DAS LEERE HAUS

Vier wunderbare Geschichten des großen Algernon Blackwood

Die so nur auf Deutsch existierenden Anthologie DAS LEERE HAUS versammelt insgesamt vier der besten Texte, die Algernon Blackwood geschireben und veröffentlicht hat, darunter THE WILLOWS (1907[1]) und THE WENDIGO (1910), die seinen Ruf als einer der besten und tiefgründigen Verfasser von sogenannter unheimlicher Literatur begründet haben. Neben der titelstiftenden Kurzgeschichte THE EMPTY HOUSE (1906), die einer vergleichsweise konventionelle Spukhausgeschichte entspricht, enthält der Band zudem die weniger bekannte Kurznovelle (auch die oben genannten Stories könnte man aufgrund ihrer Länge als Kurznovellen bezeichnen) À CAUSE DU SOMMEIL ET À CAUSE DES CHATS (ANCIENT SORCERIES) (1908).

Die Titelgeschichte ist ein Meisterstück in der Beobachtung der psychischen Entwicklung von Angst , die einmal mehr den Weltenbummler Shorthouse einführt, ein wiederkehrender Charakter in den Geschichten von Algernon Blackwood. Er erforscht mit seiner Tante die Gerüchte rund um ein angebliches Spukhaus und wird dabei – wie auch in anderen Geschichten schon – mit den Grenzen seiner eigenen Angst und dessen, was er ertragen kann, konfrontiert. Obwohl Blackwood hier mit herkömmlichen Versatzstücken der Geistergeschichte arbeitet, gelingt es ihm, auch beim (geneigten[2]) Leser durchaus Schrecken zu erzeugen, indem er sich eben an eine der Grundregeln des Unheimlichen hält: Niemals alles zeigen oder beschreiben, das Wesentliche der Phantasie der Lesers (aka des Zuschauers) überlassen.

Doch muß man ehrlich genug sein und zugeben, daß die dann folgenden, sehr viel längeren Geschichten des Bandes literarisch und auch inhaltlich weitaus interessanter sind.

THE WENDIGO greift eine Indianerlegende auf, die von einem Naturgeist berichtet, der sich seine Opfer vorgeblich in den Wäldern jenes Landstrichs sucht, der heute Neuengland genannt wird. Er materialisiert sich gelegentlich und wirkt dann wie ein verderbliches, verrottendes Wesen, meist jedoch ist er amorph und nicht fassbar. Vor allem aber verführt er seine Opfer zu Kannibalismus und treibt sie in den Wahnsinn. Es ist vor allem letzterer Punkt, der Blackwood in seiner Geschichte behandelt. Eine Gruppe von vier Männern geht in den Wäldern auf Elchjagd und trennt sich, da man kein Wild findet. Das Duo, dem die Geschichte weitestgehend folgt, wird nachts von einem unheimlichen Wesen heimgesucht, das schließlich den erfahreneren der Männer entführt. Als schließlich der verbleibende Trupp in Gänze nach ihm sucht, begegnen sie ihm, müssen aber feststellen, daß es kein Mensch mehr ist, mit dem sie es zu tun haben, sondern nur noch die leere Hülle, angefüllt  mit Angst, Schauer und Grauen.

In À CAUSE DU SOMMEIL ET À CAUSE DES CHATS (ANCIENT SORCERIES) verbleibt ein englischer Sommertourist auf seiner Rückreise gen Heimat spontan in einem verträumten französischen Dorf, das sich nach und nach als Heimstatt einer offenbar uralten Art von Hexen und Halbwesen entpuppt, denen er sich aber trotz Aufforderung nicht anschließen will. Allerdings wird Vezin, wie der äußerlich und charakterlich vollkommen unscheinbare Engländer heißt, mit tiefliegenden Wünschen und Begierden seines Wesens konfrontiert. Eingebettet in eine Rahmenhandlung, die die ebenfalls wiederholt bei Blackwood auftretende Figur des „Seelenarztes“ John Silence einführt, dringt der Autor hier tief in Bereiche der um die Jahrhundertwende sehr beliebten Psychoanalyse vor, die auch ihn faszinierte.

THE WILLOWS schließlich wird gemeinhin als Blackwoods beste Geschichte angesehen. Sie erzählt von zwei Freunden, die dem Lauf der Donau folgen und östlich von Preßburg auf einer Sandbank, umgeben von den titelgebenden Weiden, ihr Nachtlager aufschlagen und des Nächtens gewärtigen müssen, daß die Natur hier weitaus lebendiger ist, als man gemeinhin annimmt. Optische Täuschungen, unheimlicher Wind, Schatten, die ein Eigenleben zu führen scheinen – Blackwood zieht alle Register einer Umgebung, die zunehmend personalisiert und als feindlich wahrgenommen wird.

Algernon Blackwood war ein großer Reisender und hat neben seinen unheimlichen Geschichten auch fesselnde Reiseberichte geschrieben. THE WILLOWS basiert auf einer Kanufahrt auf der Donau, die er selbst unternommen hatte. Selten hat man die Natur derart eindringlich und anschaulich beschrieben gefunden, selten konnte ein Autor ihr solch düstere und bedrohliche Seiten abgewinnen, wie es dem Autor hier gelingt. Man folgt dem fast atemlos, ergibt sich einem dunklen Sog aus Andeutungen, einem Raunen, das sich immer hinter der Grenze des eben noch Sichtbaren bemerkbar macht und schaudert mit den Protagonisten, die zwischen Verzweiflung und Übermut, Spekulationen und Annahmen changieren.

Was auf THE WILLOWS zutrifft, lässt sich aber ebenso über THE WENDIGO und À CAUSE DU SOMMEIL ET À CAUSE DES CHATS (ANCIENT SORCERIES) sagen: Hier gelingen atemberaubende Naturbeschreibungen, wird die Natur selbst zu einem Protagonisten des Geschehens und behält dabei ihre Erhabenheit bei. Der Schrecken erwächst weniger aus etwas Feindlichem, eher daraus, daß diese Natur, damals noch unberührt, sich jedwedem moralischen Urteils enthält. Die Wälder, die den Wendigo beheimaten, die wilde Flußlandschaft der Donau und auch die liebliche Umgebung des verträumten, spätsommerlichen französischen Städtchens, in dem sich Vezin  seinen ureigensten Ängsten und Trieben  stellen muß, stehen dem Geschehen mit größtmöglicher Distanz, ja Gleichgültigkeit und eben Unberührtheit gegenüber. Was dem einzelnen hier widerfährt, es scheint ohne Belang. Gelegentlich wähnt man sich bei der Lektüre in einem Text der Romantik. Denn romantisch ist es, wie Blackwood auf die Natur zugreift, wie er sie einsetzt, wie er sie beschreibt.

So  kann, wer am Unheimlichen kein Interesse hat, gerade die Geschichten dieses Bandes genauso gut als betörende Beschreibungen einer wilden, unangreifbaren und immer dem menschlichen Sehnen und Tun überlegenen Natur lesen. Das ist, im Kern, ganz einfach: Große Literatur.

 

[1] Angaben beziehen sich auf die ursprünglichen Veröffentlichungsdaten.

[2] Vorrausetzung aller Geister-, Spuk- und sonstiger unheimlicher Geschichten ist natürlich, daß der Leser bereit ist, sich darauf einzulassen.

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