DIE RASTLOSEN/INCIDENCES

Philippe Djian wagt den Aufbruch zu neuen literarischen Ufern und nimmt uns und seinen Stil mit...

Vielleicht sollte man keine Rezensionen zu Autoren, Musikern oder Filmemachern schreiben, die man verehrt, denen man einiges verdankt, die einen begleitet haben. Vielleicht kann man nie neutral genug sein, um dann nicht eben doch seiner Enttäuschung Ausdruck zu verleihen, wenn das Idol seine Kraft verliert oder schlichtweg etwas anderes ausprobieren will.

Philippe Djian schrieb in den 80er Jahren BETTY BLUE und schuf damit ein Buch, das für die heute 45-55jährigen zum Kultbuch avancierte, eine Generation prägte, wie früher Marguerite Duras oder auch Sartre mit seiner Existenzialphilosophie. Djian erzählte etwas anderes: Er erzählte davon, wie man weitermacht nach den großen Erzählungen (nicht umsonst fällt sein Schreiben in die Hochphase dessen, was man „Postmoderne“ nannte, begann er seine Erzählungen kurz, nachdem Lyotard uns allen erklärt hatte, daß es die „großen Erzählungen“ nicht mehr gäbe), wie man nach den Idealen und dem Verrat an selbigen weitermacht, wie es weitergeht, wenn die Birne qualmt von all den Drogen und man aufwacht und der Morgen graut. Und davon erzählte er mit einer Verve und dennoch auch einer Lakonie, daß es eine Freude war.

Vielleicht hätte er dann aufhören sollen. Oder wir hätten aufhören sollen, ihn zu lesen. Denn auch Philippe Djian wird älter und man fragte sich die vergangenen 20 Jahre: Wie will er uns davon erzählen? Vom Altern und vom Verlust? Das tat er dann, indem seine Helden nicht mehr unterwegs, sondern (inklusive meist gescheiterter Familienverhältnisse) irgendwo seßhaft geworden waren. Das waren dann genervte Männer, die versuchten, ihre (sexuelle) Würde zu bewahren, Mütter, die sich nicht damit abfinden wollten und konnten, Mütter zu sein und Töchter, die mal ihren Müttern nacheifern, mal genau das Gegenteil sein wollten. Man konnte sich auch mit diesem Personal anfreunden.

Nun aber – ähnlich wie in SIRENEN und SCHWARZE TAGE, WEISSE NÄCHTE oder auch seiner sechsteiligen „Soap Opera“ DOGGY BAG – greift er auf das Repertoire der geschlossenen und an Spannungsromanen geschulten Erzählung zurück. Ein mit seiner Schwester abgeschieden im Wald lebender Dozent für „Creative Writing“ verlustiert sich regelmäßig mit verschiedenen Studentinnen. Eines Morgens liegt eine davon tot in seinem Bett. Was macht man da? Um Schwierigkeiten zu vermeiden, läßt dieser Mann – Marc – die Leiche einfach in einer nur ihm bekannten Erdspalte im Gebirge verschwinden. Auf diese greift er im Laufe der Handlung noch einige Male zurück. Nun heftet sich einerseits die Mutter der „verschwundenen“ Studentin an seine Fersen (und er, Marc, mag es kaum glauben: er verliebt sich), desgleichen aber auch die vollkommen untalentierte aber willige Studentin Annie, deren Vater ein örtlicher Gangsterboss ist, wie Marc schmerzlich feststellen darf. Djian treibt diese Versuchsanordnung bis zum Äußersten. Das Verhältnis Marcs zu seiner Schwester (inzestuös), deren gemeinsame Vergangenheit mit einer offenbar seelisch schwer erkrankten Mutter und einem hilflosen Vater, Marcs Versuche, sich gegen seinen Referatsleiter zu wehren, welcher zugleich Marcs Schwester begehrt – dies sind die Ingredienzien dieses literarischen Rezepts.

Sicher – Djian läßt uns nicht mehr an all den säuischen Schweinereien teilnehmen, wie einstmals. Auch gelingen ihm nicht mehr diese Bilder, die einen Roman wie BETTY BLUE oder auch die beiden Nachfolger VERRATEN UND VERKAUFT und RÜCKGRAT zu etwas so Besonderem machten – seien es die Zeitungen, die „morgens aus dem Norden und mittags aus dem Süden angeweht kommen und die alle den gleichen Sche…. erzählen und wir sitzen mitten drin“, sei es diese Fähigkeit, aus Alltäglichkeiten wie dem Kochen eines Chilis oder dem Öffnen einer Bierflasche an der Tischkante ein Abenteurer zu machen. Aber dennoch hat man es hier mit dem Djian-Sound zu tun. Er versteckt Wesentliches zwischen den Zeilen, manchmal präsentiert er einem immer noch Szenisches, was man erst gar nicht glauben mag (besonders eine Stelle gleich zu Beginn, als Marc neben der toten Studentin hockt und eine Erektion bekommt, aus „Zeitmangel“ jedoch von „Weiterem“ absieht) usw. Doch kommt diesmal zweierlei hinzu, das für Djian nicht gänzlich untypisch, jedoch eher ungewöhnlich ist: ein offen ausgespielter Humor einerseits, ein echtes und tödliches und endgültiges Drama andererseits. Diese Geschichte geht den „ganzen Weg“ und sie geht ihn konsequent.

Auf gewisse Weise könnte man sagen, daß man es hier mit Djians erstem Horrorroman zu tun hat. Denn dieser Marc ist ein sensibles Monster, ein „Biest“, das sich seiner „Biestigkeit“ nur eingeschränkt bewußt ist. Und das, was um ihn herum passiert und was er entfacht, ist schlichtweg monströs. Nur erzählt Djian es nicht auf die einem Schauerroman angemessene Art und Weise. Er erzählt es eben auf die Djinaweise. Und die läßt einen immer erst beim zweiten Nachlesen erschauern.

Vielleicht sollte man seinen Idolen nur begrenzt folgen. Philippe Djian bemüht sich, seinen Stil, der ihm ja immer derart wichtig war, auch hinüber zu retten in den Bereich des Altersschreibens. Man kann ihm nur zurufen: Weiter so! Das ist schon in sich stimmig und es leuchtet und es macht Laune, das zu lesen. Es ist vielleicht nicht mehr ganz so relevant, nicht mehr so zwingend, wie es das vor 25 und mehr Jahren gewesen ist. So what? Es macht Spaß, das zu lesen. Dann ist es eben gute und manchmal tiefgründige Unterhaltung. Wer uns drei solche Romane wie BETTY BLUE und seine Nachfolger geschenkt hat, hat durchaus das Recht, auf seine alten (älteren) Tage etwas zur Ruhe zu kommen und seinen so lang erprobten Stil auch an vermeintlichem Genre/Spannungsliteratur auszuprobieren.

Warum denn nicht?

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