DER BLOCK/LE BLOC

Kein "Kriminalroman", eher Psychogramm neurechts Bewegter

Wird in Deutschland erst jetzt, nicht zuletzt durch den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Partei AfD (Alternative für Deutschland) und die sie umgebenden Strukturen, Personen und Vereine, eine breitere Öffentlichkeit darauf aufmerksam, daß es nicht nur eine prollige Subkultur kurzhaariger Schläger gibt, der man getrost das Etikett „rechts-„ anheften kann, sondern sehr wohl auch eine ernst zu nehmende Szene rechter Intellektueller unterschiedlichster Abstufungen, wurde bei unseren französischen Nachbarn immer schon die sogenannte ‚Nouvelle droite‘ beobachtet und sehr wohl auch in intellektuellen Zirkeln wahrgenommen. Sie speiste sich aus alten französischen Kollaborateuren des NS-Regimes, der ‚Action française‘, aus Indochina- und Algerienkämpfern, Anhängern des OAS, Fremdenlegionären, Antirepublikanern und politischen Hasardeuren und einer ganzen Gilde rechter und rechtsextremer Vordenker wie Alain de Benoist. Im 1972 gegründeten ‚Front National‘ hatten all diese Strömungen so lange eine politische Heimat, wie der Parteigründer und Patriarch Jean-Marie Le Pen fest im Sattel saß und es sich nicht nehmen ließ, regelmäßig rassistische Hetzreden zu halten und antisemitische Statements abzugeben. Seit seine Tochter Marine Le Pen die Partei übernommen und den Herrn Papa schließlich sogar per Ausschlußverfahren seiner eigenen Gründung verwies, müht man sich, seriös und demokratisch zu wirken, allerdings bei offen nationalistischen Tendenzen und einem nahezu sozialistischen Wirtschaftsprogramm. Ein Schelm, wem Böses dabei schwant.

Als Jérôme Leroy begann, sein Werk LE BLOC (Originaltitel) zu schreiben, war diese letzte Wendung im familiär-politischen Drama „Le Pen“ wohl noch nicht so klar absehbar. 2011 erschienen, berichtet uns dieses im Deutschen als Kriminalroman angepriesenes Werk aus der entscheidenden Nacht für die Partei ‚le Bloc Patriotique‘ – Der Block – welche unverkennbar dem ‚Front National‘ nachempfunden wurde. In einer nicht allzu fernen Zukunft, herrscht in den Banlieues, jenen ghettoartigen Trabanten französischer Großstädte, ein permanenter heimlicher Bürgerkrieg: Autos brennen, die Armee ist im Einsatz und die Sondersendungen lassen am Bildrand Ticker laufen, die die Toten zählen. Die Republik steht praktisch vor einem offenen Bürgerkrieg, da besinnt sich die politisch nie näher eingeordnete Regierung, die äußerste Rechte mit ins Boot zu holen, um drastische Maßnahmen einfacher durchsetzen zu können. Agnès, die Tochter des Parteipatriarchen Dorgelles, welcher mittlerweile altersschwach auf seinem Landgut in der Normandie dahindämmert, gelegentlich durch Erfolge seiner alten Kameraden aufgeweckt, verhandelt mit Vertretern der Regierung über Posten und Positionen. Ihr Gatte, Antoine Maynard, ein intellektueller Vordenker der Partei, harrt im luxuriösen Heim des kinderlosen Paars der  Nachrichten, ob und wie die Verhandlungen voranschreiten; in einem heruntergekommenen Hotelzimmer wartet derweil der beste Freund des Gatten, Stanko, auf seine Häscher. Er, der immer die Drecksarbeit für den Alten und die Partei erledigt hat, er, der sich für keine miese Sache zu schade war, nie Furcht zeigte, untadelig sein Leben in den Dienst der Sache gestellt hat, soll nun das Bauernopfer für den Kompromiß mit den Regierungsparteien werden. Will man als seriös anerkannt werden, wird man sich wohl von den Schlägern, den Skins, den Prolos und der ganzen geheimen Armee, die die Partei sich hält, trennen müssen, zumindest von den allzu bekannten und allzu gefürchteten Köpfen dieser Geheimarmee. Und Stanko ist genau DER Kopf, dessen gefallener Kopf symbolisch für volle Befriedigung sorgen kann. Zudem hat der eine und der andere in der Partei wie außerhalb auch noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.

Leroy weist im Nachwort selbst darauf hin: Es ist die klassische Einteilung von Raum und Zeit, die er sich einzuhalten müht, auch wenn ihm das letztendlich nicht ganz gelingt. Eine – die entscheidende – Nacht lang folgt man gedanklich diesen beiden so unterschiedlichen Männern, die doch enge Freunde sind und sogar bereit, den eigenen Untergang als nicht zu hohen Preis für das Gelingen des Ganzen zu betrachten. Zumindest in Stankos Fall ist das so, auch wenn er sich der Ironie, ausgerechnet von den „Elitesoldaten“ erledigt zu werden, die er ausgebildet hat, voll bewußt ist. Während die äußere Handlung also diesen strengen Rahmen hält, zieht in der jeweiligen Rückschau der Freunde in dieser für sie jeweils so anderen und doch so entscheidenden Nacht die gesamte Geschichte der französischen Rechten am Leser vorbei und wird literarisch vergleichsweise spannend aufbereitet. Man erfährt viel über die Verwicklungen und wo in der Vergangenheit die Nahtstellen zu finden waren, jene Übergänge von der gewalttätigen, meist gar nicht oder nur locker organisierten  Hooligan- und Skinhead-Szene – reiner Subkultur – zur organisierten rechtsextremen Bewegung, bzw. Partei. Das packt über weite Strecken, da es Leroy gelingt, beiden Figuren – dem ebenso opportunistischen wie gebildeten Antiachtundsechziger Antoine wie auch dem primitiven Vorstadtschläger Stanko – eine jeweils treffende Psychologie zu verpassen. Man glaubt diese Figuren, man nimmt beiden die Reflektion ab, man nimmt ihnen ihre Sprache ab (auch in der Übersetzung) und somit auch ihre Beweggründe und Motive. Daß Stanko in der Ich-Form berichtet, während Antoine sich selbst mit einem „du“ belegt und damit Distanz sich selbst gegenüber schafft, mag klischeehaft anmuten, beglaubigt die Figuren aber dennoch und sorgt für die notwendige Differenz. Denn es ist eine psychologisch nur allzu bekannte Strategie, einem Unliebsames des eigenen Ich zu externalisieren. Dieser Antoine scheint sich zu häuten, und doch bleibt sich die Schlange unter den abgestreiften Hautschichten immer gleich. Leroy versteht es mit ebenso einfachen wie brillanten sprachlichen Kniffen sehr, sehr viel über seine Figuren zu berichten.

Wahrscheinlich ist das Phänomen, wie sich Menschen lebens- und menschenfeindlichen Ideen oder gar Ideologien verschreiben können, am ehesten psychologisch zu erklären. Sollte dem so sein, dann liefert Leroy wirklich brillante Arbeit ab. Diese beiden, die so stellvertretend für zwei Seiten des rechten Spektrums stehen mögen und doch klingen, als spräche ein siamesischer Zwilling, vielleicht sogar eine gespaltene Persönlichkeit, die sich müht, gegensätzliche Wesenszüge zu integrieren, sind vollkommen einleuchtend in ihren historischen und sozialen Bezügen. Stanko, ein Kind des Département Pas-de-Calais, wo auch der ‚Front National‘ seit jeher eine seiner Hochburgen hat, entstammt einer fast schon subproletarischen Schicht, die mit wachsender Arbeitslosigkeit und zunehmender Verödung der ehemaligen Kohlegebiete immer weiter ins soziale Abseits gerutscht ist. Hier – Studien und Statistiken zu Demografie und Bündelung gewisser politischer Vorlieben berichten zuhauf davon – gebiert die Armut, die Perspektivlosigkeit und die allgemeine Verrottung der urbanen Räume ein dumpfes Klima aus Mißgunst, Wut auf „die da oben“, die die Menschen vor Ort vergessen zu haben scheinen und Hass gegen alles Fremde, das die eigene Situation noch zu verschlimmern scheint. Was hier vor sich hin brütet, müssen Populisten und Menschenfänger wie jene, denen Stanko einst begegnete – ehemalige Fremdenlegionäre, die sich keiner demokratischen Zivilgesellschaft mehr unterordnen können und wollen, Menschenfänger und zu Abseitigem Neigende – nur noch ernten und in die richtigen Kanäle leiten, um es sich zu Nutze zu machen. Diese Wut, der Hass – brillante Voraussetzungen, um eine schlagfertige Armee damit zu speisen. Es sind Männer wie Antoine – brillante und gebildete Köpfe, die im Nachklapp von „68“ erwachsen wurden, eine zunächst pubertäre Wut gegen die ältere Generation entwickelten und schließlich die wirklichen Nachteile und Sollbruchstellen von sich politisch korrekt gebenden Gesellschaften erkannten und angriffen, zugleich aber auch eine Lust am Primitivismus, an Gewalt und Männlichkeitsriten entwickelten – die die ersten Berührungspunkte zwischen den unorganisierten Schlägertrupps und den wirklichen Vertretern und Denkern der „Nouvelle Droite“ herstellen.

Diese Erklärungen und Schilderungen gelingen hervorragend. Einzig, daß mit dem „Alten“, im Buch namentlich Dorgelles, ein wirklicher Ideologe nur indirekt vorkommt, gibt zu denken. Sowohl Antoine als auch Stanko, so gewinnt man den Eindruck, hätten mit ein wenig anderen Kontakten, ein wenig mehr Zuwendung vielleicht, mehr Aufmerksamkeit, auch ganz andere Lebensläufe, Wege weitab aller Extremen nehmen können. Was sicherlich auch der Realität entspricht. Dem entsprechend stattet Leroy Stanko zumindest auch mit Eigenschaften aus, die zwar wieder dem Klischee entsprechen – verkappte und nur manchmal offen ausgelebte Homosexualität, Gewaltlust, die sich zunächst ein ökonomisch denkender Sadist zunutze macht, der mit Hilfe von Stanko und dessen Freunden widerliche Snuff-Filme herstellt – , doch sind diese Eigenschaften durchaus auch geeignet, einen Pubertierenden in einem sozialen Brennpunkt zu charakterisieren, seine Orientierungslosigkeit und die Anfälligkeit für starke Persönlichkeiten und Führung. Es sollte dennoch nicht vergessen werden, daß es genügend Menschen da draußen gibt, die wirklich menschenfeindlichen Ideologien frönen, die wirklich und aus tiefster Überzeugung rassistische und antisemitische Haltungen zur Schau stellen und wirklich durch und durch bereit sind, Gewalt anzuwenden, um vermeintlich politische Ziele durchzusetzen. Es braucht meist diese Überzeugungstäter, damit aus „dummen Ideen“ Taten werden, aus Angeberei Mord und Totschlag. Die Rechte – ob in Frankreich, in den USA oder in Deutschland – auf ein fehlgeleitetes adoleszentes Gebaren zu reduzieren, mutet etwas fahrlässig an.

Doch soll dieser Aspekt nicht überstrapaziert werden. Leroy ist da – doch einige Zeit, bevor es in ganz Europa sichtlich virulent wurde – einer Entwicklung auf der Spur gewesen, die uns noch einige Zeit beschäftigen wird. In literarisch hervorragender Weise konfrontiert er den Leser mit rechtsextremem Gedankengut, dem man sogar folgen kann. Das macht die Lektüre allerdings irgendwann auch anstrengend, denn ununterbrochen in den Köpfen vielleicht kluger, aber eben extremer und auch extrem unsympathischer Menschen zu stecken, ist auf Dauer ein unerquickliches Unterfangen. Das in Deutschland als „Kriminalroman“ untertitelte Buch sollte von Anhängern dieses Fachs keineswegs unterschätzt werden, dies ist kein Spannungsroman. Viel mehr ist es eine psychologische Studie, die meist gut funktioniert, sich manchmal zu sehr auf Klischees verlässt und letztlich verständlich macht, wieso Klischees immer in der Realität fußen. Eines ist dieses Werk dabei allemal: brutal realistisch. Und damit auch brutal beunruhigend.

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