DAS FEST DER SCHLANGEN/A FEAST OF SNAKES
Harry Crews´ 1976 erschienener Roman kann seine Anliegen mittlerweile nicht mehr erfüllen
„Toxische Männlichkeit“ – ein recht moderner, mittlerweile allerdings weithin geläufiger Begriff. Liest man die als Kriminalromane oder Thriller getaggten Bücher solcher Autoren wie Jim Thompson (THE KILLER INSIDE ME), kann man allerdings feststellen, dass sich auch vor Längerem schon mit dem Phänomen beschäftigt wurde. Es wurde nur nicht so benannt. Zu diesen sich schon früh mit dem Phänomen Beschäftigenden gehört zweifelsohne auch Harry Crews. Sein erstmals 1976 erschienener Roman DAS FEST DER SCHLANGEN (A FEAST OF SNAKES, 1976; Dt. 2024) kann geradezu als Prototyp einer solchen Auseinandersetzung gelesen werden.
Vergleichsweise kunstvoll spinnt Crews hier eine Story über ein Wochenende, an dem in der Kleinstadt Mystic im ländlichen Georgia das alljährliche Rattlesnake Round-Up stattfindet, das dem Roman seinen Titel gebende ‚Fest der Schlangen‘. Besucher kommen in die Stadt, dürfen auf einem dafür vorgesehenen Areal Klapperschlangen fangen, töten und anschließend auf alle möglichen Arten zubereiten und essen; Kenner und Liebhaber bringen ihre eigenen Schlangensammlungen mit und präsentieren mit Besitzerstolz ihre besten, größten oder bösartigsten Exemplare. Die Geschichte folgt nun Joe Lon Mackey, einst gefeierter Star der lokalen Football-Mannschaft und liiert mit Berenice, ein echter Hingucker, mittlerweile aber aufs College in eine andere Stadt abgewandert. Was Joe Lon schwer getroffen hat. Er ist auch nicht – wie einst erwartet – ein Kleinstadt-Held geworden, sondern ein von Kindern und Gattin genervter Vater und Ehemann, er ist Alkoholiker und mittlerweile ins Schnapsgeschäft seines Vaters eingestiegen. Ein Leben, das zwangsläufig zu Frustration und Hass auf sich und die Welt zu führen scheint. Genau diese Gefühle werden am beschriebenen Wochenende zum Ausbruch kommen und die Geschichte und das Leben in und von Mystic nachhaltig verändern.
Vergleichsweise kunstvoll ist diese Geschichte deshalb gesponnen, weil Crews sich einer dem damals modernen Kino entlehnten Technik bedient: Immer wieder lässt er den Erzählstrang bei einer Figur, oft einer Nebenfigur, manchmal wirklich nebensächlichen Protagonisten, verweilen, folgt diesen einen Moment, bis sie auf eine der wesentlichen Figuren treffen, um die Erzählung dann mit diesen weiterziehen zu lassen. So wird den Leser*innen wie nebenbei Mystic und die dortige Bevölkerung vorgestellt, man lernt allerlei über die Verhältnisse, nicht zuletzt jene zwischen Schwarzen und Weißen. Denn anhand der Nebenhandlung um den Sheriff Buddy Matlow, der regelmäßig auch und vor allem schwarze Mädchen verhaftet und im Gefängnis vergewaltigt, wird diese – ebenfalls toxische Beziehung zwischen den Bevölkerungsgruppen – nur allzu deutlich – und drastisch – beschrieben. Hier ist Lottie May, in die Matlow nach eigener Aussage verliebt ist – ach was, die er liebt! – die „Auserwählte“, die dem sadistischen Sheriff in die Fänge gerät.
Allerdings wird sich Lottie May, deren Verfassung nach der Vergewaltigung Crews ebenso eindrücklich wie verstörend beschreibt, wehren – mit Hilfe von Beeder, der für verrückt erklärten Schwester von Joe Lon, die sich möglicherweise einfach nur ob all des Wahnsinns, der um sie herum herrscht, in eine Fantasiewelt zurückgezogen hat, deren Einzelheiten sie dem ununterbrochen in ihrem Zimmer laufenden Fernseher entnimmt. Beeder und Lottie May werden am Ende des Buchs diejenigen sein, die wenigstens ein wenig Gerechtigkeit in Form von Vergeltung in die Welt von Mystic gebracht haben werden. Eine Gerechtigkeit, die dann keine Rücksicht mehr auf schwarz oder weiß oder gar Familienzugehörigkeit genommen haben wird. Eher wird sie geschlechtsspezifisch, blutig und sehr gnadenlos gewesen sein.
Crews beschreibt aber trotz allem Verständnis für die Frauen, die in dieser leben müssen, vor allem eine Männerwelt, besser: eine männlich geprägte Welt, ein Patriarchat, in dem der Hass der Alten unumwunden auf die Jungen übertragen wird. Nichts in dieser Welt ist liebevoll, nichts ist warm oder schön. Die Männer, die diese Welt, diese Hölle erschaffen und bevölkern, hassen sich und alles, was sie berühren, wird – um in der Diktion dieses Romans zu bleiben – zu Scheiße. Der alte Mackey, Joe Lons Vater, züchtet Hunde zu Kampfmaschinen heran, indem er sie bis aufs Blut quält – und in dem Moment, in dem sie ihm nicht mehr von Nutzen sind, schlicht totprügelt. Joe Lon verachtet seine Frau Elfie einfach dafür, dass ihr Köper nach der Geburt zweier Kinder nicht mehr so straff und verführerisch ist, wie er einmal war – und prügelt sie dafür regelmäßig grün und blau. Buddy Matlow missbraucht seine institutionalisierte Stellung als Sheriff, um Schwächere, vor allem eben Schwarze und mehr noch schwarze Frauen sexuell gefügig zu machen.
Dies sind die im Roman exemplarisch vorgestellten Männer, denen Crews – darin besteht eine weitere, perfide Strategie des Romans – genügend Geschichte andichtet, um sie den Leser*innen zumindest ein Stück weit näher zu bringen. Nicht aber, wie es der Klappentext der deutschen Ausgabe weismachen will, um Verständnis für sie oder ihre Taten aufzubringen. Lediglich wirklicher, authentischer, lebensnäher werden die Figuren dadurch. Armut, Zurücksetzung, falsche Versprechen, zu große Erwartungen ans Leben und – im Falle von Matlow – eine schwere Verletzung, die er aus Vietnam (der Roman spielt 1975, also in jenem Jahr, in dem in Paris die Friedensverträge zwischen den USA und Nordvietnam ausgehandelt wurden) erlitten hatte und die sein Selbstwertgefühl beeinträchtigt. Das ist die soziale Wirklichkeit dieses Südstaatenkaffs, in dem sich das alles abspielt.
Etwas mehr, eindringlicher, tiefgründiger dringt der Roman in die Gedankenwelt von Joe Lon ein. Denn aus dessen Sicht wird uns das Geschehen weitestgehend geschildert. Ein Brief kündigt Berenice´ Ankunft für das betreffende Wochenende an und für Joe Lon beginnt eine schmerzhafte, verzweifelte Selbstbefragung, weshalb sein Leben da geendet ist, wo er jetzt steht und weshalb er die Chancen, die er gehabt hätte, nicht wahrgenommen hat? Crews gelingt es dabei – ohne apologetisch zu werden – durchaus nachvollziehbar zu beschreiben, wie eben genau der weiter oben beschriebene Transfer von den Alten auf die Jungen funktioniert. Dem alten Mackey und seiner zynischen, brutalen, Menschen (und Tiere) verachtenden Weltsicht zu entkommen, ist nicht leicht, vielleicht unmöglich. In der Welt von Mystic – das wird allerspätestens klar, wenn Joe Lons alter Football-Trainer, der nach wie vor in Amt und Würden ist, auftritt – ist die Rolle, die Männer und dadurch indirekt definiert auch Frauen zu spielen haben, völlig eindeutig. Und wer dem entgehen will, ist mindestens einer Verachtung ausgesetzt, die auszuhalten sehr viel Mut und Kraft erfordert. Das wiederum exemplifiziert Crews hervorragend anhand des jungen Mannes, der in Berenice´ Kielwasser in die Stadt kommt und sofort als verweichlicht – was in dieser Welt gleichzusetzen ist mir homosexuell – abgewertet wird.
Das alles ist gut komponiert, es ist wohl durchdacht, es wird, in bester amerikanischer Erzähltradition, anhand äußerer Begebenheiten geschildert, nicht in zerquälten Reflektionen, obwohl Joe Lon gedanklich eben doch immer wieder in die Untiefen des Selbstzweifels gerät und die Leser*innen durchaus merken, dass er um die eigenen Fehler, seine Fehlerhaftigkeit, seine Vergehen weiß. Und vielleicht will man sogar verstehen, warum, wenn es dann auf den letzten Seiten des Romans zu dem unvermeidlichen Gewaltausbruch kommt, der sich über die gesamten 250 Seiten des Romans angedeutet hatte. Und natürlich freut es das Publikum, wenn Crews in den letzten Zeilen denen Genugtuung widerfahren lässt, die in diesem Roman die scheinbar größten Verlierer waren – Lottie May und Beeder, die Schwarze und die Verrückte[1].
Dennoch bleibt die Frage, ob man(n) männlicher Toxik oder toxischer Männlichkeit beikommt, indem man sie schlicht beschreibt. Das ist 1976 wahrscheinlich erstmal ein gewaltiger Fortschritt gewesen, nahezu 50 Jahre später reicht es definitiv nicht mehr. Ungebrochen durch Ironie oder zumindest Verfremdung, innere Distanz zu beschreiben, wie sich Gewalt aufstaut, langsam aufbaut und schließlich entlädt, mag ein gängiges Mittel der 70er Jahre gewesen sein – in der Literatur wie im Film, wenn man bspw. an die Werke eines Sam Peckinpah denkt. Doch haben sich sowohl die Literatur als auch der Film weiterentwickelt und spätestens mit den Brechungen, der Uneigentlichkeit der Postmoderne wurden die Mittel, die Instrumentarien, toxische Männlichkeit darzustellen und zu verhandeln doch vielschichtiger und dadurch auch hintergründiger, subtiler, vielschichtiger.
So bleibt Harry Crews Roman in gewisser Weise einfach redundant. Gut und schnell lesbar, allerdings ungenießbar, weil einem hier auf die gesamte Länge des Texts fast ausschließlich Figuren begegnen, die einfach widerlich sind. Letztlich also eher ein literaturhistorisches Lektürevergnügen. Nein, im Grunde gar kein „Vergnügen“. Reine Exegese.
[1] Worin ein ganz eigener, gesondert zu betrachtender Sachverhalt liegt, der heute vielleicht nicht mehr ohne weiteres akzeptiert würde in seiner vermeintlichen Gleichsetzung, der aber 1976 durchaus funktioniert haben mag, indem Crews den Ausgestoßenen ihre ureigentliche Würde zurückgibt und sie darüber hinaus als die einzigen wirklich menschlichen Wesen in diesem Reigen darstellt.