ZUCKERMANS BEFREIUNG/ZUCKERMAN UNBOUND
Ruhm folgt dem Erfolg, Reichtum dem Ruhm, am Ende steht Ernüchterung
Nathan Zuckerman hat einen großen Erfolg hingelegt. Sein Buch – ein als pornographisch eingestufter Roman namens „CARNOVSKY“, der als Hintergrund seine Familiengeschichte, Zuckermans Herkunft aus Newark, New Jersey, die Verhältnisse mittelständischer Juden nutzt – wird landesweit zwar kontrovers besprochen, jedoch überall gelesen. Zuckerman muß also mit den Bedingungen seines „neuen“ Lebens klar kommen: Der Ruhm bringt es mit sich, erkannt zu werden; erkannt zu werden, bringt es mit sich, manchmal mit Menschen in Berührung zu kommen, mit denen man gar nicht in Berührung kommen mag; der Ruhm bringt aber eben auch finanziellen Erfolg mit sich, der Reichtum will aber konsolidiert sein. Und schließlich muß sich Zuckerman auch mit der Tatsache abfinden, daß der Erfolg verändert und entfremdet – und zwar sowohl von sich selbst, als auch von anderen, einem nahe Stehenden. Seine dritte Ehe ist soeben geschieden worden, er lebt jetzt Uptown, in den besseren Gegenden, und verbringt seine Nächte unter anderem mit Filmstars in den angesagten Klubs der Stadt. Der Leser begleitet Zuckerman durch einige Tage dieses „neuen“ Lebens und hat Anteil an den Begebenheiten – ein aufdringlicher Fan will Zuckermans Aufmerksamkeit; er versucht, seine Exfrau Laura zu erreichen, wird aber lediglich von deren Nachbarin abgekanzelt; ein Erpresser versucht an seinem vermeintlichen Reichtum zu partizipieren und schließlich erreicht ihn ein Anruf aus Florida, wo seine Eltern den Ruhestand verbringen und sein Vater im Koma liegt – , der Leser nimmt aber auch Anteil an Zuckermans durch die Begebenheiten ausgelöste Gedanken und Erinnerungen. Denn die Entfremdung zwischen ihm und „seinen“ Leuten ist immer schon groß gewesen, hat durch seinen schriftstellerischen Erfolg jedoch noch einmal zugenommen. Und die Anfeindungen, auch und gerade in der jüdischen Presse, waren heftig, wurde er doch sogar als „Antisemit“ beschimpft. So versucht Zuckerman sich erinnernd und sinnierend Rechenschaft zu geben über die Ereignisse der letzten Jahre.
ZUCKERMAN UNBOUND ist der zweite Teil der ersten ‚Zuckerman-Trilogie‘. Im ersten Band, THE GHOST WRITER, begegnete uns der aufstrebende junge Autor Mitte der 50er Jahre als Gast seines Idols E.I. Lonoff, wo er Nächtens in dessen Arbeitszimmer Erinnerungen an Auseinandersetzungen mit seinem Vater ebenso ausgesetzt ist, wie freien Illusionen über eine den Todeslager entronnene Anne Frank, die bei dem Schriftsteller untergekrochen sei. Der damalige Zuckerman war ein junger Wilder, unsicher, was die eigene Zukunft betrifft, sich schriftstellerisch an Henry James orientierend, leicht zu beeindrucken und dennoch unbedingt gewillt, sich in der Welt der Literatur zu behaupten, unbedingt gewillt, mitzuhalten, sei es literarisch, sei es, was das literarische Bonmot angeht. Nun, im Jahr 1969, dreizehn Jahre älter und mit einem Welterfolg im Rücken, schafft Zuckerman ununterbrochen ironische Distanz zwischen sich und der Welt. Nichts erreicht ihn, wenig berührt ihn und kaum etwas oder jemandem fühlt er sich zugehörig. Seine Gedanken driften zu seiner Exfrau, die er irgendwie zurück gewinnen möchte, zu der Nacht mit jener Filmschauspielerin, die ihn dann aber sitzen läßt, um nach Kuba zu fliegen und ihr Leben mit Fidel Castro zu verbringen, was Zuckerman nicht wirklich stört, möchte er doch eigentlich auch nicht in die Kreise der High Society aufsteigen, da sein Selbstbild das des einsiedlerischen, bescheidenen jüdischen Schriftstellers ist, der sich nur dem Werk widmet. Ein Selbstbild, von dem Zuckerman schon auf den ersten Seiten Abstand nehmen muß, als er in einem Deli erkannt und als Autor von dem Veteranen zweier Kriege und Opfer einer vermeintlichen Verschwörung, Alvin Pepler, in Beschlag genommen wird.
Gerade die ersten zwei Kapitel des Buches sind mit einer Ironie und einem Humor geschrieben, für den Philip Roth ja berüchtigt ist. Das birst schier vor Assoziationen und distanziertem Witz sich selbst gegenüber. Da begegnen uns Figuren – Pepler sei da nur als herausragendes Beispiel genannt – die unvergeßlich werden sowohl in ihrer Schrullig-, wie in ihrer Vielschichtigkeit. Es ist die eigentliche Kunst dieses Bandes, den Leser mitzunehmen auf jene Reise Zuckermans, die ans Totenbett seines Vaters und in die eigene kleine Hölle der Familie führt, wo sich auch Nathan der Tatsache stellen muß, daß alle Distanz der Welt, alle Worte, die ein Schriftsteller zwischen sich und seinen „Stoff“ legen kann nicht ausreichen, die Verletzungen zu heilen, die man anderen – auch durch die eigene kreative Arbeit – zugefügt hat. Und wie Roth dabei langsam, beim Lesen kaum merklich, aus dem Anekdotischen, der Ironie, dem Humor der ersten Romanhälfte hinübergleitet in den Schmerz, die Ehrlichkeit und auch Bitternis der zweiten Hälfte und des Endes – wo er in Anbetracht des Sterbens seines Vaters dummes Zeug redet, weil ihm nichts besseres einfällt und sich schließlich Wahrheiten anhören muß von seiner Mutter, der Tante und mehr noch dem Bruder, die unglaublichen Schmerz ausdrücken und ihm eben solchen zufügen – , das zeigt die ganze schriftstellerische Klasse dieses Mannes. Wahrscheinlich wird Philip Roth den Nobelpreis für Literatur nicht mehr erhalten (allein schon, damit das Komitee sich seiner Arroganz versichern kann und sich nicht vorwerfen lassen muß, vor dem Kritikerwillen eingeknickt zu sein), vielleicht gibt es auch andere, die den Roman als Gattung, die Literatur selbst weiter gebracht, vorangetrieben, stärker befruchtet haben, doch sieht man, wer den Preis dann schließlich so bekommt und liest ein Buch wie dieses, dann kann man schon ins Grübeln kommen. Nicht viele moderne Schriftsteller verfügen über dieses fast Organische, das Roths Stil so fließend, kompakt und „folgerichtig“ wirken läßt, zugleich aber auf jeder Seite, in jedem Satz, mit jedem Wort eine Überraschung, eine Wendung, manchmal sogar Fallen bereit zu halten scheint. Es sei an dieser Stelle auch die Übersetzerin Gertrud Baruch erwähnt, der es gelingt, das Roth’sche Schreiben kongenial ins Deutsche zu übertragen, die Stimme dieses Autors beizubehalten und er-klingen zu lassen. Und Roths Stimme ist schon eine der eigenwilligsten der (post)modernen amerikanischen Literatur.
Wenn Nathan Zuckerman das Alter Ego des Autors Philip Roth ist – wovon man ausgehen sollte – , wenn in dieser literarischen Doppelung das Leben des Philip Roth sich ausdrückt, reflektiert und den Leser teilhaben läßt an den Zweifeln und Freuden ebenso, wie an der Trauer und dem Schmerz eines gelebten Lebens, dann muß man – wie es auch in THE GHOST WRITER der Fall war – davon ausgehen, daß gerade die letzten 70, 80 Seiten dieses Bandes hier sehr ehrlich sind. Die Abrechnung, die Zuckerman präsentiert bekommt von seinem Bruder, der Schmerz, den er zugefügt hat und dem er sich nicht zuletzt dadurch stellen muß, daß er das letzte an ihn gerichtete Wort seines Vaters als den Ausdruck „Bastard!“ identifiziert, diese Abrechnung ist schon gepfeffert, der Schmerz allumfassend und nicht mehr zu besänftigen. „CARNOVSKY“ – dieses Werk, daß ihn ins Pantheon der Megaseller katapultiert und zu Ruhm und Reichtum hat kommen lassen, das seinen Vater all die Jahre hat aufbegehren lassen und den alten Streit am schwelen hielt, ob ein jüdischer Junge jüdisches Leben in Amerika derart preisgeben, ja, der Lächerlichkeit preisgeben darf, wie es der Vater immer empfunden hat – „CARNOVSKY„, so sieht es Zuckermans Bruder Henry, hat den Vater ins Grab gebracht. Wie wird es im dritten Teil der Trilogie, in THE ANATOMY LESSON (1983) so treffend beschrieben werden: „Ein Vater, Amerikaner in erster Generation, besessen von den jüdischen Dämonen, und ein Sohn, Amerikaner in zweiter Generation, besessen von der Austreibung dieser Dämonen…“ (S.54) – es trifft diese Formulierung mit einer Präzision, Schärfe und Genauigkeit, daß dem Leser momentweise die Luft wegbleibt.
Aber Nathan Zuckerman kann nicht hinter das zurück, was er ist, geworden ist und getan, also geschrieben hat. Wenn er, zurück aus Florida und allein in einer gemieteten Limousine mit bewaffnetem Fahrer – berechtigterweise, wollte man meinen, wird er ja immerhin bedroht, doch kulminiert in dieser Wendung eben auch die ganze Neurose der Entfremdung – durch das stille Newark gleitet und die alten Straßen abfährt, die alten Häuser und Plätze noch einmal sehen will und feststellen muß, daß nichts von dem, was seine Erinnerung bewohnt, noch steht, noch so existiert, wie er sich erinnert, dann ist Zuckermann endlich frei. Frei von den Bürden der Vergangenheit und den Bürden einer Familie, die ihn nicht und die er zu gut versteht, frei davon, immer weiter die Dämonen zu jagen, einzufangen und zu bändigen, frei, sich als amerikanisches Individuum zu erfinden und zu entfalten. Die Befreiung, von der der deutsche Titel spricht, ist dann wohl gelungen. Dann hat er alles, was wesentlich war, in seinen Megaseller gelegt, hat sich aus dem, von ihm so empfundenen, mittelständischen jüdischen Mief befreit und ist zu einer Person seiner selbst geworden, einer der von ihm geschaffenen Figuren seines Werkes gleich. Befreit. Doch ist dem so? ‚Unbound‘ kann auf eine Befreiung hinweisen, ja. Aber auch auf eine Entfesselung: Unbound – entbunden, befreit, entfesselt: Der Begriff gibt einiges her und in jeder Begrifflichkeit/Bedeutung schleicht sich eine andere Konnotation ein. Was der Autor als „Befreiung“ empfinden mag, ist für diejenigen, die sich in seinem Werk wiederfinden, eher eine „Entfesselung“. In dem Begriff schwingt ja auch etwas Gewaltiges und Gewaltätiges mit – ein Sturm kann entfesselt werden oder auch ein Krieg. Zuckermans Entfesselung bringt eben auch dies Unwägbare mit sich, das ihn in die höchsten Höhen tragen, aber auch alle andere mit sich in den Untergang reißen kann. Entfesselung von Kräften, die man nicht mehr einschätzen kann – Ruhm und Erfolg können durchaus solche Kräfte sein – kann für andere Bloßstellung bedeuten. Und weder in THE GHOST WRITER, wo dieser Konflikt zwischen dem jungen, angehenden Autor und seinem Vater bereits aufflackert, durchaus auch eine zentrale Stelle und Funktion im Text einnimmt, noch in ZUCKERMAN UNBOUND, kann der Widerspruch, in den sich Vater und Sohn verstricken, gelöst werden. Ein Lebensthema. Für Zuckerman selbst jedoch, wird die vermeintliche Hybris noch ganz andere Folgen haben, denen er sich in THE ANATOMY LESSON wird stellen müssen.