KRÄHEN IM PARK

Der zweite Teil in Christoph Peters "Trilogie des gegenwärtigen Scheiterns"

Vielleicht sollte man das Adjektiv „gegenwärtig“ als Zusatz sehr genau nehmen, wenn man über Christoph Peters „Trilogie des gegenwärtigen Scheiterns“ nachdenkt. Denn natürlich ist Wolfgang Koeppens „Trilogie des Scheiterns“, mit welcher der Autor in den 50er Jahren ein frühes und recht düsteres Resümee hinsichtlich der Bemühungen der jungen Bundesrepublik als Gegenentwurf zum 3. Reich und der Nazidiktatur gezogen hatte, der Bezugsrahmen für Peters´ Projekt. Und vielleicht verankert das Adjektiv „gegenwärtig“ dieses Projekt derart im Hier und Jetzt, dass man die gesamte Trilogie eher als etwas Vorübergehendes, etwas Provisorisches betrachten sollte, eher eine Bestandsaufnahme auf Wiedervorlage, weniger eine Beschreibung der Gegenwart, die überdauern sollte. Was sie als Literatur natürlich tun wird und insofern jenseits solcher Fragen steht. Eine (zumeist) gelungene Momentaufnahme ist sie allemal.

Nimmt man den zweiten Teil der Trilogie – KRÄHEN IM PARK (2023), der Titel nimmt natürlich Bezug zu Koeppens TAUBEN IM GRAS (1951) – unter genaue Beobachtung, fällt doch auf, wie gegenwärtig der Roman konzipiert ist. Er nimmt sich eines einzigen Tages im Jahr 2021 an – nach Auskunft des Klappentexts soll es sich dabei um den 9. November des betreffenden Jahres handeln, worauf noch einzugehen sein wird – und beschreibt multiperspektivisch das Leben verschiedener Bürger der Stadt Berlin. Darin ganz seinem literarischen Vorbild verpflichtet.

Es herrschen immer noch die Corona-Regeln, wenn auch nicht mehr so streng wie unter den Bedingungen des Lockdowns. Die Menschen sind es müde, doch haben viele nach wie vor Angst, sich anzustecken. Immer noch ist die Pandemie eine Art Geißel, deren Ursache und Auswirkung sich niemand wirklich klar ist und die, ungreifbar, wie sie nun einmal scheint, ein dräuendes Unheil bleibt. Aber das Leben geht eben doch auch weiter. Kinder werden geboren, Veranstaltungen besucht, Karrieren werden vorangetrieben, andere vergilben, Preise werden verliehen, Ehen zerbrechen und alte Freundschaften vergilben ebenfalls – oder auch nicht. Väter und Söhne streiten, wie sie immer schon gestritten haben und der ganz alltägliche Wahnsinn, wie er in allen Metropolen rund um den Erdball herrscht, hat auch die Protagonisten dieses Romans fest im Griff.

Am Abend des Tages findet die Preisverleihung an einen französischen Skandalautor statt – hinter der Fassade dieses Bernard Entremont ist unschwer Michel Houellebecq erkennbar – und die Ausrichter und Besucher der Veranstaltung sind ebenso nervös wie aufgeregt, sonnen sie sich doch zu gern im Abglanz des Mannes, den eigentlich keiner wirklich leiden kann, zu flegelhaft sein Benehmen, zu political uncorrect seine Ansichten. Für die Ausrichterin der After-Show-Party wird der Tag ein ganz besonderer und ein ganz besonders stressiger, während ihr Gatte, ein Bauunternehmer, sich eher fern zu halten sucht, eigene Projekte vorantreibt. Andere Gäste – darunter ein Literaturprofessor und seine Schützlinge, die extra nach Berlin gekommen sind – freuen sich vor allem darauf, den Exzentriker aus Frankreich zur Rede zu stellen, was schon am Nachmittag bei einer zufälligen Begegnung des Romanciers mit den Studenten zu einem Eklat führt.

An diesem Tag muss die junge Dina eine Entscheidung treffen – will sie die Ehe mit Emre und will sie das Kind wirklich austragen, dessen Präsenz in ihrem Leib sie bei einem Besuch bei ihrer Ärztin bestätigt bekommt? Und kann sie sich gegen ihre Mutter durchsetzen, die mit zunehmendem Alkoholpegel immer deutlicher ihre rassistische Gesinnung zeigt? An diesem Tag muss die Therapeutin Frau Dr. Böhme ebenfalls Entscheidungen treffen, die ihre beruflichen Präferenzen beeinflussen könnten, zumal sie irgendwann gegen die staatlichen Vorgaben hinsichtlich der Seuche verstößt. Der Afghane Ali Zayed ist endlich in Deutschland, in Berlin eingetroffen und sucht den einzigen Menschen, den er hier kennt und wird im Laufe des Tages – aus Versehen sozusagen, ungewollt sozusagen – zum Mörder.

Und so geht es weiter und weiter. Das ganz normale Leben. Nicht allzu aufregend, aber immer spannend.

Es sind vielleicht sieben, acht Handlungsstränge, Figuren, um deren Tag sich der Roman herumschlängelt, die sich durch diesen Tag hindurch schlängeln, die sich treiben lassen, die durch ihn hindurch hetzen. Figuren, deren Treiben wir verfolgen und die wohl exemplarisch für einen „ganz normalen Tag“ in einem Deutschland unter der „neuen Normalität der Corona-Realität“ stehen können. Es sind größtenteils banale Geschichten, wodurch sich der Alltag in diesem Deutschland wahrscheinlich gut darstellen und abgleichen lässt. Besser, als es uns wahrscheinlich lieb ist, denn so scheint dieses Land – trotz all des Geschreis, all der Wut, all des Hasses, die doch so offensichtlich um sich greifen – dann doch zu sein: Alltäglich, banal, fast trivial. Ein Schriftsteller findet keinen Zugang mehr zu seinem eigenen Schreiben und sieht im französischen Erfolgsautor eine verpasste Möglichkeit des eigenen Daseins – nur, um dies zu verwerfen, abzutun, als nicht wichtig genug zu erachten und so auch seinen Frieden zu finden. Ein ehemaliges Mannequin hofft darauf, die eigenen Träume in ihrer Tochter verwirklichen zu können und muss vor allem lernen, dass eine professionelle Betreuerin eine bessere Mutter sein könnte, als sie selbst es je wäre. Menschen werden mit den eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert und die meisten, was Wunder, zerbrechen nicht daran, sondern machen einfach weiter, wie bisher. Zu anstrengend wäre es wahrscheinlich, sich das eigene Scheitern einzugestehen.

So scheint eine Art Mehltau über dem Buch, seinen Protagonisten und deren Erlebnissen zu liegen und Peters gelingt es ganz gut, diesen Mehltau – der auch der Pandemie geschuldet ist – einzufangen und zu vermitteln. Diese von ihm erdachten, teils sehr offenkundig (Houellebecq) an der Wirklichkeit, teils an Koeppens Roman angelehnten Figuren und deren Geschichten, können nicht alle auf gleiche Art für sich einnehmen, wirken nicht zwingend authentisch, einige allerdings sind sehr überzeugend gezeichnet und treffen mitten hinein in die bundesrepublikanische Befindlichkeit. Gerade weil sie scheinbar so banal wirken. Es sind Stereotypen, die da bedient und genutzt werden, was man dem Autor vielleicht vorwerfen kann – aber wäre dieser Vorwurf nicht auch bereits wieder das Eingeständnis des Publikums, eben genau so und insofern sehr genau getroffen worden zu sein, empfindlich genau? Ob Peters Erzählen einen tatsächlichen Mehrwert hat, muss dann jede/r Leser*in für sich entscheiden. Es dauert, diese Figuren auseinanderhalten, sie ein- und zuordnen und in ihren Eigenarten unterscheiden zu können. Das wird dadurch erschwert, dass ihre Geschichten oftmals nicht wirklich interessant sind und Peters – gewollt oder ungewollt? – keinen sonderlichen Wert darauf zu legen scheint, sehr viel tiefer unter der Oberfläche zu bohren, als er es tut. Es wird auch nicht dadurch erleichtert, dass die Hälfte von ihnen sich in einem modernen, fast jugendsprachlichen Jargon voller Anglizismen unterhält. Das wirkt eher wie eine Anbiederung an den Zeitgeist, als dass es eine Charakterisierung wäre.

Es verwundert, dass es schlussendlich jene Episoden sind, die in Erinnerung bleiben, welche den Leser*innen und auch dem Autor selbst am fernsten liegen dürften. So zum Beispiel die Geschichte um die schwangere Dina und ihren Geliebten, ein Türke, der fest entschlossen ist, sie zu heiraten. Hier hat Peters eine Art idealistischen Gegenentwurf in sein Buch hineingeschrieben, zumindest wirkt es so. Als habe er all den eher traurigen Figuren irgendeinen Hoffnungsschimmer entgegensetzen wollen, der sich in dieser vielleicht naiven aber eben ehrlichen Liebe erfüllen könnte. Und dann ist da die Geschichte von Ali Zayed. Immer schwierig, wenn ein wohlbehüteter, westlicher Autor beginnt, sich in die extremen Lebenswirklichkeiten anderer hineinzuversetzen, die er nicht kennt und in diesem Leben mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr wird kennenlernen müssen. Mutmaßlich ist ein solches Manöver nicht möglich und muss geradezu im Klischee erstarren. Noch schwieriger dürfte es sein, die Gedankenwelt hinsichtlich einer diesem Mann vollkommen fremden Welt – der unsrigen nämlich – zu erkunden und dessen Projektionen rückschließend auf diese, unsere Welt zu beschreiben.

Das mag angehen, Literatur darf schließlich alles, ob es aber Sinn macht, auch das sei dahingestellt. Man fragt sich natürlich schon, weshalb ein kluger Autor wie Christoph Peters es dennoch wagt und sich dann auch noch mit all den Klischees an den Themenkomplex wagt, die unsere Projektion auf Flüchtlinge spiegeln – nämlich, dass sie Mord und Totschlag verbreiten, was denn sonst? Will er uns, seine Leser*innen zwingen, uns genau diesem Klischee zu stellen? Dafür ist dann aber genau diese Episode seines Buchs viel zu eindringlich – in einem ebenfalls klischeehaften Sinne – gelungen. Und auch sie bleibt nachhaltig in Erinnerung. Wie übrigens auch die der Schriftsteller, die hier vorkommen, wahrscheinlich aber aus den exakt entgegengesetzten Motiven zu den oben angeführten Episoden: Hier eben berichtet ein Autor aus den Innenleben von Autoren, also aus Lebenswelten, die er ganz genau kennt. Und das wirkt präzise, genau, ist spannend und viel tiefer schürfend, als nahezu alle anderen Episoden dieses Romans. Offenbar ist es so, wie immer behauptet wird: Man sollte von dem erzählen, was man kennt.

Trotz all der Kritik – KRÄHEN IM PARK ist eine zumeist gelungene Repräsentation, ein gekonnter Ausschnitt aus der bundesrepublikanischen Wirklichkeit der unmittelbaren Gegenwart. Nur die Frage, weshalb dies der 9. November sein sollte, bleibt offen. Denn nirgends im Buch wird das Datum explizit hervorgehoben. Und vor allem: Nirgends im Buch spielt dieser in der deutschen Geschichte doch recht bedeutende Tag auch nur ansatzweise eine Rolle. Nicht im Alltag dieser Figuren, aber auch nicht in den inneren Reflexionen derer, die vielleicht noch am ehesten etwas damit anfangen könnten, wie bspw. der französische Autor oder sein deutsches, weitaus weniger erfolgreiches Pendant. Auch nicht beim Herrn Professor oder seinen Studenten, die doch ausgerechnet an diesem Datum nach Berlin gereist sind, in jene Stadt, deren Geschichte ihrerseits so eng mit diesem Datum verbunden ist. Mag sein, dass genau dies der gewollte Effekt ist: Wie belanglos uns diese, unsere Geschichte im Angesicht unserer vermeintlich so großen Probleme vorkommen mag, wie wenig sie uns gegenwärtig ist, nicht mal an den Schauplätzen, an denen sie maßgeblich stattgefunden hat. Aber das ist alles reine Interpretation. Vielleicht spielen die Daten deutscher Geschichte auch schlichtweg keine Rolle mehr – gerade in einem Roman, der sich an Wolfgang Koeppens so bittere Betrachtung der damals so jungen Republik anlehnt.

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