DER UNBEUGSAME/COOL HAND LUKE
Stuart Rosenbergs Gefängnis-Klassiker über Individualismus in einer autoritären Gesellschaft
1947 wird der wegen Vandalismus verurteilte Luke Jackson (Paul Newman), ein hochdekorierter Ex-Soldat, in ein Strafgefangenenlager in Florida überstellt. Zwei Jahre soll er hier abreißen.
Die Arbeit, die die Häftlinge zu verrichten haben, ist schwer. Sie müssen auf den Schotterstraßen die Gräben am Straßenrand von Unkraut befreien, stehen den ganzen Tag in der Sonne, einige, die Fluchtversuche hinter sich haben, arbeiten in Ketten. Beaufsichtigt werden sie von einer Mannschaft aus Wärtern, die von „Boss“ Godfrey (Morgan Woodward) angeführt werden. Godfrey gibt sich erratisch, redet kein Wort, weder mit den Häftlingen, noch mit seinen Männern, und verbirgt seine Augen stets hinter einer großen Sonnenbrille.
Zunächst hält sich Luke aus den Händeln seiner Mitgefangenen heraus. Er spielt mit ihnen Karten und beweist dabei, daß er extrem cool und abgebrüht agiert. Irgendwann aber legt er sich mit Dragline (George Kennedy) an, der sich zum Anführer und Sprecher der Gefangenen aufgeschwungen hat. Luke lässt dessen Provokationen zunächst an sich abprallen, gibt dann jedoch Widerworte, bis Dragline ihn eines Tages zu einem Boxkampf herausfordert. Mit Billigung der Lagerleitung unter dem nur “Captain“ genannten Direktor (Strother Martin) und tätiger Mithilfe der Wärter, die sich auch an den Wetten beteiligen, die abgeschlossen werden, wird der Kampf vorbereitet.
Luke hat keine Chance gegen den weitaus größeren und stärkeren Dragline, doch bleibt er einfach nicht liegen. Obwohl die anderen Häftlinge ihm immer wieder zurufen, er solle sich geschlagen geben, steht Luke ein ums andere Mal wieder auf. Schließlich beendet Dragline den Kampf, indem er seinerseits den Ring verlässt, den die Gefangenen um die Streithähne bilden. Luke bricht blutend zusammen, kann aber nicht als „geschlagen“ betrachtet werden.
Diese Aktion bringt Luke den Respekt seiner Mitgefangenen ein. Nun ist er ein vollwertiges Mitglied der Strafanstalt, mehr noch: Da Dragline ihn nun ins Herz geschlossen hat und sich als sein Förderer aufspielt, hat Luke sogar eine gehobene Position unter den Häftlingen.
Luke, der sich gern zynisch gibt, zeigt immer wieder seine innere Unabhängigkeit auch gegenüber der Lagerverwaltung. Er kommentiert ironisch die Arbeit, macht sich über „Boss“ Godfrey lustig, allerdings immer in einem Rahmen, der ihm keine Strafen einbringt. Gestraft wird im Lager mit dem „Bunker“ – einer Isolationszelle.
Eines Tages schlägt Dragline eine Wette vor, die Luke aber abwimmelt. Er behauptet stattdessen, fünfzig gekochte Eier in einer Stunde essen zu können, was keiner im Lager glaubt.
So wird die Wette vorbereitet, Dragline, der vollkommen an Luke glaubt, macht sich zu dessen Trainer und schließlich tritt Luke an. Es wird ein fürchterliches Fressen, doch es gelingt ihm wahrhaftig, in letzter Sekunde das letzte Ei hinunter zu schlingen. In einer Kreuzigungspose lassen ihn seine Freunde auf dem Tisch im Aufenthaltsraum liegen, während sie die Wetteinsätze verteilen.
Lukes Mutter (Jo Van Fleet) kommt zum Lager, um ihren Sohn zu besuchen. Sie ist sehr krank, weshalb sie nicht glaubt, daß die beiden sich noch einmal in Freiheit sehen werden. Sie verdeutlicht, daß sie Luke – mehr als ihren zweiten Sohn – liebt, daß sie ihn für diese nahezu verzweifelte Liebe, die zwar nicht unerwidert bleibt, die ihr aber fürchterliche Schmerzen bereitet, weil aus Luke nicht geworden ist, was sie sich erhofft hatte, auch hasst.
Da die Wärter mit der Arbeit der Häftlinge zufrieden sind, bekommen diese die Aufgabe, eine Schotterstraße zu teeren. Eine Arbeit, die ca. eine Woche in Anspruch nehmen soll. Luke animiert die Männer, die Aufgabe als eine Art Spiel zu betrachten und im Akkord verrichten sie die Arbeit einer Woche an einem Tag. „Boss Godfrey“ und seine Kollegen wissen nicht so recht, was sie davon halten sollen, doch es bleibt ihnen nicht viel anderes übrig, als den Häftlingen einige Tage frei zu geben.
Dragline und Luke diskutieren immer wieder, ob es sich lohne, auszubrechen. Luke sagt ganz klar, daß er zwar die Regeln im Lager unterlaufe, das System als solches aber nicht ablehne und seine Zeit hier absitzen wolle.
Doch dann kommt die Nachricht, daß seine Mutter gestorben ist. Der Captain hält eine Ansprache, in der er Luke und den anderen Häftlingen erklärt, daß er schon mehrfach erlebt habe, wie ansonsten vernünftige Häftlinge bei einer solchen Nachricht auf dumme Gedanken kämen, um bspw. das Begräbnis zu besuchen und also abhauten. Deshalb lässt er Luke, ohne daß dieser sich irgendeiner Verfehlung schuldig gemacht hätte, präventiv zwei Tage in den „Bunker“ sperren. Luke macht klar, daß er diese Behandlung unfair findet, ergibt sich dann aber seinem Schicksal.
Als er wieder aus dem „Bunker“ herauskommt – die Wärter machen ihm klar, daß auch sie die Behandlung unfair finden und nur ausführende Organe seien – beginnt Luke, Ausbruchspläne zu schmieden. Beim ersten Mal gelingt es ihm, sich fast 30 Meilen vom Lager zu entfernen, bis er durch Zufall wieder geschnappt wird. Bei seiner Verfolgung stirbt sogar einer der Suchhunde vor Erschöpfung.
Als Strafe wandert Luke erneut in den „Bunker“ und muß fortan Ketten bei der Arbeit tragen. Dennoch wagt er bald wieder einen Versuch. Diesmal kommt er mit Hilfe einiger schwarzer Jungs noch weiter, wird aber wieder eingefangen, brutal zusammengeschlagen und zurück in die Kolonne gebracht. Der Captain ist zutiefst erbost und verkündet vor den Männern, hier handele es sich um ein „Kommunikationsproblem“, da es Männer gäbe, die sich schlicht verweigerten, die man auch mit gut gemeinten Ratschlägen nicht erreiche.
Was er damit meint, wird erst nachts deutlich: Luke wird gezwungen, ein Loch zu buddeln, die Begründung dafür ist hanebüchen und sinnfrei. Als er fertig ist, soll er die Grube wieder zuschaufeln, nur, um sie anschließend wieder auszuheben usw. Das Loch ähnelt auffallend einem Grab und schließlich bricht Luke zusammen und bittet Gott – den er sonst ablehnt, er sei Atheist, hat er mehrfach erklärt – darum, daß er diese Fron nicht weiter ertragen muß, keine Schläge mehr bekommen wolle. Schließlich winselt er geradezu um Gnade und wird von den Wärtern weiter erniedrigt, bis er bereit ist, ihre Autorität anzuerkennen.
In der Folge gibt Luke sich speichelleckerisch, befolgt jeden Befehl übergenau und tritt die niedersten Dienste an. Die anderen Häftlinge, für die er zuvor eine Lichtgestalt war, wenden sich umgehend von ihm ab. Sie haben den Respekt vor ihm verloren.
Eines Tages ist die Kolonne wieder auf der Straße. Luke soll verschiedenen Dinge aus den Lastern holen, mit denen die Gefangenen zur Arbeit gefahren werden. Luke startet einen der Wagen und entflieht. Dragline springt auf und gemeinsam entkommen sie. Später erklärt Luke, daß er sich trennen wolle, jeder solle auf eigene Faust weiterfliehen. Dragline ist einverstanden, obwohl er Luke zu verstehen gibt, daß er gar nicht wisse, was er ohne den andern eigentlich in der Freiheit solle.
Luke zieht weiter und kommt zu einer Kirche. Er kehrt dort ein und spricht zu Gott, was dieser mit ihm vorhabe? Da er aber kein Zeichen sieht, keine Antwort auf seine Fragen bekommt – wo er doch erstmals bereit ist, die Existenz eines höheren Wesens zumindest in Betracht zu ziehen – schließt er, daß Gott ihn für stark genug halte, seinen eigenen Weg zu gehen.
Draußen fahren die Polizeiwagen und die des Lagers vor, Luke ist entdeckt worden. Dragline kommt in die Kirche und will Luke zur Aufgabe bewegen. Er selber sei kurz, nachdem sie sich getrennt hätten, gefasst worden. Luke erklärt, daß es für ihn kein Weiter-so gäbe. Er tritt ans Fenster und verhöhnt den Captain und die andern mit deren eigenen Worten. Daraufhin schießt „Boss“ Godfrey auf ihn und verletzt ihn schwer.
Dragline bringt Luke aus der Kirche, man verfrachtet ihn in ein Polizeiauto, während Dragline Godfrey angreift und zu erwürgen droht. Während der Häftling vom Wärter weggerissen wird, fährt der Wagen mit Luke los. Ein Beamter weist darauf hin, daß man Luke in ein nahegelegenes Krankenhaus bringen solle, doch der Fahrer sagt, man fahre ihn in ein weit entlegenes Polizeikrankenhaus – womit sichergestellt ist, daß Luke nicht überleben wird.
Zurück im Lager raunen sich die Häftlinge allerlei Geschichten über Lukes Heldentaten und sein Draufgängertum zu. Er ist zu einer Legende geworden.
What we´ve got here is failure to communicate….some men you just can´t reach…
Manche Filme – unabhängig von ihrer eigentlichen Qualität – wären vielleicht nicht gleich den Abräumhalden der Zeit anheimgefallen, hätte es nicht einen bestimmten Song gegeben, vielleicht ein Zitat, das sich im kollektiven Gedächtnis eingegraben hätte, wären aber sicherlich nicht so präsent, wie sie es immer noch sind. Würde man sich noch an THE GRADUATE (1967) erinnern, gäbe es nicht die zeitlosen Songs, die Simon & Garfunkel zu dem Film beigesteuert haben? Würde noch irgendjemand – von den eingefleischten Fans einmal abgesehen – an PAT GARRETT AND BILLY THE KID (1973) denken, hätte Bob Dylan nicht explizit KNOCKIN` ON HEAVEN`S DOOR für den Film geschrieben? Ein Song, den u.a. die Rockband Guns n`Roses gecovert hat. Auf ihrem Album USE YOUR ILLUSIONS (1991) gibt es eine epische Version des Songs. Auf demselben Album gibt es auch den Song CIVIL WAR, dem das obige Zitat vorangestellt wurde. Und vielleicht wäre COOL HAND LUKE (1967) heute ebenfalls ein vergessener Klassiker des amerikanischen Kinos, wäre dem nicht so gewesen. Strother Martin als Gefängnisdirektor spricht sie an einer entscheidenden Stelle des Films. Der Song beginnt mit einer Einspielung des Originals. Und Millionen von Fans der Hardrockband wollte wissen, woher diese gebrochene Stimme kommt, wodurch einer der wesentlichen Hollywood-Filme der 60er Jahre einer neuen, jungen Generation ins Bewußtsein rückte.
Beschäftigt man sich mit dem amerikanischen Film, stößt man zwangsläufig auf das ‚New Hollywood Cinema‘, oft zu ‚New Hollywood‘ abgekürzt, das dem erstarrenden Studiosystem Hollywoods künstlerisch und kommerziell neue Wege und Möglichkeiten eröffnete. Formal führte es aus den in sich geschlossenen Studiowelten hinaus auf die Straße und die Regisseure, die sich an realistischen gegenwärtigen Geschichten aus einem zeitgenössischen Amerika versuchten, wollten sie dann aber auch an Originalschauplätzen abfilmen. Obwohl viele Filmhistoriker gern das Jahr 1969 als Startschuß dieser neuen Bewegung bezeichnen, da in jenem Jahr mit EASY RIDER (1969) ein wahrer Prototyp dessen entstand, was später als ‚New Hollywood‘ reüssieren sollte, und immensen Erfolg hatte, womit bewiesen war, daß ein junges Publikum keine eskapistischen Super-Produktionen brauchte, sondern Reflektionen auf ihre direkte Lebenswirklichkeit, kann man durchaus schon das Jahr 1967 als eigentliche Initialzündung dieser neuen kinematographischen Entwicklung nennen.
Der bereits erwähnte THE GRADUATE, BONNIE AND CLYDE (1967), IN THE HEAT OF THE NIGHT (1967) und eben auch COOL HAND LUKE entstanden alle in diesem so wegweisenden Jahr. Und sie können alle in gewisser Weise direkt dem ‚New Hollywood‘ zugerechnet oder aber als direkte Vorläufer, als Hinführung begriffen werden. Gerade COOL HAND LUKE ist ein interessanter Vertreter dieser Richtung, da er zugleich eine Brücke darstellt zwischen dem klassischen Hollywoodfilm und der neuen Bewegung. Mit Paul Newman hat er einen Hauptdarsteller, der im klassischen Studiosystem sozialisiert wurde, in den 50er Jahren etliche kleinere und ein paar große Rollen spielte, die ihm den Status eines der „neuen“ Stars im Star-System eingetragen hatten. Neben Marlon Brando gehörte Newman zu den führenden „angry young men“, jenen Vertretern moderner Schauspielschulen wie dem Actors Studio, wo Lee Strasberg lehrte, die sich Mühe gaben, durch sogenanntes „Method Acting“ tief in die Figuren, die sie darstellten, einzudringen, die hintersten Winkel ihrer Seele und Psyche zu erkunden und damit eine neue Wahrhaftigkeit auf die Leinwand zu bringen. Newman hatte in Filmen wie SOMEBODY UP THERE LIKES ME (1956), CAT ON A HOT TIN ROOF (1958) oder THE HUSTLER (1961) das Image eines jungen, rebellischen Mannes aufgebaut, der sich den gegebenen Konventionen widersetzt, aber zu zynisch und lebenserfahren ist, um sich noch irgendwelchen Illusionen hinzugeben.
Dieses Image konnte sich Regisseur Stuart Rosenberg perfekt für die Rolle des Luke Jackson in COOL HAND LUKE zunutze machen. Der Film handelt von eben jenem Luke Jackson, der 1947 wegen Vandalismus für zwei Jahre in ein Straflager in Florida zur Strafarbeit in einer Chain gang verurteilt wird. Luke ist ein unangepasster Mann, der hochdekoriert aus dem Krieg zurückkam, dann aber keinen Anschluß mehr an eine bürgerliche Existenz gefunden hat. Durch teils unsinnige Aktionen, die von einem grimmigen und auch zynischen Humor zeugen, erwirbt er sich die Anerkennung der Mithäftlinge und beweist eine Art zivilen Ungehorsam gegenüber einem harten, korrupten und oft unmenschlichen System, in dem Menschen wie Sklaven arbeiten müssen und als billige Arbeiter mißbraucht werden. Obwohl man gerade von einem wie Luke Jackson erwarten würde, daß er bald aus der Gefangenschaft abhaut, denkt er nicht daran. Bis seine Mutter stirbt und er ohne Grund, sozusagen präventiv, in den sogenannten „Bunker“ – eine winzige Zelle, die der Isolationshaft für Vergehen gegen die Lagerordnung dient – gesperrt wird, weil, wie der Captain, der das Lager führt, behauptet, der Tod der Mutter Gefangene oft auf dumme Gedanken brächte. Ab nun versucht Luke wieder und wieder auszubrechen, wird wieder und wieder eingefangen und schließlich von den Lageraufsehern, die sich durch ihn bloßgestellt und düpiert fühlen, scheinbar gebrochen. Bis ihm schließlich ein finaler Ausbruch gelingt, den man ihm nicht mehr durchgehen lässt.
COOL HAND LUKE vermischt hier Gesellschaftskritik mit dem Psychogramm eines Individualisten, der sich nicht dem herrschenden Konformismus beugen will. Das Gefangenenlager wird Rosenberg zum Spiegel einer repressiven, engen Gesellschaft, die in den engen Grenzen der von einer Ordnungsmacht festgelegten Konventionen gewisse Freiheiten gewährt, prinzipiell jedoch mit Gewalt herrscht und gewalttätig reagiert, wenn man aus diesen auszubrechen versucht oder sie gar in Frage stellt. Tendenziell, das verdeutlicht der Film ebenfalls, weist diese Gesellschaft sogar faschistische Züge auf. Einer der Aufseher – „Boss“ Godfrey – wird ausschließlich schweigend, mit spiegelnder Sonnenbrille und komplett in schwarz gekleidet in Szene gesetzt, wodurch Bilder von SS-Männern und der Schwarzhemden der italienischen Faschisten evoziert werden. 1967 war auch das Jahr, in dem sich an der amerikanischen Westküste, namentlich in San Francisco, im Nachklapp der Beat Generation der 50er Jahre eine Menge junge Menschen aufmachten, der Gesellschaft zu beweisen, daß man auch abseits der Konsum- und Warenwelt existieren, sich auf spirituelle Weltsichten und die Liebe als vereinigende Kraft einlassen kann. Diese jungen Leute wurden gern als „Hippies“ bezeichnet.
Nun war Paul Newman sicher kein Hippie, anders als der ebenfalls mit einer kleinen Rolle im Film bedachte Dennis Hopper, der zwei Jahre später mitverantwortlich für den Erfolg von EASY RIDER wurde, doch Rosenbergs Film korrespondiert definitiv mit diesem Zeitgeist. Denn die Jahre 1965 bis 1969 waren auch jene, die den Höhepunkt des Vietnamkrieges markierten, der nicht nur den erbitterten Widerstand der Hippies, sondern auch von Studenten und Linken hervorrief. Hier, in diesem Krieg und der Art, wie er geführt und gerechtfertigt wurde, so der Tenor, manifestieren sich eben diese faschistoiden Tendenzen der Gesellschaft – auch im Alltag. Die USA seien eine Gesellschaft geworden, die sich über die Bedürfnisse anderer Menschen und Länder hinwegsetze, die einen Vernichtungskrieg führe und im Innern an fürchterlichem Muff und einem vorzeitlichen Moral- und Sexualkorsett ersticke, so der Tenor. Dagegen begehrte die Jugend auf – und gegen eine solche, symbolisch dargestellte, Gesellschaft begehrt Luke Jackson im Film auf.
Wie viele seiner jugendlichen Verbündeten bedient er sich dabei eines Widerstands, den man schlecht unterbinden kann, da er nicht offen rebelliert, nicht die Systemfrage stellt, sondern zum einen mit subversivem Humor arbeitet, zum andern den eigenen Körper zum Schauplatz der Revolte macht . Bei einem Boxkampf mit einem Mithäftling, dem von George Kennedy gespielten Dragline, der später so etwas wie ein Freund wird, gibt Luke schlichtweg nicht auf, auch wenn er fürchterliche Prügel bezieht, und zwingt seinen Widersacher damit, irgendwann selbst den Ring zu verlassen. Nominell besiegt, kann man Luke nicht vorwerfen, wirklich unterlegen gewesen zu sein. Dies bringt ihm zunächst die Anerkennung seiner Mitgefangenen ein. Später hält er sie an, eine Arbeit, die eigentlich eine Woche in Anspruch nimmt, an einem Tag zu erledigen, was die Wärter vor die Aufgabe stellt, den Männern weitere Arbeit zu geben. Bei einer Wette lässt Luke sich darauf ein, fünfzig Eier in einer Stunde zu essen. Auch hier ist ziviler Ungehorsam im Spiel, denn die Wette ist potentiell gesundheitsgefährdend, vollkommen sinnfrei, den anderen, die Wetten abschließen, einträglich und zugleich dazu geeignet, eine gewisse Fraternisierung mit den Wärtern herzustellen, da auch sie am Ausgang der Sache interessiert sind. Luke gelingt es mit solchen Aktionen, die Hierarchie des Lagers subversiv zu unterlaufen und aufzuweichen.
Nun ist Rosenbergs Gleichsetzung des Lagers mit einer autoritär-repressiven Gesellschaft natürlich eine höchst abstrakte. Schon die Abwesenheit weiblicher Personen in dieser Gesellschaft verdeutlicht dies. Nur zweimal spielt eine Frau eine wirkliche Rolle im Film: Einmal, als die Männer während eines eintönigen Arbeitstages auf der staubigen Straße eine junge Frau beobachten, die ein Auto wäscht. Dabei sind ihre Bewegungen – bis zum schaumigen Auswringen eines Schwamms – so überdeutlich sexuell konnotiert, daß man sich schon fragen kann, ob sie ein kollektives Hirngespinst einer Horde Häftlinge ist, die alle miteinander einen Sonnenstich haben. Das zweite Mal – und weitaus essenzieller für die Handlung – ist es Lukes Mutter, die sich von seinem Bruder (oder Halbbruder, der Film deutet hier lediglich an) vor die Tore des Lagers fahren lässt, um ihren Ältesten noch einmal – sie ist schwer krank – zu sehen. In dieser kurzen Sequenz lernen wir mehr über Lukes Herkunft, Werdegang und vielleicht auch sein rebellisches Wesen, als der gesamte Film davor und danach Preis gibt. Wir wissen bis dahin, daß Luke ein hochdekorierter Kriegsheld ist. Nun erfahren wir, daß er der Liebling seiner Mutter war, die sich wünscht, wie eine Hündin das Interesse und die Liebe für die eigenen Kinder zu verlieren, um den Schmerz über deren Versagen nicht ertragen zu müssen. Luke selbst scheint gefestigt aus dieser Begegnung hervorzugehen, was seinen Individualismus noch einmal unterstreicht.
Rosenberg weiß um den abstrakten Aspekt des Vergleichs Lager und Gesellschaft. Er versteht seinen Film in hohem Maße metaphorisch und lädt ihn umso mehr mit Symbolik auf. Durch seine Taten und seinen Durchhaltewillen wird Luke eine Art Maskottchen für seine Mitinsassen im Lager. Der Film scheut sich allerdings nicht, diese Stellung messianisch zu überhöhen. So gibt es eine ganze Reihe von christlich-religiösen Anspielungen in den Bildern. Am deutlichsten wird dies nach dem Eieressen, wenn der siegreiche aber vollkommen erschöpfte Luke von seinen Kumpanen auf einem Tisch abgelegt wird, wo er in einer Kreuzigungspose verharrt. Dies ist zugleich ein Bild, das Lukes Sonderstellung untermauert, aber aufgrund der Banalität des Anlasses auch ironisch bricht. Andere Einstellungen erinnern an Bilder des Abendmahls, das Verhalten einiger von Lukes Kumpanen hat den Charakter von Jüngern und Luke steht in einem steten Disput mit sich selbst über die Existenz Gottes. Erst in der Schlußszene, in der er schließlich in einer kleinen Kirche umzingelt wird und schon ahnt, daß man ihn kein weiteres Mal mit seinem Ausbruchsversuch glimpflich davonkommen lassen wird, tritt er in einen direkten Dialog mit Gott und fragt ihn, was er nun tun solle, bzw. was dieser für ihn vorgesehen habe? Doch da er kein Zeichen empfängt, schließt er, daß Gott ihn für stark genug halte, seinen eigenen Weg zu finden.
Diese Überhöhung ins Messianische gibt Rosenberg die Möglichkeit, den ganzen Film allegorisch anzulegen. Nach seinem zweiten Ausbruch wird Luke von den Wärtern mit Arbeit gebrochen. Unsinnigerweise soll er ein Loch graben, es dann wieder zuschütten, erneut graben usw. Nicht umsonst erinnert diese Schikane an gewisse Praktiken in den deutschen Konzentrationslagern, wo u.a. „Vernichtung durch Arbeit“ als Programm aufgelegt wurde und zu diesem Zwecke bspw. im KZ Mauthausen Häftlinge eine fürchterlich steile Treppe im Fels, mit Gewicht beladen, rauf und runter gejagt wurden, ohne daß diese Arbeit einen erkennbar sinnvollen Zweck erfüllte. Auch die Aufteilung des Lagerpersonals erinnert an autoritäre Strukturen in autoritären Gesellschaften: Während die Wärter, durchweg „Boss“ genannt, die Drecksarbeit erledigen und die Häftlinge durchaus auch schikanieren, gibt sich der Direktor, jener Captain, den Strother Martin spielt und der die eingangs zitierten Sätze ausspricht, paternalistisch. Auch die zitierten Zeilen zeugen ja letztlich davon. „Some men you just can reach“ – einige Männer kann man nicht erreichen, womit jedwede gutgemeinte erzieherische Maßnahme natürlich umsonst und vergebens ist.
Das paternalistische Element spielt im Film eine wichtige Rolle und unterstützt die Metapher der autoritären Gesellschaft, gespiegelt in der Lagergesellschaft. Der Captain ist der Herr über das Lager, die Drecksarbeit lässt er hingegen von seinen Untergebenen verrichten. Diese sind solange jovial und halbwegs freundlich zu den Gefangenen, solange diese die Regeln und Anweisungen befolgen. Reizt man sie, offenbaren sie geradezu sadistische Züge. Die oben geschilderten Bestrafungen durch sinnlose Arbeit sind beredtes Beispiel dafür. Die Gefangenen offenbaren allerdings ebenfalls Züge einer autoritären Gesellschaft, werden sie doch als opportunistisch gezeigt. Luke ist ihr Held – bis er klein beigibt und sich den Wärtern beugt. Sofort wenden sich alle von ihm ab. Auch Dragline, der sich zuvor wie ein persönlicher Berater, wenn nicht gar Manager von Luke aufgespielt hat. Doch ist dies eine fast logische Folge eines repressiven Systems, aus dem auszubrechen nicht gelingen kann – außer man ist, wie Luke in der Schlußszene des Films – bereit, bis zum Äußersten zu gehen.
Da der Film im tiefen Süden angesiedelt ist, kommen im christlich-religiösen Moment, in der psychischen wie physischen Gewalt und im Paternalismus, der hier auch Ausdruck eines Patriarchats ist – Frauen, wie gesagt, kommen kaum vor – Grundzüge einer Gesellschaft zum Ausdruck, wie sie gerade in den bürgerbewegten 60er Jahren mit den Südstaaten identifiziert wurden. Eine Gesellschaft der Gewalt, die diese Gewalt religiös begründet. Eine konventionelle und enge, aber eben auch autoritäre Gesellschaft, die Widerspruch kaum bis gar nicht duldet. Eine männlich dominierte Gesellschaft, in der Frauen bestenfalls eine dienende Funktion haben. Und eine Gesellschaft, die in ihrem Kern auf Unrecht fußt. Neben der von Lalo Schifrin komponierten Originalmusik des Films, die ihm einen treibenden, fiebrigen Rhythmus gibt, sehen und hören wir immer wieder alte Bluesstücke, Gospels und Field Hollers – jene Gesänge, die die Sklaven auf den Baumwollplantagen zur Arbeit anstimmten. Gesungen werden sie meist – in einer wesentlichen Szene ist es Newman, der seiner Trauer über den Tod der Mutter mit einem auf dem Banjo begleiteten Song Ausdruck verleiht – von Harry Dean Stanton. Darunter auch das Midnight Special, ein traditioneller Song, der explizit von Gefangenen, vor allem aber Sklaven, angestimmt wurde. Mit der Auswahl dieser Songs legen Rosenberg und seine Autoren einmal mehr die metaphorische Bedeutung ihrer Geschichte nah.
Bedeutend in diesem Zusammenhang ist auch der zweite Ausbruch von Luke. Er kommt in eine Barackensiedlung, die von Schwarzen bewohnt wird. Hier helfen ihm zwei Jungs – eine Axt zu beschaffen, um die Ketten zu zerstören, die ihn hindern. Luke und die beiden Jungen werden wie eine natürliche Einheit gezeigt. Nicht nur identifiziert sich der weiße Mann offensichtlich mit den Schwarzen, was seine Stellung als Individualist noch einmal unterstreicht, ihn aber auch eindeutig als Außenseiter markiert, sondern er spricht mit zwei Kindern quasi auf Augenhöhe. So wird trotz der im Jahr 1947 beginnenden Handlung eine zeitgenössische Komponente hervorgehoben: Die Bürgerrechtsbewegung machte sich in den 60er Jahren auf, für die endgültige Gleichberechtigung von Schwarz und Weiß zu streiten; zudem wird der Generationenkonflikt, der nicht nur im Film, sondern eben auch in den 60ern vorherrschte thematisiert.
Unterstützt wird die Handlung nicht nur von den Songs und Schifrins Musik, sondern ganz maßgeblich durch Conrad L. Halls Kamera. Mit großen Brennweiten fängt er die Weite des Südens ein, gedreht in Panavision, scheinen die grobkörnigen Bilder die schwüle Hitze geradezu auszuschwitzen. Hall kontrastiert diese Bilder der Weite mit teils extremen Nahaufnahmen, für die er Anleihen beim damals gerade in studentischen Kreisen beliebten Italowestern nimmt. Mehrfach sehen wir in „Boss“ Godfreys verspiegelter Sonnenbrille die verzerrten Gesichter von Newman und anderen Häftlingen. Gelegentlich greift Hall auch zu damals noch ungewöhnlichen Kameraperspektiven, rahmt tiefer im Bild Geschehendes durch vordergründige Bildkadrierungen in der eigentlichen Kadrierung – Arme, ein übergeschlagenes Bein, etc. So entstehen Entfremdungseffekte, Distanzierungen und Brüche zum Geschehen. Hall liefert aber auch sonst harte, kontrastreiche Bilder. Das gnadenlose Blau des Himmels, das in der Mittagszeit zu einem milchigen Weiß verwäscht, die ocker- und sandfarbigen Töne der Erde und das gelegentliche Grün der Vegetation unterstreichen die Bedingungen, unter denen hier gelebt und gearbeitet wird: Heiß, schwül-feucht, ohne Erbarmen. Wir verstehen sofort, warum Dragline und andere schon am Vormittag immer wieder darum bitten, ihre Hemden ausziehen zu dürfen.
Südstaatendrama, Gefängnisdrama, eine ironisch gebrochene Allegorie auf eine sich christlich gebende Gesellschaft, eine Metapher für eine Gesellschaft, die im Kern auf Gewalt und Ungleichheit – auch die nicht miteinander zu vergleichenden Straftaten der Gefangenen und die dafür verhängten Strafen zeugen davon – gegründet wurde: COOL HAND LUKE ist einer jener Filme, die begannen, durchaus harte Unterhaltung mit sozialkritischen Betrachtungen und offenen Angriffen auf das Gesellschaftsgefüge der USA in den 50er und 60er Jahren zu artikulieren. Angesiedelt in den späten 40er und frühen 50er Jahren, nutzten Rosenberg und seine Autoren – darunter Donn Pearce, der auch die Romanvorlage geschrieben hatte – den Stoff, um einen Kommentar auf zeitgenössische Entwicklungen und Zustände abzugeben.
Ganz im Kontext des ‚New Hollywood‘ war schließlich auch das Ende des Films. Es ist ein zutiefst pessimistischer Schluß. In der Kirche gestellt, verhöhnt Luke seine Häscher mit deren eigenen Worten – und wird von „Boss“ Godfrey, dessen Schießkünste wir zuvor schon bewundern durften, schwer verletzt. Doch anstatt ihn in ein nahegelegenes Krankenhaus zu bringen, fährt man ihn in ein Polizeikrankenhaus, weit entfernt. Er wird diese Fahrt nicht überleben können. Im Lager allerdings wird die Erinnerung an ihn schließlich zu einer Heldensage, einer Legende. Damit schließt sich der Kreis des grimmigen Humors, den Stuart Rosenberg seinem Film unterlegt: Erst der tote Rebell kann seine ganze Wirkmacht entfalten. Tot ist er weitaus nützlicher, denn lebendig. Hier schließt sich dann auch der Kreis der religiösen Anspielungen.