DIE VERACHTUNG/LE MÉPRIS
Jean-Luc Godards Meisterwerk über die Liebe, den Film und die Wechselwirkungen von Wirklichkeit und Film-Realität
Ein Mann und eine Frau liegen gemeinsam im Bett, er bekleidet, sie nackt. Sie fragt ihn, ob er sie mag, sie schön findet. Er bejaht. Sie fragt einzelne Körperteile ab und immer bejaht der Mann. Es sind der Schriftsteller Paul Javal (Michel Piccoli) und seine Frau Camille (Brigitte Bardot).
Paul hat das Angebot, für den amerikanischen Filmproduzenten Jeremy „Jerry“ Prokosch (Jack Palance) das Drehbuch zu seinem neuesten Film umzuschreiben. Es handelt sich um die Verfilmung der ODYSSEE. Regie führt der berühmte Regisseur Fritz Lang (Fritz Lang).
Paul, Prokosch und Lang treffen sich in Cinecittá, der Filmstadt bei Rom. Prokosch bietet 10.000 Dollar für Pauls Dienste. Der kann das Geld sehr gut gebrauchen, da er für Camille und sich gerade eine schicke Neubauwohnung in Rom gekauft hat.
Prokosch und Lang diskutieren scheinbar die immergleichen Themen hinsichtlich des Films und der Art, wie er zu realisieren sei. Lang will eine klassische Verfilmung, Prokosch möchte den Stoff modernisieren. Paul lauscht dem Streit und schaut sich ein wenig von dem Material an, das Lang bereits gedreht hat.
Nach der Vorführung erscheint Camille ebenfalls im Studio. Prokosch lädt alle zu sich auf einen Drink ein, doch könne er nur eine Person in seinem Sportwagen mitnehmen. Die Übersetzerin Francesca (Giorgia Moll), die die ganze Zeit zwischen Prokosch und Paul vermittelt, da beide nicht die Sprache des andern sprechen, fährt mit dem Fahrrad, Paul drängt Camille, mit Prokosch zu fahren, er käme mit dem Taxi nach.
Obwohl Camille sich wehrt, fährt sie schließlich mit dem Produzenten.
Paul erscheint viel zu spät in der Villa des Produzenten, was Camille ihm verübelt. Es habe einen Unfall mit dem Taxi gegeben, er habe sich ein anderes suchen müssen. Deutlich spürbar herrscht Spannung zwischen den Eheleuten. Die wird verstärkt, als Paul auch noch mit Francesca flirtet, was Camille mitbekommt. Sie will nachhause. Bevor sie fahren, lädt Prokosch beide in seine Villa auf Capri ein, dort könnten sie Zeugen der Dreharbeiten werden.
Zurück in ihrer Wohnung geraten Camille und Paul in Streit. Sie diskutieren lange die Frage, wer wen noch liebt, nicht mehr liebt, wieder liebt. Immer wieder kommt der Kauf der Wohnung zur Sprache, die Paul nach eigener Aussage nicht gebraucht hätte, wodurch Camille sich als gierig und luxussüchtig dargestellt sieht. Die beiden bereiten während des Streits ein Essen vor, decken den Tisch, gehen baden, ziehen sich wieder an, decken den Tisch – ohne gegessen zu haben – wieder ab. Paul wird immer wütender, da Camille oft nur in Halbsätzen und Andeutungen redet. Schließlich schlägt er sie, was für sie ein Schock ist. Zudem steht die ganze Zeit die Frage im Raum, ob man Prokosch´ Einladung nach Capri annehmen soll oder nicht. Camille wirft Paul dabei auch vor, daß er sie allein mit Prokosch gelassen habe. Immer wieder will Paul wissen, ob der sich an ihr vergriffen habe, nie antwortet sie eindeutig darauf.
Abends trifft man sich mit Prokosch und Lang in einem Theater. Hier werden die Zuschauer Zeugen einer etwas seltsamen Aufführung, scheinbar ist eine Laientruppe am Werk. Nach der Vorstellung will Prokosch erneut wissen, ob die beiden nach Capri kämen. Erneut bekommt er keine eindeutige Antwort. Lang erklärt, er würde sich freuen, Paul und Camille wiederzusehen.
Auf Capri treffen sich alle wieder. Lang hat sein Filmteam dabei, unter anderem seinen Assistenten (Jean-Luc Godard). Hier kommt es erneut zu einer Situation, in der Paul Camille mit Prokosch allein lässt. Die Spannungen zwischen den Eheleuten sind nicht mehr zu übersehen. Aber auch zwischen Paul und dem Produzenten kommt es zu einer Auseinandersetzung.
Hatte sich Paul zunächst offen gezeigt für Prokosch´ Interpretation des Odysseus-Stoffes, bei der es darum geht, daß der Held möglicherweise gar nicht zu Penelope zurück wollte und die Odyssee deshalb auch eine gewollte Reise gewesen sei, lehnt er diese nun ab und schließt sich Lang an, der nach wie vor eine klassische Interpretation vorzieht.
Paul erklärt nun, daß er das Drehbuch nicht schreiben wolle. Eigentlich, so behauptet er, der bisher vor allem Kriminalliteratur verfasst hat, eigentlich habe er immer für das Theater schreiben wollen.
Bei einem Schwimmausflug erklärt Camille Paul, daß sie ihn nicht nur nicht mehr liebe, sondern mittlerweile auch verachte. Sie wolle weg von der Insel, weg von ihm. Prokosch, der nach Rom zurückgerufen wurde, bietet ihr an, sie mitzunehmen. Dabei bleibt sowohl offen, ob er weitergehende Absichten hegt, als auch die Frage, ob Camille ihrerseits Gefallen an dem Produzenten gefunden hat.
Paul findet einen Brief von Camille, in dem sie ihm noch einmal mitteilt, daß sie ihn verlasse und mit Prokosch nach Rom gefahren sei. Während Paul den Brief liest, sehen wir, wie Prokosch an einer Tankstelle Gas gibt, dabei einen Tanklaster übersieht und seinen Wagen genau in die Lücke zwischen Zugwagen und Anhänger setzt. Prokosch und Camille sterben beide bei dem Unfall.
Paul verabschiedet sich von Fritz Lang. Er fragt den Regisseur, was der nun zu tun gedenke. Er drehe den Film zu Ende, antwortet Lang. Während Paul die Insel verlässt, sieht man die Aufnahmen zu einer Szene mit dem Helden Odysseus.
Carlo Ponti darf man getrost als einen der wesentlichen italienischen Filmproduzenten der Nachkriegszeit bezeichnen. Gemeinsam mit Dino de Laurentiis baute er Cinecittà zu jenem Komplex aus Filmstudios aus, der vor allem aus Kostengründen in den 50er und 60er Jahren große Hollywood-Produktionen nach Europa lockte. Er verzeichnete Erfolge mit Filmen wie LA STRADA (1954) von Federico Fellini, Mario Camerinis ULISSE (1955) oder King Vidors WAR AND PEACE (1956), einer jener internationalen Monumentalproduktionen, die Stars wie Henry Fonda und Audrey Hepburn besetzten. Er war auch maßgeblich für filmische Neuerungen verantwortlich. Er war Miterfinder jener Episodenfilme, die mehrere Star-Regisseure verpflichteten und dem Kino in Zeiten des Fernsehens neue Geltung verschaffen sollten. Eher selten ließ sich Ponti mit dem sogenannten Kunst-Kino ein. Allerdings wusste er natürlich, daß sich in einem Produzenten-Portfolio auch jene Regisseure gut machten, die in den Jahren nach dem Krieg für die künstlerischen Neuerungen verantwortlich zeichneten. Regisseure wie Vittorio de Sica, François Truffaut oder Jean-Luc Godard.
Godard war mit seinem Debutfilm, À BOUT DE SOUFFLE (1960), in die Riege der Regiestars des Arthouse-Kinos aufgestiegen. Hatte in den Folgejahren bewiesen, daß er als ernstzunehmende Stimme im Kino überzeugen konnte und wurde damit für einen Mann wie Ponti immer interessanter. Der hielt die Rechte an Alberto Moravias Roman IL DISPREZZO (DIE VERACHTUNG; erschienen 1954) und bot Godard die Regie an. Godard nahm an – eine der wenigen Auftragsarbeiten in seinem Oeuvre – und schuf trotz eines fremden Drehbuchs und trotz der wiederholten Eingriffe Pontis während der Dreharbeiten einen Film, der zwar nicht sein erfolgreichster wurde, heute aber zu einem seiner wichtigsten gezählt wird.
Godard schuf ein Werk, das nominell als Ehedrama daherkommt, dabei aber mindestens in gleichem Maße von der Filmarbeit berichtet und dem Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Kommerz und dessen subtextuelles Thema im Grunde Kommunikation ist. Ein Krimischriftsteller soll für einen amerikanischen Produzenten das Drehbuch zu einer Verfilmung der ODYSSEE umschreiben, da der Amerikaner mit der Arbeit des Regisseurs nicht zufrieden ist. Der Autor überlegt hin und her und macht die Entscheidung auch von seiner Frau abhängig, mit der er zunehmend in eine Ehekrise schlittert. Am Ende des Films wird die Ehe gescheitert sein und es wird kein neues Drehbuch geben. Aber der Autor – und der Zuschauer – wird eine Menge gelernt haben über die Verbindungen klassischer Texte und des modernen Lebens.
Michel Piccoli spielte den Autor Paul Javal, seine Frau Camille wurde von der damals im Zenit ihrer Karriere stehenden Brigitte Bardot gespielt, den Produzenten Jeremy Prokosch gab Jack Palance und der Regisseur des zu drehenden Films wurde von Fritz Lang dargestellt – in der Rolle als Fritz Lang, der auch im Film als Regisseur engagiert wurde. Eine hochkarätige Besetzung, die für Ponti vor allem Kassenpotential bedeutete, für Godard hingegen Reflexionspotential darstellte, womit er Grundlegendes über das Kino und seine Bedeutung, über die Wirkmacht der Bilder und die Frage nach Wirklichkeit und Film-Realität aussagen konnte. Ponti griff während der Dreharbeiten mehrfach in den Prozeß ein, da er die Bardot vor allem nackt auf der Leinwand sehen wollte. Godard konterte mit einigen der interessantesten und hintergründigsten Nacktaufnahmen, die es im Film je gegeben hat. So eröffnet LE MÉPRIS (1963) mit einer Szene, in der die nackte Bardot den halb angezogenen Michel Piccoli über ihren Körper ausfragt: „Gefallen Dir meine Füße?“ – „Gefallen Dir meine Fesseln?“ – „Gefallen Dir meine Schenkel?“ – „Gefallen Dir meine Brüste?“. Und genau damit beginnt das Spiel mit Zeichen und Versatzstücken, das Godard den ganzen Film hindurch spielen sollte.
Die Fragen, die Brigitte Bardot scheinbar an ihren Gatten stellt – und auf dieser Ebene sind sie wesentlich, da sie die Fallhöhe der später einsetzenden Krise definieren – stellt sie natürlich auch an das Publikum, zumindest die Männer im Publikum. Männer, die sich möglicherweise nie einen Film von Jean-Luc Godard angeschaut hätten, wenn es nicht die Aussicht auf eine nackte Brigitte Bardot gegeben hätte. Es beginnt das Wechselspiel zwischen Leinwand und Kinosaal, das für diesen Film so wichtig ist, das aber Godards Karriere so oder so bestimmte. Godard, der auch gern als „Denker in Bildern“ bezeichnet wird, arbeitete vor allem ab den späten 60er Jahren, als seine „experimentelle“ Phase begann, ununterbrochen daran, die „vierte Wand“ – also jene unsichtbare Schranke zwischen der Kamera und dem Zuschauerraum, die vor allem das amerikanische Kino (bis heute) beherrscht – niederzureißen.
Godard hatte auch in seinen unmittelbar zuvor gedrehten Filmen Frauen in den Mittelpunkt gestellt. Ob Jean Seberg in À BOUT DE SOUFFLE oder Anna Karina in UNE FEMME EST UNE FEMME (1961) oder in VIVRE SA VIE (1962) – moderne Frauenfiguren waren für Godard wesentlicher Bestandteil seiner Filme. Die Frauenfiguren, die Karina darstellt, arbeiten beide im weitesten Sinne in der Sex-Industrie, die eine als Stripperin, die andere als Gelegenheitsprostituierte. Für Godard wurde auch in späteren Werken Prostitution zu einer
Metapher für eine alle Lebensbereiche durchdringende Ökonomie. Ausgebeutet wurde – im marxistischen Sinne – eben nicht nur die Arbeitskraft, sondern der Kapitalismus, wie Godard ihn sieht und definiert, beutet auch Emotionen und Beziehungen aus. Die Liebe wird zu einem Geschäft, einer Handelsware, einem Gut. In LE MÉPRIS wird Camille von ihrem Mann zweimal in Situationen gebracht, die berechnend wirken, um sich die Gunst und Zuneigung des Produzenten zu sichern. Der zeigt sein Interesse an der Gemahlin seines Autors ganz offen und reagiert fast schon brüsk, als diese sich widerspenstig zeigt. Javal selbst steht unter ökonomischem Druck, da er für sich und seine Frau eine teure Neubauwohnung in Rom gekauft hat, die er mit den Einnahmen für das Drehbuch auf einen Schlag abbezahlen könnte- Diese Wohnung wird im Verlauf des Films und den dargestellten Auseinandersetzungen zwischen Camille und Paul immer wieder eine wesentliche Rolle spielen. Sie ist vordergründig das Objekt, das den wirtschaftlichen Druck symbolisiert, zugleich ist sie aber auch ein Symbol für die Bruchstelle dieser Beziehung. Denn mehrfach beteuert Paul, er habe diese Wohnung weder gewollt noch gebraucht. Sie scheint aber einem Lebensstil zu entsprechen, den er einer Frau wie Camille bieten zu müssen meint. Ökonomie, Materialismus und Emotionen werden so in eine nicht mehr entwirrbares Geflecht von Beziehungen verstrickt, welches zwar nicht direkt Prostitution entspricht, jedoch andeutet, daß im modernen Leben die Ebenen auch nicht mehr direkt voneinander abzutrennen sind.
In einer – wenn nicht der – Schlüsselszene des Films, einem schier endlosen Dialog zwischen Paul und Camille in eben jener Wohnung, der sich scheinbar um die Frage dreht, ob man mit Prokosch in dessen Villa auf Capri fährt oder überhaupt sich noch einmal mit dem Produzenten treffen mag, tänzelt das gesamte Gespräch immer wieder um den Fakt, die Wohnung gekauft zu haben und bezahlen zu müssen. Camille stellt auf einmal ihre Liebe zu Paul in Frage, was dieser ebenso resignativ wie wütend registriert. Schließlich schlägt er sie, weil sie seinen direkten Fragen ausweicht, dauernd das Thema wechselt, Dinge andeutet und doch nie offen ausspricht und nebenbei den Tisch deckt, nur um ihn dann, weil sie nun doch keinen Hunger habe, wieder abzudecken. Für den Zuschauer ist diese Szene in ihrer scheinbaren Banalität (und der überaus präzisen Beobachtung moderner Eheprobleme) mindestens so enervierend, wie sie es für Paul ist. Dem kommen seine Gewißheiten – nicht zuletzt hinsichtlich seiner Beziehung zu Camille, die anfangs, in der Bettszene mit der nackten Brigitte Bardot – vollkommen abhanden. Er will das Drehbuch eigentlich nicht schreiben, er braucht aber das Geld, er fühlt sich von Camille mißverstanden und von Prokosch unter Druck gesetzt. Und dann ist da der Regisseur, Fritz Lang, die Legende, die über all diesen irdischen Zwistigkeiten zu schweben scheint, ohne daß sie ihn noch berührten. Er ist ihnen enthoben, er ist im Pantheon.
Die Auseinandersetzung zwischen Prokosch und Lang über das Wesen der Odyssee – Prokosch will eine moderne Interpretation, die darauf hinausläuft, daß Odysseus schlichtweg keine Lust hatte, nachhause zu kommen, nachdem er maßgeblich daran beteiligt war, den Trojanischen Krieg zu gewinnen, da er Penelope nicht mehr ertragen konnte – führt zu Reflexionen über das Wesen der Götter, über das Schicksal und darüber, inwiefern wir ihm ausgeliefert sind. Lang will eine klassische Verfilmung, bietet seinen Auftraggeber aber vor allem künstlerisch hochwertige, leicht verfremdete Aufnahmen antiker Statuen der Helden der Odyssee. Und er verweist Prokosch in die Schranken, als er erklärt, dieser solle nie vergessen, daß die Menschen die Götter geschaffen hätten, nicht die Götter die Menschen. Das ist einer der Kernsätze in LE MÉPRIS, ausgesprochen von einem Gott. Der Film, manipulativ in seinem Überwältigungspotential und den Zuschauer in eine Passivität versetzend, nimmt selbst eine göttliche Stellung ein. Wir nehmen und glauben, was wir sehen. Der Regisseur, als eigentlicher Erschaffer der Bilder, ist also eine Art Zeus, ein Göttervater, dessen Visionen wir nicht nur für bare Münze nehmen, sondern der wir auch folgen, nahezu uneingeschränkt. Zumindest, wenn der Regisseur ein Künstler ist. Godard lässt keinen Zweifel daran, daß Fritz Lang für ihn zu einem der Götter des Kinos gehört. Ihm zu Ehren spielt er in einige Szenen seinen Assistenten und schreibt damit – nicht ganz uneitel, nicht ganz uneigennützig – sich und seinen Film ebenfalls der Filmgeschichte ein.
Der Film – und da bildet sich eine klare Linie in Godards Werk heraus – ist die wirklichere Wirklichkeit, er ist „die Wahrheit, 24 Mal in der Sekunde“. Film ist reiner als die Realität, er kann das menschliche Dasein in seinen tragischen wie komischen Facetten besser erfassen als jede Therapie, jedes Gespräch, jede Abhandlung oder Studie. So, wie die Epen des Homer das menschliche Dasein der Antike besser zum Ausdruck bringen als jedwede historische Beschreibung. Ihr Wesen, der Glaube, der diese Menschen antrieb oder auch anhielt, kommt gerade in den Werken der Antike zum Ausdruck. Die Mythenmaschine der Moderne ist in Godards Augen das Kino. Und zugleich ist das Kino das Instrument, diese Mythen zu dekonstruieren, sie als Mythen offenzulegen, auch bloßzustellen. So, wie Odysseus sich dem Willen der Götter beugen muß, zu einem Spielball ihrer Launen und Intrigen wird, so wie der gesamte Trojanische Krieg letztlich auf die Launen und Intrigen der Götter zurückging, so sind wir den Launen des Kinos, seiner Macher ausgeliefert. Und so auch wird Paul Javal zu einem Spielball der (vermeintlichen) Launen seiner Frau, dargestellt von einer Film-Göttin, wird zerrieben zwischen den Anforderungen des modernen Lebens und seiner ökonomischen Bedingungen, der Kunst, die er schaffen möchte (eigentlich, so erklärt er in einer Szene Lang gegenüber, wolle er fürs Theater schreiben) und dem Druck, den ein kommerziell ausgerichteter Produzent – Prokosch redet anfangs vor allem darüber, wie viel Geld der Film ihn schon gekostet habe – auf ihn ausübt. Nur der Gottvater, Fritz Lang, steht über all diesen Dingen und scheint einen klaren Blick auf den Stoff zu haben, dessen er sich angenommen hat. Erstaunlicherweise sieht man nie, wie Prokosch Druck auf seinen Regisseur ausübt. Fritz Lang wirkt unantastbar in LE MÉPRIS.
Film ist aber nicht nur eine Mythenmaschine der modernen Unterhaltungsindustrie, sondern in seiner Serialität und seiner immer schon herrschenden Verflechtung mit kommerziellen Abwägungen die vielleicht passendste und wesentlichste künstlerische Ausdrucksform der Moderne, also des 20. Jahrhunderts. Er ist ein Kommunikationsmittel. In einer Szene sehen wir ein Zitat des Vaters der Brüder Lumière, den Erfindern des Cinematographen: Film ist eine Erfindung ohne Zukunft. Es ist die Schrift, die dies zum Ausdruck bringt, die Godard aber – auch dies fortan ein wesentliches Merkmal seiner Filme – in das Bild integriert. Die reine Anwesenheit dieses Bildes ist der Beweis dafür, wie falsch Lumière Senior lag. Stattdessen hatte der Film 1963 eine beispiellose Karriere als führendes Medium hinter sich und steckte – aufgrund neuerer Erfindungen wie eben des Fernsehens – erstmals in einer Krise. Godard, der das Kino à la Hollywood, vor allem das Genrekino, liebte und zugleich dessen kommerzielle Ausrichtung verachtete, behauptete immer die Kunstfertigkeit dieses Mediums, obwohl er es vier Jahre später im Abspann von WEEK END (1967) für „beendet“ erklären sollte. Mythos und Moderne kommen schließlich in jenen Stars des Kinos zusammen, derer es laut des Studios MGM (Metro-Goldwyn-Mayer) in Hollywood mehr gäbe, denn am Himmel. Dem Spannungsverhältnis von Mythos und der „Errettung der äußeren Wirklichkeit“ (Siegfried Kracauer) spürte Godard immer nach. In LE MÈPRIS bringt er es vielleicht wie nicht davor und nie wieder danach auf einen Nenner. Denn in diesem Spannungsverhältnis ist auch immer eine mangelnde Kommunikation zu beobachten. Eine gewisse Sprachlosigkeit. Der berühmte Raum zwischen Sender und Empfänger, in dem die Botschaft durchaus verloren gehen kann, sich zumindest bis zur Unkenntlichkeit wandelt. So, wie der Mythos die Wahrheit, die geschichtliche Wahrheit, zurechtbiegt und in ein passendes Narrativ wandelt. Genau diese Kommunikationsprobleme, dieses Spannungsverhältnis stellt sein Film aus.
Nach dem Auftakt im Bett sehen wir Paul Javal, gemeinsam mit Camille, in seiner ersten Begegnung mit Prokosch. Eine Übersetzerin muß zwischen dem Französisch sprechenden Javal und dem Amerikaner vermitteln; später, in der langen Dialogszene zwischen Paul und Camille, werden wir Zeugen eines Kommunikationszusammenbruchs in einer Paarbeziehung; zwischen Prokosch und dem Regisseur Fritz Lang scheint ein grundlegendes Kommunikationsproblem zu herrschen, kommt man doch mit dem je unterschiedlichen Blicken auf die ODYSSEE und deren (Neu)Interpretation nie zusammen. Javal changiert, er neigt zunächst Prokoschs Lesart zu – auch, weil er darin eine Antwort auf die Frage zu finden hofft, warum Camille ihn verachtet, wie sie ihm eröffnet hat – schließt sich dann aber Lang und dessen Sichtweise und Haltung an. Wobei auch dabei unklar bleibt, ob dieser Umschwung wirklicher Überzeugung oder reinem Opportunismus oder gar einem Rachegefühl gegen Prokosch entspringt, dessen Auftauchen in Javals Augen explizit mitverantwortlich ist für Camilles plötzlich Abneigung gegen ihn, ihren Mann. Auf die Idee, daß es gerade sein Changieren, seine Uneindeutigkeit und sein (gelegentlicher) Opportunismus sind, die Camille abstoßen, kommt Paul Javal nicht. So gesehen hat er auch ein Kommunikationsproblem mit sich selbst.
Godard führt die drei Ebenen – Beziehungsprobleme, Film, Kommunikation – elegant zusammen und präsentiert dies alles im erhabenen Licht Roms und Capris. Kameramann Raoul Coutard fing die farblich manchmal verwaschen wirkenden Bilder für Godard ein. Ruhig sind sie, gelegentlich wirken sie wie erstarrt. Immer wieder bieten sie Symmetrien an, geometrische Anordnungen, wozu die Villa, in der auf Capri gedreht wurde, durch ihre außergewöhnliche Form beiträgt. Die Wohnung der Javals nutzt Coutard geschickt, um das Beziehungsgeflecht auf die Bildebene zu übertragen. Die Perspektivwechsel, die die Kamera innerhalb der Räume anbietet, korrespondieren zu den Perspektivwechseln, die Godard auf der inszenatorischen Ebene liefert. Der Schrecken, der uns durchfährt, wenn Piccoli die Bardot ins Gesicht schlägt und damit im Grunde den maximalen Kommunikationsabbruch provoziert, zu dem sie sich aber nicht hinreißen lässt, ermöglicht es uns erstmals, ihr Verhalten als etwas anderes wahrzunehmen, denn eine launische Zickerei. Das bisherige Objekt des männlichen Blicks, als das auch Godard die Bardot inszeniert, wird mit einem Mal zu einem Subjekt. Ein eigenständiges Subjekt, daß sich incht mehr einfach betrachten, gar begrapschen lässt. Und uns wird sozusagen mit einem Schlag offenbar, daß dieser an sich so ruhig und zurückhaltend wirkende Typ – Paul Javal – Abgründe birgt. Es ist einer der Momente im Bild, die hängen bleiben, die LE MÉPRIS zu dem außergewöhnlichen Film machen, der er ist. Und die Coutard kongenial auf die Bildebene zu übertragen versteht. Oft mit Totalen, Weitwinkeln und immer wieder amerikanischen Einstellungen.
Wenn die Literatur, vor allem im 19. Jahrhundert, dem Menschen – dem lesenden Menschen, natürlich – etwas über die Conditio humana erklären konnte, wenn die Romane von Balzac, Flaubert, Stendahl, Zola oder Hugo eine Nation über sich selbst aufklären konnten, dann bietet Jean-Luc Godard mit LE MÉPRIS den Film als adäquates Medium/Mittel des 20. Jahrhunderts an, um uns über uns selbst aufzuklären. Man muß sich auf die Verweise, Zitate und Korrespondenzen einlassen, die er nutzt, aufzeigt, sich anverwandelt, um zu begreifen, daß das bewegte Bild dem Menschen des 20. Jahrhunderts, dem „modernen“ Menschen, dem Menschen der Moderne, weitaus gerechter wird, als es die geschriebene Sprache noch vermöchte. Und doch will Godard von ihr nicht lassen. Sein Verweis auf Lang als einen der Götter des Kinos, mit all den Plakaten, die wir sowohl in Cinecittà als auch später in den Vorführräumen und den Kinos zu sehen bekommen, mit der Figur des Jeremy Prokosch als Prototyp des harten Produzenten, erklärt Godard uns nicht nur seine Abneigung gegen das „System Hollywood“, sondern eben auch, wie sehr wir bereits durch dieses System geprägt sind. Und es wird Götter – wie Lang, wie Godard selbst – brauchen, um die Grammatik des Films so auszuarbeiten, daß wir uns dem Medium und seinem Zauber zugleich hingeben können und sein Wirken decodieren. Um selbst Subjekte – historische Subjekte – zu werden.
Obwohl der Status des Films filmwissenschaftlich außer Frage steht, war er nur leidlich erfolgreich. Ponti aber hatte „seinen“ Godard, Godard seinerseits hatte einen sehr hintergründigen Film gedreht, der auf der Bildebene ausdrückte, was der Regisseur inhaltlich sagen wollte. Moravia soll mit der Verfilmung nicht sonderlich glücklich gewesen sein. Was man ihm kaum verübeln kann, interpretierte Godard Moravias Werk doch nicht nur eigenwillig, sondern auch sehr frei. Sei´s drum, dem Filmliebhaber, dem Cineasten, bleibt ein Werk des Kinos – und vor allem des Kinos – von außergewöhnlicher Schönheit und Hintergründigkeit. Ein Film, den zu schauen wieder und wieder lohnt. Ein Meisterwerk.