RATTENNEST/KISS ME DEADLY – Apotheose des ‚Film Noir‘ und Apotheose eines technikverliebten Zeitalters?

Robert Aldrich führt exemplarisch in ein surreales Setting und bringt damit die 50er Jahre auf den Punkt

Der Privatdetektiv Mike Hammer (Ralph Meeker) ist nachts auf einem Highway in der Umgebung von Los Angeles unterwegs, als ihm eine junge Frau quasi vor den Wagen springt. Es ist Christina Bailey (Cloris Leachman), die offenbar auf der Flucht ist. Hammer nimmt sich ihrer an und schleust sie auch durch eine Polizeisperre, indem er sie als seine Ehefrau ausgibt. Allerdings erfährt er so auch, daß seine neue Bekanntschaft offenbar aus einer psychiatrischen Klinik entflohen ist.

Bailey gibt sich geheimnisvoll und will Hammer gegenüber nicht wirklich mit der Sprache herausrücken, weshalb sie so in Panik ist. Stattdessen hält sie ihm einen Vortrag über das Verhältnis der Geschlechter und darüber, wie wenig Männer Frauen verstehen und diese im Gegenzug immer wieder glaubten, auf Männer angewiesen zu sein – was ihre Flucht und der beherzte Sprung vor Hammers Wagen ja zu belegen scheinen. An einer Tankstelle beobachtet Hammer, wie Christina dem Tankwart einen Brief übergibt, den dieser offenbar für sie frankieren und abschicken soll.

Bevor der Privatdetektiv sich genauer mit Christinas Thesen auseinandersetzen kann, wird sein Wagen von einem unbekannten Wagen angegriffen und von der Straße gedrängt. Hammer und seine Beifahrerin werden entführt. In einem Versteck bekommt der betäubte Hammer durch einen Dunstschleier mit, daß Christina gefoltert wird. Ihre Schreie brennen sich ihm ein.

Als Hammer erwacht, befindet er sich in einem Krankenhaus. Schwach erinnert er sich an die Geschehnisse und vor allem an ein Paar blauer Wildlederschuhe, die einem seiner Peiniger gehörten. Hammers Sekretärin Velda (Maxine Cooper), die offenbar auch seine Geliebte ist, und sein Freund Pat (Wesley Addy), ein Polizist, sind anwesend und klären ihn auf, daß er und Christina in Hammers Wagen gefunden wurden, der einen Abhang hinuntergestürzt ist. Oder hinuntergestürzt wurde. Hammer hat überlebt, Christina Bailey ist tot. Sofort will Hammer sich an die Auflösung des Falles machen, doch Pat rät ihm davon ab, sich einzumischen.

Zunächst sucht Hammer Christinas Wohnung auf, wo er auf ihre Mitbewohnerin Lilli Carver (Gaby Rodgers) stößt, die ihm erklärt, daß Christina ängstlich gewesen sei, immer wieder von einer Verschwörung erzählt habe und eines Tages von der Polizei abgeholt wurde. Offensichtlich hatte man sie in die Klinik eingeliefert, um sie davon abzuhalten, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Velda hat zufällig das Gespräch zwischen einem gewissen Ray Diker (Mort Marshall), einem Freund Christinas, und einem Kunsthändler mit angehört, bei dem der Name eines gewissen Dr. Soberin gefallen sei. Velda will sich an den Kunsthändler hängen und mehr über den geheimnisvollen Doktor erfahren.

Hammer sucht den Gangsterboss Carl Evello (Paul Stewart) auf, den er im Verdacht hat, etwas mit der Sache zu tun zu haben. Als zwei von Evellos Schlägern ihn angreifen, kann er diese fast mühelos niederschlagen, weniger mühelos kann er sich Evellos Schwester erwehren, die ihm deutlich zu verstehen gibt, daß sie gern mit ihm ins Bett möchte. Evello seinerseits fertigt Hammer ab und nimmt ihn nicht ernst.

Hammer holt sein von dem Unfall beschädigtes Auto bei dem mit ihm befreundeten Mechaniker Nick (Nick Dennis) ab. Nick ist ein lebenslustiger Kerl, der gern mit Mikes Cabrio rumfährt. Als er anderntags in den Wagen steigt, fliegt dieser in die Luft. Nick stirbt. Mike ist erschüttert, was sonst eher nicht seine Art ist.

Velda ihrerseits kehrt von ihrem Treffen mit dem ominösen Kunsthändler nicht zurück. So begibt sich Hammer noch tiefer in den Fall hinein, der nun persönlich wird. Er sucht die Tankstelle auf, um den Tankwart zu befragen, an wen der Brief adressiert gewesen sei. Der, so erfährt er zu seinem Erstaunen, sei an ihn, Mike Hammer, adressiert gewesen.

Zurück in seiner Wohnung findet Hammer den Brief, der nur eine Zeile enthält: Vergiss mich nicht. Noch während er versucht, hinter das Geheimnis dieser Zeile zu kommen, wird er von zwei üblen Burschen, die ihm in seiner Wohnung aufgelauert haben, niedergeschlagen und entführt.

In einem Strandhaus in Malibu erwacht Hammer. Er ist gefesselt und wird mit einem Serum gespritzt, das angeblich dazu beiträgt, ihn die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen zu lassen. Hammer erkennt einmal mehr die blauen Wildlederschuhe und versteht langsam die Zusammenhänge. Er sieht, daß Evello auf ihn aufpasst und offenbar seinerseits lediglich ein Handlanger des Trägers der Schuhe ist. Hammer gelingt es, seine Bewacher zu überwinden, Evello zu fesseln und so auf dem Bett zu drapieren, daß ein Eindringling ihn für Hammer halten muß. Dann flieht er. Als ein Aufpasser zurückkehrt, kommt es, wie Hammer es geplant hatte: Der Mann tötet den auf dem Bett Liegenden und damit seinen eigenen Boss.

Hammer geht dem Brief nach und begreift, daß er es mit einem Gedicht der britischen Dichterin Christina Rossetti zu tun hat. Bei der Lektüre ihrer Gedichte, die er in einem Buch in Christinas Wohnung gefunden hat, kann er kombinieren, daß Christina offenbar etwas versteckt hat, bevor sie starb. Hammer kombiniert weiter, daß die einzige Erklärung sein kann, daß sie etwas verschluckt hat.

Im Leichenschauhaus stellt Hammer den diensttuenden Arzt zur Rede. Der will den Schlüssel, der sich in Christinas Bauch befand, nur gegen Bezahlung herausrücken, was Hammer dazu veranlasst, den Mann zu foltern.

Mit dem Schlüssel kann Hammer schließlich aufklären, worum sich der ganze Fall dreht: Er findet in einem Sport-Club einen Spind, in dem ein Koffer gelagert ist. Als er diesen öffnet, leuchtet ihm eine extrem helle Substanz entgegen. Instinktiv schließt Hammer den Koffer wieder. Allerdings hat er sich an dem heißen Koffer das Handgelenk verbrannt.

Zurück in seiner Wohnung erwarten ihn Pat und dessen Kollegen. Pat macht ihm klar, daß das Spiel aus sei, wenn Hammer jetzt nicht den Schlüssel herausrücke, müsse er ihn in Gewahrsam nehmen. Widerwillig fügt Hammer sich in sein Schicksal. Er weiß, daß Velda noch lebt, aber offensichtlich entführt wurde und erklärt Pat, daß es für ihn persönlich sei, den Fall zu klären. Womit, so will Hammer nun endlich wissen, habe man es hier eigentlich zu tun? Pat, den Hammers sich immer überlegen gebende Art schwer nervt, erklärt, die ganze Sache sei „zu groß“ für einen Privatermittler. Er sage nur vier Worte: Los Alamos, Manhattan-Project. Offenbar steckt in dem Koffer eine radioaktive Substanz, die in die falschen Hände geraten ist.

Als die Polizei den Spind findet und den Koffer sicherstellen will, ist dieser verschwunden.

Hammer ruft in Dr. Soberins Praxis an und erfährt so, daß dieser in seinem Strandhaus in Malibu sei. Hammer kann sich denken, daß es dasselbe Haus ist, in dem er gefangen gehalten wurde.

In dem Haus bereitet sich Dr. Soberin (Alfred Dekker), Träger der Wildlederschuhe, darauf vor, mit seiner Assistentin und Geliebten Gabrielle – die sich bisher als Lili Carver ausgegeben hatte – und dem Koffer zu fliehen. Gabrielle gibt sich aber nicht mehr mit den Happen zufrieden, die ihr Chef ihr hinwirft, sie will den ganzen Kuchen. Doch Dr. Soberin erklärt ihr, daß man den Inhalt des Koffers nicht teilen könne, woraufhin Gabrielle ihn erschießt. Sterbend fleht er sie an, den Koffer niemals zu öffnen.

Während Gabrielle der Versuchung aber nicht widerstehen kann, durchsucht der von ihr ebenfalls angeschossene Hammer das Haus in der Hoffnung, Velda zu finden. Während Gabrielle von dem grellen, nun völlig offenliegenden Licht, das aus dem Koffer strahlt, in Flammen aufgeht und offenbar eine Kettenreaktion in Gang setzt, die zu einer Explosion führen wird, können sich Hammer und die von ihm befreite Velda gerade noch in die Brandungswellen des nahen Ozeans retten. Das Haus explodiert in einem gewaltigen Feuerball.

Die 1950er – eine technikverliebte Dekade

Vielleicht kein Jahrzehnt zuvor und danach war derart technikverliebt und fortschrittsgläubig, wie die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Vielleicht erleben wir gerade eine Renaissance dieser positivistischen Ideologie, das sei einmal dahingestellt. Doch die 50er Jahre befassten sich mit einer von heute aus gesehen unfassbaren Naivität mit Zukunftsfragen. Dabei gab es auch damals schon eine gewisse Ambivalenz gegenüber den Errungenschaften der Moderne. Gerade die Atomkraft in ihrer zivilen wie militärischen Nutzung verdeutlicht diese Doppeldeutigkeit, was später den Begriff der „Dialektik der Bombe“ prägte. Denn als er vorbei war, wurde der Kalte Krieg bald vermisst, hatte er doch auf äußerst zynische Weise für eine Stabilität gesorgt, die seit den globalen Wendejahren 1989/90/91 nie wieder erreicht wurde. Der Mensch hatte nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki erfasst, welch ungeheure Vernichtungsgewalt von der Atombombe – bald ergänzt durch ihren nahen Verwandten, die Wasserstoffbombe – ausgeht. Man begriff, daß die eigene, die menschliche Spezies einen möglichen 3. Weltkrieg, der atomar auszufechten sei, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht überleben würde.

Zugleich wurde jedoch ein gesellschaftliches Narrativ ersponnen, welches die Gefahren herunterspielte oder den paranoiden Blick auf angebliche ideologische Bedrohungen lenkte – siehe die Kommunistenhatz unter dem Senator McCarthy in den späten 1940er und den 50er Jahren – die die Bedrohung durch Atomwaffen rechtfertigen sollte. Derweil erzählten das neuaufkommende Medium Fernsehen, die Unterhaltungsbranche generell, aber auch die Werbung etc. ununterbrochen von den Vorzügen moderner Technik. Sie sollte nicht nur Energieprobleme lösen, helfen, Entfernungen schnell und schneller zu überwinden, die Arbeitswelt revolutionieren und effektiver gestalten oder als Statussymbol die Überlegenheit des eigenen präferierten Gesellschaftssystems ausstellen, sondern auch ganz profan den Alltag erleichtern. Während in den Schulen Filme vorgeführt wurden, die mit äußerstem Ernst vorgetragene Anweisungen enthielten, wie sich im Falle eines atomaren Angriffs zu verhalten sei, wurde „die Bombe“ in allerlei Country-Songs verherrlicht, wurden Cocktails nach ihr benannt, eröffneten Atomic Cafés, die schon im Namen die Bereitschaft signalisierten, zustimmend und positiv mit den neuen Zeiten zu gehen. Die nach einem solchen Klub benannte Dokumentation THE ATOMIC CAFÉ (1982) ist nach wie vor eine der besten – und sehr verstörenden – Quellen zu diesem Thema.

 

Hollywood und der technische Fortschritt – ein ambivalentes Verhältnis

Hollywood verhielt sich, wie so häufig, ambivalent. Die Traumfabrik war zusehends verunsichert, in einem aufsehenerregenden Pozeß war mit einem Anti-Kartell-Urteil den Studios eine ihrer wesentlichen Einnahmequellen weggebrochen, da ihnen ihre eigenen Kinoketten genommen wurden. Und mit dem Aufkommen des Fernsehens erwuchs ein ernstzunehmender Konkurrent. Zudem war Hollywood durch die bereits erwähnte McCarthy-Ära in sich gespalten, gab es doch eine gerade auch den Liberalismus der Westküste geprägte Fraktion von Schauspielern, Drehbuchautoren, Regisseuren und einigen Produzenten, die als erklärte Antifaschisten schon in den 30er Jahren der Kommunistischen Partei in den USA beigetreten waren, andere hatten sich in Anbetracht der fürchterlichen Depressionsjahre für Roosevelts New Deal begeistert, ohne sich deshalb gleich als Kommunisten oder auch nur als Sozialisten zu begreifen. Demgegenüber stand eine zahlenmäßig kleinere Gruppe teils knochentrockener Konservativer, denen es mit der Unterstützung des durch McCarthy eingesetzten Komitees für unamerikanische Umtriebe schließlich gelang, regelrechte Säuberungen durchzuführen und sogar Berufsverbote mittels einer Schwarzen Liste durchzusetzen. Düstere Zeiten für Künstler. Die jüngere Geschichtswissenschaft attestiert den USA, nie näher an einem wirklich faschistischen System gewesen zu sein. Man darf gespannt sein, wie dies nach den vier Jahren unter dem Populisten Donald Trump bewertet werden wird.

Hollywood schloß sich allerdings dem allgemeinen Technikglauben an und feierte Ingenieure, Ärzte und Forscher in etlichen Dramen, Schnulzen und Komödien, erzählte von den Vorzügen sowohl der Atomkraft, als auch etlicher anderer Disziplinen, deren Ergebnisse man vor allem sehen und erfassen konnte: Flugzeuge, Bohrinseln, Automobile in jedweder denkbaren Situation oder Verfügbarkeit. Doch brachte Hollywood in den 50er Jahren auch einige der deutlichsten Kritiken an dieser Haltung hervor, meist versteckt in den billigeren Produktionen in einschlägigen Genres wie dem Western, in Horror- und vor allem Science-Fiction-Filmen. Und es gab den (späten) ‚Film Noir‘.

Während der Western seine zumeist kapitalismuskritischen Anmerkungen gut zu verstecken verstand, zugleich mit seiner Feier des Individuums und dessen persönlicher Freiheit aber schon inhärent antifaschistisch war, ging vor allem die Science-Fiction recht deutlich zu Werke. Hier tauchten überdimensionierte Ameisen und Spinnen auf oder ganz normale Bürger begannen unaufhaltbar zu schrumpfen. Fast immer waren dies Folgeerscheinungen von Unfällen mit radioaktivem Material oder fehlgeschlagener Experimente einst genialer, nun aber dem Wahnsinn verfallener Wissenschaftler. Deutlich wurden hier Ängste markiert und ausgedrückt, die eben auch prägend für die Epoche waren. Angst vor der Unkontrollierbarkeit, auch vor der Vernichtung und der Unaufhaltsamkeit gewisser Prozesse, die vermeintlich fortschrittlich wirken, jedoch unwägbare Risiken bergen. Während der Western in diesen Jahren „erwachsen“ wurde, womit vor allem gemeint ist, daß seine Figuren psychologisch ausgefeilter, Konflikte realistischer dargestellt und – trotz allem aber meist gewalttätig – gelöst wurden, drückte die Science-Fiction eher unterbewußt einen Zeitgeist und seinen schwarzen Rücken aus. Sie brachte hervor, was viele in der Gesellschaft verdrängten. Das soll allerdings nicht bedeuten, daß die Besten unter jenen, die vornehmlich in diesen Metiers arbeiteten – Jack Arnold oder Gordon Douglas bspw. – nicht genau wussten, was sie da taten und sich der Implikationen durchaus bewusst waren.

Der ‚Film Noir‘ ist seinem Wesen nach aber anders gestrickt. Ihm ist das Psychologische – mal mehr, mal weniger ausgereift – bereits so inhärent, wie dem Western der Moment Freiheit und des Individuums. Die Nähe zum Melodrama ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, daß in beiden Genres die Psychologie der Figuren zumindest gut nachvollziehbar sein muß, man die Beweggründe begreift, aber auch, was sie mit den Betreffenden machen. Denn im ‚Film Noir‘, wie im Melodrama, kommen die Dinge nach hinten heraus nie gut aus, gehen Pläne fast immer schief, sind die Protagonisten, ob männlich oder weiblich, einem unberechenbaren Schicksal ausgeliefert. Mag das Melodrama letztlich noch an etwas wie eine höhere Macht glauben, die dem Menschen immer einen Streich spielt, und sei es nur, um ihn seine Machtlosigkeit spüren zu lassen, so weiß der ‚Film Noir‘ von allem Anfang an, daß unser Untergang immer durch unser Handeln – oder Nichthandeln – besiegelt wird. Die Helden des ‚Noir‘ sind schon gebrochen, bevor wir in ihr Leben treten und sie verlassen die Welt als Schuldige, Verbitterte und immer als Verlorene. Sie scheitern an ihrer eigenen Schwäche – weil sie zu gierig sind, oft aber auch, weil sie schlicht zu passiv sind. Es sind Männer, die ihre Geschichten haben und diese Geschichten haben sie zu dem werden lassen, was sie nun sind, wenn wir ihnen begegnen: Zyniker, Trinker, Drifter, Heimatlose, Diebe und Mörder.

Und fast immer sind es Existenzialisten per se. Der ‚Film Noir‘ zeigt die damalige Modephilosophie des Existentialismus als gelebte Wirklichkeit in einer Welt ohne Mitleid, ohne Skrupel, ein jeder voller Hass auf sich und andere. Kaum ein Genre war so seiner Zeit verhaftet, wie es der ‚Film Noir‘ immer gewesen ist und sein wird. Ein direkter Blick in den Spiegel, der immer dann gesucht wird, wenn die Zeiten unsicher sind. In den späten 50ern kam der erste – oder, je nach dem, wie man seine Entwicklung einteilen will, der zweite – Zyklus des Zwittergenres ‚Film Noir‘ an sein Ende. Und so ist es vielleicht nicht verwunderlich, daß ausgerechnet auf diesem Gebiet eines jener Werke entstand, die das Zeitgefühl auf den Punkt brachten und zugleich scharf kommentierten.

 

KISS ME DEADLY – die Apotheose des ‘Film Noir’ als Apotheose seiner Zeit

KISS ME DEADLY (1955) basiert auf einem wahren Meisterwerk der amerikanischen Pulp-Literatur. Mickey Spillanes Mike Hammer war als Romanfigur unglaublich beliebt, obwohl der Autor einen brutalen, oft unsympathischen und vor allem recht empathielosen Privatdetektiv erschuf. Robert Aldrich, der im Jahr zuvor gleich zwei wegweisende Western – APACHE (1954) und VERA CRUZ (1954) – vorgelegt hatte, verfilmte den sechsten Roman der Serie um Hammer auf der Grundlage eines Drehbuchs von Albert I. Bezzerides. Der gehörte zwar nicht zu den berühmten Hollywood Ten – jener Gruppe, deren Mitglieder vor dem Ausschuß für unamerikanische Umtriebe standhaft blieben und anschließend auf Jahre hinaus keine (offiziellen) Jobs in Hollywood mehr fanden –, hatte selbst jedoch massiv unter den Repressalien durch McCarthy und seine Bluthunde zu leiden. Ein Liberaler mit einem wachen Geist und einem kritischen Auge auf die Zeitläufte, verwandelte Bezzerides die Vorlage in einen surrealen Albtraum, in ein Zerrbild der amerikanischen Wirklichkeit, deren innerster Kern – ein Konglomerat aus unterdrückten Ängsten, die sich zur Paranoia steigern, und einer nicht mehr kontrollierbaren Technologie – seinen vielleicht perfekten Ausdruck in einem halben McGuffin findet: Ein Koffer, in dem eine seltsame, extrem heiße und hell strahlende Substanz gelagert ist und der schließlich in einem enormen Feuerball explodiert. Allerdings bleibt der Schock über ein solch radikales Filmende, weit von einem Happyend entfernt, aus. Denn was da in den letzten Momenten von Aldrichs Film geschieht, ist die vollkommen logische Schlußfolgerung dessen, was der Zuschauer zuvor über fast zwei Stunden verfolgen durfte.

 

Der paranoide Stil

Dominik Graf weist in einem kurzen, sehr schönen und liebevollen Artikel zu KISS ME DEADLY[1] darauf hin, daß jeder in diesem Film diesen Koffer, über dessen Inhalt wir nie wirklich informiert werden (obwohl der Film einige Anspielungen macht, daß es sich hierbei mindestens um radioaktives Material handelt), unbedingt haben will. Um jeden Preis und auch, wenn er oder sie dabei über Leichen gehen muß. Offenbar enthält dieser Koffer einen wahren Schatz. Graf greift aber auch jene Dialogpassage auf, in der der Film im Grunde ganz explizit erklärt, was dieser Koffer eigentlich bedeutet: Es ist die Büchse der Pandora. Das, was ihn so wertvoll erscheinen lässt, scheint zugleich so tödlich zu sein, daß der Schatz nicht zu heben ist. Selbst derjenige, der ihn schließlich in seinen Besitz gebracht hat, fürchtet den Inhalt dermaßen, daß er noch im Moment seines Todes seine Mörderin flehentlich darum bittet, den Koffer nicht zu öffnen. Was sie natürlich doch tut – und, geblendet von der gleißenden Helle der Strahlung, in Flammen aufgeht, bevor sich offenbar eine Kettenreaktion in Gang setzt, die zu einer Explosion führt, die Mike Hammer und seine von ihm im letzten Moment aus dem Haus gerettete Sekretärin (und Geliebte) Velda nur mit Ach und Krach überleben.

Zweimal wird der Koffer im Laufe des Films geöffnet, einmal von Hammer, der schnell begreift, daß nicht gut ist, was er da erblickt, das zweite Mal von Gabrielle, einer Doppelagentin und der oben erwähnten Mörderin, die sich nicht mehr aus dem Bann des Koffers befreien kann und deren Hybris, alles sehen und begreifen zu wollen, sie töten wird. Und die damit stellvertretend für den Menschen steht, der in seiner Wissbegier, seiner Gier vor allem, sein eigenes Grab schaufelt, seinen eigenen Untergang betreibt. Der Mensch, der lieber zu Sternenstaub verglüht, denn ein Geheimnis nicht zu lüften.

Wir erfahren also nie, was dieser Koffer wirklich beinhaltet, so wie wir auch nie erfahren, wer da eigentlich alles hinter dem Objekt der Begierde her ist, wer es begehrt. Sind es Gangster? Darauf scheint einiges im Film hinzudeuten, vor allem, daß es ein bekannter Unterweltboss ist, der maßgeblich an der Hatz nach dem Objekt der Begierde beteiligt ist. Oder sind es doch feindliche Agenten? Die mit einem Gangster zusammenarbeiten? Einem Mastermind, das im Hintergrund die Fäden zieht, wie der „Mann mit den Lederschuhen“, den wir lange nur anhand eben dieser Schuhe identifizieren können und erst in jener Szene vollständig zu Gesicht bekommen, in der er dann von Gabrielle getötet wird. Vielleicht sind es sogar Agenten der eigenen Regierung? Auf jeden Fall sind unterschiedliche Dienste in die Suche involviert. Es ist zumindest ein mächtiger Apparat, der da im Hintergrund wirkt und der vor Mord nicht zurückschreckt, um zu erhalten, wonach ihm gelüstet. Ein Apparat, dem der einzelne – in diesem Fall Mike Hammer, der durch reinen Zufall in die ganze Geschichte hineinschlittert – kaum etwas entgegenzusetzen hat. Es ist unheimlich, mit welcher Präzision Aldrich die beklemmende Situation inszeniert, sich einer Macht ausgesetzt zu sehen, die man nicht begreift. Eine genuin paranoide Situation, die der Stil des Films, sogar seine vermeintlichen Schwächen, ununterbrochen unterstützt und befeuert.

Immer wieder wurde in der Literatur darauf hingewiesen, welch eklatanten Logikschwächen und Löcher die Handlung von KISS ME DEADLY aufweise, doch sollte man Paul Schraders Diktum, dieser Film sei letztlich die Apotheose des Genres, sehr genau nehmen: Es geht nur um den Moment, es geht um Stil und Atmosphäre, es geht darum, den Zuschauer immer im Ungewissen zu lassen und ein Szenario zu kreieren, das sich nie auflöst, das nie offenlegt, worum es eigentlich geht. Dominik Graf weist in seinem Text auch darauf explizit hin. Aldrichs Film, der den Zuschauer in den ersten zehn Minuten mit derart vielen Namen bombardiert, daß man jeden Überblick zwangsläufig verlieren muß, braucht im Grunde keine Handlung mehr. Es ist ein höchst abstrakter Film, der hinter seiner Fassade der schnell heruntergedrehten, dem Charakter der Pulp-Magazine entsprechenden Räuberpistole, der reinen Kolportage, eine ganz andere, sehr kritische Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte einer großen Verunsicherung, die die amerikanische Gesellschaft in Anbetracht ihrer eigenen technischen Möglichkeiten befallen hat.

 

Der glühende Koffer – Symbol einer Verunsicherung, Ausdruck menschlicher Hybris

So muß man noch einmal auf den Koffer und seinen nie identifizierten Inhalt zurückkommen. Denn gerade das Unwissen, womit man es da eigentlich zu tun hat – ein Effekt, den Quentin Tarantino in seinem Kultfilm PULP FICTION (1994) mit direkten Zitaten aus KISS ME DEADLY nutzt, indem er seine Killer einen ebensolch strahlenden Koffer beschaffen lässt – macht die Wirkmächtigkeit dieses Requisits aus. Der Koffer beinhaltet schlicht die gesamte unterdrückte, durchaus als dialektisch zu bezeichnende, Angst einer Dekade, die sich einerseits auf der Seite der Sieger sieht, hat man doch eben noch das „Böse“ in Form des Nationalsozialismus und des Faschismus besiegt, zugleich aber schon leise Zweifel daran hegt, daß das eigene Gebaren wirklich „gut“ ist. Jede Konkretisierung des Inhalts des Koffers hätte die Lesarten, die er bietet, eingeschränkt, wenn nicht zerstört. Er ist – als MacGuffin – die Leerstelle, um die alles kreist, ein Objekt, das jeder begehrt und das man doch nicht haben, nicht besitzen kann. Die Explosion am Strand von Malibu, die von dem geöffneten Koffer ausgelöst wird, wurde gern als atomare Explosion betrachtet, wobei man sagen muß, daß sie nach heutigen Maßstäben recht konventionell wirkt. Doch ist die Implikation der Explosion einer nuklearen Waffe am Rande des amerikanischen Kontinents natürlich für seine Zeit und den Zynismus des Films schon folgerichtig[2]. Denn so wird die ganz eigene Logik des Films, die sich weit von jeglicher Handlungslogik entfernt, sich vielleicht schon gänzlich (auf)gelöst hat, nur konsequent an ihr Ende gedacht. Hybris ist das eigentliche Thema dieses Films – und es ist die Logik der Hybris, die er analysiert.

Eingebettet ist diese abstrakte Geschichte in einen Film, der sich eines zwar subtilen, doch letztlich deutlich surrealen Settings bedient. Aldrich führt – auch dies wurde KISS ME DEADLY oft nachgesagt – das Genre in gewisser Weise an sein natürliches Ende. Er gibt die melodramatische Seite des ‚Film Noir‘ und damit auch seine psychologischen Untertöne nahezu komplett auf zugunsten von Stereotypen, von reinen Funktionsträgern. Mike Hammer bleibt in diesem Film einerseits undurchschaubar, er ist unempfänglich für jedwede Zuneigung, ist aber zugleich selbst ununterbrochen ein Objekt der Begierde (der ihm begegnenden Frauen) und entspricht damit symbolisch dem Koffer. Und symbolisiert damit auch die Tatsache, daß die sich in dem Koffer ausdrückende Hybris durchaus männlicher Natur ist. Hammers Ignoranz so ziemlich jedem und jeder gegenüber entspricht genau der Ignoranz all der (Film)Wissenschaftler und Forscher, die glauben, in die Schöpfung eingreifen zu dürfen – zunächst als Zerstörer, später, in unserer Epoche, als Erschaffer des Lebens, indem man in den Bauplan des Menschen eingreift, ihn verändert oder Reproduktionstechniken entwickelt, die den natürlichen Gebärvorgang, ja sogar die Empfängnis überflüssig machen. Dies ist einer der Gründe, weshalb sich unsere Epoche, wie eingangs erwähnt, vielleicht am ehesten mit jener der 50er Jahre vergleichen ließe.

 

Ein surreales Setting suggeriert Paranoia und Schizophrenie als Normalzustand

Jede Frau, die Mike Hammer trifft, will ihn küssen, will in seinen starken Armen Schutz suchen, will ihn animieren, intim zu werden. Allen voran gilt das natürlich für Velda, die offensichtlich nicht nur seine Sekretärin ist, sondern auch seine Partnerin und Geliebte, doch auch Gabrielle, solange sie in der Handlung als Lili Carver auftritt und sowohl Hammer als auch dem Zuschauer suggeriert, die verängstigte Freundin der zu Tode gefolterten Christina Bailey zu sein. Diese war es, die die ganze Story überhaupt in Gang bringt, als sie in der Auftaktsequenz des Films in ihrer Not Hammers Wagen stoppt, einsteigt, von ihm an einer Straßensperre dadurch gerettet wird, daß er sie als seine Frau ausgibt. Dann hält sie ihm einen für seine Zeit sehr interessanten und auch im Kontext des Films zunächst seltsam anmutenden Vortrag über das Verhältnis von Frauen und Männern, der durchaus feministische Züge trägt und auf Simone de Beauvoirs Diktum beruhen könnte, daß eine Frau nicht als solche geboren, sondern zu einer solchen gemacht werde. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Für den Moment reicht die Tatsache, daß dieser Vortrag überhaupt nicht zu der Angst und Panik passt, den die Dame in dem Moment vermittelt, in dem sie vor Hammers Cabrio springt. Vor allem aber kommt Hammers scheinbar natürliche Attraktivität in jener Szene zum Ausdruck, in der er zum Anwesen des Gangsterbosses Carl Evello fährt und dort unverhofft auf dessen sehr blonde Schwester trifft, die praktisch gleich zur Sache kommt und Hammer – für eine Film von 1955 schon geradezu explizit –auffordert, mit ihr zu schlafen.

Diese Momente, die an sich schon surreal anmuten, da sie ein eher groteskes Verhalten und Geschehen geradezu natürlich wirken lassen, sind mit einer ungeheuren Nonchalance und Lässigkeit inszeniert. Sie korrespondieren mit der Tatsache, daß Hammer bei seinen frühen Ermittlungen zur getöteten Christina Bailey anscheinend an jedem Ort, den er besucht, jemanden kennt. Er trifft auf Gepäckträger und Taxifahrer, auf Barkeeper und Polizisten, die immer bereits wissen, wer er ist und worin seine Profession besteht. Für Hammer (und die meisten, die er kennt) offenbar ganz normal, verstört es den Zuschauer doch, bedenkt er, daß Los Angeles auch 1955 bereits eine Metropole gewesen ist. Auch die Tatsache, daß scheinbar jeder stirbt, der durch Hammers Suche nach Antworten in den Fall hineingezogen wird, unterstreicht die albtraumhafte Atmosphäre des Films. Und seine paranoide Grundstimmung.

Ebenso ist es Hammers Persönlichkeit, an der nahezu jede emotionale Regung – egal ob erotischer Natur, ob Angst, Freundschaft oder berufliches Interesse – abprallt, die den Zuschauer verunsichert. Allerdings ist der Mike Hammer des Films doch noch einen Tick weniger zynisch, als der in Spillanes Büchern.

Wird Mike Hammer in den Büchern schon mal dadurch eingeführt, wie er gerade einen Verdächtigen oder einen Befragten foltert und auch versehentlich zu Tode prügelt, ändert der Mike Hammer des Films seinen Modus in dem Moment, als der Fall persönlich wird und er ihn auch persönlich nimmt. Erst stirbt sein Freund Nick, ein lebenslustiger Garagenbesitzer, der gern mit Hammers Cabrio Spritztouren unternimmt, dann wird Velda entführt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist der Privatermittler gänzlich involviert, voll bei der Sache und zu allem bereit. So sollte man es nicht als Zufall betrachten, daß seine Methoden der Ermittlung ab diesem Moment zunehmend brutaler und skrupelloser werden. Aldrich äußerte einmal seine Ansicht, daß Mike Hammer ein faschistischer Charakter sei, ein empathieloser Klotz, der kein Interesse an anderen Menschen aufbringt, solange sie ihm nicht nützlich sind. Von dieser Charakterisierung sind im Film vor allem die Empathielosigkeit und das Machogehabe geblieben. Erst im letzten Viertel des Films kommt auch die hemmungslose Gewalttätigkeit zum Ausdruck. Wobei es interessant ist, daß sich Hammer im ganzen Film nicht ein einziges Mal einer Waffe bedient – ihm reichen seine Fäuste und der Witz, mit dem er seine Gegner überwältigt und ihrem Schicksal ausliefert. Welches ihm dann jedoch vollkommen gleichgültig ist.

 

Stereotype und Funktionsträger – der faschistische Mensch als Prototyp seiner Zeit

Die Wechselbeziehung zwischen Christine Baileys Monolog über die Frau, die immer nur als Anhängsel des Mannes betrachtet wird, selbst allerdings irgendwann ebenfalls glaubt, einen Mann zu brauchen, Hammers Macho-Persönlichkeit, die aber seltsam asexuell wirkt, da er zwar alle Frauen küsst, die sich ihm anbieten, dies allerdings eher als Pflichtübung zu verstehen scheint, den Frauen, wie sie im Film dargestellt werden und unter denen Velda heraussticht, scheint sie Hammer zwar zu lieben, ihn in seinem Wesen auch verstanden zu haben (Hammer: „Nie bist du da, wenn ich dich brauche“ – Velda: „Du brauchst mich nie, wenn ich da bin“) und sich seiner rauen Gangart zwar anpassen, aber auch entziehen zu können versteht – diese Wechselbeziehung wäre eine eigene Untersuchung und Analyse wert. Ohne hier erschöpfend darauf eingehen zu können, kann man konstatieren, daß der angebliche „Männer-Regisseur“ Robert Aldrich (der in Wirklichkeit ein ausgezeichneter Frauenregisseur gewesen ist, beachtet man Werke wie WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE?/1962, HUSH…HUSH, SWEET CHARLOTTE/1964 oder THE KILLING OF SISTER GEORGE/1968) hier fast schon eine dekonstruktive Bewegung vollzieht, die den scheinbar so oberflächlichen Charakter seines Films unterläuft und betont, daß diese Figuren allesamt nicht realistisch sind, sondern eben exemplarisch angelegt, Prototypen einer amerikanischen Wirklichkeit, die sich zusehends von sich selbst entfremdet und in eben jenen Klischees lebt, die ihnen nicht zuletzt Hollywood liefert. Vielleicht braucht es den faschistoiden, den todesverliebten und lebensverachtenden Typus, um in einem Zeitalter glücklich zu werden, in dem die Drohung atomarer Vernichtung latent immer vorhanden ist. Ob die im Film dargestellten Figuren glücklich sind, sei einmal dahingestellt, definitiv machen zumindest Hammer, Velda und Nick, solange er lebt, einen durchaus zufriedenen Eindruck.

Christina Bailey hingegen ist die große Ausnahme. Sie, die der Irrenanstalt entflohen ist, ist diejenige, die die Dinge – zumindest zu einem gehörigen Teil – durchschaut. Und eben nicht nur das Komplott um den Koffer und die konkrete Bedrohung, die sein Inhalt darstellt. Vielmehr verdeutlicht ihr seltsamer Monolog über die Geschlechterbeziehungen, daß sie sehr viel mehr begriffen hat – von ihrer Zeit und deren kulturellen Implikationen, als dies für den durchschnittlichen Amerikaner oder die durchschnittliche Amerikanerin zur Mitte der 50er Jahre der Fall gewesen sein dürfte.

 

KISS ME DEADLY – ‚Film Noir’ als totale Finsternis, als nihilistische Spielerei

Formal erfüllt KISS ME DEADLY die Anforderungen des ‚Film Noir‘, treibt diese allerdings dann derart auf die Spitze, daß sie sich schon wieder gegen sich selbst richten. Analog zur Ent-Psychologisierung der Figuren und damit der Abkehr vom melodramatischen Aspekt des Noir-Thrillers, werden die Licht-Schatten-Spielereien, hervorgerufen durch matte bis schwache Lichttechniken, teils ins Groteske gesteigert. Wenn Hammer in der Eröffnungsszene Christina Bailey nachts auf dem Highway aufliest, in sein Auto steigen lässt und mit ihr davonfährt, wirkt dies, als gäbe es um den Wagen herum nur nach Schwärze. Eine Schwärze, die nicht mehr als „Nacht“ auszumachen ist, sondern eher als ein Ausdruck des Nichts. Der totale Nihilismus definiert hier schon die Bilder. Vergleichsweise schlechte Rückprojektionen der Autos, die Hammer überholt, unterstreichen diesen Charakter eher, als daß sie realistische Abbildungen einer Nachtfahrt wären.

Kameramann Ernest Laszlo unterstützt die surreale, zunehmend paranoide Stimmung – und Haltung – des Films grandios mit seiner Arbeit. Extrem verzerrte Kameraperspektiven, häufige Kadrierungen in den Bildern, Rahmungen, die wie Fallen wirken, im wortwörtlichen Sinne den Spielraum der Protagonisten einengen und begrenzen, etwas zu nahe Halbtotalen und nur gelegentliche Großaufnahmen, die dann bspw. den Schweiß auf dem Gesicht von Velda betonen, als Hammer sie nachts weckt und aus einem vielleicht erotischen, vielleicht bedrohlichen (oder beides?) Traum reißt – die Bilder des Films wirken enorm modern, manchmal avantgardistisch und immer den Figuren überlegen, ihnen immer voraus, immer schon ist eine Ahnung dessen vorhanden, was da kommen mag, auch wenn Mike Hammer und seine durchaus besorgten Freunde noch vollkommen arglos scheinen. Auch Ralph Meeker, der den Privatdetektiv spielt, wird von Laszlo faszinierend eingefangen. Mal sieht er in den Großaufnahmen seines Gesichts einem Charlton Heston ähnlich, dann wieder erinnert sein Konterfei an den damals gerade zum Superstar aufsteigenden Marlon Brando. Damit ist die Bandbreite dieser Figur deutlich abgesteckt: Vom selbstgefälligen Macho mit gelegentlichen Anflügen von Zweifeln bis zum erotischen Objekt weiblicher Wahrnehmung wird diese eher flache Figur, deren tiefere Beweggründe wir nie erfahren, nicht einmal erahnen können, in der Bildsprache des Films charakterisiert.

Aldrich und Laszlo, mit dem der Regisseur zuvor bereits zusammengearbeitet hatte und dies auch fürderhin bei einigen seiner besten Filme wieder tat, setzen bei ihrer Bildgestaltung, in der gesamten Mise en Scene, darauf, dem Pulp-Charakter des Films, der Story, der Figuren, zu entsprechen, ihn zu betonen. Zwar ist nahezu jedes Bild (von den Rückprojektionen während der nächtlichen Autofahrt zu Beginn des Films einmal abgesehen) auf Tiefe angelegt, als sollte es immer nur für sich stehen[3], doch wirken die Bilder auf eine kunstvolle Weise wie hingeschludert. Als seien sie wie nebenbei entstanden und entsprächen Hammers seltsam gleichgültigen Umgang mit seiner Umwelt. Stattdessen ist hier alles Bewegung, Action, Handlung. Handlung aber im Sinne von Handeln, also Machen, handfest. Nicht im Sinne von Story oder Plot. Ist eine Szene vorüber, so scheint es, als spiele sie keine Rolle mehr, als habe es sie nicht gegeben. Die Szenen, Einstellungen, Sequenzen stehen für sich, Teile eines Ganzen, Teil etwas Größeren, das zu erfassen wir sowieso nicht in der Lage sind. Kräfte, so vermittelt uns der Film permanent, sind da im Spiel, die unser Verständnis übersteigen und denen wir eh nichts (mehr) entgegenzusetzen haben. Paranoia will destroya. Und KISS ME DEADLY führt diese Destruktion durch Paranoia in ganz unterschiedlichen Varianten vor.

Als Hammer den Polizisten Pat Murphy – dessen genaues Verhältnis zu dem Privatermittler wir ebenfalls nie durchschauen: Sind die beiden Freunde, wie die Szene im Krankenhaus, nach Hammers Unfall, suggeriert? Oder ist es eine verkappte Feindschaft, geprägt von Rivalität, wie die Häme nahelegt, die der Lieutenant äußert, nachdem er den Schlüssel für das Schließfach, in dem der Koffer steckt, endlich erhalten hat und den erneut stark lädierten Hammer sich selbst überlässt; der wisse und könne ja schließlich alles besser – mit Nachdruck fragt, was es nun eigentlich mit dem Koffer auf sich habe, antwortet der nur: Los Alamos, Manhattan-Project. Gemeint ist jene sagenumwobene Base in Nevada, wo die Atombomben erdacht, erprobt und gebaut wurden, die später Japan trafen. 1955 reichte es, diese Namen zu nennen, um beim Publikum mindestens einen wohligen Schauer, wenn nicht Unangenehmeres hervorzurufen. Irgendwas mit radioaktiven Material – die Information reicht, um den Zuschauer die Tragweite dessen, wo Mike Hammer da hineingeraten ist, erahnen zu lassen. Daß sowohl die sich dahinter verbergende Logik – wenn es Gangster sind, die den Koffer so begehren, wo wollten sie das Material gewinnbringend loswerden? – als auch die Logik der Ermittlung, die Hammer durchführt, nicht funktionieren, fällt da kaum auf. Im Gegenteil, bei dem sich andeutenden Ausmaß der Verschwörung erkennen wir schnell, daß jedwede herkömmliche Logik hier nicht mehr greift.

 

Das Zeitalter der Schizophrenie – Wahnsinn und Methode

Es ist Wahnsinn, mit dem wir es zu tun haben, von allem Anfang an. Christina Bailey ist einem Irrenhaus entlaufen, wo man sie eingesperrt hatte, weil sie zu viel wusste – auch als einzige offenbar wusste, wo der ominöse Schlüssel ist, den alle suchen. Den doppeldeutigen Schlüssel, ist er doch Requisit, Handlungsobjekt und Schlüssel zur Story in einem. Daß sie ihn, wie Hammer spät kombiniert, verschluckt haben muß, entspricht dann der immanenten Logik des Wahns, der Paranoia des Films. Bailey mag im herkömmlichen, im klinischen Sinne nicht verrückt gewesen sein – die Welt, aus der sie mit ihrer Geschichte (soweit wir sie kennen) kommt ist es definitiv ebenso, wie die, in die sie in jenem Moment eintaucht, als sie in Mike Hammers Wagen einsteigt. Oder besser gesagt: Der eigentliche Wahn entsteht dadurch, daß sich ihrer mit dem paart, der den erratischen und geheimnisvollen Hammer umgibt. Der vielleicht gar nicht sonderlich geheimnisvoll ist, sondern in seiner Art einfach nur ein naiver Tor, der in seiner Ignoranz genau der Richtige sein mag, es mit dem allgemeinen  Wahnsinn aufzunehmen. Der durch diesen Un-Plot, diese Nicht-Story stolpert, von Schauplatz zu Schauplatz, einer Schnitzeljagd gleich, und immer nur mit der einfachsten, auch der opportunistischsten Methode reagiert. Und die bedeutet im Zweifelsfall: Gewalt.

Es ist jener Wahnsinn, den Bezzerides, Aldrich und letztlich offenbar auch Laszlo ihrer Gegenwart attestieren. Und der sich in dem Koffer und seinem unkontrollierbaren Inhalt bündelt und dadurch symbolisiert wird. Der Wahnsinn, für den die Atombombe als Ausdruck menschlicher Hybris – wenn wir keine Welten erschaffen können, so können wir sie zumindest vollständig vernichten – steht. Das Atomzeitalter, das auf anderer kultureller Ebene eben auch das der Psychoanalyse war, war eine Ära der zum Alltag gewordenen Schizophrenie. Der Begriff von der ‚Dialektik der Bombe‘ fasst genau das Paradoxon zusammen, wie man sich in der Paranoia, in einer schizoiden Situation so einrichten kann, daß zugleich das ganz normale Leben weiterläuft, als gäbe es da nicht diesen Schatten auf einer Wand in Hiroshima, der für immer in die Zeit gebrannt wurde, auch wenn es denjenigen, der ihn warf, schon längst nicht mehr gibt. Diesen Wahnsinn adäquat darzustellen, gelingt vielleicht nur in einem surrealen, die Wirklichkeit verzerrenden Setting, das jede Logik hinter sich lässt oder ad absurdum führt.

Und vielleicht können in einer solchen Welt nur noch Figuren wie die des Films leben – flache Charaktere, reine Funktionsträger, Technokraten des Irrsinns, die entweder nicht mehr in der Lage sind, diesen Irrsinn noch wahrzunehmen – auch, weil sie längst daran partizipieren, wie der Arzt, der mit dem aus der Leiche von Christina Bailey geborgenen Schlüssel ein Geschäft machen will und dafür von Hammer skrupellos gefoltert wird – oder aufgegeben haben und das Leben als ein Spiel begreifen, das jederzeit, in jedem Moment einfach vorbei sein kann – so wie es die Schwester von Gangsterboss Evello tut, der selbst auch nur Handlanger in einem größeren Speil ist; jene Dame also, die Hammer völlig unvermittelt etwa zehn Sekunden, nachdem sie ihn das erste Mal in ihrem Leben erblickt hat, küssen will; einfach, weil er da ist und mehr Aufregung verspricht als die von ihr verachteten Figuren, die bei ihrem Bruder rumhängen.

 

KISS ME DEADLY – der gegen den Strich gebürstete ‚Film Noir‘

Vielleicht nennt Paul Schrader den Film auch die ‚Apotheose des Film Noir‘, weil Aldrich mit seiner beißenden Gesellschaftsbeschreibung und -kritik zugleich auch das Genre selbst gegen den Strich bürstet. Die Ingredienzien eines klassischen ‚Film Noir‘ sind alle vorhanden, nicht nur auf der stilistischen Ebene, sondern auch auf der iinhaltltichen. Der Mann, der unverhofft und eigentlich guter Dinge gegen seinen Willen in einen nahezu tödlichen Komplott verwickelt wird; die Frau, die dafür verantwortlich ist; eine emotionale Ebene, die verhängnisvoll werden kann; die Härte und Mitleidlosigkeit gegenüber Schwächeren in einer Welt, die bewiesen hat, daß sie kein Mitleid kennt. Aber Aldrich bedient all diese Klischees nicht. Beziehungsweise bricht er sie auf.

Der Mann ist eben nicht der gebrochene Held mit der tragischen Aura, wie sie bspw. Robert Mitchum in seinen Noir-Rollen meist umgab. Hammer ist ein lebenslustiger Mann, der sich gut eingerichtet zu haben scheint in seiner ganz eigenen Welt, aus der er nur gezwungenermaßen heraustritt. Er ist kein gebrochener Antiheld, wie es die Männer im klassischen ‚Film Noir‘ sind, im Gegenteil kommt er mit seinen brachialen Methoden recht gut durchs Leben. Die Erotik erfüllt sich nicht nur in der scheinbar nur widerwillig erwiderten Liebe Veldas, sondern auch in der bis ins Groteske gesteigerten Anziehung, die Hammer auf nahezu jede Frau auszuüben scheint, die er trifft – und die ihn scheinbar nicht interessiert. Und die Femme fatale? Es ist einerseits Gabrielle, die Doppelagentin und eiskalte Mörderin, die schließlich den Koffer öffnet und dafür in einem fürchterlichen Brand vergeht. Andererseits ist es natürlich Christina Bailey, die Frau, die Hammer nachts auf dem Highway nötigt, anzuhalten. Doch ist sie, die aus dem Irrenhaus Entflohene, eben nicht von böser Absicht durchdrungen, nicht der Gier erlegen, kein männermodernder Vamp, sondern eine der wenigen Gestalten des Films, die noch einen Sinn für die reale Realität zu haben scheinen, vielleicht die Einzige hier, die begriffen hat, was uns verloren zu gehen droht. Der Monolog, den sie Hammer im Auto über das Wesen der Frauen und ihre vermeintlichen Abhängigkeiten sowie die Blindheit der Männer für diese Zusammenhänge hält, weist sie noch am ehesten als der Femme fatale verwandt aus. Allerdings in dem Sinne, daß sie wie all die Barbara Stanwycks, Joan Crawfords und Veronica Lakes sehr genau weiß, was sie will und dabei weitestgehend unabhängig von Männern agiert. Doch ist ihr Fokus vollkommen anders ausgerichtet als der ihrer Genossinnen.

Bleibt die Härte. Die ist da, nur übersteigert Aldrich sie derart, daß man es schon als Farce auffassen kann, was er uns da präsentiert. Der Film ist manchmal unangenehm brutal – und soll genau das auch sein. Aldrich war seiner Zeit oft voraus, seine Western antizipierten bereits den Italowestern der 60er Jahre und den Spätwestern, der bis in die 70er Jahre hinein in Hollywood entstand. War der klassische ‚Film Noir‘ schon oft von zynischer Härte und auch Gewalt geprägt – man denke an jene Szene in THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (1946), in der Lana Turner und John Garfield sich bemühen, Turners Gatten ins Jenseits zu befördern – so lag ihm auch meist eine Melancholie, eine gewisse Traurigkeit zugrunde. Es gab ein Leiden an dieser Welt, das der ‚Film Noir‘ zum Ausdruck brachte. KISS ME DEADLY ist anders und darin ebenfalls seiner Zeit voraus. Denn hier wird nicht nur eine Zeitanalyse ausgestellt und kommentiert, sondern schon ein gewisser Umgang damit. Die grundzynische Haltung des Films ist der Kommentar auf eine Welt, in der sich alle mit dem Wahnsinn arrangiert zu haben scheinen. „Scheiß drauf“ scheinen Drehbuch und Regie dem Publikum ein ums andere Mal entgegen zu rotzen – eine Haltung, wie sie gut 20 Jahre später typisch für den ebenso zynischen und verneinenden Punk werden sollte, zumindest für Teile der Bewegung.

 

Einverständnis zum Untergang – KISS ME DEADLY ist Zeitanalyse, Parodie und gnadenlose Vollendung in einem

Ist die Gewalt schon oft bis ins Groteske gesteigert, so ist das destruktive Ende die Steigerung ins Unermessliche. Das ist nur noch als Parodie ernst zu nehmen, denn auf der symbolischen Ebene ist es der Weltuntergang, den Aldrich da am Strand von Malibu inszeniert. Es ist, aus Sicht des Films, die Synthese, die die ‚Dialektik der Bombe‘ zwangsläufig gebiert. Das Ding muß hochgehen. Täte es das nicht, wäre der ganze Film nutzlos, so nutzlos und sinnlos, wie er die ganze Zeit erscheinen will. Irgendwer, so das nihilistische Urteil des Films, irgendwer öffnet sie immer, die Büchse der Pandora. Wenn wir solche Höllenmaschinen entwerfen und bauen, dann werden sie uns auch in den Untergang führen – was wir letzten Endes genau so ja auch wollen. Und im Kontext jener seltsam ambivalenten Haltung der Zeit gegenüber den technischen Neuerungen und den damit einhergehenden Erfahrungen, kann man KISS ME DEADLY eben nicht nur als eine Kritik an eben dieser Zeit betrachten, sondern auch als zynischen Beitrag, sich mit den Gegebenheiten abzufinden. Dann bleibt uns nur das stille Einverständnis mit unserem Untergang und man sollte, als moderner Mensch (oder schon postmoderner? Sollte man den Film genau dieser, der Postmoderne, zuschlagen?), das Schauspiel genießen. Es mag tödlich sein – aber, Gott, es ist spektakulär!

 

[1] Graf Dominik: RATTENNEST. In: FILMGENRES. FILM NOIR. RECLAM. Stuttgart, 2008; S.209-215.

[2] Um das Ende des Films gab es immer Unsicherheiten. Es gibt zwei Enden – im herkömmlichen sehen wir, wie Hammer und Velda sich aus dem Haus zum Meer schleppen und in der Brandung die Explosion überleben; so hatte es das Drehbuch von Bezzerides auch vorgesehen: In einem alternativen Ende sieht man lediglich das Haus explodieren und muß somit davon ausgehen, daß auch Hammer und Velda zu den Opfern gehören. Diese alternative Fassung war lange in der amerikanischen Version das offizielle Ende des Films. Das Originalmaterial galt lange als verschollen und fand sich schließlich im Nachlass des Regisseurs.

[3] Ein Fakt, auf den auch Graf in seinem Text explizit hinwiest; s.o.

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