VOGELFREI/COLORADO TERRITORY – Ein düsteres Meisterwerk

Raoul Walsh´ Westernverfilmung eines eigenen Noirstoffes

Der Stoff, den Raoul Walsh zweimal verfilmte – 1941 mit Humphrey Bogart und Ida Lupino als lupenreinen ‚Film Noir‘ in HIGH SIERRA (1941), acht Jahre später dann als Western in COLORADO TERRITORY (1949): Der Ausbrecher, der den einen weiteren Überfall begehen muß, sich dann endlich zur Ruhe setzen und die Vergangenheit auf sich beruhen lassen will. Stoff, den sich Jim Thompson einige Jahre später für seinen Thriller THE GETAWAY (1959) zueigen machte und der später wiederum von Sam Peckinpah adaptiert wurde. Noir-Stoff. Doch Walsh ist Walsh und so gelingt ihm der Transfer ins Western-Genre mühelos. Man mag dem sogenannten Noir-Western – Walshs eigener PURSUED (1947) wird gern als Referenz angeführt – skeptisch gegenüber stehen, sowohl der Western als auch der Noir weisen gewisse Elemente des Dramas, ja des Melodramas auf, doch macht das nicht jeden düsteren Western gleich zu einem ‚Film Noir‘. Wahr ist allerdings, daß COLORADO TERRITORY einer der wirklich düsteren Western geworden ist, düsterer als die meisten seiner Artverwandten.

Joel McCrea gibt Wes McQueen als fast schon resignativen Mann, der nach dem Ausbruch schnell begreift, daß er seinem Schicksal nicht wird entkommen können. Er ist ein Verbrecher, seine Strafen hat er zurecht aufgebrummt bekommen und er weiß das auch. Sein Leben wird nicht mehr in geordneten Bahnen verlaufen und all sein Sehnen, all seine Träume eines besseren Daseins werden zuerst verraten und erweisen sich schließlich als Hirngespinste. Sein letztes Blatt im Spiel des Lebens ist die ehrliche Liebe einer Frau. Doch selbst die entlockt ihm kaum mehr ein Lächeln. Er musste schmerzhaft erfahren, daß auch diesem Gefühl nicht zu trauen ist, mit dem letzten, dem entscheidenden Verrat ist er schon tot, hat die Seiten gewechselt und führt nur noch aus, was er sich zu tun vorgenommen hatte. Zu spät hat er erkannt, daß hinter gutbürgerlicher Fassade, hübschen Tapeten an den Wänden und einer Bibel auf dem Nachtisch auch nur der Abgrund menschlicher Schwäche und deren Selbstbezogenheit verborgen liegen. Nicht die brave, von ihm verehrte Julie Winslow ist es, die mit dem eigenen Leben für McQueen einzustehen bereit ist, es ist die Dirne Colorado Carson, die Virginia Mayo mit Hingabe und Wildheit höchst überzeugend spielt. Julie Winslow hingegen will McQueen verraten und mit dem Gewinn aus der Kopfgeldsumme die Farm des Vaters vor dem Ruin retten, bzw. das von ihr wenig geliebte Land wieder verlassen.

Walsh war in Hollywood sicherlich einer der Regisseure, die ein düsteres, manchmal zynisches Weltbild vertraten, Werke wie HIGH SIERRA, PURSUED, COLORADO TERRITORY oder der sinistre WHITE HEAT (1949) legen beredt Zeugnis davon ab. Verrat und ein dräuendes Schicksal, dem ein Mann bei allen Mühen nicht entkommen wird, sind allgegenwärtig in diesen Filmen. Ob Bogart, Robert Mitchum, McCrea oder später James Cagney – Walsh verstand es, seine Hauptdarsteller eine tiefe Tragik ausstrahlen zu lassen und schickt immerhin drei von ihnen in den Tod. Wenn man so will, suchen sie aber alle auch wiederholt ein gewalttätiges Ende und Bogarts Roy Earle, McCreas Wes McQueen und Cagneys Cody Jarrett finden schließlich die so bitter ersehnte Erlösung in den Finalen ihrer jeweiligen Filme. Lediglich Mitchums Jeb Rand bliebe dann „Erlösung“ verwehrt und er müsste vermeintlich frei durch das Land wandern. Lebend.

PURSUED und COLORADO TERRITORY warten beide mit einer bedrückenden Atmosphäre der Welt entrückter Land-Räume auf. Das Land, unter immerwährendem Wind versandet, kann nicht einlösen, was die Siedler sich davon versprochen haben. Vater und Tochter Winslow müssen diese Erfahrung stellvertretend für alle hier machen. Und vielleicht – Walsh war nicht frei von religiös fundierten moralischen Einflüssen – ist es eine höhere Strafe für das Vergehen, sich nicht eingestanden zu haben, daß Hochmut die Motivation war, die weite Reise in den Westen anzutreten, nicht das Interesse an dem weiten Land. Doch diesem Land derart zu begegnen – indifferent, desinteressiert – das verzeiht es nicht. Dieses Land können nicht einmal Männer wie McQueen ohne weiteres bezwingen, da ist ein Mann wie Winslow also umso weiter davon entfernt. Ein gnadenloser Blick auf eine Welt, in der der Stärkere sich durchsetzen, der Schwächere immer von der willkürlichen Gnade anderer abhängen wird. Ein grausames Land, ein grausamer, kalter Blick. Die schwarz-weiß Fotografie des Noir-Veteranen Sid Hickox fängt ebenso düstere Bilder ein, Bilder, in deren Schatten Menschen einfach zu verschwinden drohen, Bilder, die uns unentwegt wissen lassen, daß nichts zwingend sein muß wie es scheint, Bilder, die uns vermitteln, uns nicht allzu sicher zu sein. Sie entsprechen der Hoffnungslosigkeit der Geschichte. Dazu passt auch die Härte, die der Film einnimmt. Walsh inszenierte immer gern Action und seine Filme sind definitiv zu einem gewissen Grad Actionfilme, Bewegungskino. Doch hier erreicht er ein recht hohes Maß dichter Actionsequenzen und auch wirklich roher Gewalt. Beides unterstützt wiederum die Brutalität und Rohheit der Geschichte.

Es  sind die Hoffnungslosigkeit und abgrundtiefe Traurigkeit der Handlung und die kongeniale filmische Umsetzung dieser Haltung, die es schwer verständlich machen, weshalb Walsh Verherrlichung eines Gangsters vorgeworfen wurde. Von den ersten Momenten des Films an hat man den Eindruck zu wissen, wohin die Reise dieses Mannes geht, spätestens wenn er sich ergeben den Anweisungen Rickards beugt, ahnen wir, daß er nicht mehr die Kraft zu einem echten Neuanfang haben wird. Wir drücken ihm die Daumen, daß er diese Sache – sein Leben – zu einem sauberen Ende bringt. Anders als die Gangsterfilmklassiker der 1930er Jahre, die den Aufstieg der echten Gangster in Chicago, New York oder Baltimore nahezu in Echtzeit begleiteten, kommentierten und schließlich auch, was Mode und Stil betraf, beeinflussten, wird das Verbrechen in COLORADO TERRITORY nie als etwas dargestellt, das den Einzelnen weiterbringt oder ihm hilft, höhere Sprossen der sozialen Leiter zu erklimmen. Davon ist Wes McQueen weit entfernt. Die Winslows erwecken in ihm den fast neurotischen Traum, es irgendwo noch einmal ganz von vorn zu versuchen, anders, besser, ehrlich. Die Lebensbedingungen der Menschen, die Walsh uns schildert, lassen jedoch keinen Zweifel an der Vergeblichkeit dieses Sehnens. Nie wirkt das, was McQueen und seine Mitstreiter tun in irgendeiner Weise leicht oder gar abenteuerlich. Den Zug auszurauben ist harte Arbeit, der Ertrag gering. Wo uns die Gangsterfilme vom Aufstieg erzählen und davon, wie diese Männer schließlich an ihrer Hybris scheitern, kann sich ein Mann wie McQueen Hybris gar nicht leisten, geschweige denn, daß er wüsste, was es bedeutet. Anders als bspw. Cody Jarrett in WHITE HEAT, ist Wes McQueen auch kein verkappter Irrer. Er ist ein Mann, der seine Chancen realistisch einschätzt, der sich selbst gegenüber zu dem steht, was er getan hat und keine Entschuldigungen dafür sucht. Es sind diese eher romantischen Elemente, die den Film zu einer Tragödie machen und vielleicht stimmt ja, wie gelegentlich gesagt wird, daß der Stoff für den Western besser geeignet ist denn für einen reinen ‚Film Noir‘.

COLORADO TERRITORY erzählt eine zutiefst moralische Geschichte von einem letztlich immer schon verlorenen Mann und seinem letzten Aufbäumen gegen die Unbilden eines Schicksals, welches ihm ein Leben verweigert, das er nur sehnsuchtsvoll erahnen kann. Dies erzählt der Film allerdings mit Rasanz, viel Action, mit großer Dramatik und schließlich auch Tragik. Raoul Walsh, der in seiner Karriere etliche Genrefilme gedreht hat, die heute entweder zu Klassikern ihres Fachs oder aber ganz generell zu den Klassikern der Filmgeschichte gerechnet werden – WHITE HEAT wurde vor einigen Jahren von Clint Eastwood als „bester Film, den ich jemals gesehen habe“ bezeichnet – ist in dieser Neuadaption eines eigenen Stoffes ein erneuter Klassiker seines Metiers gelungen. Ein großer Film des Regisseurs und eine große Rolle für Hauptdarsteller Joel McCrea, für den mit COLORADO TERRITORY langsam das Spätwerk seiner Karriere begann, die immerhin noch weit über eine Dekade weilen sollte. Doch Wes McQueen gehört sicherlich zu den Höhepunkten dieser langen, langen Laufbahn auf der ‚Silver Screen‘.

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