AUSNAHMEZUSTAND/THE SIEGE

Edward Zwick lieferte ein nahezu prophetisches Werk ab

Im Nahen Osten ist es zu einem Anschlag auf eine Kaserne der US-Streitkräfte gekommen. Kurz darauf wird der irakische Scheich Ahmed bin Talal, ein islamistischer Geistlicher, durch die Amerikaner entführt. Es ist Generalmajor William Devereauc (Bruce Willis), der hinter der Entführung steckt.

Ein Morgen in New York City. Die Agenten Anthony “Hub” Hubbard (Denzel Washington) und sein Kollege Frank Haddad (Tony Shalhoub), Mitglieder der Anti-Terror-Einheit des FBI, werden zum Schauplatz eines vermeintlichen Anschlags gerufen. In einem Linienbus sollen sich Terroristen mit den Fahrgästen verschanzt haben. Doch schnell stellt sich heraus, daß es sich hierbei lediglich um einen Farbanschlag der Terroristen gehandelt hat. Unverletzt können die Insassen des Busses befreit werden.

Während das FBI die Ermittlungen aufnimmt, wird Hubbard informiert, daß sich eine ominöse Dame in den Hallen des FBI aufhalte, wo der Bus untersucht wird. Als er eintrifft, macht er die Bekanntschaft von Elise Kraft (Annette Bening), die es zwar nicht zugibt, aber offensichtlich zur CIA gehört. Da die CIA ein reiner Auslandsgeheimdienst ist, ist ihre Anwesenheit weder erwünscht, noch erlaubt. Hubbard schickt die Dame, die sich als Angehörige des Nationalen Sicherheitsrats ausgibt, fort.

Auf dem Flughafen von New York wird ein Mann festgehalten, der eine große Menge Bargeld mit sich führt. Hubbard und Haddad werden informiert und nehmen den Mann fest. Sie verhören ihn, wobei Hubbard nicht davor halt macht, ihn zu bedrohen. Doch offensichtlich weiß der Mann nichts, er scheint lediglich ein Kurier zu sein. Also wird er freigelassen, jedoch beschattet das FBI ihn weiterhin.

Khalil (Aasif Mandvi) bemerkt seine Verfolger allerdings und versucht zu fliehen. Während Hubbard und Haddad ihn verfolgen, wird er in einen Lieferwagen gezerrt. Schnell haben die FBIler herausgefunden, wo Khalil hin transportiert wurde – es ist ein Geheimversteck der CIA. Das FBI stürmt das Haus und findet Elise Kraft mitten in einem Verhör des Gefangenen vor. Hubbard lässt sie verhaften, das Haus räumen und nimmt den Gefangenen nun wieder mit.

Auf dem Weg zurück zur Federal Plaza One, dem Hauptquartier des FBI in New York, werden Hubbard, Haddad und Elise Zeugen, wie ein weiterer Bus entführt wurde. Hubbard übernimmt vor Ort das Kommando und versucht mit den Kidnappern Kontakt aufzunehmen. Es gelingt ihm, die Freilassung mehrerer Kinder zu erwirken, doch als er sich dem Bus nähert, um sich als Ersatz für die Geiseln anzubieten, wird der Bus in die Luft gesprengt. Alle 25 Insassen und die Entführer sterben.

In den Resten gelingt es dem FBI, genügend DNA und Teile eines islamischen Totenhemds  sicher zu stellen, um festzustellen, daß einer der Entführer erst drei Tage zuvor über Frankfurt in die USA eingereist war. Schnell haben Hubbard und seine Männer herausgefunden, daß ein gewisser Samir Nazhde (Sami Bouajila) das Visum unterschrieben und damit für den Terroristen gebürgt hatte. Hubbard lässt den Mann verhaften, doch dann stellt sich ebenfalls heraus, daß er ein Kontaktmann von Elise Kraft ist. So lassen sie ihn wieder laufen.

Hubbard und Haddad beschatten jedoch Elise und finden so heraus, daß Elises Verbindung zu Nazhde etwas intimer ist, als angenommen. Sie belauschen die beiden beim Liebesspiel in Elises Wohnung. Nazhde ist aus Palästina und hat einen Bruder verloren, der sich als Selbstmordattentäter in ein vermeintliches Paradies gesprengt hat. Durch Elises Vermittlung kommen die FBI-Agenten an die Namen dreier mutmaßlicher Terroristen, die sie in ihrem Versteck stellen. Es kommt zu einem Schußwechsel und alle drei werden getötet.

Nach dieser Aktion werden Hubbard und seine Einheit allseits gelobt, schnell sei es ihnen gelungen, den verheerenden Anschlag auf den Bus zu klären und weitere Attentate zu verhindern. Auch General Devereaux, der sich zwischenzeitlich bei Hubbard vorgestellt hatte, lobt ihn öffentlich.

Doch es ist ein Irrtum: Auf dem Broadway wird eine Bombe in einem Theater gezündet, etliche Menschen sterben. Anderntags findet eine Geiselnahme in einer Schule statt, bei der Hubbard durch einen beherzten Einsatz das schlimmste verhindern und den Geiselnehmer töten kann.

Im Nationalen Sicherheitsrat werden Möglichkeiten erörtert, wie mit der Bedrohung umzugehen sei. Dabei werden etliche auch mit der Verfassung nicht übereinstimmende Verfahren diskutiert. Unter anderem wird Devereaux, der ebenfalls anwesend ist, gefragt, ob und unter welchen Umständen es denkbar wäre, die Armee in New York City einmarschieren zu lassen. Devereaux weißt klar daraufhin, daß er das nicht möchte und es auch nicht für gut hielte, wenn amerikanisches Militär in einer amerikanischen Metropole die Straßen beherrsche. Wenn man diese Möglichkeit jedoch in Betracht ziehen wolle, müsse der Präsident dafür den Ausnahmezustand oder das Kriegsrecht verhängen. Aber auch das hält Devereaux für falsch.

Während der Sitzung, an der auch Hubbard teilnimmt und klar dafür plädiert, das FBI seine Arbeit machen zu lassen, da er glaubt, sie seien die richtige Behörde dafür, taucht auch Elise auf. Nur heißt sie auf einmal Sharon Bridger. Sie arbeitete für die CIA im Irak und bildete dort Aufständische aus, die gegen Saddam Hussein kämpften. Unter anderem hat sie den Männern beigebracht, wie man mit wenigen Mitteln effektive Bomben baut. Nun weist sie darauf hin, daß man es mit einzelnen Terrorzellen zu tun habe, die unabhängig voneinander agierten.

Noch während der Sicherheitsrat tagt, kommt es in New York zu einem weiteren verheerenden Anschlag: Ein mit Sprengstoff gefüllter Kleinlaster rast in die FBI-Zentrale und sprengt das gesamte Gebäude in die Luft. Über 600 Menschen sterben, die gesamte Infrastruktur des FBI wurde zerstört.

Nun ist der Präsident bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Mehrfach wurde das FBI aufgefordert, „ihn“ freizulassen, womit Scheich bin Talal gemeint ist, von dem Devereaux aber behauptet, daß die Amerikaner ihn nicht hätten. Devereaux ist es auch, der nun das Kommando über die Einheiten in New York übernehmen soll.

Devereaux macht schnell klar, daß er keine Gnade und kein Pardon gelten lässt. Er riegelt die Stadt ab und konzentriert sich dann auf Brooklyn, da hier die meisten Menschen arabischer Abstammung leben. Gegen den Protest von Hubbard, den Devereaux mehr oder weniger kaltstellen lässt, wird im lokalen Footballstadion ein Konzentrationslager eingerichtet, in dem alle männlichen Bewohner Brooklyns zusammengetrieben werden.

Hubbard und Haddad ermitteln ihrerseits auf eigene Faust weiter und kommen mit Elises/Sharons Hilfe auf einen Verdächtigen namens Tariq Husseini (Amro Salama), der in einer Autowerkstatt arbeiten soll. Sie wollen ihn dort verhaften, doch tauchen unvermittelt Armee-Einheiten auf. Devereaux hatte Hubbard beschatten und abhören lassen. Zwar versucht Hubbard mit seinem Gefangenen zu entkommen, doch gelingt ihm das nicht.

Während Devereauxs Männer Husseini mitnehmen, trifft Hubbard Haddad im Stadion. Dessen 13jähriger Sohn – Haddad ist libanesischer Abstammung – wurde ebenfalls inhaftiert. Hubbard versucht, seinen aufgebrachten Kollegen und Freund zu beruhigen, doch der ist außer sich und wirft Hubbard seine FBI-Marke vor die Füße. Er wolle nicht mehr seinen Kopf für ein Land hinhalten, das seinen Menschen so etwas antäte. Hubbard verspricht, sich für Haddads Sohn einzusetzen.

In den Katakomben des Stadions trifft Hubbard auf Devereaux, der nicht bereit ist, nach dem Jungen suchen zu lassen. Man werde die inhaftierten Männer nach und nach erfassen, dann fände man den Jungen schon. Hubbard verlangt zudem die Herausgabe seines Gefangenen, Tariq Husseini. Hubbard fordert Hubbard auf, ihm zu folgen. So wird er Zeuge, wie Elise/Sharon Tariq verhört, dieser sie anspuckt und sie dann mit Devereaux ganz offen über Foltermethoden verhandelt, die in der Kürze der Zeit – man muß unbedingt die noch nicht gefundenen Zellen aufdecken – wirksam sind. Hubbard ist entsetzt. Er fährt die Anwesenden an, daß in dem Moment, in dem man zu solchen Methoden griffe, das Spiel der Terroristen längst mitspiele und diese damit gewonnen hätten. Er will Tariq mitnehmen und mit ordentlichen polizeilichen Methoden verhören. Devereaux lässt ihn aus der Zelle entfernen und so wird Hubbard Ohrenzeuge, wie Tariq gefoltert und schließlich erschossen wird. Bei ihm ist Elise/Sharon.

Elise/Sharon sucht Hubbard am folgenden Tag auf und bietet ihm an, mit ihm zusammen zu arbeiten. Sie werde Samir zwingen, seine Kontakte preiszugeben. Hubbard geht daraufhin zu Frank Haddad und bittet ihn, wieder einzusteigen. Er, Hubbard, wisse, daß die eigentliche Gefahr für die Gesellschaft die Armee sei, die zu Mitteln greife, die durch die Verfassung nicht gedeckt und einer Gesellschaft wie der amerikanischen nicht angemessen seien. Frank erklärt sich bereit.

Bei einem Treffen erzählt Elise/Sharon Hubbard von ihrer Arbeit im Nahen Osten. Wie sie Aufständische ausgebildet habe, wie die Amerikaner diese in einen aussichtslosen Kampf geschickt hätten, ihnen dabei immer versprochen hätten, sie zu unterstützen, nur um sie, als sich in Washington das Blatt wendete und man eine andere Politik verfolgte, eiskalt fallen und ihrem Schicksal zu überlassen. Hubbard begreift, daß es für sie um mehr als nur ein gefährliches Spiel geht. Und er begreift auch ihre Zuneigung zu Samir.

Gemeinsam schaffen es Hubbard, Haddad und Elise/Sharon, sich der Verfolgung durch Devereaux zu entziehen. In einem türkischen Bad sollen Hubbard und Haddad Elise/Sharon und Samir treffen, damit dieser sie dann mit seinen Kontaktpersonen zusammenbringt. Doch als Elise/Sharon mit Samir in dem Bad allein ist, stellt sich schnell heraus, daß dieser selbst die letzte verbliebene Zelle ist. Da sich auf den Straßen New Yorks mittlerweile Menschen aller Religionen und Hautfarben zusammengetan haben und gegen die Besetzung ihrer Stadt demonstrieren, will er sich mit einem Sprengstoffgürtel unter die Demonstranten mischen und sich dann in die Luft jagen.

Elises/Sharons Einwände wischt er brutal weg, sie habe keine Ahnung, wie er und sein Volk gelitten hätten. Auch sie habe ihn und die Palästinenser immer nur benutzt und mißbraucht, nun schlüge das eben gegen Amerika zurück. Hubbard und Haddad tauchen auf, Samir nutzt Elise/Sharon als einen menschlichen Schutzschild. Elise/Sharon fordert Hubbard mehrfach auf, zu schießen und keine Rücksicht auf sie zu nehmen, doch der FBI-Agent kann das nicht tun. So wirft Elise/Sharon sich gegen Samir und reißt sich los. Samir schießt auf sie, wird seinerseits von Hubbard und Haddad erschossen. Während sie auf den Notarztwagen warten, stirbt Elise/Sharon und ruft als Letztes „Inschallah!

Hubbard sucht Devereaux auf und teilt diesem mit, daß die Zelle zerschlagen und Elsie/Sharon tot sei. Devereaux erklärt, daß er nicht glaube, daß der Terror vorbei sei. Hubbard erklärt den General daraufhin wegen Folterung und Mord an einem Gefangenen für verhaftet. Kurz sieht es so aus, als wolle Devereaux auf die FBI-Männer, die sein Hauptquartier stürmen, schießen lassen, dann lenkt er ein und lässt sich abführen.

Hubbard begleitet Haddad zum Stadion, wo sich Vater und Sohn schließlich in die Arme fallen.

Auf einer Kreuzung mitten in Manhattan steht ein Linienbus. An den Scheiben drängen sich die Fahrgäste. Flehentlich werfen sie Blicke hinaus auf die die umliegenden Straßen blockierenden Polizisten und Polizeifahrzeuge. Ein Mann versucht, mit den schweigenden Männern im Bus, die für die Gesamtsituation verantwortlich sind, zu verhandeln. Die Türen des Busses öffnen sich, eine Schar Kinder kommt herausgestolpert und rennt auf die Absperrungen zu. Die Türen schließen sich wieder. Der Mann versucht, weiter zu verhandeln. Er nähert sich dem Bus, bittet darum, Alte und Kranke gehen zu lassen. Erneut öffnen sich die Türen und einige Senioren erscheinen. Nun bietet der Mann sich selbst im Austausch für die Geiseln an, die noch im Bus sind. Und während er in sein Telefon spricht, an dessen anderem Ende er die Geiselnehmer, die immer noch schweigen, vermutet, explodiert der Bus und die Explosion reißt Dutzende von Menschen in den Tod.

Dies ist der Ausgangspunkt in Edward Zwicks Politthriller THE SIEGE (1998). Denzel Washington spielt den verhandelnden Mann am Telefon, den FBI-Agenten Anthony Hubbard, genannt „Hub“. Er und seine Kollegen legen sofort los, um die Hintergründe des Attentats aufzuklären und werden in den folgenden fast zwei Stunden Laufzeit des Films doch immer einen Schritt zu spät kommen, immer einen Moment verpassen, in dem es möglich gewesen wäre, Schlimmeres zu verhindern. Und „Schlimmeres“ meint in diesem Fall keineswegs nur die noch folgenden Anschläge auf ein Broadway-Theater und schließlich die FBI-Zentrale an der Federal Plaza One, sondern auch und vor allem jene Maßnahmen, die man ergreift, um der Attentäter habhaft zu werden. Denn nicht nur die CIA in Gestalt der von Annette Bening gespielten Agentin Elise Kraft mischt hier auf unheimliche und möglicherweise auch zersetzende Art mit, sondern es übernimmt schließlich das Militär nach Verhängung des Ausnahmezustands (der dem deutschen Titel des Films entspricht) das Kommando über New York, bzw. Brooklyn, wo man die Terrorzellen ausgemacht zu haben glaubt. Das bedeutet es wird ein Gefangenenlager im Footballstadion eingerichtet, in dem die gesamte männliche arabische Bevölkerung der Stadt zusammengetrieben und inhaftiert wird. Innerhalb weniger Stunden verwandelt sich dieser Ort in ein Konzentrationslager, spätestens in dem Moment, in welchem die Armee, allen voran Generalmajor Devereaux, damit beginnt, Inhaftierte willkürlich zu foltern.

Kaum ein Film der vergangenen 30 Jahre hat rückblickend eine solch verstörende Wirkung wie THE SIEGE. Kaum ein Ereignis der letzten 30 Jahre – und dabei ist sogar der Fall der Berliner Mauer eingeschlossen – wird auf die nach 1970 Geborenen solch eine verstörende Wirkung gehabt haben, wie der 11. September 2001, als zwei entführte Flugzeuge in die Türme des New Yorker World Trade Center einschlugen, nahezu 4.000 Menschen in den Tod rissen und dies eine „Neue Weltordnung“ mitbegründete, die seitdem spürbar ist. THE SIEGE wurde 1998 veröffentlicht, also drei Jahr vor den Ereignissen des 11. September und betrachtet man den Film heute, sieht man die nicht mehr existenten Türme in mehreren Einstellungen im Hintergrund von Panoramaaufnahmen der Skyline von Manhattan. Man will Zwicks Film nahezu prophetisches Potential zuschreiben. Denn nicht nur nimmt er die Erschütterung der Anschläge vorweg (die im Film gezeigten hatten tatsächlich reale Vorbilder, darunter den versuchten Anschlag auf das World Trade Center 1993 und jenen auf das FBI-Gebäude in Oklahoma City im Jahr 1995, für den allerdings ein Rechtsextremist verantwortlich war), sondern er zeigt nahezu exemplarisch, wie die sich immer noch als Fabel-Demokratie der Neuzeit betrachtenden USA in Windeseile jedwede Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte, Menschenrechte aufzugeben bereit sind und sich stattdessen in eine verängstigte Nation verwandeln, die sofort bereit ist, all das hinzunehmen. Inklusive Folter und Mord an Verdächtigen.

Zudem zeigt Zwick auch, wie im Wirrwarr der Kompetenzen einzelner Dienste und Behörden und der Armee Informationen versickern, verloren gehen oder bewußt zurückgehalten werden. Auch dies entspricht den späteren Tatsachen rund um die Entwicklungen, die zum 11. September führten. Der Film war zu seiner Zeit schon grauenerregend und aufwühlend, weil man das, was er zeigt, für wahrscheinlich hielt – betrachtet man ihn über zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, ist er umso grauenerregender, weil man weiß, daß es genau so gekommen ist. Aus Wahrscheinlichkeit ist Gewißheit geworden. Die völkerrechtswidrigen Kriege in Afghanistan und dem Irak, das Gefangenenlager in Guantanamo, das bis heute besteht und in dem Menschen ebenfalls völkerrechtswidrig gefangen gehalten werden, die Foltermethoden von Schlafentzug bis Waterboarding, die „heimlichen“ Tötungen (sprich: Morde) als feindlich ausgemachter Kombattanten oder von Rädelsführern per Drohne – all diese Mittel werden in THE SIEGE entweder gezeigt oder schwingen als Möglichkeit mit. Und natürlich ist da dieses Geisterhafte, das den Film umgibt. Wie Menetekel ragen die Türme des World Trade Center in die Nacht von Manhattan, scheinen auf ihr eigenes Schicksal und das jener zu verweisen, die an jenem Morgen dort waren und nicht mehr aus den brennenden Hochhäusern entkommen konnten. Auf eine gespenstische Art legen sich eine fiktionale und eine reale Folie übereinander, scheint THE SIEGE seine eigene Prophezeihung in sich zu tragen und zugleich über sich hinaus zu weisen.

Betrachtet man Zwicks Werk nüchtern, hat man es in erster Linie mit einem recht konventionell gearteten Genrefilm zu tun. Es ist ein Politthriller mit Actionanteilen, der knapp zwei Stunden zu fesseln versteht, indem er das Tempo hoch hält, ein hervorragendes Timing hat und mit überzeugenden Schauspielern – inklusive Bruce Willis als zynischem General Devereaux, wofür er einst die „Goldene Himbeere“ bekam – aufwartet. Zugunsten einer in sich schlüssigen Dramaturgie verzichten Zwick und seine Co-Autoren am Drehbuch darauf, die Figuren allzu sehr mit Ambivalenz aufzuladen. Washingtons Hub ist der All-american-guy, der sich in entscheidenden Situationen als guter Amerikaner, als Held im weitesten Sinne entpuppt. Wild entschlossen, „seine“ Stadt vor Angriffen zu schützen, muß er bald gewahren, daß es eben nicht nur die Terrorzellen sind, die eine Bedrohung darstellen, sondern ein jeder in diesem Spiel sein eigenes Süppchen kocht. Nur ein einziges Mal, bei dem Verhör eines Verdächtigen, bekommt diese Figur eine dunklere Seite, tritt ein Schatten hervor, wenn er den Verhörten, einen Araber, der deutliche Male früherer Folterungen am Körper trägt, mit einer Zigarette bedroht und andeutet, ihn damit zu verbrennen. Doch glauben wir nicht, daß Denzel Washington dazu fähig ist, es entspräche nicht seinem Rollenschema und natürlich tut er es auch nicht. Benings Elise Kraft, die sich schließlich als jemand ganz anderes herausstellt, ist die widersprüchlichste und sicherlich ambivalenteste Figur, Willis` General wird zum Bösewicht, obwohl das Drehbuch ihm Passagen – unter anderem im Nationalen Sicherheitsrat – zugesteht, in der er die als typisch erachtete Haltung vertreten darf, daß niemand so ungern in den Krieg zieht, wie ein Militär. Mehrfach bittet er geradezu darum, den Ausnahmezustand, respektive das Kriegsrecht, nicht zu verhängen, da niemand amerikanisches Militär auf den Straßen einer amerikanischen Metropole sehen wolle. Als der Präsident (und man muß davon ausgehen, daß es Clinton sein soll, der hier als Oberster Befehlshaber die Order gibt) genau dieses aber verhängt, gibt es für Devereaux kein Halten mehr und er errichtet innerhalb von 12 Stunden eine Art Militärdiktatur in New York City, die nicht von ungefähr an jene in Südamerika in den 70er und 80er Jahren erinnert, wo ebenfalls Fußballstadien zu Konzentrationslagern umfunktioniert wurden.

So sind Zwicks Dramaturgie und die Figurenzeichnung denkbar einfach: Der „gute“ FBI-Agent, die zwielichtige CIA-Agentin und der „böse“ Armee-General. Dabei ist Benings Figur diejenige mit der größten (moralischen) Fallhöhe. Im Grunde kreist der Film um sie und das was sie weiß und vorgibt, nicht zu wissen, bzw. nicht preisgibt. Sie hat Verbindungen zu den Terrorzellen, auch wenn sie erst am Ende des Films erkennt, daß ihr Verbindungsmann keineswegs das unbescholtene Blatt ist, der arme Palästinenser, den sie einst gerettet und sich dann hörig gemacht hat, sondern selbst längst integraler Bestandteil des Terrornetzwerks, welches die USA bedroht. Je länger der Film voranschreitet, desto mehr lernen wir über ihre Verwicklungen in die Vorgänge im Libanon und dem Nahen Osten, bis hin zu der Tatsache, daß sie diejenige gewesen ist, die den damaligen Kämpfern die Ausbildung hatte zukommen lassen, die ihnen jetzt erlaubt, mit einfachsten Mitteln verheerende Bomben zu basteln. Symbolisch ist es ihr Namenswechsel – wobei „Elise Kraft“ nur ein Deckname gewesen sein mag – der ihre zerrissene Persönlichkeit, ihr Daheimsein in verschiedenen Kulturen, sie ist in Beirut aufgewachsen, spiegelt. Auch diese Figur wird bei aller Doppelbödigkeit letztlich aber klassisch gezeichnet: Undurchsichtig am Anfang, allerdings nicht unsympathisch, dann immer mehr auf der Seite des Helden, dabei immer wieder aber mit Auftritten, die an ihrer Loyalität zweifeln lassen, ist sie schließlich bereit, ihr Wissen preiszugeben und sich am Ende des Films zu opfern, um ihre Läuterung zu belegen.

Im Kontext eines Hollywood-Mainstream-Thrillers gebührt den Inventoren dieser Figur dennoch ein gewisser Respekt und der Figur selbst Aufmerksamkeit. Es ist eine vielschichtige Figur, die Bening hervorragend spielt, ihr emotionale Tiefe verleiht und zugleich etwas Hartes, vielleicht auch Verhärtetes, Man nimmt dieser Frau ab, daß sie ebenso auf dem glatten Parkett Washingtoner Büros bestehen kann, wie in den staubigen Höhen des Golan oder anderer Hotspots des Nahen Ostens. Sie versucht, Hub an der Nase herum zu führen, zugleich spürt man die Dringlichkeit, die sie umtreibt. Und sogar die Trauer über das im Nahen Osten Erlebte nimmt man ihr ab. Dabei gelingt Bening ein kleines schauspielerisches Kabinettstück, fragt man sich doch in diesen Momenten, da die Tränen fließen, ob diese Elise Kraft, die wir zu dem Zeitpunkt im Film bereits unter ihrem „echten“ Namen Sharon Bridger kennen, Hub und uns nicht einfach eine perfekte Inszenierung bietet. Genau diese Ambivalenz, diese Undurchsichtigkeit, macht diese Figur so fesselnd. Zudem lässt das Drehbuch sie all jene Fakten ausbreiten, die die meisten von uns im Publikum erst in den Jahren nach 2001 lernten: Daß man es bspw. mit Zellen zu tun hat, die nicht mehr zentral gesteuert werden, sondern eigenverantwortlich handeln. THE SIEGE ist also, was die Tatsachen islamistischen Terrors betrifft, ebenfalls seiner Zeit voraus gewesen.

Zwick arbeitet filmisch mit damals wie heute angesagten, meist dem postmodernen Kino entnommenen Mitteln. Immer wieder werden seine „objektiven“ Bilder von TV-Bildern unterbrochen, auf der Tonspur hören wie gelegentlich eine Kakophonie durcheinander redender Moderatoren und Kommentatoren, die das Geschehen besprechen und einordnen. Die mediale Reflexion ist somit ein wesentlicher Bestandteil des Films und wird sogar zum integralen Bestandteil des Geschehens, wenn Elise/Sharon Hub darauf hinweist, daß gerade die Anwesenheit der TV-Hubschrauber und Kamerateams exakt das Geschäft der Terroristen betreiben, da diese gar nicht verhandeln wollen, sondern die mediale Aufmerksamkeit brauchen, um ihre „Botschaft“ möglichst zeitnah und wirksam zu verbreiten. Die Botschaft lautet schlicht: Angst. Auch da ist THE SIEGE ganz auf der aktuellen Höhe. Es war Jean Baudrillard, der bald nach den Anschlägen des 11. September darauf hinwies, daß die Anschläge nur und ausschließlich durch die mediale Verarbeitung ihre volle Wirkmächtigkeit entfalten konnten, sie also im Grunde für die Kameras der TV-Stationen inszeniert worden waren[1]. Und es stimmt: Welches Bild des beginnenden 21. Jahrhunderts ist ikonographischer, als die in die Türme einschlagenden Flugzeuge und jene, auf denen die Türme schließlich einstürzen. Für die, die die Anschläge damals live am Fernsehschirm miterlebt haben, dürften dies die prägendsten Bilder ihres bisherigen Lebens gewesen sein. So gelingt Zwick auch eine Analyse des globalen Terrors in der Postmoderne, wobei er zugleich, manchmal etwas zu pittoresk, zu anschaulich, doch auch den realen Horror eines Bombenanschlags vor Ort verdeutlicht.

Betrachtet man THE SIEGE heute, stellt man fest, daß der Film noch immer packt, immer noch atemberaubend ist und seine Analyse nicht viel von ihrer Aktualität verloren hat. Da vergibt man dem Regisseur gern den letztlich herkömmlichen Stil der Inszenierung, die sich auf die Hatz auf die Terroristen konzentriert, man verzeiht ihm auch die Klischees, wenn die Armee nichts besseres zu tun hat, als mit Richtmikrofonen das FBI zu verfolgen, um auf die Spur der Gesuchten zu kommen, und ebenso verzeiht man ihm, daß eine Figur wie die von Bening gespielte nahezu klassische Rollenmuster bis hin zum Opfertod durchschreiten muß, damit wir sie als eine der „Guten“ akzeptieren können.

Vielleicht ist es die einzige echte Schwachstelle des Films, überhaupt noch mit einem Konzept von „Gut“ und „Böse“ zu arbeiten. Doch vielleicht war 1998 auch die Zeit noch nicht reif, um einem Mainstreampublikum so ambivalente und vollkommen undurchschaubare Charaktere vorzusetzen, wie es bspw. Ridley Scott in BODY OF LIES (2008) oder Kathryn Bigelow in ZERO DARK THIRTY (2012) dann taten. Allerdings sind ihre Filme nach dem 11. September entstanden, zu einer Zeit also, als moralische Gewißheiten längst wie unliebsame Akten in geheimen CIA-Büros irgendwo auf der Welt geschreddert worden waren. Edward Zwick beschrieb in seinem Film noch eine Möglichkeit. Eine Fiktion. Und es ist ihm umso höher anzurechnen, daß schon in dieser Fiktion die ganze Doppelbödigkeit amerikanischer Nah-Ost-Politik und die ganze Verdorbenheit eines Apparats ausgestellt werden, der sofort bereit ist, jegliches Recht zu suspendieren, das sonst in den Sonntagsreden herhalten muß, um die Großartigkeit der Nation, dieser „City on the hill“, zu belegen.

 

[1] Baudrillard, Jean: DER GEIST DES TERRORISMUS. Wien, 2003.

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