VERFOLGT/PURSUED

Ein Western? Ein 'Film Noir'? Auf jeden Fall ein Meisterwerk von Altmeister Raoul Walsh

In komplizierten Rückblenden erzählt PURSUED die Geschichte von Jeb Rand (Robert Mitchum), der Zeit seines Lebens von Alpträumen – Stiefel und Blitze, die ihn bedrängen – gepeinigt wird. Als Kind nimmt Mrs. Callum (Judith Anderson) ihn bei sich auf, nachdem seine Familie getötet wurde. Er wächst gemeinsam mit Mrs. Andersons Kindern Thorley (Theresa Wright) und Adam (John Rodney) auf, fühlt sich jedoch nie wirklich zugehörig. Als es zum Krieg mit den Mexikanern wegen des New-Mexico-Territoriums kommt, verlangt Grant Callum (Dean Jagger) von jeder Farm mindestens einen Berittenen für den Einsatz im Kampf. Jeb und Adam lassen die Münze entscheiden, Jeb muß gehen. Bevor er aufbricht, gestehen er und Thorley sich gegenseitig ihre Liebe. Jeb kehrt verletzt aus dem Krieg heim und wird als Held empfangen, noch auf der Dorfstraße wird ihm ein Orden für Tapferkeit verliehen. Wieder daheim auf der Ranch, kommt es schnell zu Spannungen zwischen Jeb und Adam. Der fühlt sich zurückgesetzt und ungesehen, denn niemand, so Grant Callum, der langsam beginnt, Keile zwischen Jeb und seine Umwelt zu treiben, niemand verteile Orden für Viehzucht. Schließlich kommt es zwischen den Männern zum Bruch, erneut entscheidet die Münze. Adam fällt die Ranch zu, sofort verweist er Jeb des Hauses. Es kommt zum Faustkampf, bei dem Jeb Adam niederschlägt. Er kündigt an, Thorley am folgenden Tag abzuholen, sollte Adam sich ihm in den Weg stellen, würde er ihn töten. Noch in der Nacht gewinnt Jeb viel Geld beim Pokern. Am nächsten Tag wird er auf dem Weg zur Ranch beschossen, wehrt sich, tötet seinen Widersacher und muß erkennen, daß es sich dabei um Adam handelte. Bei einem schnell begerufenen Gericht wird Jeb freigesprochen, da sich niemand so recht vorstellen kann, daß er, ein Held und anerkannter Mann der Gemeinde, einen Mord begeht. Jeb kauft sich ins örtliche Spielkasino ein und wird wohlhabend, behält jedoch Thorley aus der Ferne im Auge. Als der junge Prentice McCumber (Harry Carey jr.) Anstalten macht, ernsthaft um Thorley zu werben, kommt es während einer Tanzveranstaltung zum Eklat. Erneut ist es Grant Callum, der diesmal Prentice anstiftet, auf Jeb zu schießen. Doch der ist gerissener und erfahrener als sein Gegenüber. Prentice stirbt. Jeb wirbt erneut um Thorley und während sich die Stadt das Maul zerreißt, verfolgt die junge Braut einen perfiden Plan: Sie will Jeb heiraten um ihm dann die Demütigung zuteilwerden zu lassen, ihn als frisch Vermählten zu töten. Doch als es soweit ist, muß sie erkennen, daß sie Jeb immer geliebt und im Grunde auch seinen Beteuerungen, immer nur in Notwehr gehandelt zu haben, Glauben geschenkt hat. In der Hochzeitsnacht kommen Callum und einige Männer auf die Ranch geritten und wollen Jeb töten. Der flieht zu einer alten Ranchruine in den Bergen, wo ihn Thorley trifft. Nun endlich, als Callum und die seinen Auftauchen, erinnert sich Jeb und versteht die „eine Antwort auf all seine Fragen“, wie er mehrmals sagt: Es war sein Vater, der einst Grant Callum und seinen Leuten getötet wurde, verdächtig, Callums Bruder umgebracht zu haben – den Mann von Mrs. Callum. Die Stiefel: Jebs Vater; die Blitze: Mündungsfeuer. Jeb ist also unschuldig das Opfer der Ränke der älteren Generation geworden. Callum hatte einst geschworen, sämtliche Rands zu töten und will das nun zuende bringen. Mrs. Callum, die sich immer geweigert hatte, Jeb über seine Vergangenheit aufzuklären, sieht ihren Irrtum ein und erklärt, daß sie die Geliebte seines Vaters gewesen ist, es diese Liebe war, die einst Grant in Aufruhr und das Leben aller Beteiligten in Chaos gestürzt habe. Sie erschießt Grant just in dem Moment, da dieser den Befehl geben will, Jeb aufzuhängen. Thorley und Jeb können nun unbeschwert der Zukunft entgegenblicken.

Einer der Gründe, warum Genrefilme so genannt werden, ist die Tatsache, daß ein jedes nach eigenen Regeln funktioniert, die zu kennen dem Macher eines Films Pflicht ist. Das Publikum muß sich auf diese Regeln verlassen können.  Der Filmemacher darf die Regeln brechen, doch muß er es moderat tun, es muß erkennbar bleiben, daß er die Regeln kennt, versteht und also auch weiß, was er tut, wenn er gegen die Norm verstößt. Natürlich entsteht die Genese und Entwicklung eines Genres erst wirklich aus den Regelverletzungen und -modifikationen. Doch gewisse Elemente sollten nicht verwässert werden. So kann sich der Zuschauer darauf verlassen, daß der Western geradlinig eine einfache Geschichte erzählt. Meist geht es um Rache, alten Hass, der ein Ventil sucht, oft gruppieren sich solche Themen um ein zweites Zentralthema: Die Familie als Kern der amerikanischen Gemeinschaft. Der Western fußt im Mythos, der Mythos ist der große Vereinfacher – der Western tat immer gut daran, zumindest in seiner klassischen Phase, sich dessen bewußt zu sein. Doch eine der Neuerungen, die das Genre des Western deutlich voranbrachten, war die sogenannte „Psychologisierung“ des Genres ab Mitte der 40er, Anfang der 50er Jahre. Filme wie RED RIVER (1948), THE GUNFIGHTER (1950) oder WARLOCK (1959) sind Beispiele dafür. Doch so sehr sie sich um differenzierte, manchmal gar ambivalente Figurenzeichnung mühen, auch sie bleiben den Grundregeln ihres Metiers treu. Geradeheraus erzählte Geschichten, klare Positionen, eine deutliche Basis des Geschehens. Es braucht dann schon die wahren Meister, solcherlei Regeln nahezu außer Kraft zu setzen und dennoch einen eindeutigen Film zu drehen, der dann auch noch zu einem Klassiker seines Genres mutiert.

Der vorliegende PURSUED (1947) gilt als Paradebeispiel des psychologischen Western, mehr noch, man hat geradezu eine Werbung für die Psychoanalyse, derart deutlich wird hier gezeigt, was geschieht, wenn wir verdrängen, was uns bedrängt und daß die Zukunft nur zu haben ist, wenn wir uns der Vergangenheit stellen. Doch gilt PURSUED gemeinhin auch als exemplarisch, was die Verbindung des Westerngenres mit einem anderen, ihm scheinbar fremden Genre, dem ‚Film Noir‘ nämlich, angeht. Umstritten ist, ob man den Noir als Genre bezeichnen soll oder eher als filmischen Stil, der sich in vielerlei Genres wiederfindet. Es ist ein herrlicher Streit, der vor allem deshalb soviel Spaß macht, weil man ihn ewig weiterführen kann, ohne zu einem bindenden Ergebnis zu kommen, denn Argumente gibt es genug für die eine wie die andere Richtung. Definitiv kann man aber sagen, daß der klassische ‚Film Noir‘ – ein Ergebnis des Nachkriegskinos, geprägt von den schockierenden Erlebnissen des Krieges – sich sowohl stilistisch, als auch inhaltlich gewisser Regeln bedient, die ihn durchaus als Genre ausweisen. Stilistisch ist es vor allem das ausgeprägte Spiel mit Licht und Schatten, das die meist in schwarz-weiß gedrehten Noirs bestimmt, inhaltlich  werden oft komplizierte Geschichten von Verlierern erzählt, die mal mehr, mal weniger selbst verschuldet in die Bredouille geraten, was sie meist das Leben kostet. Dabei haben wir es dabei häufig mit Kerlen zu tun, die undurchsichtigen Frauen verfallen, die ihren Untergang bedeuten, manchmal mit übermächtigen Muttermonstern ausgestattet, die ihre Söhne nicht aus ihren Fängen lassen. Der Noir hatte dabei in den Jahren zwischen 1944 und vielleicht 1952 einen heftigen Flirt mit der Psychoanalyse. Verdrängte Ängste und Traumata aller Orten, Alfred Hitchcock – selbst immer von den Abgründen der menschlichen Seele und also von der Psychoanalyse fasziniert – hatte 1945 dafür den Referenzfilm vorgelegt: SPELLBOUND (1945). Und wie es für den Noir wiederum typisch ist, ist die Nähe zum Melodrama auch dort nicht zu übersehen.

PURSUED macht im Grunde als Western alles falsch und funktioniert und sieht aus wie ein waschechter ‚Film Noir‘. Noir-typisch wird die Geschichte in komplizierten, teils ineinander verschachtelten Rückblenden erzählt, es ist eine düstere Geschichte, eine Familiengeschichte über Hass, Sippenhaft, Bruderzwist, Blutschande und verdrängte Schuld, es gibt eine hassende Frau, die bereit ist, den Mann, den sie liebt, ihren Rachegefühlen zu opfern. Die schwarz-weiß-Fotografie von James Wong Howe ist exquisit, er und Walsh schaffen Tableaus, die der enormen Dramatik und Rasanz, die die Story erhält, kongenial Ausdruck verschaffen. Mehrmals reiten Männer in rasendem Galopp eine steile Felswand entlang und Howe gelingt es, dieses Felsmassiv wie die dräuende Schwärze eines übermächtigen Schicksals über den Köpfen der Reiter erscheinen zu lassen. Symbolik wohin man blickt. Es wurde oben bereits erwähnt – es braucht einen Meister, um den Spagat hinzubekommen, den dieser Film bedeutet. Raoul Walsh, einer der großen Männer des frühen, des „goldenen“ Hollywood, ein Regisseur, der immer Action im Sinne von Bewegung als eigentliches Mittel eines Films auffasste und der es dennoch immer verstanden hat, seine Filme mit Bedeutung, einer Aussage, tieferen Erkenntnissen über das Menschliche, das Land und die Geschichte auszustatten, hat einige „echte“ ‚Film Noirs‘ gedreht. Er kennt also sehr wohl die Regeln dieses Genres. Seine Western – ob THE BIG TRAIL (1930), THEY DIED WITH THEIR BOOTS ON (1941) oder der später entstandene, ebenfalls als ‚Noir-Western‘ betrachtete COLORADO TERRITORY (1949), der wiederum eine Neuverfilmung von Walshs eigenem „echten“ Noir HIGH SIERRA (1941) darstellt – sind Legende, Klassiker des Genres, Wegweiser – zumindest im Falle von THE BIG TRAIL – für das Genre und die Entwicklung, die es einst nehmen sollte. Der frühe Walsh ist für das Genre sicherlich ähnlich wesentlich, wie es Howard Hawks, Anthony Mann oder, natürlich, John Ford werden sollten. Es konnte nur einem wie ihm gelingen, das melodramatissche, aber zeitgenössische Genre des ‚Film Noir‘ und das mythologisch aufgeladene Genre des Western derart miteinander zu verbinden, daß ein zwar ein Hybrid entstand, aber sicherlich einer der fesselndsten Hybriden der Filmgeschichte!

PURSUED versteht es auf brillante Weise, die Verwandtschaft sowohl des ‚Film Noir‘ als auch des Western mit dem Melodrama für seine Zwecke zu nutzen. Eine komplizierte Liebesgeschichte, die zusätzlich dadurch erschwert wird, daß sie im Schatten einer anderen, lange vergangenen und ebenfalls komplizierten Liebesgeschichte steht, die wir erst sehr spät begreifen, als Movens einer Handlung, die sich wie eine Babuschka ineinander versteckt. Ein Drama von essenzieller Kraft, Brudermord, Inzest und tiefer, alles Menschliche verzehrende Hass – es sind teils gewagte Bereiche der menschlichen Seele, in die Walsh sich vorwagt. Man kann dies ruhig auf eben die Verdienste des Noir zurückführen, der es möglich machte, auch von moralischem Verderben zu erzählen. Da das Drama, die Bitternis, die ihm zugrunde liegt, so wuchtig sind, ist allerdings der Western das geeignete Setting, um dem gerecht zu werden. Der Western bietet die Räume und Flächen, die sengende Sonne und die immer dräuende Gewalt, um die Geschichte glaubwürdig zu erzählen. Bei COLORADO TERRITORY wird gern darauf hingewiesen, daß der Film als Western weitaus besser funktioniere, als in seiner Noir-Erscheinung. Das mag so sein, im Falle von PURSUED ist es ganz sicher so, daß die Geschichte in einem zeitgenössischen Setting möglicherweise nicht viel mehr als eine weitere Variation auf das Thema „verdrängte Vergangenheit“ geworden wäre, romantisch angehaucht. So aber wird es eine grundlegende Aussage über das menschliche Befinden, über die Macht der Liebe und die zerstörerische Macht heftiger, tiefer Emotionen. Es ist der Western, der – auch wenn er wie hier einen zeitlichen Rahmen, „irgendwann um die Jahrhundertwende“, erhält – in seinen mythischen Räumen, in seiner mythischen Zeit die Möglichkeiten bietet, ein Drama auf seine Grundzüge zu reduzieren. Walsh hat das erkannt. Und erzählt dennoch eine hochmoderne Geschichte. Jeb ist ein Getriebener, seine Träume plagen ihn, eine innere Unruhe. Er liebt und weiß doch nicht, ob er dieser Liebe wert ist, er hasst und versteht nicht, warum, weiß nicht, worauf er ihn projizieren soll, diesen Hass. Aber er hält ihn von einem erfüllten Leben ab. Ein moderner Neurotiker, wollte man meinen, ein nervöser Geist, wie er uns im Noir allemal unterkommt. Wenn Mrs. Callum schließlich, nachdem sie eine Menge Einwände gefunden hat, warum man sich mit der Geschichte, vor allem der eigenen, nicht beschäftigen solle, bereit ist, ihre Geheimnisse preiszugeben, begreift Jeb, daß er nie etwas anderes war, als ein Spielball. Walsh bringt darin eine Menge unter, ohne es wirklich auszusprechen: Der Krieg der Alten gegen die Jungen, exemplarisch durch Grant Callum symbolisiert, der erst einmal andere aufhetzt, bevor er sich die Finger schmutzig macht; die zerstörte Psyche einer Generation, die in den Krieg geschickt wurde und anschließend haltlos durchs Leben driftet, während die Zurückgebliebenen den Heimkehrern die Erfolge neiden; Geschwisterliebe, die zu leidenschaftlicher Liebe wird und etliches andere.

Ein Kunstwestern, vergleichbar mit DUEL IN THE SUN (1946), wird PURSUED gern genannt. Man mag das so stehen lassen, wobei man durchaus darüber streiten kann, ob Walshs Film gegenüber King Vidors Werk nicht doch die grundlegendere Düsternis aufbringt, was das menschliche Verhängnis angeht. Fakt ist, daß ein Film wie PURSUED wahrscheinlich nur ein  einziges Mal möglich war. So, wie die Liebe zwischen Robert Mitchum und Theresa Wright sich entwickelt und wie die beiden mit- und füreinander kämpfen und ringen, so wie hier tiefe seelische Qual in einen Westernhelden, der keiner sein will, eingebettet wird, so wie hier nie der Alltag, nie die Arbeit aber immer die Liebe, das Sehnen, Begehren und der Hass, also die AUsnahmesituation thematisiert werden, so, wie die Szenerie des Monument Valley, das Walsh als Hintergrund nutzte und welches kaum als solches zu erkennen ist, hier die Abgründe der Seele symbolisiert, so wird das nur ein einziges Mal gelingen.

Walsh hat etliche wesentliche Filme gedreht, vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, ist PURSUED sein Meisterstück, jenes Werk, das ihn über den Genreregisseure, der er so eh nie war, hinaushebt. Ein wesentlicher Film, ein Meilenstein in der Karriere seines Regisseurs und auch des Hauptdarstellers, der hier einmal mehr beweist, daß er sehr wohl mehr als drei Gesichtsausdrücke (nach eigenen Angaben) beherrschte und zu äußerst differenzierten Darstellungen in der Lage war. Dies ist ein erwachsener Western, der seine Spannung aus den zwischenmenschlichen Konflikten bezieht, wobei es Walsh (und dem Script natürlich) gelingt, die Geschichte immer offen zu halten, sie bleibt unerwartet und trägt dadurch enorm zum Spannungsbogen bei. Ein Western ist es, der vergleichsweise wenig Action zu bieten hat und dennoch perfekt austariert ist, keine Minute zu lang, keine Dialogzeile zu viel, jedes Bild ein Tableau, jeder Blick eine Bedeutung. Es ist ein ‚Film Noir‘, ja, aber einer, der zwingend nur als Western funktionieren kann. Ein Meisterwerk.

 

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