MAL NOSSO/OUR EVIL

Ein verstörender Terrorfilm aus Brasilien

Arturo (Ademir Esteves) wacht nachts auf. Er loggt sich ins Darknet ein und sucht dort nach einem bezahlten Killer. Er stößt auf die Seite von Charles (Ricardo Casella), der mit dem ausgesprochen brutalen Video einer Folterung und anschließenden Tötung einer jungen Frau um Kunden wirbt. Arturo nimmt Kontakt auf.

Am Morgen macht er Frühstück für seine Tochter Michele (Luara Pepita), die bald Geburtstag hat und 20 Jahre alt wird. Sie freut sich auf das Fest, das Arturo ihr verspricht.

Abends trifft Arturo Charles in einer Bar. Sie vereinbaren die Modalitäten des Mordes. Er soll an einem bestimmten Tag stattfinden und muß aus der Ferne, mit einem Präzisionsgewehr geschehen. Arturo fragt Charles, weshalb er seine Dienste anbiete. Die Bezahlung soll halbe/halbe vor und nach dem Mord erfolgen. Der Killer antwortet, er hasse alle Menschen und mache aus diesem Hass eben auch ein lukratives Geschäftsmodell.

Nachdem Arturo die Bar verlassen hat, nähert sich Charles zwei Frauen. Sie erklären sich bereit, ihm nach hause zu folgen. Dort fesselt er die eine, die andere würgt er zu Tode. Dann widmet er sich auch seinem anderen Opfer.

Micheles Geburtstag rückt näher, Arturo bereitet alles für die Feier vor. Am Abend des Geburtstages essen Vater und Tochter gemeinsam. Während des Nachtisches knallt ein Schuß und Michele fällt durch einen Kopfschuß tödlich getroffen vom Stuhl. Charles steht auf der anderen Straßenseite. Er lädt durch und legt erneut an. Arturo schließt die Augen und erwartet sein Ende. Prompt wird auch er per Kopfschuß getötet.

Charles geht heim. Er wartet auf eine Sendung von Arturo, in der dieser ihm die Daten für ein Postfach, in dem die zweite Hälfte der Bezahlung liegt. Charles erhält per Post ein Videoband. Er bestellt sich eine Pizza, legt das Video ein und beginnt damit, es zu schauen.

Arturo ist darauf zu sehen. Er erklärt Charles, wie er ihn gefunden habe und wie sehr er dessen Haltung den Menschen gegenüber, seine Taten und sein Leben verabscheue. Er erklärt sich einverstanden, ihm den Code für das Postfach mitzuteilen, zuvor wolle er ihm aber eine Geschichte erzählen.

Und so berichtet Arturo von seinem Werdegang. Daß er als junger Mann herausgefunden habe, daß er über bestimmte Fähigkeiten verfüge, die ihn Dinge sehen und hören ließen, die Normalsterblichen nicht zugänglich seien. In Träumen und halluzinierenden Zuständen sei er in einem imaginären Zirkus seinem Mentor, einem Clown (Antony Mello) begegnet, der ihm nicht nur Anleitung zum Nutzen seiner Fähigkeiten, sondern auch Hinweise auf Gefahren im Umgang mit diesen gegeben.

So habe er damit viel Gutes tun können – Kranken die Schmerzen lindern, Verständnis zeigen für jene, die ohne Hilfe und Mitleid seien. Aber auch habe er das Böse gesehen. Deshalb sei er häufiger zu Exorzismen gerufen worden.

Bei einem dieser Exorzismen habe er eine alte Frau und ein junges Mädchen getroffen, deren Mutter, die Tochter der Alten, von einem Dämon besessen gewesen sei. Er habe nichts mehr für die Frau tun können. Doch habe er bei diesem Exorzismus einen fürchterlichen Fehler begangen, indem er den Salzkreis, der um das Bett der Toten gezogen war und den Dämon damit bannen sollte, ungewollt mit dem Fuß verwischt und damit durchbrochen. Der Dämon brach aus, tötete die alte Frau, während Arturo bewußtlos dabei lag, und näherte sich dann dem Kind – es war Michele.

Nun habe er, Arturo, von seinem Mentor erfahren, daß das Böse sich in ihr ausbreite, die Infektion nach all den vielen Jahren um ihren 20. Geburtstag Besitz von ihr ergriffe. Dies sei der Grund, weshalb er Charles beauftragt habe, Michele und ihn, Arturo, zu töten. Sein Leben sei verwirkt, da er seine angenommene Tochter nicht habe schützen können.

Es klingelt und Charles nimmt die Pizza entgegen. Zurück am Monitor hört er Arturo erklären, es spiele nun keine Rolle mehr, ob Charles, dessen Seele nach all seinen Taten so oder so verdammt sei, das Geld noch erhalte oder nicht. Denn Charles könne seinem Schicksal nicht entkommen.

Erneut schellt es. Charles fragt, nun schon verängstigter, wer da sei. Der Pizzabote antwortet, er habe noch Charles´ Wechselgeld. Als Charles öffnet, erhält er wohl eine Banknote, doch mit ihr ein durchgerissenes Ticket für eine Zirkusvorstellung – genau solch eines hatte der Clown in einer seiner letzten Botschaften auch Charles gegeben, da er nicht mehr weitermachen könne, mit seinen Vorstellungen. Es käme niemand mehr, seine Zeit sei um.

Charles geht zurück in die Wohnung. Er spürt, daß er nicht mehr alleine ist. Als er wieder an seinen Videomonitor treten will, kommt aus dem Nebenzimmer der Dämon und nähert sich Charles…

Schaut man südamerikanische Horrorfilme, bzw. Terrorfilme, wie O ANIMAL CORDIAL (Brasilien, 2018), SENDERO (Chile, 2015) oder eben den vorliegenden MAL NOSSO (Brasilien, 2017), fallen vor allem die extreme Ernsthaftigkeit und damit die Unterschiede zu europäischen oder gar amerikanischen Horrorfilmen auf. Die amerikanischen Produktionen kommen ohne ironischen Kniff, ohne ein Augenzwinkern, kaum mehr aus, selbst dort, wo sie grimmig und eigentlich ernsthaft wirken wollen; die europäischen Filme können durchaus mit großem Ernst aufwarten, dann jedoch weisen sie meist einen hohen Kunstwillen auf.

Ein Film wie Samuel Gallis MAL NOSSO nimmt sein Sujet ernst, in einem katholischen Sinne sogar ausgesprochen ernst. Er berichtet von einem Exorzismus, davon, wie das Böse sich festzusetzen versteht und von einem Wirt zum nächsten wandert. Das Böse erscheint hier wie eine Infektion. Aber er handelt auch davon, wie man das Böse gegen sich selbst wenden kann, er handelt, im allerengsten Sinn, von Schuld und Sühne. Er präsentiert seinem Publikum eine erstaunlich kompromißlose Story, aber auch einen teuflischen Dämon und einige krude Szenen äußerst expliziter Gewaltdarstellung, die im Kontext der Geschichte allerdings nicht nur gut funktionieren, sondern auch nahezu unabdingbar sind. Dabei ergötzt sich der Film allerdings nie an der Gewalt und ihrer Darstellung, was man ihm hoch anrechnen sollte. Er erscheint als ein organisch in sich geschlossener Kreislauf, der sich des Bösen annimmt und eine explizite, grausame und traurige Analyse bietet.

Galli nutzt für seine Geschichte wirklich überraschende Schocks, wenn er bspw. seine vermeintliche Hauptfigur nach der Hälfte des Films per Kopfschuß aus der Handlung ausscheiden lässt, nur um als Figur auf einem Videoband zurückzukehren und dann erst die wirkliche Geschichte hinter der Geschichte preiszugeben. Das mutet ebenso surreal wie postmodern an. Da wird von einem mit seherischen Fähigkeiten ausgestatteten Mann berichtet, der uns zunächst enigmatisch begegnet und erst als medialer Wiedergänger preisgibt, was ihn umtreibt. Ein zwar realistisch anmutendes Szenario wird uns leicht ent- und verfremdet präsentiert, bevor das Mittel eines Videobandes einen Film im Film einführt, der in seiner schlechten Bildqualität und den einfachen Mitteln Authentizität vermittelt. Zugleich hebt dieses Band die Differenz von Vorher und Nachher auf, was dem Film einen gespenstischen Unterton gibt, da der Tote, der auf dem band spricht, auch um die Zukunft des Betrachtenden weiß.

Dabei wird diesem Betrachter – im Film ein grausiger Killer, dem wir, ebenfalls auf einem im Internet gezeigten Filmchen, bei seiner brutalen Arbeit zusehen, aber ebenso ist das Videoband an uns, den Zuschauer des Films MAL NOSSO adressiert, wodurch wir auf eine unangenehme Art in das Geschehen hineingezogen werden, nicht zuletzt, weil wir ebenfalls bereit sind, diese Filme zu schauen – allerdings eine Wirklichkeit gezeigt, die weit von allem entfernt ist, was wir zu kennen glauben. Arturo erzählt von seltsamen Fähigkeiten, die ihn mit Kräften in Kontakt treten lassen, die außerhalb technisch oder wissenschaftlich wahrnehmbarer Sphären liegen. Dies prädestiniert ihn aber auch für Exorzismen, zu denen er immer wieder gerufen wird. Seine eigenen Instruktionen und Lebenshilfen wiederum erhält er von einem alten, als Clown angemalten Mann, der ihn regelmäßig in einen Traum-Raum holt. In der Manege eines imaginären Zirkus trifft Arturo seinen Mentor. Dort erhält er seine Unterrichtungen, dort wird ihm aber auch prophezeiht, daß seine Zeit abläuft, weil er in seiner Arbeit dem Bösen auch Vorschub geleistet hat, wenn auch unabsichtlich. Da wird also einer schuldlos schuldig. Wie auch wir, möglicherweise, wenn wir bereit sind, Filme zu betrachten, die uns, und sei es nur die Netzhaut unserer Augen, mit bösen Bildern infiziert. Diese Ebene bietet MAL NOSSO zweifelsohne an.

MAL NOSSO ist bedrückend, furchteinflößend und, wie bereits erwähnt, sehr, sehr kompromißlos. So, wie Galli seinem Publikum die Protagonisten präsentiert, fühlt man sich vom ersten Moment unwohl in diesem Film. Lange dauert es, bis wir die einzeln dargebotenen Puzzleteile so zusammensetzen können, daß uns Arturos Motiv klar wird, aber auch die Unausweichlichkeit seiner Situation, auch wenn wir sie lange nicht glauben wollen, selbst dann nicht, als uns der Film „objektive“ Bilder dessen bietet, womit Arturo es zu tun hat. Solange wir dies alles nicht verstanden haben, erkennen wir lediglich die abgrundtiefe Traurigkeit dieses Mannes und seine Resignation. Dennoch ist Arturo uns fremd, wenn er nachts im Internet nach Auftragsmördern sucht und sich dabei durch deren „Bewerbungsvideos“ klickt. Es sind auch dies die schauerlichsten, brutalsten Szenen, die dem Zuschauer geboten werden. Bleibt aber auch hier die Frage nach der Authentizität der Bilder, denn jene, die wir sehen, wenn Arturo auf dem Videoband von seinen Erlebnissen berichtet, können nicht die sein, die der Killer Charles betrachtet. So spielt MAL NOSSO mit seinen Zuschauern auch ein manipulatives Spiel um die Glaubwürdigkeit von Bildern, Darstellung und Dargestelltem.

Galli legt es nicht darauf an, sein Publikum durch Ekel zu fesseln oder zu schockieren. Schockierend sind die Auflösung des Ganzen und die dahinter sich andeutende Geschichte, die von einem äußerst einsamen Menschen erzählt, der mit einem furchtbaren Geheimnis lebt. Und es ist die Moral des Ganzen, die uns ebenfalls schockiert. Denn hier nimmt es einer mit Gut und Böse, mit Schuld und Sühne ganz besonders ernst – und genau. Das ist vielleicht nur die persönliche Passionsgeschichte eines einsamen Mannes. Doch nimmt man den Horrorfilm generell auch als Spiegel der Gesellschaften, denen er entspringt, dann fällt auf, daß gerade südamerikanisches Horror- und Terrorkino etwas zutiefst Arges reflektiert. Gesellschaften, die einerseits noch unter den Nachwehen der Diktaturen der 70er, 80er und teils der 90er Jahre leiden, die nicht wirklich aufgearbeitet wurden, die aber andererseits, wie wir gerade in diesen Monaten des Jahres 2019 erleben, bereits wieder unter enormen Spannungen stehen und Gewalt in verschiedenster Form hervorbringen, verarbeiten auch und gerade im Genrekino tiefliegende Verwerfungen und Verletztheiten. Was in einen Film wie SENDERO mit viel Wohlwollen hinein interpretierbar ist, wird in einem Werk wie O ANIMAL CORDIAL bereits virulent.

Hier wie dort wird uns anhand kleiner, an amerikanischem Genrekino und europäischen Thrillern geschulten Filmen auf höchst beunruhigende Weise vorgeführt, wie stark die inneren Spannungen in einzelnen Charakteren, wie in gesellschaftlichen Schichten sind, wie Verdrängtes sich Bahn bricht, wie Deformationen sich ausstellen und zu unvermittelten und unerwarteten Reaktionen führen. MAL NOSSO ist da einzureihen. Galli berichtet nun nicht mehr vom Verdrängten, denn Arturo weiß ganz genau, was er tut und warum er es tut. Nein, Galli berichtet von der Verdammnis selbst, davon, wie wir uns in Schuld verlieren und aus deren Schlingen nicht mehr entkommen können. Der von Arturo bestellte Killer wird uns nicht nur in einem Video vorgeführt, sondern wir müssen auch betrachten, wie er nach seinem Deal mit Arturo zwei junge Frauen mit zu sich nachhause nimmt und sie dort bestialisch umbringt. Zur Verdeutlichung seines Charakters, der keine Erlösung mehr finden wird? Vielleicht. Auch diese Szene, trotz aller Grausamkeit, dient nicht zur Erbauung oder Belustigung des Zuschauers, dazu ist sie zu distanziert und zu nüchtern inszeniert. Sie zeigt aber vortrefflich die Auswüchse im Einzelnen, der sich von aller Menschlichkeit losgesagt hat. Der Killer sagt es auch ganz deutlich: Er hasst alle Menschen. Er braucht dafür keine Begründung mehr und nach Ansicht seiner Taten, wollen wir auch keine – wie auch immer geartete psychologische, soziale oder historische – Begründung mehr.

Da geht Galli einen anderen Weg, als die Macher der oben genannten Filme. Er zeigt schlicht die Ergebnisse deformierter Gesellschaften in Vereinzelung und konfrontiert uns mit der Möglichkeit, daß im Menschen – da dann wirklich katholisch durch und durch, was ebenfalls auf die südamerikanischen Gesellschaften rekurriert – das Böse immer schon angelegt ist. Als Ursünde, vielleicht. Es ist letztlich die Frage, wie wir es aktivieren: Durch politische – und also juridische – Erlaubnis, durch Hass oder ökonomische Nachfrage? Oder durch Unachtsamkeit, wie es Arturo widerfahren ist? Können wir dieses Böse überhaupt verhindern? Oder wird das Böse, wenn es gefragt ist, sich immer zeigen? Es ist eben, dem Titel entsprechend, Mal Nosso, Our Evil – UNSER aller Böses. So gesehen ist dies vielleicht nicht einmal ein Horrorfilm, wie man gleiches auch über O ANIMAL CORDIAL sagen kann, sondern eine besonders bedrückende Analyse, die wenig Hoffnung lässt und schon gar keine Auswege mehr aufzeigt aus den Verstrickungen in persönliche Schuld. Wer in der Falle des Bösen sitzt, ist verdammt.

Dementsprechend ist der Dämon, wenn er auftritt, zwar grausig, aber nicht wirklich furchteinflößend. Er ist – das ist alles. Er ist im Kontext des Films schlicht eine Tatsache. Er ist in uns und wir können seiner nicht Herr werden. Er holt sich, was und wen er braucht. Es ist seine Natur, dies zu können und das, was er kann, auch umzusetzen, zu verwirklichen. Damit spricht Galli den Einzelnen scheinbar von Verantwortung frei, aber gerade Arturos Verhalten und was er in Gang setzt, indem er einen Killer anheuert und auf wahrlich unerwartete Opfer ansetzt, zeigt, daß es so einfach nicht ist. Konfrontiert mit dem Bösen, ob wir ihm standhalten, es aufnehmen, uns ihm hingeben oder nicht, müssen wir zumindest die Verantwortung dafür übernehmen. Eine Wahl haben wir nicht. Und diese Erkenntnis ist wahrlich grausig – vor allem aber tieftraurig.

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