HAIE DER GROSSSTADT/THE HUSTLER
Robert Rossens klassisches Verliererdrama
Der Billard-Crack Eddie Felson (Paul Newman), genannt ‚Fast Eddie‘, und sein Kumpel, Kompagnon und Manager Charlie Burns (Myron McCormick) kommen in die Großstadt, weil Eddie endlich aus den Spelunken und billigen Salons herauskommen und in die Riege der großen Spieler vorstoßen will. Er hofft, gegen Minnesota Fats (Jackie Gleason) antreten zu können, der landesweit als bester Billardspieler gilt.
Es gelingt dem großmäuligen Eddie, Fats zu einem Spiel zu animieren, das schließlich nahezu drei Tage dauert. Zunächst gewinnt Eddie auch, doch irgendwann muß er der Müdigkeit, seiner Hybris und vor allem den Mengen an Alkohol, den er während des Spiels zu sich nimmt, Tribut zollen. Abgebrannt und sturzbetrunken endet die Partie für Eddie und Charlie, der seinen Schützling gewarnt hatte, in der Pleite, einer absoluten Niederlage.
Zurück in ihrer Absteige, beschließt Eddie, ab nun auf eigene Faust weiterzumachen und lässt den schlafenden Charlie zurück.
In einem Busbahnhof, wo er sich auf den Toiletten frisch macht, fällt Eddie eine junge Frau auf. Er setzt sich zu ihr und flirtet mit ihr. Die junge Dame heißt Sarah (Piper Laurie), eine Trinkerin, die sich systematisch besäuft. Eddie, vollkommen übermüdet, schläft während des Gesprächs ein, Sarah zahlt seinen Kaffee und geht.
Eddie trifft Bert Gordon (George C. Scott), einen Wetthai und Pokerspieler, der das Spiel zwischen Eddie und Fats beobachtet hat. Er bescheinigt Eddie großes Talent, erklärt ihm aber, er sei ein Verlierer, weil es ihm an Charakter mangele. Eddie macht sich über ihn lustig und trumpft einmal mehr mit seiner Angeberei, er sei der beste Spieler, auf. Gordon lacht Eddie aus und bietet ihm an, sein Manager zu werden. Doch Eddie lehnt ab. Er glaubt, auf eigene Faust den Aufstieg zu schaffen, das Geld für eine Revanche gegen Fats zusammen zu bekommen.
An einem der folgenden Abende trifft Eddie erneut auf Sarah und diesmal nimmt sie ihn mit zu sich nachhause. Es entspinnt sich eine Liebesgeschichte zwischen den beiden, die vor allem von Alkohol befeuert wird. Sarah ist eine belesene, offenbar sehr gebildete Frau, die aber aus nicht näher erläuterten Gründen Angst vor der Welt hat, sich ihrer selbst nicht sicher ist und Zweifel an ihrem Leben hegt. Eddie seinerseits denkt vor allem an sein verlorenes Spiel und das verlorene Geld.
Eines Tages steht Charlie bei Sarah vor der Tür. Er bittet Eddie, sich wieder mit ihm zusammen zu tun. Als Eddie herausbekommt, daß Charlie am Abend des betreffenden Spiels noch Geld hatte, daß er ihm nicht gegeben hat, gerät er außer sich vor Zorn. Er zeigt Charlie, der zugibt, in seinem Alter vor allem von einem sicheren Lebensabend zu träumen, einem eigenen Billardsalon, seine Verachtung und verhöhnt ihn als schwächlich und kleingeistig. Er aber, Eddie Felson, strebe nach Höherem. Dann schmeißt er Charlie raus. Sarah, die den Disput mit anhört, ist zutiefst verletzt von Eddies Grausamkeit gegenüber einem väterlichen Freund. Doch Eddie kennt kein Mitleid.
Um an Geld zu kommen, greift Eddie auf alte Muster zurück: Er treibt sich in Bahnhofsspelunken herum, wo er leidlich gute Spieler, die sich überschätzen, ködert, indem er einige Runden verliert, um sie anschließend richtig abzuzocken. Bei einer dieser Gelegenheiten erkennen ihn die Beobachter eines Spiels, an dem er beteiligt ist. Sie lassen ihm zwar sein Geld, doch brechen sie ihm die Daumen, da sie seine Methode ehrenrührig und verabscheuenswürdig finden. Eddie kehrt zu Sarah zurück, die ihn gesundpflegt.
In einer Bar trifft Eddie erneut auf Gordon, der ihm noch einmal anbietet, sein Manager zu werden. Diesmal schlägt Eddie ein, vor allem, weil er weiß, daß der andere über große finanzielle Mittel verfügt. So beginnt eine zunächst vor allem für Gordon ertragreiche Liaison, da er für sich 75% Prozent Anteile an Eddies Gewinnen aushandelt.
Sarah warnt Eddie, daß Gordon ein eiskalter Geschäftemacher sei, dem Eddie rein gar nichts bedeute. Gordon arrangiert ein Spiel in St. Louis, wo Eddie gegen einen Multimillionär antreten soll, der sich für talentiert hält. Eddie besteht darauf, daß Sarah die beiden Männer begleitet. In St. Louis gehen die drei auf eine Party, wo Gordon ein Treffen mit dem Millionär vereinbart hat. Sarah betrinkt sich hier und macht Eddie eine Szene. Der bringt sie auf ein Zimmer und lässt sie dort ihren Rausch ausschlafen.
Da der Millionär kein Pool-Billard spielt, sondern Karambolage, verliert Eddie die ersten Spiele gegen ihn und Gordon will sich bereits zurückziehen. Während einer Spielpause kommt die ernüchterte Sarah hinzu und bittet Eddie inständig, das Spiel aufzugeben. Nie könne er sich gegen einen Mann wie Gordon behaupten, der das Geld und damit die Macht habe. Er nutze Eddie nur aus und ließe ihn sofort fallen, wenn er sich von ihm keinen Gewinn mehr verspräche.
Eddie wird zornig und schickt Sarah ins Hotel. Dann fleht er Gordon an, ihm genug Kredit zu geben, um den Millionär noch einmal herauszufordern, er habe den Dreh des Spiels jetzt raus. Gordon, der eigentlich nicht mehr an einen Sieg Eddies glaubt, aber befürchtet, daß Sarahs Worte bei Eddie verfangen könnten, gibt nach. Eddie gewinnt. Nachdem der Millionär sie ausgezahlt hat, bestellt Gordon ein Taxi zum Hotel. Doch Eddie, der eingesehen hat, daß Sarah mit dem, was sie sagt, nicht Unrecht hatte, erklärt, er wolle zurück laufen.
Gordon kommt also lange vor Eddie im Hotel an. Er trifft auf Sarah, die alles für ihre Abreise vorbereitet hat. Gordon bedrängt sie, verhöhnt sie und erklärt ihr, daß sie nichts wert sei, sich nur an Eddie gehangen habe, um von ihm zu profitieren. Seine Worte treffen Sarah, die eh kaum Selbstwertgefühl besitzt, und sie geht in Gordons Zimmer. Die beiden beginnen, zu trinken. Später geht die halb nackte Sarah ins Badezimmer und schreibt die Worte „perverted“ (verdorben), „twisted“ (verwirrt) und „crippled“ (verkrüppelt) an den Spiegel.
Als Eddie ins Hotel kommt – er ist den weiten Weg von der Villa des Millionärs wirklich komplett gelaufen – wird er allenthalben vom Personal angestarrt. Auf seinem Zimmer sind Polizeibeamte, die Gordon befragen. Eddie entdeckt Sarahs Leiche im Badezimmer. Er bricht zusammen, dann geht er auf Gordon los und will ihn zusammenschlagen. Mit Mühe können ihn die Polizisten davon abhalten.
Eddie kehrt mit seinem Gewinn aus dem Spiel mit dem Millionär zurück in den Billardsalon, wo Fats spielt. Erneut fordert er Fats heraus und der nimmt an. Ganz Gentleman, kann er sich einer Revanche nicht verweigern. Eddie gewinnt und gewinnt, bis Fats schließlich die Niederlage eingesteht und das Spiel beendet. Gordon, der die ganze Zeit zugesehen hat, fordert von Eddie seinen Anteil – offiziell sei er immer noch dessen Manager. Eddie weigert sich. Gordon droht, ihm die Daumen erneut brechen zu lassen, womit er andeutet, daß schon der erste Vorfall dieser Art kein reiner Zufall war. Eddie weigert sich weiterhin zu zahlen. Stattdessen wirft er Gordon – und sich selbst – die ganze moralische Verkommenheit vor, die sie eine Frau wie Sarah haben schlecht behandeln lassen. Er erklärt, daß keiner von ihnen – nicht Gordon, nicht Fats und auch nicht er, Eddie – auch nur ansatzweise die Klasse hätten, die Sarah als Mensch gehabt habe. Gordon müsse ihn schon töten, sonst käme er nach welcher Verletzung auch immer zurück und würde seinen Widersacher seinerseits umbringen.
Gordon zeigt sich beeindruckt. Er lässt Eddie gehen, ordnet jedoch an, daß dieser sich nie wieder in einer Billardhalle sehen lassen dürfe.
Fats erklärt Eddie, daß der ein großer Spieler sei. Eddie gibt das Kompliment zurück und verlässt den Salon.
Spätestens nach dem 2. Weltkrieg entdeckte Hollywood den Verlierer. Als Antiheld bevölkerte er etliche Noir-Thriller, bekam mit Marlon Brando und Paul Newman ein ebenso rebellisches wie romantisches Antlitz und wurde spätestens in den 60ern zu einem festen Bestandteil des ernsthaften Hollywood-Films. Robert Rossen lieferte mit THE HUSTLER (1961) eins der großen Verlierer-Dramen jener Jahre, die einen Übergang des klassischen Studiosystems zu jener neuen Bewegung, die einst ‚New Hollywood‘ genannt werden sollte, markierten.
Rossen war bereits am Ende seiner Karriere angelangt, als er seinen wahrscheinlich besten, sicher aber bekanntesten und relevantesten Film drehte. Es ist ein melancholisches Drama über Spieler, Verlorene, Wesen der Nacht in einem schwarz-weißen Amerika, bestehend aus anonymen Diners, Juke Joints, Busbahnhöfen, Bars und Billardhallen, in denen sich vornehmlich Männer versammeln, die ihr ganzes Dasein über Erfolg, letztlich wirtschaftlichen Erfolg, definieren. Sie spielen – in erster Linie Billard, doch sie pokern auch, geben und nehmen Karten – und setzen, wetten und streichen ihre Gewinne ein, bzw. geben sich erst geschlagen, wenn der letzte Dollar verloren ist. Es gibt die Spieler und es gibt jene, die ihre Lebensbasis auf den Siegen und Niederlagen der Spieler errichten. Diese sind die eigentlichen Gewinner, denn sie haben immer etliche Einsätze in verschiedenen Feuern und mögen vielleicht einmal verlieren, aber nie so viel, daß diese Verluste bedrohlich für sie werden. Spieler hingegen kommen und gehen, man muß nur erkennen, auf welche man setzt und welche man besser nur aus der Ferne, mit Vorsicht, beobachtet.
Paul Newman gibt in THE HUSTLER einen solchen Spieler. Eddie Felson heißt dieser Mann, ein Crack mit dem Queue und den Kugeln, der endlich aus den kleinen Klitschen heraus und ins Rampenlicht gelangen will. Dazu muß er einen der Großen schlagen – zum Beispiel Minnesota Fats, den ungekrönten König des Billards. Und so beginnt Rossen seinen Film mit einer atemberaubenden Einführung, die gleich fast vierzig Minuten des Films einnimmt. Eddie und sein Manager kommen in den Salon, wo Fats sich gewöhnlich herumtreibt, und es entsteht ein fast drei Tage andauerndes Duell am Billardtisch, bei dem nicht nur die Kugeln rollen, sondern sich der Großteil der Handlung über Blicke, Gesten, die Mimik der Protagonisten und die spärlichen, coolen Dialoge erschließt. Diese Einführungssequenz gehört sicher zum Besten, was das Hollywood-Kino zu Beginn der 60er Jahre zu bieten hatte. Newman, Jackie Gleason, der Fats mit dem verstaubten Charme und Stil einer vergehenden Ära der Gentlemen ausstattet, Myron McCormick, der Eddies „Manager“ Charlie spielt, und George C. Scott, der den Wettanbieter Bert Gordon mit all der Schmierigkeit ausstattet, zu der er fähig war, bieten eine Ensembleleistung, der zu folgen auch heute noch ein wahres Vergnügen ist. Hier kreisen sie umeinander, die „Haie der Großstadt“, die dem Film seinen deutschen Titel verliehen.
Newmans Eddie Felson wird aus diesem Duell als Verlierer hervorgehen. So hatte es ihm Gordon prophezeit, so befürchtete es Charlie und so kommt es schließlich auch. Felson hat sich nicht unter Kontrolle, er trinkt viel zu viel und bricht schließlich zusammen, während die Zuschauer ihre Einsätze ordnen, Gewinne einstreichen und die Verluste verbuchen. Nichts ist zu spüren von der Romantik des Spiels, vom Sehnen eines Jungen, es den Alten zu zeigen. Geschäftsmäßig werden Sieg und Niederlage zur Kenntnis genommen. Nur für Felson ist die Niederlage existenziell. Sie bringt ihn dazu, sich von Charlie zu trennen, den er ob seiner vorsichtigen Zurückhaltung, seiner demütigen Zufriedenheit mit mittleren Einsätzen und kleinen Gewinnen dafür verantwortlich macht, nicht an die ganz großen Töpfe zu kommen. Es ist aber auch diese Niederlage, die Felson – durch Zufall – in die Arme von Sarah treibt, einer Trinkerin, einem Geschöpf der Nacht, die sich in billigen Bars und an Busbahnhöfen herumtreibt und sich hemmungslos dem Alkohol hingibt. Es entsteht eine Liebe, die nicht auf Augenhöhe funktioniert, weil Eddie trotz allem an seinem Traum vom ganz großen Triumph festhält, während Sarah ein kleines Glück erhofft, ein wenig Nähe und Wärme in der gnadenlosen Anonymität der Großstadt. Auch sie ist eine Verliererin, eine Frau, die die Liebe nicht halten kann, deren Bildung und Wissen sie nicht vor Depression und Selbstzweifeln bewahren, deren Empathie ausgenutzt und gegen sie verwand wird. Und es wird diese Niederlage gewesen sein, die Eddie Felson schließlich in die Arme von Bert Gordon treibt, ihn dazu bringt, sich dem Wetthai bedingungslos auszuliefern.
Spätestens wenn Felson die Liaison mit Gordon eingeht, steht sein Leben nur noch unter dem Gesetz des gnadenlosen kapitalistischen Grundsatzes, daß der Gewinner alles bekommt. Talent, so Gordon, reiche nicht aus, um zu gewinnen, man brauche Charakter – und meint damit Härte gegen sich und andere. Gordon bringt Felson bei – besser: er zwingt ihn zu begreifen – wie das Siegen funktioniert und daß man dabei keine Rücksicht mehr auf nichts und niemanden nehmen darf. So werden schließlich auch Sarah und ihre Liebe zu Eddie zur reinen Verhandlungsmasse. In dieser Welt, der Welt der Bert Gordons und ihresgleichen, wird jede menschliche Gefühlsregung – Zuneigung, Träume, Liebe, Hoffnung – als romantische Verirrung betrachtet und zwangsläufig zerstört. Eddie bringt dafür allerdings schon ein gerüttelt´ Maß an Disposition mit, wie wir in seiner Reaktion auf Charlie merken. Der alte Mann sucht Eddie und findet ihn schließlich bei Sarah. Doch Eddie hat für den Alten und seine Sehnsüchte nichts als Hohn und Spott übrig. Über dessen Traum von einem eigenen Billardsalon macht Eddie sich lustig und Sarah muß schließlich mit anhören, wie Eddie seinem einstigen Freund und Mentor sogar den baldigen Tod wünscht. Sarah, die der Welt zu sensibel begegnet und daran zu zerbrechen droht, ahnt hier wahrscheinlich zum ersten Mal, daß es für sie und Eddie keine Zukunft geben wird. Es ist eine bedrückende und sowohl von Newman, wie auch Piper Laurie hervorragend gespielte Szene, in der das ganze Sehnen der Beteiligten zum Ausdruck kommt. Und ebenso kommt zum Ausdruck, daß das Sehnen der Beteiligten kaum miteinander vereinbar sein wird. Neue Verluste werden in dieser Situation bereits angelegt, die nächste Niederlage schon begründet.
Robert Rossen gehörte zu jenen Hollywood-Regisseuren, die einst vor dem Ausschuß für unamerikanische Umtriebe (HUAC) aussagten und Namen ehemaliger Kameraden aus der kommunistischen Partei preisgaben, um ihre Karriere zu retten. Er musste auf schmerzhafte Art und Weise begreifen, was Siegen und Verlieren in einem „Haifischbecken“, das Hollywood immer war, bedeuten. Seine Kooperation mit dem Ausschuß mag ihm die Möglichkeit in Hollywood arbeiten zu können gerettet haben, doch Freunde und Ansehen hat es ihn zweifelsohne gekostet. Rossen war zehn Jahre Mitglied der amerikanischen kommunistischen Partei gewesen und ob sein Verhalten nun selbstsüchtig und egoistisch war oder nicht – einen kritischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft hatte er sich bewahrt. Diese kritische Sicht auf Amerika ist in THE HUSTLER an allen Ecken und Enden spürbar. Die Gnadenlosigkeit, die dieses System mit sich bringt, verdeutlicht er in eindringlichen Szenen. Eddie muß Geld verdienen und sucht dafür die billigen Spelunken auf, wo er willige Opfer trifft, die gegen ihn antreten, die er mit seinem Können schnell und einfach abzocken kann. Doch er wird erkannt. Und wer einmal mit den Großen spielt, wird hier nicht mehr akzeptiert. Die Gäste der Spelunke brechen ihm die Daumen. Sie nehmen ihm nicht sein Geld – das System des Kapitalismus gilt auch hier – aber gezahlt wird in anderer Währung, der der Gewalt. Eddie hat einen Platz an der Sonne gewollt, nun kann er nicht erwarten, in den Schatten noch willkommen zu sein.
Den Zusammenhang von Kapitalismus und Gewalt arbeitet Rossen in seinem Film immer wieder heraus. Gordon hasst und verachtet Sarah, die von Eddie nach St. Louis mitgeschleppt wird, wo Gordon ein Spiel mit einem Millionär eingefädelt hat. Um sie los zu werden, verführt Gordon Sarah erst zum Alkohol, kompromittiert sie dann und lässt es schließlich ungerührt zu, daß sie sich das Leben nimmt. In seiner Welt gehen die Schwachen unter und die Starken haben alles Recht, sich zu nehmen, was sie wollen. Was ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Gordon ist der perfekte Vertreter dieses Raubtierkapitalismus. Und wie dieser, kann auch er sich generös zeigen. Als Eddie zurückkehrt und Fats erneut herausfordert und endlich schlägt, stehen Gordon seiner Meinung nach prozentuale Anteile vom Gewinn zu, da er und Eddie offiziell nie den Vertrag gelöst haben, der Gordon zu Eddies Manager machte. Doch anstatt seinen Anteil nun mit Gewalt einzufordern, lässt er Eddie gehen – mit dem Hinweis, daß dieser sich nie wieder in einem Spielsalon landesweit sehen lassen dürfte. Ein Befehl, den Eddie wohl wird befolgen müssen. Doch zu diesem Zeitpunkt ist Eddie so oder so zerstört. Denn er hat begriffen, was er verloren hat, als Sarah sich tötete; er hat begriffen, was er und Gordon der Frau angetan haben in ihrer grenzenlosen Gier nach Erfolg, Geld und der Macht, die damit einhergeht. Was auch immer Eddie zukünftig tun wird, er wird nicht mehr gewinnen können, auch wenn er nach den Regeln des Systems nun ein Sieger ist, mit allen Wassern gewaschen und mit allem ausgestattet, was es braucht, um sich durchzusetzen. Charakter eben. Er hat Fats geschlagen und ist endgültig im Kreis der großen angekommen. Doch der Preis dafür war seine Menschlichkeit.
Rossen thematisiert das Verlieren also keineswegs als rein finanzielles oder geschäftliches Scheitern, sondern das wirkliche Verlieren ist der Verlust des eigenen Ichs zugunsten eines Platzes im System. Der amerikanische Kapitalismus wird bei Rossen zu einem Spiel, dessen Regeln, Tricks und Kniffe zu beherrschen nicht reicht. Vielmehr muß man die richtige Disposition mitbringen, man muß hart und skrupellos genug sein, um darin zu bestehen. Nachdem ihm die Daumen gebrochen wurden, kehrt Eddie zu Sarah zurück und gibt sich in ihre Hände, lässt sich in seinem Schmerz und seiner hilflosen Wut von ihr gesundpflegen. Doch – und es ist manchmal schwierig, diese Seite der Figur klar zu erkennen, weil sie hinter Newmans Rebellen-Image und seinem zynischen Lächeln, seinem guten Aussehen und seiner Eloquenz zu verschwinden droht – nutzt Eddie Sarah hier schlicht aus. Er benutzt sie in einem Moment äußerster Schwäche. Mit der gleichen Leidenschaft, mit der er ihr seine kommenden Siege ausmalt, weist er sie im Hotel in St. Louis zurecht und schmeißt sie schließlich raus, als sie ihm offen ins Gesicht sagt, daß Gordon sein Untergang sein wird, daß dieser Mann ihn ausnutzt, mißbraucht und fallen lassen wird, sobald er nicht mehr nützlich ist. Und sie wird damit ja auch – auf fürchterliche Weise, weil sie schließlich selbst zum Einsatz wird – recht behalten.
Am Ende bleiben in diesem Film im Grunde nur Verlierer übrig. Einzige Ausnahme ist eben Bert Gordon, der Mann, der laut Sarah kein Herz besitzt. Und aufgrund seiner persönlichen Geschichte als „freundlicher Zeuge“ vor McCarthys Ausschuß, wird Rossen sehr bewußt gewesen sein, daß das Wesen des Verlusts, des Verlierens eben keineswegs rein materiell ist. Der eigentliche Verlust ist der von Integrität, von Würde, Ehre vielleicht. Sarahs Tod kann nicht gesühnt werden, Eddie wird bis an sein Lebensende am Spieltisch gewinnen können, Unsummen gewinnen können, nie wird er den Makel ausbrennen, Sarah im entscheidenden Moment fortgeschickt, sie nicht beschützt, sich ihrer nicht angenommen zu haben. So entlässt Robert Rossen sein Publikum am Ende dieses existenzialistischen Dramas über die Schattenseiten eines gnadenlosen Systems, das sich als Traum ausgibt, in eine tiefe Trauer.
Getragen wird der ebenso düstere wie melancholische Film vor allem durch die Atmosphäre, die die Inszenierung schafft, aber ebenso durch das Ensemble. Newman, damals auf einer frühen Höhe seines Ruhms, gelingt die vielschichtige Darstellung dieses Eddie Felson, der ein zwielichtiger Charakter ist, ein Egoist, der im Zweifelsfall über Leichen geht und dessen Einsicht, was er getan hat, viel zu spät kommt. Doch auch George C. Scott und Jackie Gleason brillieren in ihren jeweiligen Rollen. Scott verkörpert den schmierigen Gordon als ein moralisch durch und durch verkommenes Wesen, als einen Mann, den Gefühle und Bedürfnisse anderer nicht interessieren – außer als Basis seiner Berechnungen, wie man Menschen ausnutzen und manipulieren kann. Im Kontext des Films ist er damit allerdings die „vernünftigste“ Figur, weil er die Risiken abzuwägen versteht und kühl kalkulierend seine möglichen Erträge berechnet. Er ist genau der Typus, der dieses System mit hervorgebracht hat, zugleich ist er aber auch ein Geschöpf des Systems, als Geldgeber und Wetter, ein Mann, der immer partizipiert. Gleasons Minnesota Fats ist der schon erwähnte Gentleman, ein Relikt aus vergangenen Tagen, aus einer Zeit, da das Spiel eine Ehrensache, noch kein reiner Broterwerb war. Seine Reaktion auf den jugendlich-hasardierenden Eddie, auf seine Großmäuligkeit, zeugt letztlich auch von Respekt gegenüber einem, der nicht nur das Talent besitzt, sondern auch ein Gespür für die „alten Zeiten“. Gleason gibt Fats Grandezza, wenn auch eine angestaubte. Immer gepflegt und im Jackett, eine Blume am Revers, verströmt dieser Mann die behäbige Gelassenheit dessen, der längst gewonnen hat. Doch er zeigt in der Schlußszene auch, daß er Eddies Not versteht. Deutlich sein Unwohlsein, als er mitbekommt, was Sarah widerfahren ist, eindeutig seine Hinwendung zu Eddie, wenn er diesem seinen Respekt nun auch expressis verbis bezeugt. Er anerkennt Eddie als Gleichen unter Gleichen.
Schließlich ist da Piper Laurie, die eine ungeheuer moderne Darstellung einer ebenfalls modernen Frau bietet. Sarah besteht auf ihrer Unabhängigkeit als Frau und als Alkoholikerin, sie ist schlagfertig, wenn sie Eddie die ersten Male trifft. Sie ist aber auch abhängig von ihrem Vater, der sie aushält, sie ist gehbehindert nach einer Kinderlähmung und sie ist zutiefst verletzbar, unsicher in einer Welt, der sie sich nicht gewachsen fühlt und die sie am besten durch einen Schleier des Rauschs ertragen kann. Der Moment, in dem sie sich öffnet und Eddie in ihr Leben und ihr Herz lässt, ist zugleich der Moment, in dem ihr Schicksal besiegelt ist. Ihre Bildung kann ihr nicht helfen, wird sie nicht retten, sie ist dem Schmerz ausgeliefert und gibt sich ihm schließlich bis zur Selbstaufgabe hin. Laurie, der nicht die Karriere vergönnt gewesen ist, die sie wohl verdient gehabt hätte, kann man von allen Beteiligten durchaus die beste Leistung in diesem Film attestieren. Vielschichtig, hintergründig und immer bereit, bis an das Limit zu gehen, erfüllt sie diese Sarah mit der Hoffnungslosigkeit eines Lebens, dessen Bedürfnisse nie erfüllt, ja meist nicht einmal wahrgenommen wurden.
Doch auch etliche Nebenrollen sind hervorragend besetzt. Sei es Charlie, den Myron McCormick als triefäugigen Alten gibt, als einen vom Leben Gebeutelten, dessen letzte, vergebliche Hoffnung auf einem jungen Mann beruht, dessen Skrupellosigkeit er wohl kennen mag, aber nie zu sich selbst in Bezug gesetzt hat. Auch andere, kleinere Rollen werden gut ausgefüllt. All die Gaffer und Zuschauer, die Wetter an den Tischen, die oft kurze Dialogszenen haben, in diesen aber die Handlung grundieren. Die Barkeeper (hier tritt Jake LaMotta in einer kleinen Rolle auf), die Wechsler, die Partygäste und Murray Hamilton als Millionär Findley – sie alle sind überzeugend.
Unterlegt werden Rossens Inszenierung und Eugen Schüfftans distanzierte, oft sachlich-nüchtern wirkenden Bilder mit einem cool-jazzigen Soundtrack von Kenyon Hopkins. Beides – Kamera und Musik – fangen auf ihre eigene Art die Atmosphäre, Melancholie und Einsamkeit der Großstadt ein, drücken die Verlorenheit aus, die den einzelnen hier befallen kann. THE HUSTLER ist im klassischen Sinne ein Film der Moderne. Individuen, die kaum mehr in Beziehung zueinander treten, nüchtern, mitleidlos betrachtet; Verlorene, die in der Nacht verschwinden und die nur punktuell überhaupt miteinander in Beziehung treten können, die einander nutzen, um für einige Momente der Einsamkeit zu entfliehen, um ein wenig menschliche Nähe zu ergattern. In schwarz-weiß geschossen, wirkt der Film oft wie ein dokumentarisches Drama. Vergleichsweise langsam inszeniert, fast ohne Action, allerdings mit manchmal atemberaubenden Aufnahmen der Kunststücke am Billardtisch, kann man sich auch heute dieser tragischen Geschichte kaum entziehen. Das Spiel wird zur Metapher, seine Protagonisten zu Paradebeispielen derer, die das „große Rad“ drehen, das Spiel befeuern und bereit sind, dabei zu verbrennen. Rossens Film ist zeitlos, egal ob als Drama verlorener Individuen oder als ätzende Betrachtung und gnadenlose Analyse eines menschenverachtenden Systems.
Habe den Film gerade nach 20 Jahren wiedergesehen und ihn erst jetzt verstanden. Die Kritik trifft den Punkt und schmerzt. Wie der Film. Ein Meisterwerk.
Vielen Dank, daß Sie meinen Text gelesen haben und ihm zustimmen!
Ja, der Film ist und bleibt ein Meisterwerk!
Grüße
Gavin Armour