MOTHER!

Ein seltsamer Hybrid aus Horrorfilm, Psychothriller, Familiendrama und Apokalypseallegorie

Ein Ascheberg, eine verbrannte Landschaft, die Ruinen eines Hauses, daraus entsteigend ein Mann (Javier Bardem), der einen Kristall in der Hand hält. Er setzt den Kristall in eine Halterung und sofort breitet sich von diesem Leben aus: Das Haus erhält seine Konturen zurück, die verbrannten Bäume, Sträucher und Wiesen um das Haus ergrünen, in einem Bett erwacht eine Frau (Jennifer Lawrence).

Der Mann ist ein Dichter und Schriftsteller. Mit seiner Frau bewohnt er das Haus auf einer Lichtung. Während er sich an einem neuen Werk versucht, aber unter einer Schreibblockade leidet, renoviert sie mit viel Liebe und Hingabe das Haus. Es ist ein labyrinthisches Haus, dessen Räume sich um eine zentrale Halle herum über mehrere Ebenen und Etagen verteilen. Während der Arbeiten am Haus macht die Frau immer wieder eine seltsame Erfahrung: Sie berührt eine der Wände und scheint durch ihre Finger eine organische Struktur, quasi das „Herz des Hauses“, wahrzunehmen, zu erspüren.

Eines Tages steht ein älterer Herr (Ed Harris) vor der Tür. Er gibt an, hier unterkommen zu wollen, er suche Bleibe für eine Nacht. Der Schriftsteller bittet ihn herein, auch wenn seine Frau dies mit gemischten Gefühlen sieht. Der Fremde gibt sich jovial, hält sich aber nur ungern an die Regeln der Hausherrin – darunter ihre Bitte, im Haus nicht zu rauchen.

Der Schriftsteller und der Mann gehen spazieren und danach bittet der Schriftsteller ihn, zu bleiben. Seiner Frau erklärt er, der Mann sei ein Verehrer seiner Werke, darüber hinaus sehr krank und würde gern einige Tage mit ihnen verbringen. Widerwillig gibt die Frau nach.

Am nächsten Tag steht die Frau (Michelle Pfeiffer) des Fremden vor der Tür. Wie selbstverständlich tritt sie ein und gemeinsam nimmt das Paar ein Zimmer in Beschlag. Während der fremde Mann immer wieder mit dem Dichter spazieren geht, sieht sich die Frau regelrechten Verhören durch die ältere Fremde ausgesetzt. Die trinkt ab dem späten Vormittag, scheint selbst unter etwas zu leiden und will immer wieder wissen, ob der Dichter und seine Frau nicht Kinder haben wollten. Zudem zeigt sie sich sowohl an den Renovierungsarbeiten interessiert, als auch an jenen Räumen und Zimmern, die eigentlich zur Privatsphäre des Paars gehören.

Der Fremde hatte in einem Regal den Kristall entdeckt, den wir zu Beginn gesehen haben. Der steht dort in seiner Halterung. Er will ihn unbedingt anfassen, was der Dichter aber unterbindet. An einem Abend schleicht sich das fremde Paar in den Salon, wo auch der Kristall steht, und fasst ihn an, woraufhin dieser zu Boden fällt und zersplittert. Der Dichter ist untröstlich. Um seine privaten Räume zu schützen, vernagelt er die Tür mit Brettern.

Anderntags schellt es an der Tür. Ein Sohn (Brian Gleeson) des fremden Paars steht vor der Tür und verlangt, umgehend seine Eltern zu sprechen. Es kommt zwischen diesen und dem jungen Mann zu einer Diskussion, die offenbar den Bruder des Sohns und eine anstehende Erbschaft betrifft. Die Frau hält sich aus den Belangen der Fremden heraus, bis unvermittelt der Bruder (Domhnall Gleeson) auftaucht, ins Haus eindringt, sich nicht nur mit den Eltern, sondern auch fürchterlich mit seinem Bruder streitet. Schließlich kommt es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen den beiden und der aufgeregte, später erschienene Bruder tötet den andern. Dann verschwindet er.

Die Eltern der Jungs sind außer sich. Während die Frau versucht, das Blut, das den Teppich tränkt und auf den Boden sickert, aufzuwischen, verlässt das Paar das Haus. Der Dichter folgt ihnen, er will sie beruhigen. Die Frau entdeckt derweil, daß das Blut des toten Mannes den Dielenboden des Wohnzimmers so getränkt hat, daß dadurch scheinbar ein Loch entstanden ist. Die Frau geht in den Keller, wo sie den Weg des Blutes verfolgt. Es scheint, als blute das Haus selbst aus einer schwärenden Wunde. Doch entdeckt die Frau im Keller auch eine Wand, die ihr bisher nicht aufgefallen war und die offenbar einen verborgenen Teil des Kellers abtrennt.

Der Dichter kehrt nicht nur mit dem verzweifelten Paar zurück, sondern teilt seiner Frau mit, daß die Trauerfeier hier, in ihrem Haus stattfinden werde. Und wirklich treffen schon kurz darauf die ersten Gäste ein. Im Laufe des Nachmittags werden es immer mehr. Zunächst verhalten sie sich angemessen, doch je später es wird, desto mehr artet die Trauerfeier zu einer Party, schließlich einem orgiastischen Gelage aus. Mehrfach versucht die Frau, die Gäste zurecht zu weisen, doch die nehmen sie nicht ernst und akzeptieren nicht, daß dies ihr Haus, also ihr Besitz, sei. Schließlich eskaliert die Situation, als einige Gäste trotz der mehrfachen Aufforderung, sich nicht auf die Spüle zu setzen, da diese noch nicht befestigt sei, genau das tun und so einen massiven Wasserrohrbruch herbeiführen.

Es gelingt dem Dichter, die Leute – inklusive des trauernden Paars – aus dem Haus zu werfen. Doch kommt es zwischen ihm und der Frau zu einem Streit, bei dem sie ihm vorwirft, sich über ihre Bedürfnisse hinwegzusetzen, sie nicht beschützen, ja, ihr nicht einmal ein Kind machen zu können. Der Schriftsteller bemächtigt sich ihrer mit Gewalt. Am nächsten Morgen teilt sie ihm mit, daß sie schwanger sei. Sofort löst sich bei ihm die Schreibblockade.

Die Zeit vergeht, das Kind wächst im Bauch der Frau, das neue Werk des Schriftstellers nimmt Gestalt an. Schließlich ist er fertig. Er übergibt sein Buch seiner Verlegerin, die umgehend in Aktion tritt und sehr rasch ist das Buch in den Läden, sofort ein Bestseller und der Autor hat endlich einen neuen Erfolg.

Zur Feier dieses Ereignisses hat die nun hochschwangere Frau ein wahres Festmahl bereitet. Der Dichter kommt heim und freut sich ungemein, doch bald schellt das Telefon und seine Verlegerin (Kristen Wiig) kündigt sich an. Doch zuvor versammeln sich immer mehr Menschen vor dem Haus. Es sind Fans, aber auch Reporter, die umgehend eine Pressekonferenz zu dem phänomenalen Erfolg erwarten. Der Schriftsteller tritt immer wieder vor das Haus, um sich feiern zu lassen, Autogramme und Interviews zu geben. Das Festmahl ist vergessen.

Die Verlegerin erscheint, sie bringt Leute aus dem Verlag mit, zugleich stürmen die begeisterten, ja, fanatisierten Fans das Haus. Eine wilde Party wird gefeiert. In einigen Räumen werden die von der Frau zubereiteten Leckerbissen ohne Rücksicht verschlungen, in anderen wird wild getanzt. Musik wummert durch das Haus, die Menge wird immer unübersichtlicher und die Frau, die versucht, sich einen Überblick zu verschaffen, sieht immer seltsamere Dinge. Einige Räume haben sich in Folterzellen verwandelt, andere sind mit Stacheldraht verhauen, Menschen sitzen in diesen Mini-KZ ein, in einem Raum richtet die Verlegerin Gefangene per Kopfschuß hin. Eine Spezialeinheit der Polizei stürmt das Haus, später wird sie von Einheiten der Armee unterstützt, es kommt zu Volksaufständen, die brutal niedergeschlagen werden. Derweil bildet sich eine Sekte heraus, die den Schriftsteller kultisch verehrt.

Die zusehends panischere Frau, die sich in den Massen zu verlieren droht, wird vom Schriftsteller in das Schlafzimmer gebracht und es gelingt ihm, die Tür zu verbarrikadieren. Hier bringt sie schließlich unter fürchterlichen Schmerzen das Kind zur Welt. Der Tumult im Haus bricht ab. Zurückgeblieben sind nur noch die Sektenmitglieder. Der Schriftsteller will ihnen das Kind zeigen, doch die Frau verweigert ihm das. Die beiden belauern sich nun einen Tag und eine Nacht lang, bis die Frau vor Erschöpfung einschläft. Als sie erwacht, ist das Kind fort, der Raum aber offen. Sie tritt hinaus und sieht ihren Mann, der verzückt beobachtet, wie das Kind über die Köpfe der Menge hinweg gereicht wird.

Erneut bricht sie in Panik – diesmal aus Angst um ihr Kind – aus und folgt ihm durch die Menge. Doch sie kommt zu spät: An einem Altar wurde das Kind zerrissen und unter den Gläubigen verteilt, die an Teilen des Neugeborenen knabbern. Die Frau dreht nun durch und bewaffnet sich mit einer Glasscherbe, mit der sie wahllos auf die Menge einsticht. Sie verletzt und tötet einige der Jünger des seltsamen Kults, wird aber schließlich überwältigt und nahezu totgeschlagen. Der Schriftsteller kommt ihr zur Hilfe, schützt sie und beteuert erneut, er habe das alles nicht gewollt, habe sich der Menge selbst nicht erwehren können, seine Frau solle – müsse – ihm verzeihen.

Doch die will das alles nicht mehr. Sie gelangt in den Keller, wo zuvor schon die seltsame Trennwand eingebrochen ist und den Blick auf einen sich in der Dunkelheit verlierenden Gang freigegeben hatte. Hier steht auch ein alter Ölofen, den die Frau nun leck schlägt. Dann zündet sie das auslaufende Öl an. Das Haus und alle, die sich darin befinden, aber auch die umgebende Lichtung, Bäume, Sträucher, die Wiesen, gehen in einer gewaltigen Explosion in Flammen auf.

Der Dichter, unversehrt, nimmt die schwer verletzte Frau und trägt sie durch die verbrannten Ruinen des Hauses nach oben in das gemeinsame Schlafzimmer. Die Sterbende fordert ihn auf, ihr das Letzte zu nehmen, was sie noch habe. Daraufhin reißt er ihr das Herz aus dem noch lebenden Leib, zerfetzt es und schält aus dem noch pochenden Organ einen Kristall heraus. Es ist eben jener Kristall, der zu Beginn der Handlung die Aschelandschaft zurück ins blühende Leben versetzt hat. Wieder sehen wir die gleichen Bilder wie zu Beginn des Films, wieder erwacht eine Frau – doch diesmal ist es eine andere, eine neue Frau.

Darren Aronofsky ist ein kluger Mensch. Er scheint belesen, er kennt sich in der jüngeren Theoriegeschichte aus, er versteht sein Handwerk, das Filmemachen, und er nutzt es, um sein Wissen zu verarbeiten. Manchmal gelingen ihm hervorragende Werke – REQIUEM FOR A DREAM (2000) ist ein wirkliches Meisterwerk – , allzu oft sind es aber auch wahre Schlaumeierfilme – prätentiös, selbstgefällig und sich immer bewußt, klüger als das Publikum zu sein. Formal sind seine Werke immer großartig, sie sind überwältigend, sie sind bildgewaltig, sie sind aber auch manipulativ. MOTHER! (2017) ist, leider, ein Paradebeispiel genau dafür.

Der Film startet als Home-Invasion-Thriller, allerdings als eher ungewöhnlicher Ableger dieses Subgenres des zeitgenössischen Horrorfilms. Denn die Invasoren erweisen sich hier zwar als selbstgefällig und übergriffig, zugleich aber auch als zutiefst verletzlich und hilfsbedürftig. Ein alter, offenbar schwer kranker Mann und seine alkoholabhängige, sich affektiert gebende Gattin und deren untereinander zerstrittene Söhne dienen kaum als wirkliche Bedrohung. Eindringlinge sind und bleiben sie aber, zumal sie das von der Gattin des Hausherrn erwünschte Glück der Zweisamkeit konstant mißachten und sich über jedwede Pflicht des Gastes – zum Beispiel die Regeln der Gastgeber zu befolgen – hinwegsetzen, den Frühstückstisch im Chaos hinterlassen, sich Zugang zu Räumen verschaffen, die ihnen eigentlich versperrt bleiben sollten und ungefragt und ungebeten Gegenstände ergreifen, die sie dann unvorsichtiger Weise zerstören. Spätestens, wenn die Herren Söhne sich im Salon an die Gurgel gehen, einander umzubringen drohen und schließlich der Lieblingssohn des Paares tot auf dem Wohnzimmerteppich liegt und sein Blut auf die eben erst instandgesetzten Bodendielen sickert, kommt doch Mitleid mit der ungewollten Gastgeberin auf, die sich ihrem Mann und dessen Bedürfnis, ein guter Gastgeber, hilfsbereit und zugewandt zu sein, unterordnet. Mittlerweile hat sich der Film also vom Thriller zum indirekten Familien-Drama entwickelt.

Allerdings sind die Bewohner des Hauses, das da invadiert wird – ein von Javier Bardem gespielter Schriftsteller und seine von Jennifer Lawrence gespielte Frau – selbst schon so fremd, ja seltsam, daß der Zuschauer wenig bis keine Möglichkeit erhält, ein Verhältnis zu ihnen aufzubauen, sich mit ihnen zu identifizieren. Während der Herr des Hauses offenbar eine Schreibblockade erleidet, renoviert sie eben dieses Haus, das für beide eine Heimstatt werden soll. Dieses Heim – die allererste Sequenz zeigt uns, wie es einem Phoenix gleich aus einem Aschehaufen ersteht, den der Schriftsteller mittels eines geheimnisvollen Steins ins Leben zurückversetzt – scheint jedoch eigenartige Eigenschaften zu besitzen. Wenn die Frau beim Streichen derselben die Wände berührt, vermitteln sich ihr Bilder eines pulsierenden Organismus, einer geheimen organischen Struktur. Diese Seltsamkeiten setzen sich als paralleler, gleichsam geheimer, Handlungsstrang durch den gesamten Film fort, wobei die Frau verschüttete Gänge entdeckt, dem Haus aber auch blutende Wunden zufügt. Da der Film dem Zuschauer sehr lange keine Erklärungen für diese Entwicklungen bietet und schließlich nur Interpretationsmöglichkeiten, bleibt all dies ominös, fremd, unheimlich. Anflüge einer Spukhausgeschichte mischen sich in den anfänglichen Thriller.

An diesem Punkt bekommt der Zuschauer aber auch erstmals den Eindruck, es möglicherweise mit einer Parabel zu tun zu haben – und zwar mit einer durch und durch religiösen Parabel. Das Paradies, in dem ein Paar sein Heil findet will, zerstört durch einen Brudermord – und schließlich zeigt uns der Film die Vertreibung aus jenem Paradies als Allegorie auf Weltgeschichte und Welterschütterung, zugleich wird er zu einer Metapher auf die Schöpfungsgeschichte und die Wahrnehmung der Natur, also eben dieser Schöpfung, nur um dann Apokalypse und Höllensturz auszumalen.

Ist dieser erste Abschnitt des Films zwar bedrückend, jedoch nicht wirklich unheimlich oder gar bedrohlich, verändert sich die Lage mit der Beerdigungsfeier des Sohnes, die ebenfalls im Haus abgehalten wird. Die Frau kann sich erneut nicht gegen ihren Mann durchsetzen, der der Meinung ist, man müsse den trauernden Eltern zur Seite stehen und das Haus zur Verfügung stellen. Doch artet die Feier in eine Party, schließlich in eine Orgie aus, bei der die Frau immer wieder feststellt, daß keiner der geladenen Gäste Respekt vor ihr oder ihrem Eigentum – dem Haus – zeigt. Im Gegenteil, sie wird ausgelacht, als sie darauf beharrt, dies sei ihr Haus. Offenbar hat sie etwas nicht verstanden, den die Gäste scheinen sich überaus einig zu sein, daß dieses Heim der Allgemeinheit zur Verfügung steht. Und wie so oft, zeigt kaum wer Respekt vor dem vermeintlichen Eigentum der Allgemeinheit. Mit zunehmender Enthemmung wird ein Zerstörungswerk in Gang gesetzt, daß die Bemühungen der Frau, dieses Haus wohnlich, ja behaglich zu gestalten, konterkariert.

Formal erinnern diese Szenen an das Werk eines Luis Buñuel. Gerade die letzten Filme des Meisters des Surrealismus – LA CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE (1972), LA FANTÔME DE LA LIBERTÉ (1974) und CET OBSCUR OBJET DU DÉSIR (1977) – werden hier aufgerufen und zitiert. Sie stehen Pate sowohl bei dieser ersten Partysequenz, als auch bei einer späteren, die nach der Veröffentlichung des schlußendlich doch neu entstanden Werkes des Schriftstellers vollkommen aus dem Ruder läuft und zu einem Abbild der Menschheitsgeschichte unter dem Zeichen des religiösen Fanatismus ausartet. Beide Partysequenzen haben zutiefst surrealen Charakter, wobei die erstere sich noch in einem zumindest denkbar realistischen Rahmen hält, während die spätere nicht nur inhaltlich, sondern auch filmisch nahezu apokalyptische anmutet.

Nachdem der Schriftsteller von seiner Frau verhöhnt wurde, weil er ihr gegen die Beerdigungsgäste nicht wirklich beigestanden hat, ja nicht einmal in der Lage sei, mit ihr das erwünschte Kind zu zeugen, nimmt er sie in einem Gewaltakt. Die Nachricht ihrer Schwangerschaft löst umgehend die Schreibblockade und so wachsen und gedeihen sein neues Werk und das Kind in ihrem Bauch parallel zueinander. Schreibblockade, kreative Impotenz und die Impotenz des Mannes als Besamer werden hier recht unoriginell gleichgesetzt, beides löst sich durch Gewalt. Ab nun verlässt Aronofskys Werk vollends den Rahmen eines in irgendeinem realistischen Bezug erzählenden Films, gibt jedwede Stringenz und Kohärenz auf und begibt sich in die Höhen – oder die Niederungen – des Theoretischen, versteckt im Allegorischen. Das Buch ist kurz vor der Niederkunft des Kindes fertiggestellt, mittags ist es bereits im Druck, nachmittags ist die erste Auflage vergriffen und abends sammeln sich Fans vor dem Haus, um ihrem Star, dem Schriftsteller, zu huldigen – zumindest ruft Aronofskys Montage diesen Eindruck hervor. Zeitliche und räumliche Kohärenz werden aufgelöst, was passiert, scheint eher symbolisch, als einem reellen Ablauf entnommen.

Die sich Versammelnden sind nicht einfach Fans, die um Autogramme betteln, sondern vielmehr entpuppen sie sich als Anhänger eine Art Sekte, die den „Schöpfer“, also den Autor des Werkes, also den Hausherren, als eine Art Führer verehren. Sie okkupieren das Haus und je mehr die Frau, hochschwanger, sich müht, ihr „Reich“ zu verteidigen, ja zurückzugewinnen, desto aggressiver und feindlicher verhalten sich diese Leute. Erneut wird sie verlacht, wenn sie auf die Achtung ihres Eigentums pocht, erneut wird ihr suggeriert, daß dieses Haus allen zur Verfügung stünde. Polizeieinheiten dringen ein, Spezialkräfte der Armee, in einem Stroboskopgewitter erahnen wir eher, als daß wir es sehen, wie einzelne Räume sich in KZ-Folterstätten, in mit Stacheldraht verhauene Gefängniszellen verwandelt haben und die Verlegerin, die eben noch des Dichters neuesten Erguss feierte, fungiert nun als kaltblütige Vollstreckerin, die mit Kapuzen bewehrte, auf dem Boden liegende Gestalten per Kopfschuß exekutiert. Folter- und Erschießungssequenzen, wie man sie aus südamerikanischen Ländern der 70er Jahre kennt, Volksaufstände und wütende, brutale Gegenreaktionen durch eine nicht mehr näher definierte „Macht“ spielen sich auf den verschiedenen, zuvor schon schwer zu verortenden Ebenen und Etagen des Hauses ab. Das Paradies ist zur Hölle geworden, wir sehen die Welt am Vorabend der Apokalypse, es deuten sich die Unwälzungen an, die der Wiederkunft des Messias vorausgehen. Und der Messias kommt – ein Kind wird geboren. Betrachtet man die Menge, wie sie Gaben vor die Tür legt, hinter der das Kind geboren wird, kann man getrost davon ausgehen, daß hier eine Gemeinde auf ihren Erlöser wartet. Den sie dann stracks töten und sich einverleiben muß, entsprechend allzu menschlichem Verhalten, wie wir es durch die Jahrtausende gewohnt sind.

Wenn der Frau, nun die Mutter, das eben geborene Kind vom eigenen Gatten entrissen und anschließend der fordernden Menge übergeben wird, erinnert MOTHER! an Polanskis ROSEMARY`S BABY (1968), denn auch hier scheinen wir es mit einem, allerdings dem Kannibalismus frönenden, Satanskult zu tun zu haben. Nun scheint Aronofsky also endgültig in einem Psycho-Horrorfilm angekommen zu sein: Das Kind wie eine Opfergabe zerrissen und unter den Darbenden verteilt, die Mutter eine Furie, die wahllos auf ihre Peiniger einsticht, in den höllischen Keller rennt und das Haus in Brand setzt, der Vater hilflos, bis es ihm gelingt, die sterbende Frau in ein Zimmer zu bringen, wo sie ihn anfleht, ihr nun auch das letzte zu nehmen, das sie noch hat, und er ihr schließlich das Herz aus dem noch lebenden Leib reißt. Das entspricht nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Bildsprache die Aronofsky und sein Kameramann Matthew Libatique wählen, das entspricht in Set-Design und Mise en Scène schon den Anforderungen des zeitgenössischen Horrorfilms.

Umgeben von eben jener Asche der Zerstörung, der Apokalypse, des (symbolischen) Weltuntergangs, die wir auch schon zu Beginn des Films gesehen haben, schält der Mann aus dem noch schlagenden Organ eben jenen Kristall, der schon anfangs Leben schenkte, setzt ihn in eine Halterung und die Anfangssequenz des Films wiederholt sich. Nur die Frau hat ihre Gestalt geändert. Eine Neuschöpfung, ein sich vollendender Zyklus, ein sich schließender Kreis des Immerwährenden Da-Seins, scheint hier geschlossen zu werden. Der Film ist an seinem Ausgangspunkt angelangt und offenbart seinen vielleicht letztgültigen Charakter, als Metapher einer postmodernen, postreligiösen, post-christlichen Schöpfungsgeschichte. Oder den des reinen magischen Denkens.

Aronofsky verhandelt Theorien über die Dualität von Kultur und Natur, er verarbeitet Theorien der frühen Genderforschung, u.a. Julia Kristevas Theorie der Abjektion, die nicht nur in der Psychoanalyse und den Gender-Studies poststrukturalistischer Couleur, sondern auch in der Filmwissenschaft hinsichtlich der Frage der Darstellung von Gewalt, Ekelerregendem, Beängstigendem, eine entscheidende Rolle spielt. Aber auch der Frage, ob das Weibliche, die Frau als Schöpferin des Lebens durch die Geburt, dem Männlichen, das nur sekundären Zugang zur Welt und damit dem Sein hat, diametral entgegengesetzt ist, spielt in Aronofskys Film eine wesentliche Rolle, wenn nicht die entscheidende. Was die Frau auf natürlichem Wege vollbringt, indem sie Leben in die Welt setzt, muß sich der Mann – als Künstler, Wissenschaftler, Krieger oder Politiker – erarbeiten, erkämpfen, er-deuten, weil er die Welt nur als etwas ihm Entäußertes, Entfremdetes wahrzunehmen in der Lage ist. Die Frau hingegen steht durch ihren Organismus, die Menstruation, die Schwangerschaft und damit einhergehende Verbindung mit dem Leben, schließlich durch den Akt der Geburt, in direkter Verbindung mit der Natur, dem Dasein, der Welt als Entität.

Aronofsky verbindet all diese An- und Aufrisse mit der Frage des Religiösen: Wer „macht“ die Welt? Ist sie ein ontologisches System, geschaffen von jenem absoluten, äußerlichen, sinnstiftenden Signifikat, das letztlich als „Gott“ allumfassend beschrieben ist, ohne je benannt zu werden, oder ist sie eine Textur eigenen Rechts, die wir erst durch unsere Wahrnehmung und diese wiederum durch Sprache ausgedrückt „machen“, „werden lassen“, eben „schöpfen“? Der Dichter als Weltenschöpfer, eben als der Gott, das externe Signifikat seines Werks, die Welt selbst sein Werk; die Frau als sein Supplement, die in einem durch den Mann definierten Lebensraum neues, weiteres Leben erschafft, durch ihn befruchtet seinen Nachfolger, den Sohn, als Thronfolger Wirklichkeit werden lässt. Oder aber ist die Frau etwas ihm, dem Mann, also Gott, Übergeordnetes, das selbst Göttliches, wenn auch nicht Monotheistisches, in sich trägt, weshalb der Mann das Weibliche grundlegend ablehnt, da es ihn beängstigt, bedroht in seinem eigenen Schöpfungsdrang und seinem Rang? Seinen Rang als Patriarch, als exklusiver Gott, seine Einmaligkeit und Exklusivität? Dann aber muß er das Weibliche bekämpfen, es letztlich besiegen und zerstören – auch das Weibliche in sich selbst. Wobei ein Film wie MOTHER! Das Weibliche im Manne als etwas Weiches, wenn nicht Schwaches darstellt und definiert.

Der Schriftsteller in Aronofskys Film genießt seinen Triumph als Künstler, letztlich Weltenerschaffer, wie er es zuvor genossen hat, als Gastgeber und Helfer für die Trauernden da zu sein. Beides erhebt ihn über andere, bestätigt seine Selbstwahrnehmung und seine exklusive Position. Er setzt sich fortwährend über die Bedürfnisse seiner Frau hinweg und verweist sie auf den ihr durch ihn zugewiesenen Platz. Und der ist im Film deutlich untergeordnet. Doch ebenso kehrt er wieder und wieder zu ihr zurück, zeigt seine weiche, verletzliche Seite, wenn er sie beschützen will – erst vor den Gästen der Beerdigungsfeier, wenn er begreift, wie sehr sie sich bedrängt und verängstigt fühlt, dann in dem Chaos seiner Präsentationsfeier. Er hilft ihr, das Kind zu gebären, gibt es dann aber aus der Hand, nachdem er die geschwächte Frau starrend beobachtet hat, bis diese nicht mehr gegen ihre Erschöpfung ankämpfen kann und einschläft. Er entreißt ihr das Kind, ebenfalls als seine Schöpfung betrachtet – oder deren direkter symbolischer Ausdruck in einer natürlichen Welt, die sich eben doch nur in der Sprache (und sei es die Filmsprache) manifestiert und durch diese definiert wird – und übergibt es der erst rasenden, dann in stummer Andacht wartenden Menge. Nun also ist Aronofsky nicht nur in einer quasi-religiösen Betrachtung des kreativen Schöpfungsaktes angelangt, sondern auch in einer Auseinandersetzung mit dem Künstler, der Kunst an sich und ihrem Austritt in die Welt.

Scheinbar ein filmischer Essay, an dessen Ende der Künstler Darren Aronofsky sich entscheidet, dem künstlerischen (männlichen) Schöpfungsakt in einer bösen Volte den Vorrang vor dem natürlichen Schöpfungsakt zu geben. Und zwar um jeden Preis. Kunst als Akt der Gewalt, als säkular religiöse Handlung, die sich über Humanismus, Menschlichkeit und Mitgefühl hinweg zu setzen hat, um ihr eigenes Recht zu behaupten und sich immer wieder – als Zyklus – zu erneuern und zu rekapitulieren. Sie erobert das Haus/die Welt und setzt es letztlich in Brand, um aus den Trümmern und Ruinen Kraft der ihr eigenen, innewohnenden Magie Neues und vielleicht Besseres zu erschaffen. Ein Jahr nach Aronofskys Film erschien Lars von Triers hoch umstrittenes Werk THE HOUSE THAT JACK BUILT (2018), das auf nicht ganz unähnliche Art und Weise ähnliche Themen verhandelt. Wo aber Aronofsky in seinen apokalyptischen Bildern Vieles andeutet, wird von Trier auf eine Weise explizit, die den Zuschauer nicht nur schockieren soll, sondern dies auch wirklich tut. Vielleicht kann man anhand der Diskrepanz zwischen dem Amerikaner Aronofsky und dem Dänen von Trier genau die Differenz ermessen, die sich zwischen intellektuellem Kino amerikanischer und jenem europäischer Provenienz auftut.

Was bei von Trier schmerzhafte Erfahrung wird, bleibt bei Aronofsky Behauptung, uns seltsam entäußert und deshalb ungefährlich. Wo von Trier keine Grenze mehr kennt und den Zuschauer auch mit (vermeintlichen) Wahrheiten konfrontiert, und so wütende Reaktionen geradezu herausfordert, schreckt Aronofsky genau an diesem Punkt zurück. Wo von Triers Bilder kalt, hässlich, distanziert bleiben und den Zuschauer damit in maximalem Abstand zum Inhalt seines Films halten, der aber, durch eben das Zusammenspiel von Bildern und Erzählung immer wieder unterlaufen und aufgehoben, zu einer Falle, einer Gefahr für den Betrachter wird, greift Aronofsky auf den Bilderfundus und die Bildgestaltung des amerikanischen Kinos zurück, bedient sich einer unsichtbaren Kamera, die vermittelt, daß das, was wir sehen, wahrlich geschieht, wir also Zuschauer einer Erzählung, nicht Involvierte sind. Von Trier prügelt seinem Publikum den künstlerischen Charakter seines Films nahezu ein, macht es damit aber auch zu Komplizen, wo man wahrlich nicht mehr Komplize sein will, Aronofsky hingegen mutet seinem Publikum dann eben doch nicht zu viel zu, er bleibt unentschlossen, zwischen Genres hin- und hergerissen, und damit uneinheitlich. Wo von Trier die Uneinheitlichkeit und damit Uneigentlichkeit seines Films zum Prinzip erhebt, will Aronofsky dem Publikum immer noch eine moralische Botschaft vermitteln, sich den Anschein geben, erzählendes Kino zu produzieren.

Darren Aronofsky ist ein kluger Mann, daran besteht kein Zweifel. Er versteht sein Handwerk und weiß seine Anliegen dadurch gekonnt zu vermitteln. Aber er ist als Künstler zu oft zu ängstlich, es scheint eine Ängstlichkeit zu sein, die seine frühen Werke nicht hatten. So bleibt MOTHER! ein nicht eingelöstes Versprechen, reine Behauptung, ein Hybrid aus Ideen, theoretischen Ansätzen und Versatzstücken des klassischen Genre-Kinos, die nicht zueinanderkommen. Mehr noch: Die teils in Klischees erstarren (Schreibblockade = Impotenz; die selbstgeschaffene Hölle), den Versatzstücken nichts Eigenes, nichts Einheitliches zuzufügen verstehen. Ein Werk, das schließlich eher gequält und unrund wirkt, als daß hier eine gültige, funktionierende filmische Allegorie und Metapher entstehen könnte. Die Ansätze sind gut, die filmische Verarbeitung ist teils exquisit, Soundtrack, Kamera, Montage und Schnitt überzeugen, auch die Schauspieler – Bardem und Lawrence als ungleiches Ehepaar sowie Ed Harris und Michelle Pfeiffer als ungebetene Gäste –  überzeugen ebenfalls, nur ist das Ganze eben weniger als die Summe seiner Einzelteile. Nominell als Horrorfilm geführt, bleibt MOTHER! Irgendwo zwischen kommerziellen Erwartungen und eigenen, zu hoch gestochenen Ansätzen stecken und verirrt sich auf ähnliche Art und Weise, wie seine Protagonisten in dem labyrinthischen Haus, das doch die ganze Welt sein soll. Verschenktes Potential, schlau dargereicht. Ein Schlaumeierfilm.

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