KANDAHAR

Ein erstaunlich differenzierter Mainstream-Agententhriller

Tom Harris (Gerald Butler) ist ein Agent des britischen MI6, der verdeckt im Nahen Osten arbeitet. Sein Aufgabenfeld ist vielfältig, gelegentlich wird er auch an die Amerikaner, namentlich die CIA, „verliehen“. Bei einer solchen Aktion infiltrieren er und sein Kompagnon Oliver (Tom Rhys Harries) – getarnt als Angestellte einer Schweizer Telekommunikationsfirma – die iranischen Anlagen zur Urananreicherung derart, dass dort ein Selbstvernichtungsimpuls ausgelöst wird. Ein spektakulärer Einsatz.

Tom muss den Iran umgehend verlassen, nicht zuletzt, weil er rechtzeitig in London zu einem für seine Tochter wichtigem Ereignis sein will. Doch in Dubai wird sein Anschlussflug gecancelt. Stattdessen kontaktiert ihn ein alter Bekannter von der CIA. Roman Chalmers (Travis Fimmel) – ein Konvertit, der einen arabischen Lebensstil pflegt – bietet Tom einen weiteren Job an, diesmal in Herat in Afghanistan. Tom nimmt, wenn auch widerwillig an, da die Bezahlung derart gut ist, dass er die weiterführende Schule und das Studium seiner Tochter damit zahlen kann.

In Herat soll Tom Mohammad „Mo“ Doud (Navid Negahban) treffen, ein gebürtiger Afghane, der schon lange in den USA lebt und als Dolmetscher angeheuert wurde. Doch kaum in Herat eingetroffen, müssen die beiden den Einsatz schon abbrechen und sollen gen Kandahar fliehen, von wo Roman sie ausfliegen lassen will.

Folgendes ist geschehen: der iranische Geheimdienst, namentlich Farzad Asadi (Bahador Foladi), hat die junge britische Journalistin Luna Cujai (Nina Toussaint-White) festgenommen, die im Besitz geheimer Daten zu dem Anschlag auf die Nuklearanlagen ist. Sie hat einen Kontakt in der CIA, einen Whistleblower, der der Meinung ist, die Machenschaften der Geheimdienste gehörten aufgedeckt. Nun wird die junge Frau von Asadi verhört, kann diesem allerdings nur die Namen der beteiligten Firmen nennen, keine Namen. Dennoch wird die Schweizer Firma schnell enttarnt, was Oliver schließlich das Leben kostet. Asadi wird von seinen Vorgesetzten auf Tom Harris angesetzt, er und sein Team sollen nach Afghanistan reisen, den Briten stellen und möglichst ausschalten.

Da durch das Leck Tom Harris´ Name veröffentlicht wurde und sein Gesicht in den afghanischen Nachrichten gezeigt wird, ist er Freiwild. Unter anderem heftet sich auch der pakistanische Geheimdienst ISI an seine Fersen. Agent Kahil Nasir (Ali Fazal) soll Harris allerdings wenn möglich lebend fangen, da die Pakistanis ihn als eine Art Faustpfand in Verhandlungen mit verschiedenen Parteien haben wollen.

Mo Doud erklärt Tom, dass er nicht bereit sei, mit ihm nach Kandahar zu fliehen. Der Afghane verfolgt eine ganz eigene Agenda: Er sucht den Bruder seiner Frau, der bei einem der Taliban-Massaker umgebracht wurde. Mo hat auch einen Sohn in den Wirren der afghanischen Kriege verloren. Tom kann ihn aber überzeugen, dass er Mos einzige Chance ist, zu überleben. Er verspricht Mo, dass er ihm später, wenn sie in Sicherheit sind, helfen wird, das Schicksal seines Schwagers herauszufinden.

Unterwegs nach Kandahar werden die beiden nun also vom iranischen Geheimdienst und dem pakistanischen Agenten verfolgt und mehrfach angegriffen. Es gelingt Tom nicht nur, bei einem nächtlichen Angriff mit einem Helikopter, Asadi und sein Team zu töten, sondern auch, Nasirs Angriffe abzuwehren und ihn abzuhängen.

Auf ihrer Flucht kehrt Tom bei einem früheren Verbündeten, einem afghanischen Warlord, ein, der ihnen helfen soll, indem er ihnen freies Geleit und einen Wagen zur Verfügung stellt. Tatsächlich erkennt Mo in dem Warlord den Mörder seines Sohnes. Zwar sei dieser Mann kein Taliban, erklärt Mo Tom, dennoch sei er ein eiskalter Mörder; Tom, so Mos Schlussfolgerung, verstehe die Zusammenhänge in Afghanistan nicht. Doch Tom, der lange in der Region gelebt hat, zeigt Verständnis und begreift, dass das Elend, welches hier herrscht, vor allem durch den Westen – vor allem die Briten – und dessen jahrhundertelangen Kolonialismus hervorgerufen wurde.

Der Warlord stellt sich Mo und bietet ihm sogar eine Waffe an, um sich zu rächen. Doch Mo lehnt das ab. Einerseits will er, dass das Töten endlich aufhört, andererseits nimmt er für sich in Anspruch, vergeben zu können. Allah, so seine Aussage gegenüber dem Mörder seines Sohnes, könne dies nämlich nicht.

Der Warlord stellt Tom und seinem Verbündeten trotz der Meinungsverschiedenheiten einen Wagen zur Verfügung, mit dem die beiden weiter gen Kandahar fliehen.

Roman Chalmers hat derweil den Kontakt zu seinen CIA-Vorgesetzten eingestellt und sich auf eigene Faust nach Afghanistan aufgemacht, um Tom Harris rauszuhauen. Er tut sich mit einem offiziellen Kommando der afghanischen Regierung zusammen; gemeinsam tarnen sie sich als ISIS-Einheit und verfolgen nun den pakistanischen Agenten Nasir, der seinerseits ein Taliban-Kommando auf Tom und Mo angesetzt hat.

Die beiden werden festgesetzt und in ein Taliban-Gefängnis verbracht, wo vor allem Mo grausamer Folter ausgesetzt ist. Doch Chalmers und seine Leute greifen das Lager an, es kommt zu heftigen Feuergefechten. Roman kann Tom befreien, gemeinsam retten sie Mo und fliehen dann. Auf einem geheimen Luftwaffenstützpunkt sollen sie abgeholt werden.

Nasir verfolgt sie weiterhin und tötet unterwegs Roman. Schließlich stellt Harris sich dem ISI-Mann entgegen und kann ihn tödlich verletzen. Während er und Mo versuchen, das Flugzeug zu erreichen, nähern sich von allen Seiten Taliban-Einheiten. In letzter Sekunde kommt es zu einem Angriff der USA mit Hellfire-Raketen. Zwar ist der Einsatz nicht genehmigt, doch ein CIA-Direktor beschließt, dass er kein amerikanisches Blut mehr vergossen sehen will, wie er sagt.

Tom verspricht Mo im Flugzeug noch einmal, dass er ihm helfen werde, seinen Schwager zu finden. Während die beiden zu ihren Familien zurückgebracht werden, wird die junge britische Journalistin freigelassen.

In Teheran nimmt Asadis Frau Shina (Elnaaz Norouzi) die Überreste ihres Mannes entgegen.

Die diversen Kriege, die die USA und ihre Verbündeten spätestens seit dem 11. September 2001 im Nahen Osten geführt haben und noch führen dienen seither im Kriegsfilm und im Genre des Agententhrillers gern als Hintergrund für mal mehr, mal weniger spannende Unterhaltung. Selten, dass sich ein Film – seltene Ausnahmen gibt es: Paul Greengrass´ GREEN ZONE (2010), Clint Eastwoods AMERICAN SNIPER (2014) oder auch Kathryn Bigelows ZERO DARK THIRTY (2012) wären Beispiele dafür – ernsthaft mit den Gründen oder gar kulturellen Folgen dieser Kriege auseinandersetzt. Zumeist bedienen Filme wie RULES OF ENGAGEMENT (2000), THE KINGDOM (2007) oder LONE SURVIVOR (2013) lediglich rassistische Klischees und kulturelle Ressentiments, um amerikanische Helden leiden und glänzen zu lassen.

Und doch: Manchmal sind es Filme wie Ric Roman Waughs KANDAHAR (2023) – Filme, die ihrem ganzen Wesen nach und trotz eines ansehnlichen Budgets eigentlich klassische B-Movies sind, Unterhaltungsfilme, Massenware, absoluter Mainstream und oft schnell runter gedreht (wobei man auch das bei diesem Film, wie bei so vielen B-Movies heutzutage, nicht mehr sagen kann; meist sehen sie alle gut aus und ihre Macher verstehen ihr Handwerk) – denen es gelingt, das Publikum zum Nachdenken anzuregen und hier und da eine andere Perspektive, eine etwas differenziertere Botschaft unterzubringen.

Mitchell LaFortune hat ein Script verfasst, das zunächst einmal alles bietet, was ein Action-Film dieser Machart erfordert: Ein Agent, der vom britischen MI6 an die CIA ausgeliehen wurde, sprengt im Iran eine heimliche Urananreicherungsanlage. Er will das Land verlassen, wird bereits von den iranischen Diensten gesucht, als ihn ein befreundeter CIA-Agent in Dubai abfängt, um ihm einen weiteren Auftrag, diesmal im iranisch-afghanischen Grenzgebiet, anzutragen. Dabei wird unser Agent von verschiedenen Seiten verfolgt und muss sich gegen alle zur Wehr setzen. Einzige Unterstützung erhält er dabei von einem einheimischen Übersetzer, der allerdings seinerseits heimlich ins Land eingereist ist, da er lange schon in den USA lebt.

Action ist geboten und doch gelingt es LaFortune, immer wieder ruhige Momente in die Story einzubauen, die Raum zur Reflektion und auch für Selbstzweifel bspw. bei dem britischen Agenten bietet. Möglicherweise liegt das auch daran, dass der Drehbuchautor selbst Special-Ops-Agent und für die DIA in Afghanistan im Einsatz gewesen ist. Er kennt also die Materie, wahrscheinlich aber auch die Zweifel, die einem Westler kommen können, der lange vor Ort eingesetzt wurde. Der vom mittlerweile omnipräsenten Gerald Butler gespielte MI6-Agent Tom Harris weiß, wer für die Schrecknisse und Wirrnisse im Nahen wie Fernen Osten verantwortlich ist. Er erledigt seine Aufgaben und sieht darin – was bspw. die Sprengung der Anlage im Iran betrifft – auch nichts Schlechtes. Der Film stellt diese Aktion auch nicht in Frage. Doch schon der Nachfolgeauftrag in Herat, für den Harris engagiert wird, ist sehr viel dubioser und undurchsichtiger.

Sobald Harris auf den einheimischen Übersetzer Mohammad „Mo“ Doud trifft, wird jedoch alles was Harris tut in Frage gestellt. Sicher, er rettet Mo mehrfach das Leben, andererseits muss er lernen, dass dieser eine ganz andere Sicht auf die Welt und vor allem die Vorgänge in Afghanistan hat, als er, ein westlicher Geheimdienstagent. An einem Punkt ihrer Flucht gelangen sie in das Lager eines afghanischen Warlords, den Harris aus früheren Einsätzen kennt und schätzt. Mo erkennt ihn allerdings als jenen Mann, der das Dorf überfallen hat, in dem auch Teile seiner Familie lebten – und wo sein Sohn getötet wurde. Harris muss begreifen, wie tief und vielfältig die Verletzungen und Vernetzungen hier sind und was es den Einzelnen kostet, zu verzeihen oder auch nur ruhig zu bleiben, wenn alles in ihm nach Rache schreit.

Mehrfach kommt zwischen Harris, dem harten, oft gnadenlosen Agenten (und Killer), und Mo, einem eher sensiblen Mann, die Entwicklung in Afghanistan, aber auch Pakistan und dem Iran zur Sprache. Man versteht, dass die Dinge, die so oft doch so eindeutig erscheinen, alles andere als eindeutig sind. Dass die Verhältnisse äußerst kompliziert und diffizil sind. Auch anhand anderer Figuren bricht der Film immer wieder herkömmliche Klischees auf. Der in Dubai Harris kontaktierende CIA-Verbindungsmann, Roman Chalmers, ist ein zum Islam konvertierter Amerikaner, der Harris schließlich raushaut, als dieser in immer größerer Gefahr schwebt, dabei allerdings selbst Opfer der Islamisten wird. Andererseits gibt es mit Kahil Nasir einen pakistanischen ISI-Agenten, der Harris einfangen soll, da der pakistanische Geheimdienst ihn als Faustpfand an den Meistbietenden veräußern will. Nasir nimmt den Auftrag an, verlangt jedoch von seinem Vorgesetzten, anschließend im Westen – London oder Paris – eingesetzt zu werden. So wird anhand dieses Handlungsstranges nicht nur thematisiert, dass der Westen mit seinem angeblich so dekadenten Lebensstil und den verkommenen Werten eben auch seinen Reiz auf Muslime ausübt, immer noch, immer wieder. Zugleich wird gerade anhand dieses Handlungsstrangs deutlich, wie verworren die Verhältnisse sind. Denn der ISI seinerseits ist nicht daran interessiert, den Iranern zu helfen, die ihrerseits ein Kommando auf Harris ansetzen, sondern viel mehr will man einen Schnitt machen – entweder einen finanziellen oder aber einen politischen. Harris ist einfach nur als Mittel zum Zweck, als Ware, als Faustpfand, letztlich als Geisel gedacht. Und auch nur in dieser Funktion interessant. Jeder, so verdeutlicht der Film, der hier irgendwie involviert ist, kocht sein eigenes Süppchen, verfolgt eigene Interessen.

Diesen eher abstrakten und durchaus auch zynischen Betrachtungen darüber, wie die Welt der geheimen Dienste strukturiert ist, stellt der Film jedoch – und das ist dann wirklich außergewöhnlich – die persönlichen Schicksale nahezu aller Figuren gegenüber. Auch, wenn das eher holzschnittartig geschieht, ist es etwas Besonderes, wenn ein im Grunde auf Action und reine Unterhaltung angelegter Film Momenten der Trauer auch um eher nebensächliche Figuren so viel Raum gibt. Am auffälligsten ist das bei der Figur des Iraners Farzad Asadi. Der ist nicht sympathisch, er ist für die Verhaftung und das äußerst unangenehme Verhör einer jungen britischen Journalistin verantwortlich, welche durch ein Leck im amerikanischen Geheimdienst Kenntnis davon hat, wer für das Attentat auf die Anlage im Iran verantwortlich ist. Farzad wird auch nach Afghanistan geschickt, um Harris zu stellen, wenn möglich zu töten. Und dennoch, trotz aller Antipathien, die er auf sich vereint, nimmt der Film sich die Zeit, zuzuschauen, wie er mit seiner Familie telefoniert, wie er seiner Frau sagt, dass er sie liebt, und, nachdem seine Leiche zurück nach Teheran überstellt wurde, zu zeigen, wie diese Frau um ihn trauert.

So gelingt es KANDAHAR, den Zuschauer zu unterhalten, da er wirklich teils atemberaubende Action bietet und, da er in Saudi-Arabien gedreht wurde, dabei sehr authentisch und überzeugend zu wirken. Momentweise bietet der Film spektakuläre, geradezu atemberaubende Bilder der Wüste. Immer wieder werden Harris und sein Mitreisender in ihrem Jeep gezeigt, wie sie am Fuße eines Berges, einer Düne, eines Felsens entlangfahren, den Spurrillen im Wüstensand folgend. Die Schönheit dieser scheinbaren Einöde fängt Kameramann MacGregor hervorragend ein. Zugleich gelingt es KANDAHAR aber auch, sowohl die Verstrickung der westlichen Welt als Gesamtes, vor allem aber die der westlichen Geheimdienste in jenen Regionen der Welt zu verdeutlichen. Und vor allem gelingt es ihm, dem Zuschauer zu verdeutlichen, dass hinter der ganzen coolen Action, den Explosionen und Verfolgungsjagden, immer Tod, Leid und Not warten. Das muss man Waugh und seinem Team – Gerald Butler hat den Film mitproduziert – unbedingt und hoch anrechnen: Sie stellen Gewalt und den Krieg nicht als etwas Abenteuerliches dar. Diese Kriege, Harris sagt es an einer Stelle des Films ganz deutlich, sind gar nicht mehr dazu gedacht, dass eine Seite siegt. Es sind Wirtschaftsunternehmen, Outsourcing, es sind knallharte ökonomische Bedürfnisse, die hier bedient werden, es geht um immense Summen Geldes, die verschoben werden. So stellt der Film eine zynische Haltung bloß ohne selbst eine zynische Haltung einzunehmen. Selten und absolut erwähnenswert im Kontext des modernsten Hollywood-Kinos.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.