisch gibt – und hat ein ländlich gelegenes Herrenhaus abgesichert und zu einer Trutzburg wider den Ansturm der Apokalypse ausgebaut. Spätestens ab dem Zeitpunkt, da Jim und seine Gefährten diesen Stützpunkt erreichen, kippt der Film dann in eine völlig andere Richtung und verliert schnell jeden Tiefgang.

Nun nämlich wohnen wir den Initiationsriten von Jims Mann-Werdung bei. Und schnell fragt man sich, was sich Garland und Boyle, die beide ja bewiesen haben, welch intelligente Filme zu drehen sie in der Lage sind, bei all dem gedacht haben? Eigentlich, so würde man annehmen, beginnt in dem Moment, in dem Jim, Selena, Frank und dessen Tochter Hannah den Stützpunkt erreichen, der interessantere Teil des Films. Denn Drehbuch und Regie spielen erstaunlich gelungen mit der Erwartungshaltung des Publikums. Einen Militärstützpunkt einzuführen vermittelt das Gefühl von Sicherheit, auch bei den Betrachter*innen. Hier ist eine Regierungsinstitution, hier herrschen Ordnung und Anstand. Doch schnell wird deutlich, dass die Soldaten offenbar allesamt dem Wahnsinn verfallen sind. Sie faseln etwas von Blut und Ehre und davon, dass man ein neues Geschlecht züchten müsse. Zugleich betrachten die Soldaten geifernd die beiden Frauen, die sich in Jims Begleitung befinden. Was der Major, der diese Einheit führt, noch als hehres, übergeordnetes Ziel zum Überleben der Menschheit ausgegeben hat, wird in Anbetracht der Geilheit der Männer zu einem ziemlich niederen Motiv.

Militär und damit verbunden die Frage nach Autorität, bzw. autoritären Regimen, die Archaik eines patriarchalen Systems, persönliche Interessen im Abgleich mit gesellschaftlichen Interessen und Ansprüchen – es sind Fragen wie diese, die hier vortrefflich hätten verhandelt werden können. Zumal der Film während der Fahrt der kleinen Gruppe gen Norden eine Möglichkeit neuen Zusammenhalts andeutet. Denn Jim leidet hier unter Albträumen, wird von dem älteren Frank geweckt, den er daraufhin nur halb ironisch „Dad“ nennt. Eine zivilisierte Ersatzfamilie könnte hier im Entstehen sein. Ein Gegenmodell zu der militärischen Einheit, auf die die vier später dann treffen.

Nur leider leistet der Film nicht, was sich hier andeutet, es gelingt ihm nicht, eine Dialektik zwischen dem Modell der demokratisch organisierten Kleinfamilie und dem autoritär organisierten Militär als mögliche Zukunftsvisionen auszuarbeiten. Vielmehr beginnt in dem Moment, in dem die Ansprüche der Soldaten deutlich werden – lediglich ein aufrechter Mann stellt sich gegen seine Kameraden und wird, gemeinsam mit Jim, dem aber die Flucht gelingt, zur Exekution abgeführt -, jenes Initiationsritual, von dem weiter oben die Rede war. Jim, der bis dato als eher schüchterner junger Mann eingeführt wurde, dem durch Selena die nötige Härte erst eingebläut werden musste, entwickelt nun plötzlich geradezu Rambo-hafte Einzelkämpferqualitäten, wenn er, mit freiem Oberköper und nass vom strömenden Regen, in das Schloss eindringt, die Soldaten einen nach dem andern massakriert und schließlich Selena und Hannah retten kann.

Dietrich Diederichsen hat – im deutschen Wikipedia-Eintrag zum Film gut nachzulesen – darauf hingewiesen, dass dies eine neue Form des Barbarismus ist, eine sich von zivilisatorischen Konventionen und Regeln befreiende Konkurrenzsituation eines Alle-gegen-alle-Modus, der dem neoliberalen Zeitgeist zu Beginn des neuen Jahrtausends entspräche. Nun neigt Diederichsen natürlich dazu, jede popkulturelle Regung politisch zu lesen, dennoch ist an seinen Einlassungen etwas Wahres dran. Ähnlich wie einige Jahre zuvor in Filmen wie MATRIX (1999) oder FIGHT CLUB (1999), wird auch hier – eher ungewollt, bedenkt man Danny Boyles sonstige politische Agenda – ein Typus neuer Männlichkeit bedient, der sich gut deckt mit einem reaktionären Weltbild, das eine Re-Patriarchialisierung mittlerweile sehr liberaler, pluralistischer Gesellschaften vorsieht. Denn so stark und selbstbewusst Selena im Film auch wirken mag – am Ende ist es Jim, der die Frauen befreit, sie rettet, ihnen zueilt. 28 DAYS LATER bedient ein letztlich reaktionäres Weltbild.

Dazu trägt auch der Epilog des Films bei, der in einer abgelegenen ländlichen Region spielt. Offenbar ist es Jim, Selena und Hannah gelungen, bis dorthin zu fliehen. Hier leben sie ein scheinbar friedliches Leben in einem Cottage. Regelmäßig taucht ein Flugzeug auf – ein Hinweis, dass die Seuche kein globales Phänomen ist – und die drei haben eine riesige Flagge gebastelt, um auf sich aufmerksam zu machen. Hier wird das ländliche Idyll einer heilen (wenn auch verletzten, denn Vater Frank hat es nicht geschafft) Familie gezeichnet, die ihren Frieden außerhalb des urbanen Raums gefunden hat. Im Kontext des Films ist die Stadt lebensbedrohlich, die Abgeschiedenheit des (konservativen) ruralen Raums lebens- und sinnstiftend.

Vielleicht liest man so aber auch zu viel in einen Film hinein, der möglicherwiese nur unterhalten will, möglicherweise einfach nur ein Beitrag zu einem damals wiederauflebenden Sub-Genre des Horrorfilms sein sollte. Dann bleiben immer noch atemberaubende Bilder eines so nie gesehenen Londons. Um diese Effekte zu erzielen drehte das Team sehr früh am Morgen, so dass Straßen relativ problemlos abgesperrt werden konnten. Unterlegt von John Murphys Soundtrack entwickelt der Film gerade in der ersten Hälfte, die gänzlich in London spielt, einen ungeheuren Sog. Das Publikum staunt und leidet mit Jim, obwohl man diesen jungen Kerl gar nicht kennt, nichts über ihn weiß, bis er – begleitet von Selena und einem weiteren Überlebenden der Katastrophe – in sein Elternhaus zurückkehrt und dort nur noch Tote vorfindet. Man leidet mit Jim und er leidet stellvertretend für das, was dieser Menschheit geschehen ist.

Und ebenso, wie es Anthony Dod Mantle gelingt, mit seiner Kamera sehr nah ans Geschehen heranzugehen, fast dokumentarisch einzufangen, was die Menschen, denen wir begegnen, erfahren und empfinden, versteht es John Murphy, der Trauer und auch einer unterschwelligen Wut über die Dummheit derer Ausdruck zu verleihen, die für all das, was der Film zeigt, verantwortlich sind. Treibend und zugleich trancehaft sind die gitarrenlastigen Stücke, die Murphy komponiert hat und die dem Film immer auch etwas Hymnisches verleihen, etwas, das dann doch über den reinen Inhalt, die reine Handlung hinausweist.

Letztlich aber bleibt 28 DAYS LATER unentschlossen, was genau er sein will. Und er bleibt in seiner gesellschaftlichen Kritik, in seiner Kritik an den zivilisatorischen Bedingungen unentschlossen, die über den Haufen geworfen und schließlich scheinbar gern aufgegeben werden. Wie so viele Filme jener Ära ist auch Boyles Film Ausdruck eines Umbruchs, einer Ungewissheit, auch einer Unsicherheit. Es ist ein intelligenter und intelligent gemachter Film, der in sich widersprüchlich ist, der auf unterschiedliche, sich teils widersprechende Art und Weise gelesen werden kann und vielleicht gerade wegen dieser Unentschiedenheit den großen Erfolg hatte, der ihm beschieden war. Ein Horrorfilm, auf den sich auch jene einigen konnten, die dem Genre sonst eher skeptisch gegenüberstehen, es eher mit einem gewissen Dünkel betrachten. Eine sogenannter Art-Horrorfilm, wenn man so will, auf den sich auch das Feuilleton einlassen konnte. Vielleicht begegnet man diesem Film als Aficionado gerade deshalb argwöhnisch…

 

[1] Neben NIGHT OF THE LIVING DEAD und DAWN OF THE DEAD fügte Romero noch DAY OF THE DEAD (1985) hinzu. Viel später in seiner Karriere, erweiterte er seinen Zombie-Kosmos um eine weitere Trilogie, die lose mit den Vorgängern in Verbindung steht. Diese umfasste LAND OF THE DEAD (2005), DIARY OF THE DEAD (2007) und SURVIVAL OF THE DEAD (2009). Allerdings konnte nur der erste Teil dieser zweiten Trilogie an die Qualitäten der ersten Filme heranreichen.

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