DER BRAND

Daniela Krien führt dem Leser eine ganz normale Ehe vor

Gelegentlich kommt ja doch die Frage auf, weshalb die deutsche Literatur so kraftlos erscheint, verglichen mit den Amerikanern, den Briten, Afrikanern oder auch nur den Österreichern. Zu bürgerlich, in ihrer Thematik zu eingeengt, zu wenig Mut, zu wenig sprachliche Wagnisse? Mag alles sein. Doch sieht man einmal davon ab, dass es sehr wohl ein ganzes neu entstandenes Genre gibt, welches sich vor allem mit der jüngsten und allerjüngsten deutschen Geschichte – der Wiedervereinigung und ihrer Folgen – beschäftigt, kann man durchaus auch aus rein bürgerlichen Themen immer noch Spannung erzeugen. Mag sein, dass das dann nicht von solcher Relevanz ist wie der Roman einer Afrikanerin, die momentan sicher den Puls der Zeit fühlt, doch kann man auch aus der Mitte der deutschen Gesellschaft heraus Wesentliches berichten.

Ganz sicher kann das zum Beispiel Daniela Krien. Sie hat es mit ihren beiden ersten Romanen – IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN (2011) und DIE LIEBE IM ERNSTFALL (2014) – bewiesen und sie beweist es ein weiteres Mal mit DER BRAND (2021). Dies ist ein durch und durch bürgerlicher Roman, dem es aber gelingt, ganz persönliche, ja intime Gefühle mit einer Wahrnehmung der Welt kurzzuschließen, die durchaus politische Relevanz enthält. Und – auch das sei an dieser Stelle bereits erwähnt – von einem wiedervereinigten Deutschland erzählt, das sich langsam normalisiert, in dem die Geschichten bei allen Unterschieden nicht mehr so weit voneinander abweichen, je nach dem, ob man aus Dresden, Leipzig oder Rostock oder aber aus Hamburg, Aachen oder Mainz stammt.

Am Vorabend ihres Urlaubs, auf den Rahel und Peter – sie Psychotherapeutin, er Literaturprofessor an der Universität Dresden – sich seit Langem freuen, wird ihnen mitgeteilt, dass das von ihnen angemietete Haus leider einem Brand zum Opfer gefallen sei. Rahel, die die schlechte Nachricht entgegennimmt, ist tief getroffen, hatte sie sich von diesem Urlaub doch unter anderem erhofft, dass ihr Eheleben wieder ins Lot gebracht werden könnte. Das nämlich liegt nach dreißig Jahren doch eher brach. Da kommt der Anruf von Rahels Freundin gerade recht: Deren Mann hat einen Schlaganfall erlitten, muss in eine Rehamaßnahme; ob Rahel und ihr Gatte das Haus hüten könnten? Das Haus, mit dem Rahel seit Kindheitstagen intensive Erinnerungen verbindet, war sie doch oft mit ihrer Mutter und der Schwester dort zu Gast. Die kommenden Wochen werden ebenso ein Trip in ihre Vergangenheit, wie einer in das Innenleben einer modernen Ehe, bzw. Familie, unter den erschwerten Bedingungen postmoderner Ansprüche.

Krien erzählt die Geschichte aus der Perspektive dieser Frau – Rahel. Sie ist mitten im Arbeitsleben, sie ist Ehefrau, aber auch Mutter einer sehr schwierigen Tochter und eines weitaus einfacher zu händelnden Sohnes, der sich allerdings dem Familienleben gern und viel entzieht. Und sie ist Tochter einer ihrerseits schwierigen, eigenwilligen Mutter, die ihre Kinder durchaus zu vernachlässigen bereit gewesen ist, um eigene Lebensträume zu verwirklichen. Soweit dies in der DDR eben möglich gewesen ist. Dieses Leben, das Rahel führt, ist kein sonderlich aufregendes, aber auch kein eintöniges. Es ist eben ein durch und durch bürgerliches Leben. Ihre Arbeit als Therapeutin erfüllt sie, auch wenn sich nach vielen Jahren Vieles wiederholt. Einzig das Verhältnis zu ihrer Tochter betrübt Rahel, denn die wirft ihr allerhand vor, das trifft und oft wohl auch zutrifft. Und natürlich das seit geraumer Zeit gestörte Eheleben, in dem es neben ganz allgemeinen Abnutzungserscheinungen eben auch hier und da Erschütterungen gegeben hat.

Die Ehe mit Peter leidet. Denn einerseits nagt an ihr der Zahn der Zeit. Dreißig Ehejahre haben einiges geschliffen, das einst aufregend war. Doch vor allem seit Peter an der Universität in ein Mobbing verwickelt wurde, weil er angeblich nicht angemessen woke mit den geschlechtsbedingten Bedürfnissen einer Studentin umgegangen ist, hakt es zwischen den Eheleuten. Peter fühlt sich von Rahel hintergangen, geradezu verraten. Im entscheidenden Moment habe sie ihm nicht den Rücken gestärkt. Eine weiter zurückliegende Episode um eine Affäre tut ihr eigenes.

Anhand der Mobbing-Episode, die zu Beginn des Romans allerdings schon einige Zeit zurückliegt, kann Krien einige Unverständnisse und Missverständnisse aufgreifen, die im postmodernen Generationenkonflikt der vergangenen Jahre eine Rolle spielen – und zugleich auch einige Verletztheiten bezeichnen, die im Verhältnis Ost-West durchaus virulent sind, ohne dass sie hier dramatisch aufbereitet werden. Peter fühlt sich – darin wahrscheinlich allen Altersgenossen aller Länder und Generationen ähnlich, gleich ob aus Ost, West, Nord oder Süd – den Jüngeren entfremdet. Wenn sie allerdings mit T-Shirts in seinen Seminaren auftauchen, die den für die Angriffe auf Dresden (und viele andere deutsche Städte) Verantwortlichen britischen Luftwaffengeneral Arthur Harris, kurz Bomber Harris, auffordern, seinen Job zu einem Ende zu bringen, dann empfindet Peter das auch als gezielte Geschmacklosigkeit gegen ihn als Ostdeutschen.

Nun, auf dem Hof in der Uckermark, kommt Peter viel besser als Rahel es je erwartet hätte mit den Gegebenheiten zurecht. Er kümmert sich um das Pferd und die Hühner, geht tagtäglich schwimmen und wirkt sehr mit sich selbst und seiner Umgebung zufrieden, ja eins. Und er entzieht sich weiterhin seiner Frau. Rahel muss feststellen, dass ihr Mann offenbar mit einem wesentlichen Teil seines Lebens abgeschlossen hat und bereit ist, in ein neues, ein anderes Leben aufzubrechen, das dann allerdings auch der letzte Teil dieses Lebens sein könnte. Und sie fragt sich, ob er – obwohl er dies mehrfach beteuert – bereit ist, mit ihr gemeinsam dieses neue (letzte) Stück des Weges zu gehen. Erst als die Tochter dazustößt, die gerade die soundsovielte Idee für ihre berufliche Zukunft ausbrütet, darüber hinaus eine Trennung von ihrem Mann und dem Vater ihrer Kinder in Erwägung zieht und ansonsten seltsame Erziehungsmethoden befürwortet, scheint das Paar Rahel und Peter wieder stärker zu einer Einheit zu werden.

Das ist alles unspektakulär, es ist alltäglich. Aber Daniela Krien gelingt es eben, dafür eine feine, differenzierte, sensible Sprache zu finden, die in die emotionalen Zwischenräume eindringt und da jenen Schmerz aufstöbert, den eigentlich jede/r kennt, die oder der die Lebensmitte erreicht oder bereits überschritten hat. Man ist im Grunde nicht unzufrieden und doch löckt da ein Stachel. Manche nennen es Midlife-Krise, aber das ist es nicht. Es geht nicht darum, noch einmal etwas ganz anderes anzufangen, Träume zu verwirklichen, eher ist es das Gefühl, Unerledigtes aufräumen, vielleicht gewisse Perspektiven gerade richten zu müssen, damit man in Frieden mit sich und den Seinen weiterleben kann. Und wie es im realen Leben so häufig ist, findet auch Rahel letztlich keine wirkliche Lösung. Lediglich die Hoffnung, dass es schon irgendwie weitergeht für sie und Peter und die Familie. Dass ihr Mann sich keineswegs von ihr trennen will, lediglich Abstand einfordert, fällt Rahel schwer zu akzeptieren und sie kann es auch nicht wirklich verstehen. Doch der Leser versteht es – in dieser Sprache und ihren Möglichkeiten zur Vermittlung eines leisen, wenig aufregenden, nicht einmal dramatischen Schmerzes.

Das ist sicher keine nobelpreisverdächtige Literatur, aber es ist Literatur, die ehrlich ist, die weiß und versteht, wo ihre Möglichkeiten und Grenzen liegen, und die vielleicht gerade deshalb in manchen Momenten sticht, weil sie zielgenau gewisse Punkte trifft, die viele Leser*innen kennen werden, auch fürchten werden. Und Literatur dieser Art ist gerade deshalb so wertvoll. Und erfordert ein sehr genaues und sehr gutes Sprachverständnis. Daniela Krien besitzt es. Und beweist dies, einmal mehr.

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