HILLBILLY ELEGY

Aus dem Prekariat

Seit Donald Trump zum 45. Präsidenten der U.S.A. gewählt wurde, ist eine der hierzulande gern und oft gestellten Fragen die, wie das nur möglich gewesen sei, wie konnten „die Amerikaner“ nur diesen Kerl in das Amt des mächtigsten Mannes auf Gottes weitem Erdenrund hieven? Ganz davon abgesehen, daß offenbar selbst die meisten derer, die es hätten besser wissen müssen, lieber schönrednerische Durchhalteparolen verbreiteten, fanden die wenigen, die deutlich sagten, was Sache ist und was passieren kann, schlicht kein Gehör. Als es zu spät war und das Kind in den Brunnen gefallen, wurde gern alle mögliche Literatur herangezogen, die Aufschluß darüber geben sollte, wer diesen Mann in welcher Region warum und zu welchem Maße gewählt hatte. Man ist geneigt, den Erfolg von J.D. Vance` autobiographischen Bericht HILLBILLY ELEGY (Originaltitel) der Entwicklung Trumps vom Kandidatenkandidaten zum Kandidaten zum Präsidenten zuzuschreiben.

Vance, Jurist, Absolvent der Yale University, Investor in der Boomtown San Francisco, hat einen beeindruckend weiten Weg zurückgelegt. Er stammt gebürtig aus Kentucky, erlebte wie so viele Bewohner der Appalachen – jenen titelgebenden Hillbillys – den Zug seiner Leute in die Industriestädte des Mittelwestens, in seinem Fall nach Ohio. Als Kind zog seine Familie nach Middletown, um dort vergleichsweise gutes Geld in den Fabriken und Stahlwerken zu verdienen. Vance durchlebt den „ganz normalen“ Wahnsinn, den er mit vielen seiner Altersgenossen teilt: Sein Vater verschwindet früh aus seinem Leben, seine Mutter ist ein einziger Unsicherheitsfaktor in seinem Leben, drogenabhängig, ununterbrochen mit Männergeschichten beschäftigt und voller Neid auf ihre Mutter, die für den jungen J.D. zum Mittelpunkt der Familie wird. Diese Großmutter, Mamaw genannt, entspricht für ihn ein wenig demie,, was ‚Ma Joad‘ ihrem Sohn Tom in John Steinbecks THE GRAPES OF WRATH gewesen ist: Leitstern am Firmament des Lebens. Sie ist das Kraftzentrum der Familie, sie hält sie zusammen, sie hat die Energie, ihre Leute durchzubringen, auch mit manchmal rüden und alles andere als vornehmen Methoden.

Die Familie Vance entspricht ziemlich genau dem, was man mit dem abfälligen Ausdruck ‚White Trash‘ bezeichnet. Rüpelig und ungebildet, arbeitsam und unerbittlich loyal untereinander, zugleich aber auch voller Ressentiment, Hass und Selbstmitleid ob der eigene Lage. Es sind genau diese Beschreibungen, die das Buch interessant und auch lesenswert machen. Denn hier berichtet einer wirklich aus dem Herzen der amerikanischen Unterschicht; vom Proletariat im herkömmlichen Sinne mag man kaum reden. Und er berichtet reflektierend, was den Grundton des Werkes erträglicher macht, denn auch, wenn Vance´ Verdienst wirklich darin besteht, offen über den sozialen Druck seiner Leute, auch die selbstverschuldeten Fallen ihrer Leben zu erzählen, wie sie sich häufig selbst im Wege stehen, bleibt dies im Kern eine Geschichte vom amerikanischen Traum. Einmal mehr hat es einer vom „Tellerwäscher“ zum „Millionär“ gebracht. Und wie so viele seiner Vorgänger schreibt er darüber. Anders als seine Vorgänger schreibt er selbstreflexiver, scheint sich des Glücks und vor allem der Menschen bewusst zu sein, die ihm auf diesem Weg geholfen haben. Viele seiner Analysen sind hart und ehrlich, sie tun weh und er hält seinen Leuten damit sicher einen Spiegel vor; man kann nur hoffen, daß das Buch dann auch dort gelesen wird – in Ohio, nicht nur in den intellektuellen Zirkeln der Ostküste, die das Buch auf die Bestsellerliste der ‚New York Times‘ gejazzt haben dürften.

Doch im Kern bleibt Vance eben auch eine wirkliche Analyse der „Gesellschaft in der Krise“ schuldig. Das Einzelbeispiel mag faszinieren und taugt dann auch immer als Vorlage für Hollywood, aber es erklärt meist nicht, wieso die Lage ist, wie sie ist. Die historischen, die sozialen und auch geographischen Tiefen der Erkenntnis kann Vance zwar benennen, doch ganz klar ist dies angelesenes Wissen, die Deckung mit seinen Erlebnissen sind manchmal allzu offensichtlich, haben dann aber oft mit seiner Welt eher wenig zu tun. So kommt er immer wieder auf das Glück zurück, oft im richtigen Moment die richtigen Menschen und gemeinsam mit diesen die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Er war geborgen in Mamaws Stärke, sie kann ihn aufnehmen, als er in der Welt seiner Mutter unter-, und den Weg so vieler junger weißer Kerle der Unterschicht zu gehen droht – Drogen, Kriminalität, ein unstetes Leben in prekären Verhältnissen. Er geht, auch darin ganz einem lange schon ausgetretenen Pfad folgend, zur Armee, erlebt im Irak allerlei Schreckliches und suggeriert, eher unbewusst, daß der Krieg schon immer noch als Manneschmiede gelten könne. Als er aus dem Dienst ausscheidet, stehen ihm verschiedene Möglichkeiten offen, er nimmt Hilfe an, lässt sich beraten und kann so seinen Weg in eine akademische Welt finden, die ihm fremd ist. Auch das schildert Vance mit großer und entwaffnender Offenheit. Sicher kann das Buch anderen Mut machen, diese Wege überhaupt zu denken, darin liegt sein Verdienst. Das kann man getrost auch auf hiesige Verhältnisse übertragen: Wer aus bildungsfernen Elternhäusern kommt, wird es schwerer finden, sich überhaupt in bestimmten Karrieren zu sehen.

Doch einen wirklichen Erkenntniswert hinsichtlich der brennenden Frage, wieso Teile der weißen amerikanischen Unterschicht langsam in ein nicht mehr einholbares Abseits zu driften scheinen, bringt dieses Buch nicht. Dazu ist es zu sehr individueller Lebensbericht mit Botschaft denn sachliche Beschreibung und Untersuchung.

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