DER KLEINE SOLDAT/LE PETIT SOLDAT
Godards zweiter Langfilm sollte unbedingt wieder geschaut werden!
Bruno Forestier (Michel Subor) ist aus Algerien desertiert und in die Schweiz geflohen. Hier steht er in Diensten des OAS, einer rechtsgerichteten französischen Untergrundorgansiation, die dafür sorgen will, daß Algerien eine französische Kolonie bleibt. Unter anderem bringt Bruno mit zwei Komplizen einen Radiomoderator um, der liberale Haltungen zum Konflikt in Algerien vertritt. Doch eigentlich möchte Bruno sich lossagen, er arbeitet als Fotograf und will sich ganz ästhetischen Fragen hingeben. Das tut er geistig sowieso ununterbrochen. Er erzählt uns seine Gedanken, die sich um philosophische und ästhetische, ideelle und ideologische Fragen drehen und im Grunde nur zu einer immer stärker werdenden Verunsicherung, bzw. einem immer stärkeren Desinteresse gegenüber all der Theorie führen. Ein Freund bittet ihn, eine junge Freundin zu fotografieren. Sofort, als Bruno Veronika Dreyer (Anna Karina) erblickt, verliebt er sich in sie, wie sein Freund es ihm prophezeiht hatte. Die beiden führen einen ununterbrochenen Dialog über eben die Fragen, die Bruno umtreiben. Veronika fühlt sich ebenso bedrängt wie geschmeichelt, daß ihr seine Aufmerksamkeit derart zuteil wird. Doch seine Waffenbrüder bleiben ihm auf den Fersen. Er soll einen weiteren Auftrag ausführen, allein schon, weil ihn höhere Kreise im OAS für unsicher, ja, sogar für einen Verräter halten. Bruno sagt, er habe keine Ideale mehr und stellt fest, daß er in dem ganzen Kampf der verschiedenen Fraktionen keinen Sinn mehr erkennen kann. Sinn, wenn überhaupt, scheint ihm die Liebe zu machen. Und die Kunst, vielleicht. Dann wird er von arabischen Untergrundkämpfern entführt, die wissen wollen, wie sie an die OAS-Zelle heran kommen können. Bruno weigert sich, darüber zu reden und muß schreckliche Foltern ertragen. Er kann sich befreien und kehrt zurück zu Veronika, ruft aber, um Hilfe bittend, auch seine alte Zelle an, denen er das Versteck der Araber verrät, die natürlich längst geflohen sind. Er begreift, daß er in eine Falle getappt ist, als er auf einem Foto einen Mann erkennt, den er einmal in Veronikas Gegenwart gesehen hat. Sie war also auf ihn angesetzt. Sie sagt, das läge daran, daß man irgendwann eine Haltung zu den Dingen einnehmen müsse. Eine Haltung habe er schon lang nicht mehr, antwortet er ihr. Dennoch beschließt er, mit ihr gemeinsam nach Brasilien zu fliehen, verlässt ihre Wohnung, um sich mit seinen Verbindungsleuten zu treffen und teilt uns dann nur noch mit, daß diese – was wir auch noch sehen – derweil Veronika abgeholt und in ein geheimes Gefängnis gebracht hätten, wo sie an den Folgen der Folter gestorben sei. Alles, was er noch wolle, sei, zu akzeptieren und er hoffe, das auch einmal zu können – er sei guter Dinge, er sei jung, er habe noch viel Zeit…
In einem intellektuellen Spannungsfeld zwischen Malreaux, Aragon, Camus, Verlaine, Lenin und Améry (und etlichen mehr) verliert sich der Held in Jean-Luc Godards zweiten Langfilm LE PETIT SOLDAT (1960). All die Genannten drücken seine Haltung – und möglicherweise die des Regisseurs – gegenüber dem Algerienkrieg, einer Haltung generell, Idealen, der Postmoderne als postideeller Zeit, gegenüber der Fotografie, dem Kino und der Kunst aus. Oder rufen seinen Widerspruch hervor. Sie markieren das – weitestgehend willkürliche – Netz, dessen Unübersichtlichkeit den jungen Bruno Forestier sich verlieren lassen, ihn verunsichern. Kein Ideal, das nicht schon sein Gegenteil in sich trägt, keine Haltung, die nicht den Kern ihrer Widerlegung birgt. In den Fallstricken intellektueller Vielschichtigkeit geht jedwede Form, jedes Gefühl für echte Gefühle, wirkliche Ideale und die Kenntnis, warum man sie braucht, verloren. Er denke über sein Denken nach, schon während es passiere, sagt Bruno in seinem langen, fast verzweifelt anmutenden Schlußkommentar und markiert damit den Weg, den Godard einzuschlagen gedachte: Ein Film ist nur ein Film, wenn er davon berichtet, ein Film zu sein, sozusagen die Konditionen behandelt, die nötig sind, damit Filme überhaupt entstehen können.
„Fotografie ist die Wahrheit und Film ist die Wahrheit 24 Mal in der Sekunde“ – es ist dieser berühmteste Satz eines mit bedenkenswerten Sätzen randvoll gefüllten Films, den man danach immer mit dem Regisseur in Verbindung brachte, sein Credo wollte man darin erkennen. Das dürfte ein Fehler sein, denn nichts bewies Godard in den folgenden zehn Jahren mehr, als daß die Wahrheit des Films und „die Wahrheit“ niemals auch nur in Bezug zueinander stehen, allerhöchstens indirekt. Wobei auch er durchaus die Frage danach stellte, was “ die Wahrheit“ eigentlich sei. Der Satz verdeutlicht viel mehr die tiefere Ebene von LE PETIT SOLDAT: Wenn die Wahrheit derart kleinteilig ist, wenn es so viele Wahrheiten gibt, wie es Sekunden gibt, mehr noch: Jedes Bild eine Wahrheit ist, eine 24tel Sekunde – ist die Wahrheit dann noch erfassbar? Das einzelne Filmbild ist es nur noch, indem es seiner Funktion entrissen wird und als Einzelbild ausgestellt wird. Aber ist es dann noch die Wahrheit im Sinne des Satzes? Die Wahrheit des Films?
Die Wahrheit der Kunst, die Wahrheit der Ästhetik – „Ethik ist die Ästhetik der Zukunft“ heißt es einmal im Film – , die Wahrheit der Philosophie, der Poesie, der Prosa, die Wahrheiten des Films und der Fotografie, in all diesen Wahrheiten, all diesen Fragmenten eines nicht mehr gültigen Puzzles, geht schließlich unter, was Wahrheit sein könnte. Die Liebe, beispielsweise. Godard ist längst verliebt in seine Hauptdarstellerin, Anna Karina, die er bereits in À BOUT DE SOUFFLE (1960) besetzen wollte, die sich weigerte, nackt vor der Kamera zu erscheinen und die der Regisseur nun mit dem Fotografen Bruno darüber streiten lässt, ob Nacktheit vor der Kamera natürlich, also einmal mehr „wahr“ sei oder ganz im Gegenteil das Natürliche zerstöre. Und in einem solchen Gespräch mag zum Ausdruck kommen, daß die Liebe allein lohne, die Zukunft anzunehmen, auch wenn die bitteren letzten Sätze des Films diese Wahrheit ebenfalls unterminieren. Bruno will keine weiteren Morde mehr begehen, er will lieben – und wird durch die Liebe verraten, was den Zirkel schließt und zugleich eine Ausweglosigkeit markiert, die bedrückend ist. Die Liebe könnte Wahrheit sein, das lässt der Film, das lässt Godard so stehen.
Obwohl LE PETIT SOLDAT in seiner Anlage noch wirken mag wie ein herkömmlicher Spielfilm – trotz der exzessiven Over-Voice, trotz der damals vollkommen unüblichen Handkamera, der Reißschwenks und Ransprünge – ist er schon längst auf einem Metalevel angelangt, das aber nicht direkt ins Auge springt. Der Vorwurf an Godard: Diesem Zitatefeuerwerk könne niemand mehr folgen. Die Antwort des Films: Darum geht es nicht! Es geht darum, aus den Gedankenfetzen und -splittern die Erkenntnis zu generieren, sich eben keiner Wahrheit mehr gewiß sein zu können. Der Film steht bereits, wie es Godards Filme schließlich immer mehr, immer stärker tun sollten, mit sich selbst im Dialog, er versichert sich seiner selbst ununterbrochen, versichert aber auch seinen Regisseur bspw. der Liebe zu dieser Frau, deren Gesicht die Kamera zu untersuchen nicht müde wird. Und auch greift der Film zugleich in einen übergeordneten, einen gesellschaftlichen Diskurs ein, bzw. drängt ihn in die Öffentlichkeit. Zu sehr, wie das Verbot beweist, dem er zunächst unterlag.
Godard wirkt seiner Zeit – gerade von heute aus gesehen – weit, weit voraus, sowohl in der Analyse, als auch in der Form. Als antizipiere er nicht nur eine politische Entwicklung, die erst Jahrzehnte später erkennbar sein würde, erzählt er mit seinem dekonstruktiven Ansatz[1] der sich unterlaufenden Gedankengänge von einem fragmentierten Ich, das erst gut zwanzig Jahre später zu einem Topos der postmodernen Urbanität und Verlorenheit werden sollte. Bruno ist wie Veronika, wie sein Regisseur, ein gebildeter Mensch, vielleicht ein verbildeter. Die Kenntnis noch der gegenläufigsten Theorien, die ewigen Fragen danach, welche Künstler wen ausstechen, wann man welche Musik hören dürfe („Bach nur am Morgen“) zeugen von einer fast schon dekadenten Haltung, taugen all diese Bildungskenntnisse doch sichtlich zu nichts andrem mehr, als reiner Profilierung. Sie werden inhaltsleer, weil sie nur noch ein freies Spiel sich unendlich aufeinander beziehender Elemente darstellen. L´art pour l´art. Bruno wirkt darin ein wenig wie der gelangweilte Dandy, aber auch wie ein Vertreter einer Gesellschaft, die das Risiko ausgeschlossen hat. Ist er gelangweilt? Das mag sein. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb er sich auf das Spiel der geheimen Kräfte eingelassen hat, denn eine Motivation, weshalb er bereit ist, für den OAS zu töten (oder: jemals bereit gewesen sein sollte), liefert uns Godard (bewußt) nicht. Bruno kann in einer Welt, die nichts mehr bietet – die Eltern, so seine Klage, hatten „Spanien“ und den Faschismus als Fluchtpunkte: Das eine war zu retten, das andere zu bekämpfen – keinen Grund mehr finden, sich für etwas zu begeistern oder gar einzusetzen. Sie, die Nachkriegsgeneration, habe nichts mehr. Dabei ist der Krieg im Film immer noch gegenwärtig, sind die Erinnerungen an Gestapo-Folter und Résistance allzeit wach. Bruno erinnert mehrfach sowohl an Opfer der Deutschen als auch an Opfer der Résistance nach der Befreiung. Das Frankreich ein tief zerrissenes Land war, worüber aber nie geredet werden durfte – Godard macht es spürbar.
Ist LE PETIT SOLDAT mit einer dezidierten Nicht-Haltung ein nihilistisches Werk? Eben nicht. Denn Godard weiß sehr genau um den Unterschied von Theorie und Praxis, er markiert ihn deutlich in der langen Folterszene zur Mitte des Films. Bruno, der uns das Geschehen übergenau schildert, teils sogar uns soeben vorgeführte Begebenheiten erneut erklärt, sagt zur Folter, daß sie sprachlos mache, nicht sagbar ist. Aber – und das setzt Godard in seinen gnadenlos distanzierten Bildern perfekt in Szene – sie ist wahr. Der Schmerz ist wahr. Die Angst ist wahr. Der Horror, das Grauen vor dem nächsten Stromstoß, dem nächsten Schlag, der nächsten Flamme sind wahr. In der Konfrontation all der schon gesagten und wieder vergessenen Sätze über Ästhetik und Ideale, die wir zum Zeitpunkt, da Bruno seinen Häschern in die Hände fällt, bereits gehört haben mit der reinen Gewalt des Ausgeliefertseins und der Willkür, wird die „Wahrheit“ arg gebeutelt. Sie scheint nur noch aus Schmerz zu bestehen, alles, was kein Schmerz ist, ist – Verhandlungssache? Alle Theorie tritt dahinter zurück. Verblasst.
Godard ist so ziemlich der einzige französische Künstler gewesen, der sich des Algerienkrieges annahm, solange dieser tobte. Es war ein fürchterlicher Krieg, ein später Kolonialkrieg, in dem sich eine europäische Kolonialmacht ein weiteres Mal herausnahm, sich rassistisch über die Bedürfnisse einer einheimischen Bevölkerung hinwegzusetzen und für sich Methoden in Anspruch nahm, die man erst 15 Jahre zuvor mit dem Faschismus in Europa besiegt zu haben glaubte. Zugleich war es ein früher asymmetrischer Krieg, der vieles vorweg nahm, was wir von heutigen Kriegen kennen, inklusive religiösen Fanatismus´. Man könnte soweit gehen, den Algerienkrieg als Blaupause all der verfehlten Kriege der Gegenwart zu betrachten. Godard zeigt uns – auch darin seiner Zeit voraus – wie „Wahrheit“ im Krieg allemal nicht mehr existiert; die, die hier kämpfen, tun dies mit allen Mitteln und gleichen sich darin immer mehr einander an. Wer hat aber dann noch ein Recht darauf, recht zu haben? Godard führt die Machenschaften aller Beteiligten ad absurdum: Bruno ist ein Deserteur, der in die Schweiz geflohen ist, um dem Zugriff der französischen Behörden zu entgehen, er arbeitet aber für den OAS, eine rechtsextreme Organisation, die Algerien nicht als Kolonie aufgeben will; erst spät im Film stellen wir fest, daß diese OAS-Zelle offenbar recht deckungsgleich mit einer Einheit des französischen Geheimdienstes ist, so also zugleich für und wider den Staat arbeitet; die „Araber“, wie Bruno sie nennt, eine offensichtlich den afrikanischen Befreiungsbewegungen nahestehende leninistische Gruppierung, entführen und foltern Bruno und bedienen sich also in einem theoretischen linken Diskurs der faschistischen Mittel der Gestapo – und rechtfertigen das mit dem Hinweis, das machten die „anderen“ ja auch so. Die OAS – ein zusätzlicher Twist – stellt sich bewusst in eine Linie mit der Résistance, womit sie den Flair einer Widerstandsbewegung bekommt und sich auf einer Ebene mit eben jenen Befreiungsbewegungen ansiedelt, die sie bekämpft. Der geheime Kampf dieser Organisationen wird – auch da ist Godard (eher aus Zufall) ganz auf der Höhe der Zeit – in Genf, auf dem Boden der neutralen Schweiz, ausgetragen, die damit alles andere als neutral bleibt. Eher wird sie zu einem Niemandsland zwischen den Fronten. Unten ist oben, oben unten. Links ist rechts und rechts links. Nichts erscheint „richtig“ in der Anordnung des Films. Womit er der „Wahrheit“ wahrscheinlich sehr, sehr nahe kommt.
LE PETIT SOLDAT rührt am Tabu, stellt einen modernen Menschen in den Mittelpunkt, der nach eigenen Angaben „keine Ideale“ hat, der nach allem, was wir sehen können, in all seiner Bildung, all den theoretischen Fragen, auch längst die Orientierung verloren hat und konfrontiert ihn mit einer Radikalisierung politischer Extreme, die eigentlich schon nicht mehr in die Zeit passt, wie die ständigen Verweise auf die Zeit der Besatzung verdeutlichen. Und deren theoretische Basis längst kein „sicherer Grund“ mehr ist, von dem aus man denken, geschweige denn handeln könnte. Nur bedeutet dies, daß die Anhänger veralteter Antworten a priori immer reaktionärer in Verteidigung ihrer Methoden werden müssen. Bruno bekommt das zu spüren.
Godards Film wurde beschlagnahmt und durfte erst nach Beendigung der Kampfhandlungen 1963 uraufgeführt werden. Heute ist diese Beschlagnahme nicht mehr nachzuvollziehen, doch selbst unter Berücksichtigung damaliger Be- und Empfindlichkeiten leuchtet es nicht wirklich ein. Es sei denn, Godard habe zum einen in ein Wespennest gestochen, immerhin plante der OAS den 1961 in Algerien ausgerufenen Staatsstreich gegen de Gaulle aktiv mit, oder aber die Zensurbehörden – und man neigt dazu, dieser Variante den Vorzug zu geben – haben den Film schlicht nicht verstanden und sich sozusagen pro forma angegriffen gefühlt. De facto greift Godard in den Diskurs der Linken hinsichtlich des Krieges ein und verdeutlicht die eigene Unsicherheit in Bezug auf Mittel und Methoden. Ja, Godard stellt den Diskurs selbst in Frage, wenn er die gängigen linken Thesen zu Revolutionen, Volksaufständen und Befreiungsbewegungen vorlesen lässt, während Bruno, unsere Identifikationsfigur, die dummerweise aus nie genannten Gründen bereit ist, für eine faschistoide rechte Geheimorganisation zu töten, gefoltert wird. In diesem Szenario laufen „richtig“ und „falsch“ derart gegeneinander, bedingen einander und unterwandern einander, daß der entstehende gedankliche Knoten kaum mehr zu lösen ist. Wo steht das Ich in den theoretischen Diskursen? Und wie soll, wie kann es sich verhalten?
LE PETIT SOLDAT ist auch heute noch ein Film, der den Zuschauer überrascht. Die fast permanente Erzählstimme aus dem Off trägt dazu bei, die manchmal übergangslos zu Brunos Sprechstimme im Film wird, so daß der Zuschauer irritiert ist, wo in der Erzählung er sich befindet: In Brunos Kopf oder bereits im Dialog mit seinen Peinigern oder seiner Geliebten. Die Irritation setzt sich in den Bildern fort. Die Bilder, die Raoul Coutard vom nächtlichen Genf einfängt, die Dynamik, die entsteht, wenn er den Protagonisten mit seiner Handkamera in den Wagen und auch den Räumen eng auf den Leib rückt, die Sprünge und Schwenks dieser äußerst beweglichen, lebhaften Kamera, die das Geschehen mal extrem nah an den Zuschauer heranträgt und dann wieder enorm distanzieren kann, verunsichert und erzeugt eine gehetzte Atmosphäre, in der man nicht zur Ruhe zu kommen scheint. Ein paranoider Grundzug manifestiert sich. Geheimdienstarbeit, die sich verselbstständigt. Dazu tragen natürlich auch Godards in À BOUT DE SOUFFLE bereits eingeführten und erprobten Schnitt- und Montagemuster bei. LE PETIT SOLDAT verstört, damals allein schon durch den Tabubruch, den Algerienkrieg überhaupt zu thematisieren, aber darüber hinaus eben durch diese Atmosphäre und die sie erzeugenden Maßnahmen. Ein Film, der uns – gerade in Zeiten großer Unübersichtlichkeit – vielleicht sehr viel zu sagen hat. Nicht zuletzt, wie man mit Unsicherheit und Unübersichtlichkeit gelassener umgehen könnte. Wesentliches Kino.
[1] Der Philosoph Jacques Derrida, gefragt, ob Godards Werk Einfluß auf ihn gehabt habe, behauptete, die Filme des Künstlers kaum zu kennen, ebenso behauptet Godard bis heute, mit der Philosophie der Dekonstruktion nach Derrida kaum vertraut zu sein. Selbst einmal angenommen, daß beide in ihrer ureigenen Eitelkeit ein wenig flunkern, wäre eine Doppellektüre der frühen Texte des Meisters und Godards Filmen bis hin zu PRÉNOM CARMEN (1983) höchst interessant, könnte man hier doch wahrscheinlich verfolgen, wie zwei Meisterdenker mit ihren jeweils ureigenen Mitteln – der Schrift und der Kamera, letztlich der Sprache – auf ähnlichen Pfaden wandeln, ähnlichen Phänomenen auf der Spur sind.