DAS LIEBESPAAR DES JAHRHUNDERTS. BIOGRAPHIE EINER FRAU
Julia Schoch befragt sich, befragt den Leser und befragt den Text
DAS LIEBESPAAR DES JAHRHUNDERTS (2023) – drunter macht es die namenlose Ich-Erzählerin in Julia Schochs Roman – im Untertitel wird das Buch als BIOGRAPHIE EINER FRAU bezeichnet – nicht. Auf knappen 190 Seiten berichtet sie uns von einer dreißigjährigen Liebe, die zu einem Ende gekommen scheint.
Ich liebe Dich. Mit diesen drei Worten beginnt sie, die Liebe, und sie endet auch mit drei Worten: Ich verlasse Dich. Wobei diese letzten drei Worte ja einen gedanklich bereits abgeschlossenen Vorgang beschreiben. Kein Ich werde Dich verlassen. Oder ein Ich habe Dich verlassen. Sondern Ich verlasse Dich. Unendlich traurig in der Aussage. Aber ist sie auch richtig? Ist diese Aussage wahr? Kann sie wahr sein?
Die Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin, die mit ihrem Lebensgefährten – geheiratet haben sie nie – in einem gegenwärtigen Dresden lebt, zwei Kinder mit ihm hat, erzählt uns von dem rauschhaften Anfang, von den ersten Jahren dieser Liebe, die mit den jungen Jahren des neuen Deutschlands, jenes wiedervereinigten Landes zusammenfielen und den Liebenden so unendlich viele Möglichkeiten zur Verfügung stellten. Sie berichtet uns, manchmal nüchtern und dann wieder in unfassbar schönen Sätzen, fast lyrisch, von dieser Liebe, der Unbedingtheit, die mit ihr einherging, und davon, wie eine Blase entstand, in der es nur diese beiden als Einheit gegeben hat: Das Liebespaar des Jahrhunderts.
Und dann erzählt sie, ebenfalls nüchtern, tastend, sich selbst und dem in diesem Text nicht anwesenden und immer vorhandenen Anderen, wie das so kam, wie es jetzt ist: Die Entfremdung, die Abnutzung, das Sich-Verlieren, das Verlieren des Andern. Da kamen die – ebenfalls namenlosen und seltsam fremd bleibenden – Kinder, da kam der Alltag, da kamen, vielleicht, die Abnutzungserscheinungen, die eine jede Liebe erleidet, die sie erdulden, die hinzunehmen vielleicht sie lernen muss. Vielleicht ist es das Einbrechen der Wirklichkeit in den Traum, den die Liebe auch immer darstellt, der sie zerstört?
In kurzen Absätzen, in manchmal tottraurigen, selten komischen, oft schmerzlich treffenden Absätzen und Sätzen, berichtet die Erzählerin vom Vergehen der Jahre und dem damit einhergehenden Vergehen der Liebe. Und doch bleibt immer die Frage, schwingt die Frage zwischen den Zeilen und den Worten, ob das so richtig ist oder ob nicht ein großer Fehler im Verlassen liegt.
Denn – und das ist eine wesentliche Ebene dieses Buchs, dieses Texts (das ist es, durch und durch: ein Text) – kann man verlassen, was oder wer das eigene Leben derart geprägt hat? Gerade in so entscheidenden Jahren? In den so entscheidenden Momenten, die Weichen gestellt und Entscheidungen, Lebens-Entscheidungen, beeinflusst haben? Geht das? Müsste man nicht eigentlich die Wirklichkeit zurückweisen? Und auf die Unbedingtheit der Liebe und ihrer Einzigartigkeit beharren?
So wird das Tasten dieser Befragung nach und nach zu einem Befragen der eigenen Profession (und Obsession?): Des Schreibens. Denn in diesem Schreiben – und damit in der unmittelbaren Gegenwart des Buches, auch wenn wir, die Leser*innen, nicht an diesem Vorgang beteiligt sind, sondern lediglich rezipieren – wird und bleibt alles lebendig und vor allem: Es verstetigt sich. Für immer. Der Text konserviert. Und er bestätigt. Er bezeugt.
Und er wird – und damit ist die eben getroffene Aussage hinsichtlich des Rezipierens hinfällig, ja falsch, so falsch wie die Idee des Verlassens – immer und immer wieder neu geschrieben, mit jedem Leser und jedem Lesen. Denn immer schreibt sich eine neue Ebene ein, immer wird er anders gelesen, dieser Text, selbst von ein und derselben Person, die niemals zweimal als die- oder derselbe diesen Text wird lesen können.
All das und viel, viel mehr schwingt in diesem knappen Band mit, all das und Vieles, was erst bei der nächsten und übernächsten Lektüre auffällt, birgt dieser Text.
Ein wundervoller Text. Und doch auch – soll das wirklich niedergeschrieben werden? – ein weinerlicher, manchmal jammernder Text. Da verliert sich die Erzählende im Schmerz, der dann doch allzu banal, weil allzu bekannt ist. Da entstehen eben auch Ab-Sätze, die dem Tagebuch entstammen und auch dort bleiben sollten.
Und dann betrachtet man, immer wieder, manchmal minutenlang, das Portraitbild der Autorin im Einband des Buchs und blickt in diese herausfordernden Augen. Meint einen gewissen Spott darin zu entdecken, einen Anwurf. Komm, frag mich und dich, was soll das? So steht es geschrieben, so und nicht anders.
Ist das hier die Biographie der Julia Schoch? Und wenn – will ich (ein Mann) dieses Leben, diese Liebe, diese Unbedingtheit lesen? Will ich daran teilhaben? Und wenn nicht – was macht mir denn solche Angst? Meine Liebe und die Frage, ob ich dich noch liebe? Oder dich verlassen will?
Manche Bücher treffen und sie schmerzen. Sie nerven auch. So wie dieses.
Ich verlasse Dich.
Ich verlasse Dich?
Nein. Ich gehe. Vielleicht.
Verlassen kann ich dich nicht.
Nicht einmal in diesem Text. Und auch den Text, ich kann ihn nicht verlassen…