SIE MÖCHTEN GIGANTEN SEIN/SOMETIMES A GREAT NOTION

Gelungene, wenn auch die Vorlage verfälschende Literaturverfilmung eines der großen amerikanischen Nachkriegsromane

1964 erschien Ken Keseys zweiter Roman SOMETIMES A GREAT NOTION (MANCHMAL EIN GROSSES VERLANGEN). Kesey – der zuvor als Autor des Bestsellers ONE FLEW OVER THE CUCKOO`S NEST (EINER FLOG ÜBERS KUCKUCKSNEST) Berühmtheit erlangt hatte, jedoch weitaus berüchtigter war als Anführer der ‚Merry Pranksters‘, einer Horde Frühhippies, die Mitte der 60er Jahre in einem umgebauten Schulbus durch die USA tourten und den Menschen die Vorzüge ihres erwählten Wundermittels LSD nahezubringen versuchten – war mit diesem Epos ein brillanter Roman gelungen, der aus Sicht dieser goldenen Generation, die sich aufmachte, mit den herkömmlichen amerikanischen Werten und konservativen Ansichten aufzuräumen, noch einmal das große amerikanische Drama erzählte.

Vor dem Hintergrund der beeindruckenden Naturkulisse Oregons wird die recht einfache Geschichte der Familie Stamper berichtet, die sich gegen die Unbilden der Natur ebenso wie gegen die Vorgaben der Gewerkschaften auflehnt und trotz eines anhaltenden Streiks der Holzfäller weiterarbeitet und ihren Vertrag erfüllt. Henry, der Patriarch der Familie, sein Sohn Hank, dessen Cousin, Freund und Vorarbeiter Joe Ben und die Frauen Viv und Jan bilden im traditionellen Sinne den Kern des amerikanischen Mythos der zähen, unbezwingbaren Siedler- und Pionierfamilie. Sie sind individualistisch, wortkarg, arbeits- und strebsam, hart gegen sich und andere, durchaus gewaltbereit und in einem eher verstörenden Sinne demokratisch. Es bleibt in der Familie, sie ist es, auf die man sich prinzipiell verlassen können muß. Mitten in den Streit der Stampers mit ihren Nachbarn und früheren Kollegen, trifft Leland Stamper auf dem Anwesen am Fluß ein. Er ist Henrys Sohn aus dessen zweiter Ehe, also Hanks Halbbruder. Dieser Leland Stamper ist ein Bohemien, ein Hippie, ein Taugenichts, der sich nur widerwillig den Familienstrukturen unterordnet. Seine Anwesenheit läßt schnell Risse und Bruchstellen im Gewebe des Clans erkennbar werden. Warum Leland zurückgekommen ist, bleibt jedoch lange im Dunkeln.

Von dieser Situation ausgehend, wagt Kesey ein literarisches – sprachlich wie formal postmodern anmutendes – Experiment, welches die Bedingungen untersucht, unter denen sich dieses gewaltige Land in zweihundert Jahren von einer dünn besiedelten Wildnis in eine der führenden Industrienationen der Welt verwandeln konnte. Im äußersten Westen verortet, also da, wo in der amerikanischen Mythologie seit jeher das Glück zu finden ist, gelangen die amerikanischen Träume an ihre natürliche Grenze und gelangt Ken Kesey zu dem Schluß, daß die Kosten, der Preis, für diesen exorbitant schnellen und kulturell tiefgreifenden Wandel enorm hoch – zu hoch? – gewesen sind. Die Familie, die das Buch vorführt, ist eine zutiefst dysfunktionale Gemeinschaft, deren Hierarchien zwar klar nach Geschlecht, Stärke und Brutalität eingeteilt sind, in der jedoch die dem zugrunde liegende Überzeugung, daß es so und nur so sein kann, bereits erodiert. Henry und Hank stehen an der Spitze des Verbunds, beide handeln so, als stünde ihnen auf natürliche Weise Führung zu. In jenen Momenten, in denen dieser Anspruch in Frage gestellt wird, in denen auch in Frage gestellt wird, ob die Entscheidungen, die die beiden treffen, die richtigen sind, entwickeln sie sich zu Einzelkämpfern. Sie reden sich und der Welt ein, auf nichts und niemanden angewiesen zu sein, ihre einmal gestellte Aufgabe aber erfüllen zu können, koste es, was es wolle. Nun könnte Kesey es sich einfach machen, indem er – durch die Augen des modernen Außenseiters, des Hippies und Nonkonformisten – dies alles als reaktionär, gestrig und überholt der Lächerlichkeit Preis gäbe.

Doch so einfach macht es sich Kesey eben nicht. Er versteht diese Menschen, er versteht den amerikanischen Mythos durchaus. Er durchdringt ihn geradezu. Er versteht auch, wie dieses Land und die Erfahrung, es zu besiedeln, diese Menschen zu dem machte, was sie nun einmal sind. Hinzu kommt, daß er auch die Geschichte der Gewerkschaften in den U.S.A. und die meist unrühmliche Rolle, die sie in der politischen und kulturellen Geschichte des Landes gespielt haben, kennt und man somit die Haltung der Stampers im Kontext ihrer ur-amerikanischen Prägung sogar versteht, zumindest nachvollziehen kann. So behält diese Familie ihre Würde, auch wenn wir bei aller Sympathie begreifen, wie monströs das ist, was da aus dem familiären Unterbewußtsein, der verborgenen Struktur hervorlugt. Denn Kesey führt die Narration eben exakt dahin zurück, wo der Mythos die Saat sieht, die das alles trägt: in die Familie. Was sich da zwischen Hank, Lee, Viv entspinnt, hat Shakespeare’sche Dimensionen, ähnelt einem klassischen Drama in seiner Wucht, der Schicksalhaftigkeit und Tragik. Kesey legt anhand der Zusammenhänge und Beziehungen, die sich in einem zunächst wirr anmutenden Vor und Zurück in den Zeitebenen und von bis zu sechs Ich-Erzählstimmen dargeboten entfalten, eiskalt all die Verletzungen, Deformationen und Vernarbungen bloß, die mit Leben, wie sie diese Menschen führen, einhergehen. Der amerikanische Traum ist ein imaginäres Trostpflaster auf den Verheerungen der Zeit. Und sein Zwilling, der Albtraum, lauert hinter jeder Ecke, in jedem dunklen Winkel.

SOMETIMES A GREAT NOTION ist ein großartiges Buch, vielleicht jene ‚great american novel‘, auf die das Publikum ja angeblich immer noch sehnsuchtsvoll wartet. Keseys Roman, der formal viel außergewöhnlicher ist als sein Vorgänger, erzählt im Grunde die traditionelle, uramerikanische Pioniergeschichte noch einmal. Nur mit anderen Mitteln und aus einer anderen Perspektive (oder, besser: Aus unterschiedlichen Perspektiven, eben auch jenen, die sonst in der großen amerikanischen Erzählung eher zu kurz kommen, bspw. die der Frauen), was aber auch für Melville, London, Faulkner oder McCarthy gilt. Übrigens auch mit den zugehörigen kritischen Anmerkungen hinsichtlich Standort der Erzählung und der allgemeinen Perspektive. So ist Kesey sich zwar durchaus der Umweltzerstörung bewußt, die die Arbeit der Stampers anrichtet (und untersucht somit auch die Ebene, daß [weiße] Amerikaner das Land eher be-kämpfen, es zu besiegen und zu unterwerfen suchen, anstatt mit ihm zu leben), die Bezüge zu den Indianern aber, die gerade hier im Nordwesten massiv verdrängt wurden, fehlen dem Werk nahezu komplett. Kesey untersucht – wie es beispielsweise John Ford in seinen Filmen getan hat – zumeist die Befindlichkeiten weißer Amerikaner. Obwohl er selbst durchaus ein waches Bewußtsein für die Belange der Ureinwohner hatte, wie ja nicht zuletzt die Figur des Chief Bromden beweist, der uns die Geschichte aus der Psychiatrie in ONE FLEW OVER THE CUCKOO’S NEST erzählt.

Was nun machen Paul Newman und sein Team aus dieser Arbeit? Man könnte gerade anhand dieser Verfilmung abheben auf Literaturverfilmungen generell und die Schwierigkeiten aufzeigen, die diese meist bereiten. Dann allerdings fällt einem wieder ein, daß laut James Monaco[1] nahezu 87 % aller Filme auf literarischen Vorbildern beruhen, und seien es die billigsten Groschenhefte. Wo also wollte man mit der Betrachtung der „Literaturverfilmung“ beginnen? Und doch – es gibt sie, die Filme, die zu eindeutig genau dieser Gattung entsprechen, als daß man die Vorlage ignorieren könnte. Also muß man konstatieren: Drehbuchautor John Gay und Regisseur Paul Newman haben Keseys komplizierten Text entschlackt, gerafft, für die Leinwand eher Überkandideltes oder zu Kompliziertes/Komplexes (u.a. die multiplen Erzählpersepktiven) weggelassen und dennoch eine kohärente, fesselnde und geschlossene Erzählung abgeliefert. Allerdings – und man kann lange streiten, wieso das so ist – haben sie mit der formalen Straffung auch einen wesentlichen Aspekt aus der Geschichte genommen, sie sozusagen entkernt: Das Gerissene, die Subversion, das Zersprungene, das Keseys Buch auszeichnet, geht verloren und auf einmal bleibt die fast reaktionär anmutende Geschichte einer unversöhnlichen und kompromißlos harten Familie, deren Motto – Never Give a Inch (Fehler inklusive) – stellvertretend für den amerikanischen Siedler par excellence stehen könnte.

John Ford, der zu einer anderen Zeit in anderen Kontexten Filme machte und seinen Teil zum amerikanischen Mythos beitrug, John Ford hätte diese Familie so zeigen können und es wäre ihm dennoch gelungen – man denke nur an die Edwards- und Jorgenson-Familien in THE SEARCHERS (1956) – das Dysfunktionale auszustellen, ohne die Idee der Familie preiszugeben. Doch war dies im Jahr 1970 kaum mehr möglich, nach dem „gathering of the tribes“, jener Hippie- und Freakversammlung im Januar 1967 im Golden Gate Park in San Fransisco. Junge Menschen hatten längst beschlossen, daß die Familie nicht länger der Hort der Glückseligkeit sei, Romane wie Steinbecks späteres Werk EAST OF EDEN (1952) hatten ihr Eigenes geleistet, die amerikanische Familie als Kern, Hort und Saat amerikanischen Pioniergeistes zu dekonstruieren und Ken Kesey hatte nun in mancherlei Hinsicht dazu beigetragen, die biologische Familie obsolet zu machen und den Clan, den Stamm, die selbstgewählte Gruppe als „neue“ Familie zu etablieren. Newman, der die Regie eher unwillig übernommen hatte, und Gay führen hier aber die Familie als starken Verbund wieder ein, setzen sie sozusagen wieder in ihr Recht, dies aber ohne Keseys drastische Infragestellung der Familie als Wert an sich allzu stark zu betonen. Fonda, den man in den Jahren zuvor in einigen unsympathischen Rollen hatte bewundern dürfen – allen voran natürlich der Frank in Leones ONCE UPON A TIME IN THE WEST (1968) – gelingt es, den alten Henry in etwa so zu zeigen, wie das Buch ihn auch charakterisiert: ein eigenwilliger und eigenbrötlerischer Mensch, desinteressiert an den Bedürfnissen und Belangen anderer, egozentrisch und bärbeißig, ein Mann, der Frauen vor allem als Zuchtstuten betrachtet, die die Familie zusammen zu halten haben und ansonsten dafür sorgen sollen, daß (möglichst männlicher) Nachwuchs bereit steht. Das funktioniert und transportiert auch am ehesten jenen Geist der Familie Stamper, die das Buch einerseits so monströs, andererseits so mächtig, weil jenseits aller Normen und gesellschaftlichen Konventionen zeigt.

Doch Newman als Hank Stamper funktioniert dann eben nur noch bedingt. Seine strahlend blauen Augen, sein aufrechter Gang, sein immer von Glanz und Gloria ebenso wie von leichter Ironie beweihter Ausdruck – man nimmt ihm den in seiner eigenen Tragik gefangenen Hank nicht ab. Zumindest nicht in dem Sinne, wie der Roman die Figur anlegt. Dort ist Hank gnadenlos zu sich und anderen, wenn es um die Arbeit und darum geht, seinen Willen durchzusetzen. Kesey zeichnet ihn im Sinne des nietzscheanischen Übermenschen als jemanden, der in der eben erwähnten Tragik durchaus bereit ist gegen die Götter, das Schicksal und die Bedingungen seiner Zeit anzurennen und das Unmögliche zu versuchen. Diese Haltung gipfelt in jener Szene, die literarisch unvergesslich ist, im Film in ihrer Drastik zumindest in Erinnerung bleibt, als Joe Ben, den Richard Jaeckel mit jungenhaftem Übermut gibt, unter einem herabstürzenden Baumstamm eingeklemmt und dort von der Flut überrascht wird, die den Fluß ansteigen und den Eingeklemmten langsam, sehr langsam unter die Wasserlinie sinken läßt. Hank versucht über Stunden seinen Freund und Cousin per Mund zu Mund-Beatmung am Leben zu halten, wider jede Vernunft und Wahrscheinlichkeit. Und es ist der gleiche Wille, der ihn schließlich, nur mit der Hilfe seines ihm alles andere als wohlgesonnen Bruders, das Unmögliche möglich machen und die gesammelten Stämme zu Flößen gebunden den Fluß hinunter bringen läßt. Gegen den Willen der Götter und der Gewerkschaft. Doch ist dies im Buch ein bitterer Triumph, denn es ist praktisch die letzte Grenze, die Hank Stamper noch im Kreis menschlicher Würde sein läßt, Newmans Stamper hingegen ist schließlich ein Gewinner, wenn er, auf dem Ertrag des Sommers sitzend, mit einem Bier in der Hand seinen früheren Kollegen zuprostet. Da ist er einfach Paul Newman, der eben immer gewinnt, den nichts und niemand so einfach aus der Bahn wirft. So sehr Newman gerade in frühen Jahren gewillt war, Verlierer und Verlorene zu spielen, ihm haftet dieses Image des ‚All american boy‘ an, eines Kerls, den man zwar schlagen, aber niemals besiegen kann. Newmans Image, seine Leinwandpersona, waren 1970 bereits zu deutlich festgelegt.

So gelingt dem Film schlußendlich keine wirkliche Umsetzung dessen, was Keseys Buch bietet. Doch filtern die Filmemacher daraus eine spannend erzählte Geschichte, die nicht nur Potenzial für Action und Drama bietet, sondern zumindest ansatzweise auch die tiefer liegenden Konflikte andeutet, die den Roman so groß machen. Als reiner Spannungsfilm, als Drama um eine Familie, die sich nicht unterkriegen läßt und gegen die Unbilden der Witterung ebenso, wie gegen die der Gesellschaft ihr „Ding“ durchzieht, funktioniert SOMETIMES A GREAT NOTION durchaus gut. Und in gewisser Weise wird hier der deutsche Titel – SIE MÖCHTEN GIGANTEN SEIN – dem tieferliegenden Konflikt, den die Geschichte in sich trägt, sogar gerecht(er). So kann man Newmans Film durchaus empfehlen, nicht jedoch, ohne auf den brillanten Roman hinzuweisen, der ihm zugrunde liegt. Beides lohnt auf seine Weise.

[1] Monaco, James: FILM VERSTEHEN. KUNST, TECHNIK, SPRACHE, GESCHICHTE UND THEORIE DES FILMS UND DER NEUEN MEDIEN. MIT EINER EINFÜHRUNG IN MULTIMEDIA. Reinbek, 2009. (5. überarbeitete und erweiterte Neuausgabe).

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