FRIEDHOF DER KUSCHELTIERE/PET SEMATARY

Eines der schrecklichsten Werke aus der frühen Phase des Großmeisters postmoderner Horror-Literatur

Die Familie Creed zieht nach Ludlow, in einen scheinbar geschützten Raum ländlicher Idylle. Sie schließen Freundschaft mit dem älteren Nachbarsehepaar Crandall. Jud Crandall erzählt Louis Creed, als der Familienkater stirbt, daß es im nahe gelegenen Wald einen Tierfriedhof gibt, der die Eigenart besitzt, die toten Tiere wieder auferstehen zu lassen. Doch kehrt Winston Churchill – so der Name des Katers – verändert aus dem Reich der Toten zurück. Als in einem tragischen Unfall Gage, der jüngste Sohn der Creeds, stirbt, kommt Louis auf die fatale Idee, den Leichnam seines Sohnes auf dem alten Friedhof im Wald zu begraben. Auch Gage kehrt zurück. Verändert…

PET SEMATARY (1983) ist einer der King-Romane aus seiner „klassischen“ frühen Periode, in der Großromane wie THE SHINING (1977), THE STAND (1978), CUJO (1981) oder CHRISTINE (1983) entstanden. Vielen ist gerade dieser Roman (ebenso wie die oft gelobte, oft verdammte Verfilmung von Mary Lambert, mittlerweile, Stand 2019, gibt es eine weitere) zu heftig. In den frühen 80er Jahren entstanden und  erschienen, fiel der Roman in die Zeit, in der Kings eigene Kinder noch verhältnismäßig klein waren. Wie er in seinem Vorwort der Neuauflage von 2000 schreibt, litt er damals sehr aus Sorge hinsichtlich ihrer Verletzbarkeit und verarbeitete diese Ängste in einer ganzen Reihe von Kurzgeschichten und eben diesem Roman. Wahrscheinlich sind es genau diese Ängste aller Eltern, die das Buch für viele so unerträglich machen. Der Verlust von Kindern wird hier gleich auf verschiedenen Ebenen thematisiert: Neben dem Tod des Sohnes der Familie Creed, Gage, ist es v.a. die Geschichte Zeldas, Rachel Creeds Schwester, die ebenso von Verlust – erst durch Krankheit, dann durch den Tod, der hier aber eine Art Erlösung ist – berichtet. Hinzu kommt die Frage, wie man Kindern gegenüber mit dem Tod umgehen soll? Sagt man ihnen, was es bedeutet, zu sterben? Setzt man sie der ganzen Unerbittlichkeit aus, die die Endgültigkeit des Todes nun einmal mit sich bringt? Oder erfindet man Geschichten, die umschreiben und verschleiern, was früher oder später doch jeder lernen muß? King spielt die verschiedenen Möglichkeiten durch. Und denkt sich darüber hinaus in die Frage hinein: Was, wenn ich es rückgängig machen könnte? Und wenn schon nicht rückgängig, was, wenn ich den Toten zurückholen könnte?

Damit stellt er sich großen Fragen und ein wenig greift er auf das zurück, was zum Thema schon gesagt/geschrieben wurde, in diesem Falle W.W. Jacobs Geschichte THE MONKEY`S PAW (1902 erschienen), eine klassische Gruselgeschichte, die King auch in früheren Werken bereits erwähnt hatte. Hier, in PET SEMATARY hat man es mit einer Art lang ausgewälzten „Affenpfote“ zu tun. Das Original umfasst ca. 4 Seiten, King braucht ca. 600, um seine Version zu erzählen. In beiden Storys, so könnte man sagen, wird der Satz „protect me from what I want“ sehr genau genommen. Bei Jacobs ist es ein Elternpaar, das eine magische Pfote besitzt, mit der sie ihren in der Fabrik in einer Maschine zermalmten Sohn zurückholen will und erst, als die schmatzenden Geräusche dessen, WAS da die Treppe herauf- und zu ihnen zurückkommt ertönen, begreift, daß es vielleicht besser ist, Totes tot zu belassen. Hier ist es der Indianerfriedhof, dessen Kräfte in der Lage sind, die Gestorbenen zurück zu holen. Allerdings, das erklärt der nachbarliche Freund Jud dem untröstlichen Louis Creed, sei der Wendigo, ein Dämon, ein Geist, der in den Wäldern haust, einst über den Friedhof gekommen und hätte den Boden berührt und so zu schlechtem Boden gemacht. So also sei nicht immer deutlich, ob das, was zurück käme, auch gut sei. Man hat es in beiden Geschichten, auch darauf sei verwiesen, also im Grunde mit Zombies zu tun, weniger mit Geisterscheinungen. Doch anders als in den herkömmlichen Zombiegeschichten, sind die „Untoten“ hier gewollt ins Leben zurück gerufen worden, sind sie erwünscht. Anders als Jacobs, der die hohe Kunst der Anspielung und Auslassung beherrschte und somit die alte, ungeschriebene Regel des Horror/Grusel/Spuk-Genres befolgt, wonach der größte Schrecken der Phantasie des Lesers entspringt, zieht King die Sache natürlich plakativ auf und so bleibt dem Leser hier wenig bis gar nichts erspart.

Dennoch ist dies interessanterweise eins von den weniger blutigen Büchern des Meisters. Zwar passieren einige unheimliche und auch blutige Dinge (v.a. der Tod des jungen Studenten Pascow, an Louis‘ erstem Tag, ist eine recht unschöne Angelegenheit), doch die wirklich grausigen Dinge geschehen fast ausschließlich auf den letzten 100 Seiten des Romans. Einmal mehr kann man also an PET SEMATARY Kings erzählerische Mittel, seine Ökonomie, sein Talent, Spannung aus psychologischen und zwischenmenschlichen Konstellationen zu beziehen, begutachten und bestaunen. Ihm gelingen – neben den immer sehr lobenswerten Dialogen, vielleicht seine größte Stärke – immer wieder Beschreibungen menschlicher Konflikte, die in der reinen Beschreibung klischeehaft anmuten, denen er aber geschickt so unerwartete und auch psychologisch stimmige Wendungen abgewinnt, daß sie weder abgestanden, noch verbraucht wirken. Und vieles wurde natürlich auch erst durch ihn zum Klischee.

Hier sind es einerseits die Probleme zwischen Rachel und Louis, v.a. wenn es um den Tod geht, aber auch die aus der Ehe resultierenden Konflikte mit Rachels Eltern, andererseits und mehr noch die beeindruckenden Schilderungen um die kranke und schließlich sterbende Schwester Zelda, die den Leser in ihren Bann ziehen. Das entfaltet auch deshalb solche Kraft, weil King in jenen Jahren vieles noch erstmals (be)schrieb und nicht, wie es heutzutage leider häufiger bei ihm anmutet, eine Art Zettelkasten im Kopf hatte, wo er genau die Figuren und Phrasen findet, die den Leser kingtypisch packen und ins Geschehen ziehen. Auf 600 Seiten gerechnet, haben wir es im Großteil der Geschichte mit einem gelungenen Ehe- und Familiendrama zu tun, in welches dann das Grauen einbricht: selbstverschuldet und gewollt.

Stephen King kann was. In Amerika wird der Unterschied zwischen E- und U-Literatur, also der hohen Schule und dem Trivialen, bei Weitem nicht so klar und deutlich gezogen, wie die europäische Kunst- und Literaturbeflissenheit das an den hiesigen Universitäten durchgesetzt hat. Was schade ist, weil man oft im vermeintlich „Niedrigen“, „Unterhaltsamen“ große Wahrheit und Wahrhaftigkeit finden kann. Und Vieles, was einst trivial anmutete, zur reinen Unterhaltung gezählt wurde, hat sich heute seinen Platz im Pantheon der „Großliteratur“ erkämpft. Poe oder Lovecraft seien erwähnt, in gewisser Hinsicht auch Robert Louis Stevenson. King schreibt vielleicht keine Weltliteratur, aber in seinen besten Momenten gelingt ihm schon Großartiges. 

PET SEMATARY gehört vielleicht nicht zu seinen Großwerken, aber unter den früheren, klassischen, sticht es doch heraus mit seiner Unerbittlichkeit und auch durch Kings Mut, die Dinge bis zum Letzten durchzuspielen, egal was es kostet. Immer noch wird es regelmäßig auf Listen als eines seiner beliebtesten Bücher geführt, was die These bestätigt, daß gerade  im Fach ‚Horror‘ das, was uns am meisten fürchten macht auch das ist, was uns immer weder anzieht und fasziniert. Unterhaltsam, bzw. spannend, ist dieser „Zombie-Roman mit umgekehrten Vorzeichen“ allemal. Auch wenn der eigentliche Schrecken erst spät, dann aber mit Macht über den Leser kommt.

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