NIGHTMARE MOVIES
Ein gelungener Überblick über die Genese des (post)modernen Horror- und Terrorkinos
Will man sich einen Überblick verschaffen über die Entwicklung des Horrorfilms seit den späten 60ern, so hat man hier mit Kim Newmans NIGHTMARE MOVIES eine sehr gute Möglichkeit, dies zu tun. Sinnvoller Weise spricht der Autor auch nur noch im Untertitel von „Horror“, denn das Genre ist doch gerade mit den „harten“ Horrorfilmen, die im Gefolge von NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) oder THE LAST HOUSE ON THE LEFT (1972) die Leinwände der Schmuddelkinos am Bahnhof enterten, arg zersplittert. Auch die Filmwissenschaft spricht heute angesichts solch düsterer Meisterwerke wie des französischen MARTYRS (2008) eher von „Terrorfilmen“. Der Terror springt über auf die Zuschauerreihen und mehr und mehr ist die Frage, ob man das, was einem da geboten wird, überhaupt noch ertragen kann…ertragen soll…ertragen will?
Newman – selbst erfolgreicher Autor diverser Romane des Grusel/Horrorgenres – macht sich die Mühe, auch den etwas abwegigeren Werken nachzuspüren. Er untergliedert sein Buch auch weder in chronologisch-lineare Kapitel, noch sind ihm die Härtegrade der Filme (die man dann in Grusel-, Horror-, Gore- und Splatterfilme unterteilen könnte) ein Unterscheidungsmerkmal, sondern die Genese des einen Subgenres aus dem anderen, das organische Wachsen verschiedener Unter- und Nebenabteilungen sind ihm der Gradmesser der Klassifikation. Die thematischen ebenso, wie die geographischen Schwerpunkte dienen hauptsächlich als Wegmarken. Sei es der britische Horror à la Hammer, die italienische Zombieinvasion der späten 70er und der 80er Jahre, sei es das Backwoodmovie wie THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974), seien es die Hexen- und Teufelsfilme im Kielwasser von Polanskis ROSEMARY´S BABY (1968) oder die alltäglich Verrückten (Crazies), die uns auch Wes Craven in THE LAST HOUSE ON THE LEFT präsentiert – in diesen Unterteilungen sieht Newman (zurecht) einen gangbaren Weg, sich dem Phänomen des modernen und harten Horrofilms zu nähern.
Dabei darf man jedoch nicht erwarten, daß er sich streng an sein eigenes Konzept hielte – wenn nötig fügt er Unterkapitel ein, die uns Aufschluß geben über thematische Engführungen: Die Revolte der Natur, die Revolte der Maschine, Katastrophenfilme, Verschwörungstheorien und die Apokalypse werden so ebenfalls behandelt und es finden auf diese Art und Weise auch Filme Eingang in das Buch, die man eher nicht in einem Werk über Horrorfilme vermutet hätte, wie u.a. Alan J. Pakulas THE PARALLAX VIEW (1974). Und genauso pickt er sich auch exemplarisch Regisseure (und meist zugleich Autoren – der moderne Horrorfilm ist auch ein Paradebeispiel des Autorenkinos) heraus und stellt sie als signifikant vor: Dario Argento (SUSPIRIA – 1977), Larry Cohen (IT´S ALIVE – 1974), David Cronenberg (VIDEODROME – 1983) und Brian DePalma (CARRIE – 1976) erfahren so eine Sonderwürdigung.
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich dann überwiegend mit den postmodernen Horror/Terrorfilmen der 90er Jahre und des neuen Jahrtausends. So finden auch Filme wie Wes Cravens SCREAM-Reihe (1996-2011), der Vampirboom der vergangenen 15 Jahre oder die reinen Folterfilme wie SAW (2004ff.) oder HOSTEL (2005ff.) Eingang in dieses Werk. Und auch hier werden mit Tim Burton (SLEEPY HOLLOW – 1999), Guillermo del Toro (HELLBOY – 2004), Larry Fessenden (WENDIGO – 2001) und David Lynch (LOST HIGHWAY – 1997) erneut typische Autoren/Regisseure vorgestellt, ohne die der (post)moderne Horrofilm nicht denkbar wäre.
Was das Werk angenehm macht, ist Newmans undogmatischer Umgang mit all den Filmen, die sich teils ja einer wahren Kultfangemeinde erfreuen. So findet er einen angenehm distanzierten, manchmal wirklich lustigen Ton, der das Lesen an sich schon vergnüglich macht. Hinzu kommt, daß er sich frei macht von feststehenden und scheinbar zementierten Urteilen. So wird ihm ALIEN (1979) zu einem schlecht gemachten, lediglich an Oberflächen interessierten Slashermovie, das er nicht ernstzunehmen bereit ist (Ridley Scott scheint er eh nicht sonderlich gut leiden zu können, bescheinigt er dem eher unbekannten TRANCERS [1985] doch mehr Einfälle, als Scott in seiner ganzen Karriere gehabt habe…S.249). Man muß solch eine Urteil natürlich nicht teilen, Newmans Ansichten zu folgen macht aber schlichtweg Spaß. Da es ihm gelingt, zu jedem thematischen Bezug sowohl die Meisterwerke, die jeder kennt, als auch die obskursten Titel aus den allerhintersten Ecken der Videotheken aufzuführen, sollte man nicht allzu viel erwarten, was die Analyse einzelner Filme angeht. Schlüsselwerke wie NIGHT OF THE LIVING DEAD oder THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE werden natürlich eingehender untersucht, aber auch hier hält der Autor eine angenehme Äquidistanz. Und bei einer Reihe wie FRIDAY THE 13TH (1980ff.) findet er den Mut, Schlechtes auch einfach schlecht zu nennen, gleich wie viele Kultisten und Hardcorefans die Filme um Jason Vorhees auch goutieren (wie z.B. dieser Rezensent hier).
Kim Newman bietet einen sehr guten und weiten Überblick, es gelingt ihm, die Genese des (post)modernen Horrorfilms nachvollziehbar aufzuzeigen, er nennt eine wahre Enzyklopädie von Titeln, derer einige selbst echten Afficionados noch neu sein dürften und weiß dabei zu unterhalten – was will man mehr von einem solchen Werk?